Wessjolowka (russischВесёловка; Betonung: Wessjólowka; bis 1938 deutschJudtschen, von 1938 bis 1945 Kanthausen) ist ein Dorf in der russischenOblast Kaliningrad. Es gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Tschernjachowsk im Rajon Tschernjachowsk.
Über die Siedlungsgeschichte und Dorfgründung ist nur wenig überliefert. Im 16. Jahrhundert wurden die Dörfer Launessieta und Ruduprastt zusammengelegt. 1557 wurde der Ort Jutzschentta, Jutzwethen bzw. Jutzschwethen genannt. Der Ortsname kann aus dem Namen des dunkel aussehenden ersten Zinsers „Jotze“ bzw. „Joduz“ entstanden sein, wahrscheinlicher ist jedoch die Beschreibung des hier vorzufindenden Humusbodens, die sogenannte Schwarzerde, worauf auch der Name Judlaukis (prußisch für Schwarzacker) deutet. Bereits 1590 schrieb er sich Jutschen. In verschiedenen Urkunden wurde der Ort auch mit Judlaukis, Jüducze, bzw. Jodszen bezeichnet. Ab 1615 wird er in Urkunden mit „Juzchen“ bezeichnet und seit 1620 etablierte sich die Schreibweise „Judtschen“. Vom 17. bis 19. Jahrhundert finden sich in den verschiedenen Urkunden überwiegend die Schreibvarianten „Judtschen“, „Judschen“ und „Jutschen“.
1709 bis 1711 wütete die aus Polen gekommene Pestseuche in Ostpreußen und forderte zahlreiche Todesopfer. Weite Landstriche verödeten, besonders in „Preußisch-Litauen“, darunter das Dorf Judtschen. Der preußische König initiierte und unterstützte die Einwanderung von Protestanten aus West-Mitteleuropa. Besonders zahlreich kamen ab 1711 reformierte Siedler aus der französischsprachigen Schweiz, auch nach Judtschen. Die Gemeinde blühte auf. 1713 erwirkte der „Kolonistenvater“ Burggraf Alexander von Dohna den Entscheid zur Berufung eines französischen Predigers (David Clarenc) und zum Bau einer französisch-reformierten Kirche. Diese wurde 1727 eingeweiht, 1734 konnte auch ein neues Pfarrhaus bezogen werden. Anfang des 19. Jahrhunderts hörte der Gebrauch der französischen Sprache, auch in den Predigten auf.
In Judtschen lebte von 1747 bis 1750 der junge Immanuel Kant als „Studiosus philosophiae“ beim Pastor Daniel Ernst Andersch (* 1701 in Lissa, † 1771 in Judtschen) und beim Schulmeister Johann Jacob Challet (* um 1686 in Moudon, Kanton Waadt, † 1771 in Judtschen) als Hauslehrer für deren Söhne. Kant war auch Taufpate für zwei Kinder aus Judtschen. Nachdem das Gebäude lange Zeit baufällig geblieben war, wurde es renoviert und wird seit 2018 als Kant-Museum genutzt.[2]
1810 baute man ein neues „Predigerhaus“. 1848 wurde der Kirchturm erneuert, 1851 das Kirchenschiff einer „bedeutenden Reparatur“ unterzogen. 1865 begann der Bau eines neuen Pfarrhauses, auf den Fundamenten der Vorgängerbauten.
1860 erhielt der Ort einen Bahnhof an der Ostbahn zwischen Königsberg und Eydtkuhnen, mit einer Bogenbrücke über die Angerapp. Er war von großer wirtschaftlicher Bedeutung für das landwirtschaftlich geprägte Judtschen und seine Umgebung.
Im August 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, wurde auch Judtschen von russischen Truppen besetzt. Mutwillig legten diese Feuer in der Kirche, sie brannte aus. 1925 konnte die wiederaufgebaute Kirche eingeweiht werden; der bis zur Zerstörung 50 Meter hohe, sehr schlanke Turm wurde durch einen gedrungenen abgelöst. Die Gemeinde errichtete ihren gefallenen und vermissten Soldaten ein Kriegerdenkmal im Stil der Zeit vor dem Pfarrhaus, mit darauf sich erhebendem, preußischem Adler. Im Dorf entstanden neue Häuser im Rahmen des Wiederaufbau-Programms für Ostpreußen.
Aus politisch-ideologischen Gründen erhielt Judtschen am 16. Juli 1938 den Namen „Kanthausen“. 1939 hatte der Ort 374 Einwohner.
Im Oktober 1944 stieß die Rote Armee bereits vorübergehend in die Region vor (Nemmersdorf), sie wurde von der Wehrmacht wieder zurückgeworfen. Die Bewohner von Kanthausen wurden am 21. Oktober mit der Reichsbahn Richtung Westen evakuiert. Im Januar 1945 kam mit der Besetzung durch sowjetische Truppen das Ende des deutschen Dorfs Judtschen / Kanthausen. Es wurde mit zugezogenen Siedlern aus der Sowjetunion besiedelt, hauptsächlich Russen.
Von der Ortschaft sind nur noch etwa dreißig Prozent der Gebäude aus der deutschen Zeit erhalten. Sie macht einen überwiegend verödeten und ruinösen Eindruck (2013).
Bereits vor 1908 wurde die Landgemeinde Stannen in die Landgemeinde Stobricken eingemeindet, 1928 folgte der Gutsbezirk Girnehlen. Im gleichen Jahr kam der Gutsbezirk Klein Wischtecken zur Landgemeinde Groß Wischtecken. Bei den übrigen Landgemeinden änderte sich bis 1945 nichts.
Prussische Wehrburg
Gut einen Kilometer südlich des Ortes, auf dem Schlossberg, befindet sich der Ringwall einer prussischenWehrburg. Er war in den 1930er Jahren noch gut erhalten.[5]
1713 entstand in Judtschen durch Siedler eine französisch-reformierte Gemeinde mit (seit 1714) eigenem Geistlichen. Am 27. April 1727 wurde die neu erbaute Kirche eingeweiht, ein rechteckiger Ziegelbau mit Holzturm, der jedoch in der Folgezeit zahlreichen Veränderungen unterlag. Im Innern stand vor der die Ostwand bedeckenden Kanzelwand ein schlichter, reformierter Tradition entsprechender Altartisch.
Nachdem die Kirche am 24. August 1914 vollständig ausgebrannt war, baute man sie bis 1925 wieder auf. Bis 1945 war die Kirche Judtschen in den Reformierten Kirchenkreis der Kirchenprovinz Ostpreußen der Kirche der Altpreußischen Union eingegliedert.
Rudolf Grenz (Herausgeber): Gumbinnen. Stadt und Kreis Gumbinnen. Eine ostpreußische Dokumentation. Zusammengestellt und erarbeitet im Auftrag der Kreisgemeinschaft Gumbinnen. Marburg/Lahn: 1971
Herbert Stücklies und Dietrich Goldbeck: Gumbinnen Stadt und Land. Bilddokumentation eines ostpreußischen Landkreises 1900–1982. Im Auftrag der Kreisgemeinschaft Gumbinnen aus der Bildersammlung des Kreisarchivs Gumbinnen ausgewählt, zusammengestellt und erläutert. Band I und II. Bielefeld: 1985
Bruno Moritz: Geschichte der reformierten Gemeinde Gumbinnen. Festschrift zum 200-jährigen Bestehen der Kirche 1739–1939. Sonderdruck aus dem „Evangelischen Volksblatt für die Ostmark“ 1939
Peter Wörster: Kant und Judtschen. In: 25 Jahre Patenschaft Bielefeld – Gumbinnen 1954–1979. Festschrift, herausgegeben von der Kreisgemeinschaft Gumbinnen. Beiträge zur kulturellen Entwicklung des östlichen Ostpreußen. o. O. (Bielefeld): o. J. (1979)
Ernst Machholz, Zur Geschichte der evangel. Kirchengemeinden Judtschen, der evangel. Kirchengemeinde Goeritten und der eingegangenen französisch-reformierten Kirchengemeinde Gumbinnen, in: Zeitschrift der Altertumsgesellschaft Insterburg, Heft 10, 1907, S. 28–38.
Bernhard Haagen, Burggraf Alexander zu Dohna und die Schweizerkirche in Litauen. Zum zweihundertjährigen Gedächtnis der Entstehung der reformierten Gemeinden zu Judtschen und Gumbinnen 1713–1913, Berlin 1913.
Fritz Schütz, Ein Beitrag zur Heimatgeschichte – Die kirchliche Versorgung der Schweizerkolonie, in: Preußisch-Litauische Zeitung, Nr. 45, 120. Jg., Gumbinnen Sonntag, den 22. Februar 1931.
Bernhard Haagen, Auf den Spuren Kants in Judtschen, in: Altpr. Monatsschrift 1911, S. 382–411 u. 528–556.
Dierk Loyal: Zur Geschichte der vor 300 Jahren gegründeten Französisch-Reformierten Gemeinde Judtschen (Kanthausen) in Ostpreußen. In: Hugenotten, 75. Jg., Nr. 4/2012, S. 143–176
↑Таблица 1.10 «Численность населения городских округов, муниципальных районов, муниципальных округов, городских и сельских поселений, городских населенных пунктов, сельских населенных пунктов» Программы итогов Всероссийской переписи населения 2020 года, утвержденной приказом Росстата от 28 декабря 2021г. № 963, с данными о численности постоянного населения каждого населенного пункта Калининградской области. (Tabelle 1.10 „Bevölkerungsanzahl der Stadtkreise, munizipalen Rajons, Munizipalkreise, städtischen und ländlichen Siedlungen [insgesamt], städtischen Orte, ländlichen Orte“ der Ergebnisse der Allrussischen Volkszählung von 2020 [vollzogen am 1. Oktober 2021], genehmigt durch die Verordnung von Rosstat vom 28. Dezember 2021, Nr. 963, mit Angaben zur Zahl der Wohnbevölkerung jedes Ortes der Oblast Kaliningrad.)
↑Durch den Указ Президиума Верховного Совета РСФСР от 17 ноября 1947 г. «О переименовании населённых пунктов Калининградской области» (Verordnung des Präsidiums des Obersten Rats der RSFSR "Über die Umbenennung der Orte der Oblast Kaliningrad" vom 17. November 1947)