Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (kurz: Wiener Musikverein) ist ein traditionsreicher Verein in Wien zur Förderung der musikalischen Kultur. Er wurde 1812 gegründet.
Am 29. November und 3. Dezember 1812 wurde in der Winterreitschule der Wiener Hofburg das Händel-OratoriumTimotheus aufgeführt.[1] Dieses Konzert kann als Auslöser zur Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates gelten.[2]
Als Gründer des Vereins gilt Joseph Sonnleithner (1766–1835), damals Sekretär der kaiserlichen Wiener Hoftheater (Burgtheater und Kärntnertortheater). Der Erlös der beiden Konzerte sollte der neugegründeten Institution zugutekommen. KaiserFranz I. spendete 1.000 Gulden, der Reingewinn betrug schließlich 25.934 Gulden Wiener Währung. Erster Sitz der Gesellschaft war das Palais Lobkowitz am heutigen Lobkowitzplatz.
Ziele
Laut ihren Statuten, die 1814 entstanden, ist die „Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen“ wichtigster Zweck der Gesellschaft.
Die Gesellschaft der Musikfreunde erreicht(e) dies auf dreifache Weise:
die Gründung eines Konservatoriums,
die systematische Sammlung musikhistorischer Dokumente (Archiv, Bibliothek und Sammlungen),
die Veranstaltung eigener Konzerte.
Konzerte
Auf Antonio Salieris Initiative gehen die ersten Choraktivitäten des Musikvereins zurück, der beispielsweise 1824 auch an den Wiener Erst- bzw. Uraufführungen von Ludwig van BeethovensMissa solemnis und 9. Sinfonie beteiligt war. Nachdem es bereits seit Jahren Chorkonzerte des Vereins gegeben hatte, fand dann 1858 die offizielle Gründung des Konzertchors als Zweigverein des Wiener Musikvereins statt. Der erste Chefdirigent des Wiener Singvereins war Johann von Herbeck, seit 1991 leitet den Chor Johannes Prinz.
Erster Konzertsaal der Gesellschaft
Die ersten Abendunterhaltungen (Kammerkonzerte) des Musikvereins fanden im Haus Zum roten Apfel in der Wiener Singerstraße statt.[3] 1820 übersiedelte der Konzertbetrieb in den Gundelhof.[4]
1829 kaufte die Gesellschaft ein zum Kärnthnerviertl zählendes Haus an den Tuchlauben (Haus zum roten Igel, ab 1822 angemietet, damals Haus Nr. 558, heute Tuchlauben 12) mit mehreren Geschäftslokalen und Wohnungen, ließ es abreißen und gab bei Franz Lössl (Bauleitung: Carl Högl) um rund 88.000 Gulden (inkl. Einrichtung) die Errichtung eines dreistöckigen Neubaus mit Konzertsaal im 1. Stock in Auftrag. Der Bauplatz lag etwa gegenüber der damaligen Ofenlochgasse, seit 1863 Kleeblattgasse. Die Brandstätte zweigte damals hier noch nicht von den Tuchlauben ab, sondern befand sich als kleiner Platz nahe dem Stephansdom.
Das Festkonzert zur Eröffnung des Saales fand am 4. November 1831 statt (damals wütete in Wien die Cholera). Der Musikverein trug unter anderem an diesem Standort (besucherstarke Konzerte fanden nach wie vor im Großen Redoutensaal der Hofburg statt) wesentlich zum öffentlichen Konzertleben in Wien bei.
Der Saal erwies sich mit 700 Sitzplätzen bald als zu klein, wurde aber dennoch fast 40 Jahre lang genutzt. 1846 wurde Gasbeleuchtung eingebaut. In den oberen Stockwerken waren das Konservatorium und das Archiv der Gesellschaft, Büros und Probenräume untergebracht.[5]
Die Gesellschaft übersiedelte 1870 in ihr neues Haus und verkaufte ihr erstes eigenes Haus im gleichen Jahr. In der Nachnutzung entstand daraus u. a. das Strampfer-Theater. Das Gebäude wurde 1885 abgetragen.[6]
Heutiger Sitz der Gesellschaft
1863 schenkte Kaiser Franz Joseph I. der Gesellschaft aus dem Staatsvermögen das Areal am Ufer des Wienflusses gegenüber der Karlskirche. Es lag auf dem ehemaligen Glacis vor der ab 1858 demolierten Stadtmauer um die Altstadt. In der Nähe entstand 1861–1869 die heutige Wiener Staatsoper, auf dem Nachbarbauplatz am Wienflussufer 1865–1868 das Künstlerhaus, auf dem Richtung Ringstraße benachbarten Platz 1862–1865 das heutige Hotel Imperial.
Das von Theophil Hansen, der später das Parlament baute, entworfene Haus, verkürzt Wiener Musikverein genannt, wurde am 6. Jänner 1870 mit einem feierlichen Konzert eröffnet. Im selben Jahr wurde der Obersthofmeister des Kaisers, Fürst Konstantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst, zum Dank für die Gunst des Kaiserhofes für das Neubauprojekt zum Ehrenmitglied der Gesellschaft ernannt.
1869 wurde Carl Heissler der erste Leiter des Orchesters der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. 1871 und 1872 war der russische Komponist Anton Rubinstein künstlerischer Direktor der Gesellschaft. Nach kurzer Zeit wurde er von Johannes Brahms abgelöst.[7]
Kinder- und Jugendprojekte
Um Kindern und Jugendlichen Freude an Musik und Zugang zur klassischen Kultur zu vermitteln, bietet die Gesellschaft der Musikfreunde ein entsprechendes Programm an: Im April 1989 gab es das erste „Fest für Kinder“ in allen Sälen des Musikvereinsgebäudes, seither wurde das Angebot stetig ausgeweitet und umfasst mittlerweile über 150 Projekte für alle Altersstufen zwischen 3 und 19 Jahren. Das 20-Jahr-Jubiläum der Jugendkonzerte wurde 2009 mit einem großen Fest im Wiener Musikverein gefeiert. Symbol der Kinder- und Jugendkonzerte der Gesellschaft der Musikfreunde ist der Konzertclown Allegretto.
Künstlerische Darbietungen werden den jeweiligen Altersanforderungen entsprechend aufbereitet, dabei wird besonderes Augenmerk auf Möglichkeiten zum aktiven Mitwirken gelegt. Dazu gehören Mitsingen und Mittanzen der Kleinsten, eine Galerie von Kinderzeichnungen im Internet sowie Künstlergespräche unter dem Motto „meet the artist“ mit international renommierten Dirigenten, Solisten und Komponisten für 15- bis 19-Jährige.
Conservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde
Das Konservatorium war die erste öffentliche Musikschule Wiens. 1817 begann Hofkapellmeister Antonio Salieri eine Gesangsklasse zu bilden. Die Allgemeine musikalische Zeitung schrieb hierüber am 7. Jänner 1818: „Als Anfang eines neu zu gründenden Conservatoriums ertheilt unser würdiger Hofkapellm. Salieri bereits 12 Mädchen und 12 Knaben einen unentgeltlichen Gesangsunterricht.“
Am 19. April stellten sich die ersten 24 Studenten des Konservatoriums in einem Gesellschaftskonzert der Öffentlichkeit vor und singen einen A-cappella-Chor Salieris. Die Widmung auf dem Autograph lautet: „Ringraziamento da farsi alli Benefattori del Conservatorio della musica nazionale tedesca dalli primi ventiquattro allieve dodici Ragazzi e dodici Ragazze, di detto luogo, nella quarta accademia dei dilettanti il giorno 19 Aprile 1818“.
1819 folgte mit dem Violinisten Joseph Böhm eine Violinklasse.
Das Archiv der Gesellschaft zählt heute zu den bedeutendsten Musikaliensammlungen der Welt.
Es ist unterteilt in die Bibliothek, das Archiv (mit Musikalien, Akten, Ephemera) und Sammlungen (Bilder, Memorabilia). Wertvolle und seltene Erstdrucke finden sich ebenso darin wie Autographe von Schubert, Beethoven, Mozart und vielen anderen. Bedeutend sind auch die mehrere Tausend Stück umfassende Briefsammlung oder die Gemäldesammlung, die etwa die Porträts von Claudio Monteverdi oder Johann Joseph Fux einschließt.
Besonders erwähnenswert ist die Brahms-Sammlung, die seit 2005 zum Weltdokumentenerbe der UNESCO zählt.
Ingrid Fuchs (Hrsg.): Musikfreunde. Träger der Musikkultur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bärenreiter, Kassel 2017, ISBN 978-3-7618-2404-7.
Joachim Reiber (Verfasser), Wolf-Dieter Grabner, (Fotograf): Der Musikverein in Wien. Ein Haus für die Musik. Styria, Wien, Graz 2019, ISBN 978-3-222-13647-4.
↑Hartmut Krones: Die Konzertpolitik der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien in den Jahren 1938 bis 1945. In: Otto Kolleritsch (Hrsg.): Die Wiener Schule und das Hakenkreuz. Wien 1990, S. 189–203.
↑Georges Prêtre ist tot. In: Klassik/Oper - Wiener Zeitung Online. Abgerufen am 13. Januar 2017.