Das Europäische Folklore-Festival (Eigenschreibweise: europäisches folklore festival) ist eine rund einwöchige Volkstanz- und Volksmusikveranstaltung, die seit 1951 in Neustadt in Holstein stattfindet. Die Besonderheit dieses Festivals ist es, dass die eingeladenen Gruppen während der Veranstaltung von Neustädter Familien beherbergt werden. Anfänglich wurde die Veranstaltung als Europäische Trachtenwoche bezeichnet, bis im Bemühen um ein moderneres, zeitgemäßes Auftreten der Name 2004 in Europäisches Folklore-Festival geändert wurde. Dieses Festival gilt als eines der ältesten seiner Art in Europa und wird ehrenamtlich organisiert.
Im Jahr 1951 schlug Gerd Beier, der damalige Leiter der örtlichen Volkshochschule, vor, eine Trachtenwoche durchzuführen. Hierzu sollten Trachtengruppen aus den verschiedenen Bundesländern eingeladen werden sowie Gruppen, die schlesisches, sudetendeutsches, ostpreußisches und pommerschesBrauchtum pflegten und damit ihre Heimat und Landschaft in Musik und Tanz zeigen.
Bei diesem Treffen sollten Laienmusiker und Volkstänzer ihre Heimat in authentischer Form repräsentieren.
Für die Trägerschaft der Veranstaltung wurde der Verein Europäische Trachtenwoche gegründet, zu dessen erstem Vorsitzenden der damalige Neustädter Bürgermeister Paul Haas gewählt wurde.
Die erste Veranstaltung fand bereits im selben Jahr vom 4. bis 11. August 1951 statt.
Das Plakat für diese Deutsche Trachtenwoche an der Ostsee entwarf der Lithograf und Maler A. Paul Weber.
Neben Gruppen aus Deutschland nahm 1951 als erste ausländische Gruppe die Sing- und Spielgruppe der oberösterreichischen Lehrervereinigung aus Linz teil.
Die Beteiligung dieser Gruppe löste im Kuratorium die Grundsatzfrage aus, inwieweit man künftig weitere außerdeutsche Gruppen einladen solle, um zu einer europäischen Folklorewoche zu kommen.
Es war ein Anliegen der Veranstalter, die Isolierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg zu überwinden und den Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben in Europa zum Ausdruck zu bringen.
In diesem Sinne wurden in den Folgejahren vermehrt Gruppen aus dem europäischen Ausland, später auch aus Übersee, zu den Veranstaltungen eingeladen.
Veranstaltungskonzept
Ein vom Verein Europäische Trachtenwoche gewähltes und ehrenamtlich tätiges Kuratorium organisiert die Veranstaltung.[1]
Neben Bürgern der Stadt Neustadt gehören dem Kuratorium kraft Amtes der Bürgermeister sowie Mitglieder des Magistrats und der Stadtverwaltung an.
Seine Aufgaben sind Werbung, Finanzen, Programmgestaltung, Quartierbeschaffung, Gruppenbetreuung und Pressearbeit.
Das Europäische Folklore-Festival findet in der Regel alle drei Jahre (bis 1960 jährlich[2]) statt.
Die Veranstaltungsdauer des Folklore-Festivals beträgt acht Tage (Samstag–Samstag).
Die Teilnehmer werden von Neustädter Familien beherbergt und verpflegt.
Neben der Eröffnungs- und Abschlussveranstaltung gehören zum Veranstaltungsprogramm ein Festumzug, „Tanz in den Straßen“, ein Kirchenkonzert sowie tägliche Nachmittags- und Abendauftritte der beteiligten Tanz- und Musikgruppen.
Außerdem finden in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen in der Stadt Auftritte der Tanz- und Musikgruppen statt, um auch deren Patienten/Bewohner an der Veranstaltung teilhaben zu lassen.
In früheren Jahren wurde außer dem Kirchenkonzert auch ein Instrumental- und Chorkonzert mit Volksmusik aus den Herkunftsregionen der beteiligten Gruppen geboten.
Gruppenabende sind ebenfalls fester Bestandteil des Programms.
Am Festumzug sowie an einzelnen Veranstaltungen nehmen weitere Gruppen aus der näheren Umgebung teil.
Die Auftritte der Tanz- und Musikgruppen finden auf dem Neustädter Marktplatz auf einer teilüberdachten Bühne von 10 m × 14 m statt, die mit professioneller Ton- und Lichttechnik ausgestattet ist.
Für das Publikum stehen eine Tribüne mit ca. 2500 Sitzplätzen und ein Stehplatzbereich für weitere ca. 1000 Zuschauer zur Verfügung.
„[…] die markantesten Stellen Ihrer Bewerbung werden in einer Broschüre, welche der Europarat der ersten Preisverleihung widmen wird, aufgenommen. Um noch mehr seine Bewunderung und Anerkennung für die prächtige und beispielhafte Haltung, welche die Stadt Neustadt hinsichtlich der europäischen Verständigung angenommen hat, zum Ausdruck zu bringen, hat mich das Komitee beauftragt, Ihnen persönlich, Herr Bürgermeister, Ihrem Stadtrat und den Einwohnern Ihrer Stadt seine wärmsten Glückwünsche auszusprechen. Der Europarat dankt der Stadt Neustadt und dem Kuratorium.“
– Europarat: Internetseite des Europäischen Folklore-Festivals[7]
Am 23. September 2008 wurde der Stadt Neustadt in Holstein wegen ihres Engagements für kulturelle Vielfalt der Titel Ort der Vielfalt von der Bundesregierung zuerkannt.
Die Stiftung Lebendige Stadt zeichnete 2013 die Stadt Neustadt in Holstein für das Europäische Folklore-Festival als eines der schönsten Stadtfeste aus.[8]
Veranstalter und Einzelpersonen
Die SPD Schleswig-Holstein zeichnete das Europäische Folklore-Festival 2013 mit dem Sonderpreis des Willi-Piecyk-Preises aus, „[…] weil in Neustadt gezeigt wird, dass Europa fröhlich sein kann. Die Organisatoren verwirklichen mit ihrem Festival ein ‚Europa der Menschen‘.“[9] Im Jahr 2021 hat der Verein Europäische Trachtenwoche ein weiteres Mal den vom Europa-Forum des SPD-Landesverbandes Schleswig-Holstein verliehenen Willi-Piecyk-Preis erhalten.[10]
Im Jahr 2013 wurde dem Kuratorium des Europäischen Folklore-Festivals der Kulturpreis des Kreises Ostholstein verliehen. In der Begründung hieß es:
„Das Festival vertritt seit mehr als 60 Jahren ein in dieser Form einzigartiges Konzept zur Verbindung von internationalen Kulturen und leistet damit einen Beitrag zum Frieden in Europa. Besonders beachtlich ist, dass durch die Trachtenwoche bereits zu den intensivsten Zeiten des Kalten Krieges Gruppen aus den Mitgliedsstaaten des ehemaligen Ostblocks in das westdeutsche Neustadt eingeladen und mit Gastfreundlichkeit wie mit Freundschaft für das Fest der europäischen Volkskulturen begeistert werden konnten. […] In Kombination mit der Unterbringung der internationalen Gäste bei Gastfamilien aus Neustadt ergibt sich ein kultureller und völkerverständigender Austausch, der seines Gleichen sucht.“
– Kreis Ostholstein: Internetauftritt des Kreises Ostholstein[11]
Die CIOFF-Sektion Europa Mitte verlieh 2016 ihre Silberne Ehrennadel an Heinrich Evers[12]. Er war Vorsitzender des Kuratoriums des 28. Europäischen Folklore-Festivals und hatte die Neustädter Veranstaltung jahrzehntelang bei den jährlichen CIOFF-Tagungen der Sektion Deutschland vertreten.[13]
Teilnehmende Gruppen
Herkunft ausländischer Gruppen
Jahr
’51
’52
’53
’54
’55
’56
’57
’58
’59
’60
’62
’64
’69
’72
’75
’78
’81
’85
’88
’91
’94
’97
’01
’04
’07
’10
’13
’16
’19
’22
Albanien
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Belarus
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Belgien
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Bolivien
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Brasilien
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Bulgarien
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Chile
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China
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ČSSR/CSFR
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Dänemark
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England
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Estland
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Finnland
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Frankreich
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Georgien
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Griechenland
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Indien
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Irland
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Island
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Italien
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Jugoslawien
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Kanada
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Kenia
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Korea
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Kroatien
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Lettland
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Liechtenstein
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Litauen
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Luxemburg
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Makedonien
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Mexiko
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Mongolei
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Niederlande
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Nordzypern
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Norwegen
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Österreich
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Palästina
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Panama
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Polen
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Portugal
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Puerto Rico
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Rumänien
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Russland
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Schottland
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Schweden
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Schweiz
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Serbien und Montenegro
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Slowakei
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Slowenien
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Spanien
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Tschechien
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Türkei
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UdSSR
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Ukraine
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Ungarn
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USA
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1951–1955
1951: Deutsche Trachtenwoche an der Ostsee 4.–12. August 1951
Paul Haas: Die Europäische Trachtenwoche. In: Arbeitsgemeinschaft für Heimatkunde im Kreise Oldenburg (Hrsg.): Jahrbuch für den Kreis Oldenburg/Holstein. Band2. Arbeitsgemeinschaft für Heimatkunde im Kreise Oldenburg, Oldenburg in Holstein 1958, S.180–191.
Das Kuratorium der Europäischen Volkstums- und Trachtenwoche in Neustadt in Holstein (Hrsg.): 25 Jahre Europäische Volkstums- und Trachtenwoche in Neustadt in Holstein 1951–1975. Jubiläumsbroschüre. Wagrisch-Fehmarnsche Blätter, Oldenburg in Holstein 1975 (64 S.).
Kai Detlev Sievers: Feste in Schleswig-Holstein. Ein lexikalischer Führer durch den Jahreslauf. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1984, ISBN 3-529-02672-7, S.119–120.
Heinrich Evers, Uwe Muchow: 50 Jahre Europäische Volkstums- und Trachtenwoche. Programmbroschüre. Hrsg.: Kuratorium der XXIV. Europäischen Volkstums- und Trachtenwoche 2001. Balticum Verlagsgesellschaft und Werbeagentur GmbH, Neustadt in Holstein 2001 (68 S.).
↑Geschichte. Rhythmus der Trachtenwoche. Verein Europäische Trachtenwoche an der Ostsee in Neustadt in Holstein e. V., 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 22. Juli 2013; abgerufen am 29. Juli 2013.
↑Europäisches Folklore-Festival – Portrait. In: Internetauftritt des Folklore-Festivals. Verein Europäische Trachtenwoche an der Ostsee in Neustadt in Holstein e. V., 2021, abgerufen am 24. August 2021.
↑Johannes Hugo Koch: Das neue Neustadt-Buch. Selbstverlag J.H. Koch, Neustadt in Holstein 1980, S.174.
↑Stadt Neustadt in Holstein, Der Bürgermeister (Hrsg.): Herzlich willkommen zu Hause. Infobroschüre Neustadt, Pelzerhaken, Rettin. Balticum Verlagsgesellschaft und Werbeagentur GmbH, Neustadt in Holstein Januar 2004, S.2.
↑Die Europaflagge. In: Internetauftritt des Folklore-Festivals. Verein Europäische Trachtenwoche an der Ostsee in Neustadt in Holstein e. V., archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. August 2016; abgerufen am 7. August 2016.