Der Berliner Bibliothekar Wolfgang Herrmann hatte bereits seit einigen Jahren an einem Verzeichnis auszusondernder Schriften gearbeitet. An ihn wandte sich die Deutsche Studentenschaft mit der Bitte um „Schwarze Listen“, die bei der „Aktion wider den undeutschen Geist“ die Grundlage der „Säuberungen“ bilden sollten.[1] Bereits am 26. März 1933 erschien eine erste „Liste verbrennungswürdiger Bücher“ in der „Berliner Nachtausgabe“. Anfang April 1933 trat in Berlin ein „Ausschuss zur Neuordnung der Berliner Stadt- und Volksbüchereien“ zusammen, dem auch der damals 29-jährige Wolfgang Herrmann angehörte. Im Rahmen dieses Ausschusses arbeitete er seine Schwarzen Listen weiter aus.
Die NS-Forschung ab den 1980er-Jahren hat belegt, dass weder die nationalsozialistische Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 noch die von Wolfgang Herrmann erstellte Schwarze Liste direkt vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda in Auftrag gegeben oder gelenkt worden waren.[1][2]
Die Organisation der Bücherverbrennung lag weitgehend in der Hand der Deutschen Studentenschaft (die durchaus vom Reichsministerium unterstützt wurde), und ebenso war Herrmanns Schwarze Liste aus Eigeninitiative des überzeugten nationalsozialistischen Bibliothekars entstanden; erst in den folgenden Jahren übernahmen Goebbels und sein Ministerium – nach längeren Machtkämpfen mit Alfred Rosenberg – die alleinige Lenkung der Schrifttumspolitik.[3]
Mit der fortschreitenden Institutionalisierung der Schrifttumspolitik wuchs auch die Zahl der verbotenen Bücher und Autoren stetig an, vgl. Liste verbotener Autoren während der Zeit des Nationalsozialismus.
Herrmanns „Schwarze Liste“ hatte ursprünglich nur die Funktion, die indizierten Werke für die Ausleihe in Büchereien zu sperren. Es handelte sich dabei (in zeitgenössischer Terminologie) um:
Schrifttum, welches das berechtigte Empfinden nationaler Kreise verletzt
Verbrennungslisten
Auf Basis dieser „schwarzen Listen“ erstellte Wolfgang Herrmann weitere Listen, die er dann ab 26. April sukzessive an die „Aktion wider den undeutschen Geist“ übermittelte. Die Originale liegen im Staatsarchiv Würzburg (Akten der DSt, 21 C 14 /I). Unter Zuhilfenahme dieser Listen wurden nun die Universitäts- und Institutsbibliotheken durchsucht und ab 6. Mai 1933 Buchhandlungen und Leihbüchereien von studentischen Stoßtrupps heimgesucht und ihrer wertvollen Bestände beraubt. Die öffentlichen Stadt- und Volksbüchereien wurden dazu angehalten, ihre Bestände selbst zu „säubern“ und die ausgesonderten Bücher den Studentenschaften für die Bücherverbrennungen am 10. Mai zu übergeben.
Die Listen waren in folgende Sachgebiete unterteilt:
Schöne Literatur (zunächst 71, dann 131 Schriftsteller und 4 Anthologien)[4]
Politik und Staatswissenschaften (121 Namen und 5 Werke ohne Verfasser)
Literaturgeschichte (9 Verfassernamen)
Religion, Philosophie, Pädagogik
Die Listen „Literaturgeschichte“ und „Religion, Philosophie, Pädagogik“ wurden erst am 10. bzw. am 16. Mai 1933 von der Studentenschaft verschickt, sodass sie bei den ersten Bücherverbrennungen noch nicht zur Anwendung gelangten.
Wenige Tage nach den Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 wurden die „schwarzen Listen“ am 16. Mai im „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ veröffentlicht, die Liste „Schöne Literatur“ wurde darin als „erste amtliche Schwarze Liste für Preußen“ gepriesen. Dr. Herrmann verlautbarte darin zur „Säuberung der öffentlichen Büchereien“:
„Die Aufgabe, die der öffentlichen Bücherei (Volksbücherei) im neuen Staat gestellt ist, entspricht der Losung Mussolinis: ‚Buch und Büchse – das ist mein Befehl‘. Damit ist gesagt, daß das kulturpolitische Ziel der Volksbüchereien in der geistigen Wehrhaftmachung, der totalen Mobilmachung des deutschen Menschen mit Hilfe des echtbürtigen Schrifttums liegt.“[5]
Nach der Bücherverbrennung beeilten sich die einschlägigen Fachverbände, der „Börsenverein des deutschen Buchhandels“ und der „Reichsverband der deutschen Leihbüchereien“ – teilweise sogar in vorauseilendem Gehorsam – durch entsprechende Anordnungen bzw. Empfehlungen die „Ausmerzung undeutscher Literatur“ systematisch fortzusetzen, die „Säuberung“ von Bibliotheken und Verlagsprogrammen wurde landesweit fortgesetzt.
Die von Herrmann erstellten „Schwarzen Listen“ wurden fortlaufend ergänzt und erweitert, ein Jahr später umfassten sie mehr als 3000 Titel verbotener Bücher und Schriften. Auf einer „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, die ab 1935 regelmäßig herausgegeben wurde, fanden sich schließlich 12.400 Titel und das Gesamtwerk von 149 Autoren.
Die verbrannten Bücher
Eine komplette Liste der „verbrannten Bücher“ zu erstellen ist unmöglich. Bereits die Liste „Schöne Literatur“, die der Studentenschaft am 26. April 1933 vom Bibliothekar Herrmann als erste übermittelt wurde, wurde mit dem Vermerk „Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit“ versehen, was in der Folge wohl auch für die anderen Listen gegolten hat, sodass davon ausgegangen werden muss, dass die auf den „schwarzen Listen“ indizierten Werke nur den Kern der tatsächlich verbrannten Bücher darstellten. Die örtlichen Veranstalter hatten ausdrücklich „jegliche Freiheit“ vom DSt-Hauptamt zugestanden bekommen:
„Als Grundlage für die symbolische Handlung im Verbrennungsakt ist die im folgenden gegebene Aufstellung zu benutzen und möglichst wörtlich die Rede des studentischen Vertreters zugrunde zu legen. Da es praktisch in den meisten Fällen nicht möglich sein wird, die gesamten Bücher zu verbrennen, dürfte eine Beschränkung auf das Hineinwerfen der in der folgenden Aufstellung angegebenen Schriften zweckmässig sein. Es wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass trotzdem ein grosser Haufen Bücher verbrannt wird. Die örtlichen Veranstalter haben dabei jegliche Freiheit.“
– Rundschreiben des „Hauptamts für Aufklärung und Werbung“ der deutschen Studentenschaft vom 9. Mai 1933 von Gerhard Krüger (DSt) und Hauptamtsleiter Hanskarl Leistritz zur Versendung der „Feuersprüche“.
Aufgrund der zugestandenen „Freiheit“ bei der Auswahl der Bücher nahm etwa die Universität Halle-Wittenberg in ihre Liste zusätzlich noch Autoren wie Heinrich Heine, Klabund, Frank Wedekind, Albert Ehrenstein, Carl Zuckmayer und Friedrich Hollaender auf. Die Verbrennung von Werken Thomas Manns ist zumindest für Hannover, Hamburg, Göttingen und Köln belegt (obwohl in Köln der Germanist Ernst Bertram versucht hatte, gegen die Verbrennung zu intervenieren), ohne dass sich Thomas Mann auf der Liste „Schöne Literatur“ befunden hätte. Im Begleittext der Liste „Geschichte“ wurde die Entfernung sämtlicher pazifistischer, defätistischer und pro-bolschewistischer Literatur eingefordert, ohne dass diese Werke einzeln aufgeführt waren.
Zeitungsbericht
Eine „Säuberung“ der Städtischen Volksbücherei Heidelberg wurde zeitnah in dem Zeitungsbericht Raus mit dem Plunder. Städtische Bücherei räumt aus und baut auf am 20. Oktober 1937 geschildert:
„Aus einem Holzschuppen im Hofe, dem Pg. Zink den herrlichen Namen ‚Judenstall‘ gegeben hat, holen fleißige Hände immer neue Stöße dieses geduldigen Papiers heran. Der Name wird verlesen und dann das Exkrement überhitzter Phantasten mit Schwung in die Ecke gefeuert.“
Es wurde aber nicht nur „Säuberung“, sondern auch „Neuaufbau“ betrieben. Im gleichen Zeitungsbericht heißt es, der Oberbürgermeister von Heidelberg habe 1000 Reichsmark gestiftet, um die Umstellung des Literaturangebotes zu unterstützen:
„Für diese Summe werden Bücher über die Wehrmacht, über den Kampf gegen den Bolschewismus, über Volkstum und Heimat angeschafft. Nagelneue Bände mit abwaschbaren Einbänden finden auf den freigewordenen Regalen Platz.“[6]
Die Listen des Bibliothekars Herrmann
Schöne Literatur
Die Schwarze Liste „Schöne Literatur“ ging mit einem Begleitschreiben Herrmanns am 2. Mai 1933 beim DSt-Hauptamt ein:
„Die vorliegende Liste nennt alle Bücher und alle Autoren, die bei der Säuberung der Volksbüchereien entfernt werden können. Ob sie alle ausgemerzt werden müssen, hängt davon ab, wie weit die Lücken durch gute Neuanschaffungen aufgefüllt werden. Die Liste sagt nichts aus über den faktischen Bestand der einzelnen Büchereien. Sie gilt nur als allgemeines Hilfsmittel für Bibliothekare und Kommissare, die mit der Säuberung beauftragt sind.“
Welt werde froh. Ein Kurt-Eisner-Buch. Zum 10. Jahrestage der Ermordung Kurt Eisners, [Aus d. Nachlaß Kurt Eisners zs. Gest. von Erich Knauf], Berlin, Büchergilde Gutenberg 1929, 213 S.
Die Krise der Sozialdemokratie (Juniusbroschüre). mit e. Einleitung von Clara Zetkin, Berlin, Rote Fahne 1919, XI, 100 S.
Briefe aus dem Gefängnis. Hrsg. vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale (die Ausstattg. bes. Karl Gossow), Berlin 1927, 79 S., mit 1 eingedr. Faks. und 1 eingekl. Abb.
Sozialreform oder Revolution. Leipzig, Vulkan-Verlag 1919, 90 S.
(z. B.) Das neue Gesicht der herrschenden Klasse. Berlin, Malik-Verlag 1930, 126 S.
(z. B.) Die Gezeichneten. 60 Blätter aus 15 Jahren, Berlin, Malik-Verlag 1930, 128 S.
(z. B.) Die Kunst ist in Gefahr (gemeinsam mit Wieland Herzfelde), 3 Aufsätze [Einband und Schlußzeichnungen von George Grosz], Berlin, Malik-Verlag (1925), 44 S. mit Abb. (= Malik-Bücherei, Band 3)
„Vorbemerkung: Die restlose Sperrung der Abteilung Sozialismus geht zu weit, in jedem Fall ist das nicht- und vormarxistische deutsche Schrifttum zum Sozialismus von der Sperrung auszunehmen. Zum Ersatz für die ausrangierten marxistischen Bücher empfiehlt es sich, das parteifreie Arbeiterschriftentum vor allem aus den Abteilungen Arbeiterfrage, Sozialpolitik, Genossenschaftswesen, Bevölkerungsfrage, Arbeitsdienst mehr in Verkehr zu bringen. Außerdem ist darauf zu achten, dass gerade von der Literatur des wissenschaftlichen Marxismus je 1 Exemplar im Giftschrank der Studien-, Haupt- und Stadtbüchereien aufgehoben wird.“
Die internationale Lage und die Aufgaben der kommunistischen Internationale. Bericht der Delegation der KPSU (B) beim EKKI an den 15. Parteitag, Hamburg, Berlin, Hoym 1928, 69 S.
Programm der Kommunisten (Bolschewiki) Berlin, Rote Fahne 1919, 127 S.
Studien über die Bewegungsgesetze der gesellschaftlichen Entwicklung
Briefe aus dem Felde, aus der Untersuchungshaft und aus dem Zuchthaus. Unter Mitarb. d. Frau Karl Liebknechts hrsg. von Franz Pfemfert, Berlin-Wilmersdorf, Verlag der Wochenschrift ‚Die Aktion‘ 1920, 138 S. mit Abb.
Politische Aufzeichnungen aus dem Nachlaß. Geschrieben in den Jahren 1917–1918. Unter Mitarb. von Sophie Liebknecht mit einem Vorwort und mit Anm. versehen von Franz Pfemfert, Berlin-Wilmersdorf, Verlag der Wochenschrift ‚Die Aktion‘ 1921, 162 S. (= Politische Aktionsbibliothek, Band 10).
Die Krise der Sozialdemokratie (Juniusbroschüre). mit e. Einleitung von Clara Zetkin, Berlin, Rote Fahne 1919, XI, 100 S.
Briefe aus dem Gefängnis. Hrsg. vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale (die Ausstattg. bes. Karl Gossow), Berlin 1927, 79 S., mit 1 eingedr. Faks. und 1 eingekl. Abb.[7]
Sozialreform oder Revolution. Leipzig, Vulkan-Verlag 1919, 90 S.[8]
Der Weg zur Höhe. Die sozialdemokratische Frauenbewegung Österreichs; ihr Aufbau, ihre Entwicklung und ihr Aufstieg, Wien: Frauenzentralkomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs, 1929, 149 S.
Verfassungspolitische Entwicklungen in Deutschland und Westeuropa. Historische Grundlegung zu einem Staatsrecht der Deutschen Republik. Aus dem Nachlaß von Dr. Hugo Preuß (ehem. Reichsminister), hrsg. und eingel. von Hedwig Hintze, Berlin, Heymann 1927, 487 S.
Die Welt der Wirtschaft vom Standort des Arbeiters. Eine Einführung in das Verständnis des kapitalistischen Wirtschaftsgebäudes und eine Anleitung zur Beobachtung des kapitalistischen Wirtschaftslebens. Jena, Verlag Gewerkschaftsarchiv 1926. 191 S. (= Gewerkschaftsarchiv-Bücherei, Band 4)
(z. B.) Das Theater im Lichte der Soziologie. In den Grundlinien dargestellt, Leipzig, Hirschfeld 1931, 227 S. (= Zeitfragen aus dem Gebiet der Soziologie: Reihe 4, Beiträge zur Soziologie der Kunst, Band 1)
Die Lessing-Legende. Zur Geschichte und Kritik des preußischen Despotismus und der klassischen Literatur. Berlin: Dietz 1926, 426 S.
Die Literaturgeschichte (gemeint ist: Zur Literaturgeschichte von Calderon bis Heine und Zur Literaturgeschichte von Hebbel bis Gorki, – Gesammelte Schriften und Aufsätze in Einzelausgaben, Bd. 1 und 2, Hg. v. Eduard Fuchs. Berlin 1929)
Dietrich Aigner: Die Indizierung „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ im Dritten Reich. Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes Nordrhein-Westfalen, Köln 1968 (Hausarbeit).
Werner Treß: „Wider den undeutschen Geist“. Bücherverbrennung 1933. Parthas, Berlin 2003, ISBN 3-932529-55-3 (wieder Vorwärts, Berlin 2008 ISBN 978-3-86602-869-2. Beide Ausg. mit 271 Seiten).
Verbrannte Bücher 1933. Mit Feuer gegen die Freiheit des Geistes. In: Werner Treß (Hrsg.): Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Band1003. Bundeszentrale für politische Bildung BpB, Bonn 2009, ISBN 978-3-8389-0003-2 (Eine Anthologie von 57 Originaltexten, mit Kurzbiographien. 638 Seiten. Komplette Liste aller betroffenen Autoren im Anhang, alphabetisch, nicht nach Sparten sortiert).
Universität Augsburg: Bibliothek der verbrannten Bücher. Schwerpunkt der Sammlung bilden die Werke, die auf den sogenannten Schwarzen Listen der Nationalsozialisten standen und die am 10. Mai 1933 in mehr als 20 deutschen Universitätsstädten öffentlich verbrannt wurden. Die Sammlung wurde von Georg P. Salzmann (1929–2013) zusammengetragen. Seit Juli 2009 ist sie im Besitz der Universitätsbibliothek Augsburg und wird in einer virtuellen Dauerausstellung präsentiert.
Einzelnachweise
↑ abAnselm Faust: Die Hochschulen und der „undeutsche Geist“. Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 und ihre Vorgeschichte. Das war ein Vorspiel nur... Bücherverbrennung Deutschland 1933. Voraussetzungen und Folgen. Akademie der Künste, Berlin 1983, S. 31–50, hier S. 38f.
↑Gerhard Sauder: Vorbereitung der „Aktion wider den undeutschen Geist“. In: Gerhard Sauder (Hrsg.): Die Bücherverbrennung. Hanser, München 1983, S. 69–102.
↑Herrmann, Wolfgang: Prinzipielles zur Säuberung der öffentlichen Büchereien, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel № 112 vom 16. Mai 1933, 356–358, 356.[2]
↑Joachim-Felix Leonhard (Hrsg.): Bücherverbrennung. Zensur, Verbot, Vernichtung unter dem Nationalsozialismus in Heidelberg. Heidelberger Verlagsanstalt, 1983, S. 106. Mit Beitrag von Walter Engel u. a. Reihe: Heidelberger Bibliotheksschriften, 7