Kohn wuchs in Wien als Sohn jüdischer Eltern auf. Er besuchte das Akademische Gymnasium in Wien und das Kaiser-Franz-Joseph-Realgymnasium. Sein Vater betrieb den von Salomon Kohn gegründeten Postkartenverlag Brüder Kohn. Während seine Eltern und viele weitere Verwandte im Holocaust umkamen, gelangte er mit einem Kindertransport nach England. Im Rahmen einer zwangsweisen Umsiedlung von "deutschen" Zivilinternierten, die als Enemy Alien betrachtet wurden, erreichte er 1940 Kanada und wurde dort zusammen mit Josef Eisinger von dem bereits 1938 eingewanderten Bruno Mendel aufgenommen.[1][2][3] Im Zweiten Weltkrieg war er auf kanadischer Seite Soldat.
Im Jahr 1959 veröffentlichte er seine Entdeckung zur Kohn-Anomalie, einer Divergenz bezüglich der Dispersionsrelation bei Phononen. Der Beginn seiner Arbeiten zur Dichtefunktionaltheorie liegt nach Kohn in Arbeiten zur elektronischen Struktur von Legierungen (seit 1963). Zwei grundlegende Arbeiten dazu – zunächst in Paris mit Pierre Hohenberg zusammenarbeitete und dann in San Diego mit Lu J. Sham – waren 2005 die zwei meistzitierten Arbeiten in der damals über einhundertzehnjährigen Geschichte der Physical Review.[4] Darin bewiesen Hohenberg und Kohn eine exakte, variationelle Formulierung des quantenmechanischen Vielteilchenproblem, in der alle gesuchten Eigenschaften durch die ortsabhängige Elektronendichtefunktion bestimmt sind. Kohn und Sham leiteten dann u. a. eine Darstellung ab, in der sich das Dichtefunktional iterativ und selbstkonsistent bestimmen lässt.[5] Ein Grund für den großen Einfluss dieser Arbeiten ist die große Allgemeinheit und breite Anwendbarkeit der Resultate. Sie waren zudem sowohl praktisch wie konzeptionell wichtig.[5] Einerseits erlauben sie mit vergleichbarem Aufwand deutlich genauere Näherungslösungen als frühere Methoden in der Festkörperphysik, Materialphysik und der Chemie.[6] Zum anderen war der Beweis, dass es für jedes molekulare System "das richtige" Dichtefunktional gibt, auch konzeptionell wichtig:[5] er erlaubt es, statt der Vielteilchenwellenfunktion die direkt beobachtbare und viel leichter interpretierbare Einteilchendichte zu betrachten und führte zu einer sehr produktiven Fokussierung der Forschung auf Auffinden derselben, so der Chemiker Gregory Voth.[7]
Er stiftete in Wien dem jüdischen Privatrealgymnasium Zwi-Perez-Chajes-Schule und dem Akademischen Gymnasium den Walter-Kohn-Preis für Arbeiten zum Zusammenhang von Menschenrechten und Naturwissenschaft.
Für seine Arbeiten zur Dichtefunktionaltheorie erhielt er 1998 den Nobelpreis für Chemie.
Kohn hatte aus erster Ehe drei Töchter, durch seine zweite Ehe war er mit dem Mikrobiologen Wolf V. Vishniac verschwägert. Er starb am 19. April 2016 in Santa Barbara (Kalifornien) im Alter von 93 Jahren.[12]
1991: Feenberg-Medaillefür seine entscheidenden Beiträge zur theoretischen Festkörperphysik und seine Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie, die die Berechnung der elektronischen Struktur von Atomen, Molekülen, Oberflächen und Festkörpern in Physik, Chemie und Materialwissenschaft revolutionierte (Laudatio).[13]
W. Kohn, L. J. Sham: Self-Consistent Equations Including Exchange and Correlation Effects. In: Physical Review. Band140, 1965, S.A1133–A1138, doi:10.1103/PhysRev.140.A1133.
Recherchehinweis
Walter Kohn wird sowohl online als auch in der gedruckten Sekundärliteratur häufig mit dem 1923 im oberfränkischen Lichtenfels geborenen Politikwissenschaftler Walter Samuel Gerst-Kohn verwechselt bzw. mit dessen biographischen Daten vermischt.
Andrew Zangwill: The education of Walter Kohn and the creation of density functional theory. In: Arch. Hist. Exact Sci. Band68, 2014, S.775–848, doi:10.1007/s00407-014-0140-x, arxiv:1403.5164.
Kohn, Walter, in: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,1. München : Saur, 1983, S. 643.
↑Douglas J. Scalapino, Robert Sugar: Walter Kohn (1923–2016). In: Proc Natl Acad Sci USA. Band113, Nr.32, 2016, S.8883–8884, doi:10.1073/pnas.1609988113.
↑R. Sugar: Walter Kohn and Boris Regal: The Early Days of ITP. In: M. Scheffler, P. Weinberger (Hrsg.): Walter Kohn. Springer, Berlin, Heidelberg 2003, doi:10.1007/978-3-642-55609-8_89.
↑Walter Kohn. In: ucsb.edu. Abgerufen am 27. Juni 2021 (englisch).
↑for his seminal contributions to theoretical solid-state physics, and for his development of the density-functional theory that has revolutionized the calculation of electronic structure for atoms, molecules, surfaces, and solids in physics, chemistry, and materials science (Laudatio). Feenberg Memorial Medal