Kirche 2011: Ein notwendiger AufbruchKirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch ist der Titel eines Aufrufes, in dem Theologen von Hochschulen – insbesondere des deutschsprachigen Raums – im Februar 2011 eine Reform der römisch-katholischen Kirche forderten.[1] Das Memorandum verlangte unter anderem mehr Beteiligung und mehr Rechtskultur. Es wurde von einer achtköpfigen Redaktion erarbeitet[2] und von 311 katholischen Theologen (darunter über 200 aktive Professoren), Religionspädagogen und anderen Wissenschaftlern unterzeichnet.[3][4] Einige der Unterzeichner trugen bereits 1989 die Kölner Erklärung und 1995 die Initiative Wir sind Kirche mit. Ein Anstoß aus Österreich war 1995 das Kirchenvolks-Begehren. InhaltDie Autoren erwähnen bekannt gewordene Fälle von sexuellem Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche, insbesondere am Canisius-Kolleg Berlin, sowie die daraus resultierende tiefe Krise der römisch-katholischen Kirche. Im Jahre 2010 seien mehr Mitglieder aus der katholischen Kirche ausgetreten als je zuvor. Zur Lösung dieser Krise seien tief greifende Reformen notwendig, 2011 müsse ein Jahr des Aufbruchs für die Kirche werden. Als Ziel wird eine stärkere Übereinstimmung zwischen kirchlicher Sozialgestalt und religiösem Anspruch gefordert. Im Einzelnen fordert das Memorandum daher einen offenen Dialog in den folgenden Handlungsfeldern:
Liste der UnterzeichnerInsgesamt 311 Personen haben das Memorandum unterzeichnet:[3] Deutschsprachiger Raum
Unterzeichner aus nicht-deutschsprachigen Ländern
ReaktionenKirchliche ReaktionenHans Langendörfer, Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, erklärte, man sei zum Dialog bereit. Einige Forderungen des Memorandums stünden aber „in Spannung zu theologischen Überzeugungen und kirchlichen Festlegungen von hoher Verbindlichkeit“.[5] Die Reaktionen unter den deutschen Bischöfen und Kardinälen waren insgesamt verhalten und uneinheitlich.[6] Bischof Felix Genn, Münster, hielt die Memorandum-Vorschläge nicht für „den Weg, der die Bewältigung dieser Krise leistet“.[7] Kardinal Walter Kasper wies das Memorandum gleichfalls zurück. Die Forderungen seien bekannt und „von vielen anderen Gruppierungen schon fast bis zum Überdruss gesagt“. Er vermisse in dem Memorandum die Nennung des eigentlichen Problems, das die Kirche habe, nämlich die von Johann Baptist Metz so genannte Gotteskrise: „Statt dessen bleibt das Memorandum in einer von ihm selbst voll zu Recht kritisierten Selbstbeschäftigung stecken.“[8] Auch der Bischof von Fulda, Heinz Josef Algermissen, fand das Memorandum „allzu plakativ“. Der von den Bischöfen angestoßene Dialog dürfe nicht durch „Besserwisserei von vornherein blockiert werden“.[9] Demgegenüber sah der Trierer Bischof Stephan Ackermann das Memorandum der Theologen als Ausdruck des Vertrauens in die Kirche und in ihre Kraft zur Erneuerung.[10] Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, äußerte grundsätzlich Verständnis für die Forderungen des Memorandums und wollte auch Strukturfragen explizit nicht aus dem von den Bischöfen angestoßenen Dialog ausgeschlossen sehen. Auf der anderen Seite griff ihm das Memorandum zu kurz, da es den problematischen Eindruck verstärke, dass eine Erneuerung der katholischen Kirche sich in der Abarbeitung von „Mängellisten“ erschöpfe. Das religiöse Element käme im Memorandum viel zu kurz. Den impliziten Vorwurf, das Episkopat zeichne sich durch generelle Reformresistenz und Angststarre aus, wies Zollitsch dagegen als Karikatur zurück.[11] Notker Wolf, der Abtprimas des Benediktinerordens, sah das Memorandum trotz zahlreicher für ihn zustimmungswürdiger Punkte insgesamt kritisch.[12] Unterstützende ReaktionenFür das Zentralkomitee der deutschen Katholiken würdigte dessen Vorsitzender Alois Glück das Memorandum als „wichtigen Beitrag zum Dialogprozess zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland“.[13] Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend begrüßte das Memorandum und den Dialog, der bald und umfassend geführt werden müsse.[14] Auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands[15] und der Katholische Deutsche Frauenbund[16] begrüßten das Memorandum. Neben diesen Großverbänden begrüßten auch Diözesanräte und -kommissionen das Memorandum und drückten ihren Wunsch nach einem umfassenden Dialog in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland aus.[17] Auch die Arbeitsgemeinschaft Studierende der Katholischen Theologie in Deutschland,[18] der Vorstand der Stipendiaten des Cusanuswerks[19] und das Forum Hochschule und Kirche (FHoK)[20] sprachen sich für eine ergebnisoffene und respektvolle Diskussion der im Memorandum benannten Punkte aus. Vereinzelt wurde dabei bedauert, dass in der Diskussion bisher vor allem Randpositionen dominierten und sich die Diskussion auf einige wenige Skandalthemen wie den Zölibat verenge. Dazu wurde der Wunsch geäußert, dass Papst Benedikt XVI. seinen Deutschlandbesuch nutze, um mit der ganzen Vielfalt der Meinungen in Berührung zu kommen. Zur Unterstützung des Memorandums bildeten sich zahlreiche weitere Initiativen auf Orts- und Diözesanebene. So brachten im Erzbistum Freiburg etwa 300 Priester ihre Unterstützung für das Memorandum als Beginn eines offenen Diskussionsprozesses zum Ausdruck.[21][22] In Anlehnung an diese Initiative formulierten auch Priester und Diakone der Diözese Würzburg eine Unterstützungspetition für das Memorandum.[23] Ebenso wurde eine eigene Unterstützerinitiative von 300 Religionslehrern ins Leben gerufen und unterzeichnet.[24] Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend schaltete zur Unterstützung des Memorandums eine eigene Facebook-Seite.[25] Zusätzlich zum Memorandum gibt es online-Unterschriftenlisten für weitere Unterstützer als gemeinsame Aktion der Leserinitiative Publik e. V. und von Wir sind Kirche[26] sowie als Privatinitiative zweier Theologiestudenten aus Jerusalem. In einer Stellungnahme zur vor allem von Kardinal Walter Kasper vorgebrachten Kritik widersprachen Hans Kessler, Eberhard Schockenhoff und Peter Walter dem Argument, dass die Krise der katholischen Kirche sich auf eine reine Glaubenskrise verengen lasse. Stattdessen bestand für sie zwischen Kirchen- und Gotteskrise ein enger Zusammenhang. Die Verfasser betonten, dass Fragen wie die Zulassung Geschiedener zur Kommunion und andere Streitthemen nicht einfach im Sinne des Zeitgeistes beantwortet werden könnten. Andererseits könne man jedoch auch nicht unter Hinweis auf eine „Gotteskrise“ die im Memorandum angemahnten Punkte ignorieren, sondern solle diese im Dialog angehen.[27] Ähnlich äußerte sich auch Johann Baptist Metz. Dieser erwiderte auf die unter anderem von Kardinal Walter Kasper angesprochene Gotteskrise, dass zu deren Ursachen auch die im Memorandum angesprochenen Probleme gehörten und diese daher angegangen werden müssten.[28] Kritische ReaktionenDie Ersteller der Online-Petition „Petition pro Ecclesia“ positionierten sich gegen die Forderungen des Memorandums „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ und warfen dessen Verfassern vor, die Gläubigen getäuscht und verunsichert zu haben.[29][30] Sie konnten in einem Zeitraum von rund zwei Monaten über 15.000 Unterschriften von Katholiken für die in ihrer Petition aufgeführten Punkte sammeln.[31] Eine ähnliche Petition wurde von Theologiestudenten unter dem Titel „Memorandum ‚plus‘ Freiheit“ formuliert.[32] Im Wesentlichen wurde von Kritikern bemängelt, dass sich das Memorandum in Strukturfragen verliere und wenig zu einer religiösen Neubesinnung beitrage. Stattdessen werde pauschal „die Kirche“ angeprangert. Die Darstellung der Bibel als reine „Freiheitsbotschaft“ sei dagegen verkürzend. Missbrauchsopfer forderten nicht Freiheit, sondern Gerechtigkeit. Der Anspruch Gottes gegenüber den Menschen werde dadurch ignoriert und das Verhältnis zwischen Mensch und Gott regelrecht umgekehrt. Bestehende Probleme wie Priestermangel, Rückgang der Mitgliederzahlen etc. sind nach Meinung der Kritiker jedoch weniger der institutionellen Verfasstheit als vielmehr der auf die katholische Kirche einwirkenden Säkularisierung geschuldet. Als Beleg wird in aller Regel auf die evangelische oder anglikanische Kirche verwiesen. Dort seien die Forderungen des Memorandums erfüllt, ohne dass die allgemeine Situation sich wesentlich von der katholischen Kirche unterschiede. Die Forderungen des Memorandums gingen daher nach Meinung der Kritiker an der Realität vorbei. Die im Memorandum hergestellte Verbindung zwischen den Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen und der allgemeinen Krise der katholischen Kirche wurde als Unterstützung von Vorurteilen besonders scharf kritisiert. Den verfassenden und unterstützenden Theologen wurde zudem vorgeworfen, ihren eigenen Anteil an der derzeitigen Glaubenskrise zu verschweigen. So sei das Memorandum selbst Ausdruck einer weitverbreiteten Haltung, die kirchenpolitisches Engagement dem religiösen vorordne, und dadurch nur einen weiteren Beitrag zur innerkirchlichen Säkularisierung leiste. Die Notwendigkeit einer Änderung des Zölibats wurde unter Verweis auf den Ständigen Diakonat bestritten. Die Frage der Frauenordination sei hingegen lehramtlich definitiv entschieden und die Diskussion damit beendet (vgl. dazu Ordinatio sacerdotalis). Die Forderung nach Einrichtung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde hingegen zustimmend aufgenommen. Entsprechende Positionen vertraten unter Theologen beispielsweise Manfred Lütz,[33] Thomas Söding,[34] Manfred Hauke,[35] Helmut Hoping,[36] Jürgen Manemann,[37] Hubert Windisch,[38] Jan-Heiner Tück,[39] Wolfgang Ockenfels,[40] Joseph Schumacher[41] und Bernhard Körner,[42] der im Memorandum jedoch auch viele Punkte angesprochen sah, die außerhalb der verbindlichen Lehre angegangen werden könnten. Als Journalisten äußerten sich vor allem Matthias Matussek[43] und Andreas Püttmann[44] sowie im englischsprachigen Raum George Weigel[45] kritisch gegenüber dem Memorandum. Eine andersmotivierte Kritik am Memorandum kam vom emeritierten Theologie-Professor Hans Küng. Diesem waren die Formulierungen des Memorandums zu weich; er hätte sich stattdessen klarere Worte gewünscht.[46] Weblinks
Einzelnachweise
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