Österreichische LiteraturDie österreichische Literatur ist ein Teil der deutschsprachigen Literatur. Sie bezeichnet einerseits den Literaturbetrieb in der Republik Österreich und dessen Vorgängerstaatsformen, andererseits die Werke österreichischer Autoren, sowie von Autoren mit ausgeprägtem Österreichbezug. Schriftsteller der österreichischen Monarchie vor November 1918 spielen in der österreichischen Literatur eine bedeutende Rolle, allerdings ist in Einzelfällen die Abgrenzung zu anderen Literaturen schwierig. BegriffVor der Gründung der Republik Deutschösterreich im Jahr 1918 wird der Begriff „österreichische Literatur“ im Wesentlichen auf Deutsch schreibende Autoren angewandt, die in der Habsburgermonarchie geboren wurden und/oder dort ihren Lebensmittelpunkt hatten. Da viele dieser Autoren jedoch außerhalb des heutigen österreichischen Staatsgebiets lebten und aus den deutschsprachigen Gebieten etwa in Böhmen, Ungarn, Galizien, der Bukowina oder Siebenbürgen stammten, kann die Bezeichnung „österreichisch“ mitunter Missverständnisse hervorrufen, die das Attribut „altösterreichisch“ vermeidet. In aller Regel gilt für den Begriff der österreichischen Literatur die Sozialisation und nicht die Abstammung als wichtigstes Definitionselement. Für das Mittelalter ist in der Regel kaum genau zu bestimmen, woher ein bestimmter Dichter stammte, wenn er überhaupt namentlich bekannt ist. Auch in der Zeit danach ist der Nationsbegriff noch kaum entwickelt. Darüber hinaus war ohnehin das Lateinische die vorherrschende übernationale Literatursprache. Erst im 19. Jahrhundert, im Gefolge der Romantik und mit der beginnenden Erweckung osteuropäischer Sprach- und Literaturwissenschaft, begann eine Differenzierung zwischen Staatsgebilde und Volkssprache. Im Vielvölkerstaat Österreich lebten all die verschiedenen Nationalitäten zusammen: Bosnier, Bulgaren, Deutsche, Italiener, Kroaten, Rumänen, Serben, Slowaken, Slowenen, Tschechen, Ungarn, Ukrainer sowie Szekler und Rätoromanen. Die vielen Nationalitätenkonflikte innerhalb des großen Staatsgebildes bewirkte kulturell eine spannungsgeladene Atmosphäre zwischen Gemeinsamkeit und Feindschaft. Wie auch in der Musik und Architektur findet auch in der Literatur dieser einzigartige Kulturraum seinen Niederschlag. Der Literaturwissenschafter Wendelin Schmidt-Dengler schrieb dazu:
Der österreichische Autor Hugo von Hofmannsthal hielt die Idee einer eigenständigen österreichischen Literatur zu seiner Zeit lediglich für eine Fiktion:
Der großdeutsche Diskurs aus Hofmannsthals Zeit wird heute in der Regel gemieden und österreichische Literatur als anerkannte Bezugsgröße betrachtet.[3] Heute werden mitunter auch deutschsprachige Autoren aus Südtirol der österreichischen Literatur zugerechnet.[4] Literatur durch die JahrhunderteMittelalterFrühes Mittelalter (etwa 750–1170)Im Frühmittelalter wurde Dichtung fast nur mündlich verbreitet. Aus diesem Grund ist vieles verloren gegangen. Bildung und Kultur waren auf die Stifte und Klöster begrenzt. Der Großteil der erhaltenen Schriften hat daher religiöse Funktion. Verschiedene Quellen lassen darauf schließen, dass es auch Geschichtsüberlieferung (Heldenlieder, Erzähllieder, Fürstenpreis) und lyrische „Folklore“ (Tanz-, Liebeslieder, Totenklagen, Zaubersprüche) gab. In der Karolingerzeit kann man von der ersten Dokumenten einer deutschsprachigen Literatur sprechen. Die Texte waren hauptsächlich Übersetzungen aus dem Lateinischen zum besseren Verständnis für das einfache Volk sowie Buß-, Heils- und Mariendichtungen, die verstärkt zur Zeit der Ottonen und frühen Salier aufkamen. Die einzelnen Werke wurden oft in sogenannten Sammelhandschriften zusammengefasst und gemeinsam aufbewahrt. Die ältesten bekannten Werke sind der Wiener Hundesegen (Ende 9. bis Anfang 10. Jh.), die „Altdeutsche Genesis“ (Ende 12. Jh.) und die Millstätter Handschrift (ca. 1200). Die Autoren der meisten alten Texte sind nicht namentlich bekannt, überlieferte Namen aus dem Gebiet des heutigen Österreich sind:
Hoch- und Spätmittelalter (1170–1500)In den Jahrzehnten nach 1150 brach eine Blütezeit der deutschen Literatur an. An einzelnen Höfen des Feudaladels verbreitete sich eine kultivierte literarische Praxis nach romanischem Vorbild: die sogenannte Höfische Literatur. In der Lyrik entwickelten sich der Minnesang und die Sangspruchdichtung. Am Babenbergerhof in Wien wirkten Reinmar von Hagenau und Walther von der Vogelweide. Walther von der Vogelweide brachte Anfang des 13. Jahrhunderts den Minnesang zu seinem Höhepunkt. Im Gegensatz zum Minnesang konnte der Meistergesang in Österreich kaum Fuß fassen. Nach französischen Vorlagen (Chrétien de Troyes) entstanden auch zahlreiche höfische Epen in mittelhochdeutscher Sprache. Für das anonym überlieferte Heldenepos Nibelungenlied wird eine Entstehungsgebiet zwischen Passau und Wien angenommen. Eine Grundform der österreichischen Literatur des Mittelalters war die Spieldichtung. Geistliche wie auch weltliche Spiele (Passionsspiele, Mysterienspiele, Fastnachtspiele) waren besonders in den Alpentälern weit verbreitet. Diese Tradition setzte sich im Barock fort. Die Meisterdichtung des deutschen Raumes war demgegenüber im Gebiet Österreichs nur geringfügig vertreten. Als revolutionär erwies sich am Ausgang des Mittelalters der Buchdruck mit beweglichen Lettern. Schließlich konnte Pergament als Beschreibstoff durch billiges Papier ersetzt werden. Weitere Autoren:
Humanismus, Reformation und GegenreformationDer Humanismus ist eine von Italien ausgehende Geisteshaltung des 15. Jahrhunderts, die im Laufe des 16. Jahrhunderts ganz Europa erfasste. Ihr Ziel war die Wiedererweckung antiker Traditionen. In Tirol waren Eleonore von Österreich (* um 1433; † 1480) und Nikolaus von Kues, Bischof von Brixen, zuerst im Sinn des Humanismus tätig. Eleonore übersetzte den französischen Abenteuerroman Pontus et la belle Sidonie (Pontus und Sidonia), dessen zentrale Motive die wiederholte Trennung der Liebenden und die Rückeroberung des Reiches aus der Gewalt von Heiden sind. Nikolaus von Kues reiste bereits von 1450 bis 1452 durch Deutschland, um Kirche und Klöster zu reformieren. Eines seiner Anliegen war es, dem Volk mehr Wissen über den Glauben zu vermitteln. Zeugnis dafür sind die noch heute in manchen Kirchen vorhandenen Tafeln mit dem Vaterunser und den Zehn Geboten in der Volkssprache. Auch der aus Hall stammende Johannes Fuchsmagen (auch Fuxmagen) (* um 1450; † 1510), der später nach Wien zog, wirkte zuerst in Tirol. Er gründete zusammen mit seinem Freund Ritter Florian Waldauf von Waldenstein die älteste heute noch bestehende Kulturvereinigung Tirols, die Haller Stubengesellschaft. In Wien war ab 1437 Enea Silvio Piccolomini (der spätere Pius II.), Sekretär Friedrichs III., dem Humanismus verbunden. Die Zeit bis 1455 verbrachte er vornehmlich am Hof des Kaisers in Wiener Neustadt und Graz, unter anderem als kaiserlicher Sekretär. Friedrich III. schätzte seine Dienste sowie seine lockeren Verse und krönte ihn zum „poeta laureatus“. An der Universität Wien hielt er während dieser Zeit Vorlesungen über die Dichter der Antike und übte damit einen bedeutenden Einfluss auf den Humanismus aus. Die Berufung von Konrad Celtis an die Universität Wien als Professor der Rhetorik und Poetik (1497) durch Maximilian I. führte zu einer weiteren Verbreitung des Humanismus. In seinen lyrischen Werken auf Latein imitierte Celtis Ovid und Horaz. Sein Hauptwerk sind die Quatuor libri Amorum (1502). Barock (etwa 1600–1720)Die Schrecken des 17. Jahrhunderts (Dreißigjähriger Krieg, Türkenkriege, Pest, …) und die Durchsetzung des heliozentrischen Weltbildes führten zu einer dualistischen Zerrissenheit der Seele des Barockmenschen zwischen Weltbejahung und Weltverneinung, zwischen Diesseitsfreude und Jenseitssehnsucht. Die Höfe waren die kulturellen Zentren dieser Zeit. Österreich war ein Zentrum des Barock. Die Unterschiede zwischen der österreichischen und bayrischen zu der norddeutschen Literatur verdeutlichten sich. Letztere übernahm Elemente der französischen Klassik, während der Süden vom italienischen und spanischen Barock beeinflusst wurde. Auch die getrennte religiöse Entwicklung (protestantischer Norden und katholischer Süden) spiegelt sich in der Literatur wider. Heiligenleben, Legendensammlungen, Ordensdramen der Jesuiten sowie die Exempelliteratur der Gegenreformatoren spielten eine wichtige Rolle. Die Spannweite der Barockliteratur ist sehr weit: von höfischer Dichtung zu volksnahen Romanen, von der Nachahmung antiker Vorbilder zur persönlichen Erlebnislyrik, vom Carpe diem zum Vanitas-Motiv. Erste Gelegenheitsdichtung entsteht. Große Dramenformen sind das pompöse Barocktheater und das Ordensdrama, das vor allem durch seine luxuriöse Ausstattung imponierte. Daneben war vor allem das Stegreif- und Hanswurstspiel sehr beliebt. Diese Richtung wurde in Österreich durch Josef Anton Stranitzky, Gottfried Prehauser, Joachim Perinet und Josef Felix von Kurtz vertreten. Beispiele für barocke Epik sind die Ritter- und Schelmenromane Johann Beers, die sich weitgehend vom symbolhaltigen Weltbild des Barock lösen und eine realistische Wiedergabe der damaligen Wirklichkeit darstellen. Typische Formen sind Schäferroman, Staatsroman, Schelmenroman, Sonette und Epigramme. Aufklärung (etwa 1720–1785)Vor der Regierungszeit Maria Theresias lag die Geschichte der Zensur in den Händen der Universitäten, die von den Jesuiten geführt wurden. Im Zuge der Gegenreformation war die Angst und Vorsicht der Autoren und Drucker so groß geworden, dass die Buchproduktion in Österreich deutlich hinter der in den anderen deutschen Ländern zurückblieb. Bücher wurden so weit wie möglich aus dem Ausland eingeführt. Dabei erfolgte die Zensur in zweifacher Hinsicht: einerseits durch Zöllner an der Grenze und andererseits durch die Zensurstelle der Landesregierungen. Erst Maria Theresia lockerte die Zensur. Um den Staat modernisieren zu können, musste sie die Ideen der Aufklärung zulassen, sich von der Gegenreformation und der Vorherrschaft der Kirche lösen und die Universitäten säkularisieren. Mit der Zensur beauftragte sie Gerard van Swieten (1700–1772). Auch ihr Sohn Joseph II., dessen Regierungsform Aufgeklärter Absolutismus genannt wird, hielt sich an den Grundsatz van Swietens: Der Staat sollte nur die allerschlechteste, d. h. die unsittlichste Lektüre hintanhalten. Auch „Kritiken, wenn es nur keine Schmähschriften sind, sie mögen treffen, wen sie wollen, vom Landesfürsten an bis zum untersten“, waren nicht verboten. Die Zahl der Publikationen stieg in Folge sprunghaft an. So kam es auch zur Entstehung eines eigenen Schriftstellerstandes. Beim Theater war Joseph II. weniger tolerant. Neben grobianischen Formen des Volkstheaters waren auch staatspolitisch kritische Werke verboten. Zu den betroffenen Werken zählten unter anderen Beaumarchais’ Figaro und Goethes Werther (Verbot 1786 aufgehoben). Der Bucherwerb wurde auch für das bürgerliche Publikum erschwinglich, ein Verlagswesen mit Zeitungsproduktion und Buchmarkt entstand. 19. JahrhundertRomantik (etwa 1799–1835)Die Romantik ist für Österreich eine eher fremde Epoche. Die eingewanderten deutschen Romantiker (Ludwig Tieck, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Clemens Brentano) wurden von den österreichischen Autoren misstrauisch bis ablehnend beobachtet. Die Abwendung von der Antike und von klassischen Vorbildern findet also nicht in der Weise statt wie bei deutschen Romantikern. Parallel zur Romantik entwickelten sich in Österreich einerseits die Strömung des Biedermeier und andererseits ein österreichischer Klassizismus, der vor allem durch Franz Grillparzer repräsentiert wird. Biedermeier und Vormärz (etwa 1815–1848)Das Biedermeier umfasst die Zeitspanne der politischen Restauration nach dem Wiener Kongress 1815 bis zur Märzrevolution von 1848/49 (Vormärz). Die Zeit der liberalen Einstellung zu kritischen Werken war vorüber, schon der Nachfolger Josephs II., Leopold II., verschärfte 1790 die Zensur zum Schutze der Kirche. Werke, welche die allgemeine Ruhe stören oder den Gehorsam vermindern konnten, wurden ausnahmslos verboten. In die Regierungszeit Franz’ I. (1792–1835) fällt die Wiederherstellung der Polizeihofstelle (1793), der einige Jahre danach die Zensurstelle unterstellt wird. Die General-Zensur-Verordnung vom 22. Februar 1795 enthielt eine erschöpfende Aufstellung aller Zensurregelungen der damaligen Zeit und war die Grundlage späterer Zensurpraxis. Sie setzte drakonische Strafen für zuwiderhandelnde Buchhändler und Drucker fest. Der strengen Zensur im Habsburgerreich fielen nicht nur Werke von Nikolaus Lenau, Franz Grillparzer oder Johann Nepomuk Nestroy zum Opfer; insgesamt waren etwa 40.000 Titel auf den österreichischen Verbotslisten. Jedes importierte Buch, alle Artikel, jede Neuveröffentlichung wurde überprüft und bewertet. Dabei handelte es sich um Werke aus allen Lebens- und Wissensbereichen.[5] Der Ausdruck Biedermeier bezieht sich zum einen auf die Wohnkultur und Kunst des Bürgertums, die als „hausbacken“ und „konservativ“ galten. Die Flucht ins Idyll war eine Reaktion auf die restriktive Zensurpolitik der Ära Metternich. Das kulturelle und gesellschaftliche Leben spielte sich im Privaten ab. Unproblematische Themen wie historische Romane oder Heimat- und Landschaftsdichtung wurden veröffentlicht. Dramatiker, die mehr oder minder zum Biedermeier gehören, sind Franz Grillparzer (1791–1872), Johann Nepomuk Nestroy (1801–1862) und Ferdinand Raimund (1790–1836). Grillparzer schrieb Tragödien im Geist der Weimarer Klassik, Nestroy und Raimund vertraten das Wiener Volksstück – Drehscheibe war hier das Wiener Volkstheater. Friedrich Halm erzielte große Erfolge mit seinen deklamatorischen Dramen am Burgtheater. Vor allem als Lyriker bekannt ist Nikolaus Lenau (1802–1850). Den Abschluss des Biedermeier sieht man im Allgemeinen im Werk Adalbert Stifters. Sein erster Roman Der Nachsommer (der von ihm selber „Erzählung“ genannt wurde) erschien zwar erst 1857, gilt aber dennoch als herausragendes Werk der Biedermeierzeit. Die Revolution von 1848/491847/1848 kam es zu einem Hungerwinter. Die wirtschaftliche Not traf besonders die ohnehin schon benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Werke wie Alfred Meißners Neue Sklaven oder Karl Isidor Becks Gedicht Warum wir arm sind geben ein anschauliches Bild von der Wut und Verzweiflung, die unter der Bevölkerung herrschte. Schließlich kam es am 13. März 1848 in Wien mit dem Sturm auf das Ständehaus und Anschlägen gegen Läden und Fabriken in den Vorstädten. Erste Todesopfer gab es nach dem Befehl Erzherzog Albrechts, auf einen Demonstrationszug zu feuern. Am Abend des 13. März trat der inzwischen 78-jährige Staatskanzler Fürst Metternich, die verhasste Symbolfigur der Restauration, zurück und floh nach England. Dieses Ereignis wurde zum Beispiel durch Hermann Rolletts Gedicht Metternichs Linde thematisiert. Anfang September beschloss der konstituierende österreichische Reichstag die Bauernbefreiung von der Erbuntertänigkeit. Dies war eine der wenigen dauerhaften Errungenschaften der Revolution. Die Dankbarkeit der Bauern dokumentiert zum Beispiel das neue Lied vom allverehrten Kaiser Ferdinand (1848). Kulturell war das Jahr 1848 durch die kurzzeitige Aufhebung der Zensur geprägt. Am 15. März 1848 machte Kaiser Ferdinand I. erste Zugeständnisse. Er versprach die Abschaffung der Zensur und eine Staatsverfassung. Dies hatte zur Folge, dass eine Vielzahl von Werken veröffentlicht wurde, Zeitschriften aus dem Boden schossen und wieder verschwanden und sich die Schreibkultur grundlegend wandelte. Friedrich Gerhards Die Presse frei!, M. G. Saphirs Der tote Zensor, das Zensorlied oder Ferdinand Sauters Geheime Polizei geben ein Bild von der Aufbruchsstimmung. Es wurde auch scharfe Kritik am bestehenden System geübt. Beispiele dafür finden sich in Johann Nestroys Freiheit in Krähwinkel, Skizzen zu Höllenangst, Lady und Schneider und Die lieben Anverwandten (1848), Politische Gedichte von Anastasius Grün sowie Schriften von Franz Grillparzer (Dem Vaterlande, Gedanken zur Politik). Realismus (1848–1890)Im poetischen oder bürgerlichen Realismus mieden die Autoren die großen gesellschaftspolitischen Probleme und wandten sich der engeren, lokalen Heimat mit ihrer Landschaft und ihren Menschen zu. Die Realisten lehnten sich vor allem gegen die Klassik und Romantik auf. Man wollte Tatsachen möglichst objektiv darstellen und ächtete die Phantasie; so sollten auch die Gefühle und Meinungen des Dichters nicht in die Texte einfließen. Kunst sollte Abbild der Wirklichkeit sein. Ein Kennzeichen für diese realistische Erzählungen ist die Rahmenerzählung. Marie von Ebner-Eschenbach (1830–1916) und Ferdinand von Saar (1833–1906) zeichnen sich durch ihr starkes soziales Bewusstsein aus. Dörfliche Motive finden sich bei Ludwig Anzengruber (1839–1889) und, schon nach Ausklingen der Epoche, bei Peter Rosegger (1843–1918), dessen Werk als Wegbereiter für die Heimat- und Mundartdichtung gilt. JahrhundertwendeDie Jahre um 1900 waren in Österreich von einer geistigen Unruhe geprägt. Die Gesellschaft war durch die Schlacht bei Königgrätz und den Börsenkrach 1873 nach wie vor verunsichert. So ging auch der deutsche Naturalismus praktisch spurlos an der österreichischen Literatur vorüber, da einfach die klar definierten Gegner fehlten, an denen man sich hätte einen können. Die älteren österreichischen Dichter (alle etwa 50 Jahre alt) wie Eschenbach, Rosegger oder Anzengruber hatten den Naturalismus in ihren Werken und ihrer Art des Realismus schon fast etwas vorweggenommen. Daher gab es keinen heftigen Kampf um diese neuen Ideen, sondern eher ein schleichendes Aufnehmen derselben. Sonst waren Spuren des Naturalismus vereinzelt in Künstlerzeitschriften zu finden (in Ansätzen in Bahrs Zeit oder der Wiener Rundschau). Wiener ModerneDas Jahr 1890 markiert den Beginn der Wiener Moderne mit der Rückkehr Hermann Bahrs nach Wien und der Gründung der Zeitschrift Moderne Dichtung. Damit begann die international einflussreichste Epoche der österreichischen Kunst. Ab dieser Zeit kann nicht mehr von Stilepochen gesprochen werden, da sich die Stile zeitlich überlagerten und viele Autoren im Laufe ihrer Entwicklung den Stil wechselten. In Wien kann der Beginn der Moderne mit dem Jahr 1890 angesetzt werden, als Hermann Bahr sein Wirken in Wien begann (er selbst siedelte sich erst 1891 hier an). Nach Aufenthalten in St. Petersburg, Paris und Berlin, mit den neuesten Literaturströmungen vertraut, propagierte er zusammen mit den Herausgebern Eduard Michael Kafka und Julius Kulka in der neuen Zeitschrift Moderne Rundschau zunächst den Naturalismus, stand jedoch schon unter dem Einfluss von Baudelaire und Barrès. Ein Höhepunkt war der Besuch Henrik Ibsens in Wien mit einer Aufführung der Kronprätendenten und einem Festbankett am 11. April 1891. Die Ablehnung nach der von Burgtheaterdirektor Max Burckhard initiierten Aufführung in Wien war so moderat, dass der Dichter dem Wiener Publikum auch noch dafür dankte. Noch bevor der Naturalismus Fuß fassen konnte, rief Bahr zu seiner Überwindung auf. Im Aufsatz Die Moderne (in Moderne Dichtung, 1. Jänner 1890) waren bereits die zentralen Motive der neuen Epoche angesprochen: „das große Sterben“, der „Tod der erschöpften Welt“. In seinem Roman Die gute Schule (1890) kam auch die freie Liebe bereits als selbstverständliches Dekor, nicht als Skandal vor. Durch seine Verbindungen und Kontakte wurde Bahr nun zum „Organisator der österreichischen Literatur“ (Peter de Mendelssohn). Die lockere Gruppe junger Autoren, die sich um ihn bildete, wurde bald als „Jung-Wien“ bezeichnet. Sie publizierten in den Zeitschriften Moderne Dichtung (1890), Moderne Rundschau (1891) und Die Zeit (ab 1894), in denen Bahr maßgeblichen Einfluss hatte. Ihr Treffpunkt war das Café Griensteidl. Die wichtigsten Vertreter waren die Freunde Richard Beer-Hofmann (1866–1945, Der Tod Georgs, Erzählung 1900), Hugo von Hofmannsthal (1874–1929, Gedichte, Gestern, Brief des Lord Chandos), Arthur Schnitzler (1862–1931, Anatols Hochzeitsmorgen) und Felix Salten. In ihren frühen Werken finden sich Elemente des Symbolismus, des Impressionismus und der Décadence. Auch Peter Altenberg mit seinen impressionistischen Prosaskizzen (Wie ich es sehe, 1896) und der junge Karl Kraus (1874–1936) werden zu Jung-Wien gezählt. Mit der Schließung des Café Griensteidl 1897 fand Jung-Wien ein Ende, die Autoren wandten sich vielfach anderem zu. Leopold von Andrian, dessen lyrische Prosadichtung Der Garten der Erkenntnis (1895) von Stefan George hoch geschätzt wurde, etwa wurde Diplomat. Karl Kraus verspottete schon 1897 in Die demolirte Litteratur Hermann Bahr und die anderen. 1899 gründete er seine eigene Zeitschrift Die Fackel (1899–1936), in der er selbst zwischen ca. 1905 und 1912 viele junge Talente fördern sollte. Als Zentrum der Wiener Kaffeehausliteratur sollte das Café Central die Nachfolge des Griensteidl antreten. Hier gehörten neben Altenberg und Hofmannsthal auch Egon Friedell, Leo Perutz und Alfred Polgar zu den Stammgästen. Arthur Schnitzler profilierte sich in den nächsten Jahren als Dramatiker und Erzähler. In seinen Werken beleuchtete er die seelische Verfassung der Wiener bürgerlichen Gesellschaft (Liebelei 1895, Der einsame Weg 1896, Das weite Land 1911). Lieutenant Gustl (1900) war der erste Text der deutschsprachigen Literatur, der völlig als Innerer Monolog in Erlebter Rede gestaltet ist. Schnitzler brachte auch Kritik am grassierenden Antisemitismus auf die Bühne (Professor Bernhardi 1912). Hofmannsthal entwickelte sich vom symbolistischen Lyriker und Verfasser von Dramenfragmenten (Der Tod des Tizian 1892) zum Wiedererwecker des antiken (z. B. Elektra 1903) und barocken Theaters (Das Salzburger große Welttheater 1922). Ab 1910 war er auch Librettist für Richard Strauss’ Opern (Der Rosenkavalier 1910, Die Frau ohne Schatten 1913/15). Die Lyrik hatte in der Moderne einen hohen Stellenwert. Ihr bedeutendster Vertreter war der Prager Rainer Maria Rilke (1875–1926). Wiener Vertreter, die ebenfalls dem symbolistisch-impressionistischen Fin-de-siècle-Stil angehörten, waren Berthold Viertel (1885–1953) und Felix Dörmann (1870–1928). Der Roman als literarische Großform war weniger bedeutend. Erwähnenswert sind die phantastischen Romane Die andere Seite (1909) von Alfred Kubin und Der Golem (1915) von Gustav Meyrink. Rilkes Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (1910) thematisieren das Sozialgefüge und die unwürdigen Lebensumstände im Großstadtleben (Deindividualisierung, Anonymisierung, Soziale Kälte) thematisiert. Großen kulturellen Einfluss hatte in Wien das Feuilleton. In der Nachfolge von Ludwig Speidel und Hugo Wittmann erlebte es um die Jahrhundertwende seinen Höhepunkt. Herausragende Vertreter waren Theodor Herzl (1860–1904), Felix Salten (1869–1945), Ludwig Hevesi (1842–1910) und Alfred Polgar (1873–1955). Die österreichische Kabarettszene begann sich zu etablieren. Ein erster Versuch war das Jung-Wiener Theater zum lieben Augustin von Felix Salten 1901, dem kein Erfolg beschieden war. Das Nachtlicht (1906–1907) hingegen war erfolgreich, wurde jedoch bald vom Cabaret Fledermaus (1907–1913) abgelöst. Im von Josef Hoffmann durchgehend im Jugendstil ausgestatteten Lokal wurden Texte u. a. von Altenberg, Bahr, Friedell und Polgar gebracht. Hervorgehoben sei nur der Sketch Goethe[6] von Friedell/Polgar (1908). Grete Wiesenthal startete von hier aus ihre Weltkarriere als Tänzerin. ExpressionismusDer Beginn des Expressionismus in Wien kann mit dem Erscheinen des Buches Die träumenden Knaben 1908 angesetzt werden. Das Buch erschien im Verlag der Wiener Werkstätten, ist Gustav Klimt gewidmet und stammt von Oskar Kokoschka. Das gleichnamige Gedicht ist dabei der Illustration stilistisch weit voraus: „rot fischlein, rot / stech dich mit dem dreischneidigen messer tot / reiß dich mit meinen fingern entzwei / dass dem stummen kreisen ein ende sei ...“ Kokoschka schrieb auch einige Dramen, z. B. Mörder, Hoffnung der Frauen (1907). Einige expressionistische Autoren veröffentlichten ihre ersten Werke zuerst in der Fackel von Karl Kraus, so etwa die Lyriker Franz Werfel und Albert Ehrenstein. Mit der Erzählung Tubutsch (1911) wurde letzter schlagartig berühmt. Kraus unterstützte auch Herwarth Walden in Berlin bei der Gründung der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm und vermittelte ihm Wiener Autoren, obwohl er dem Expressionismus eher reserviert gegenüberstand. 1910 entstand in Innsbruck mit Ludwig von Fickers Zeitschrift Der Brenner ein Sprachrohr des Expressionismus. Hier wurde v. a. der herausragende Lyriker Georg Trakl (1887–1914) gefördert. Mit ihrem autobiographisch-gesellschaftskritischen Schlüsselroman Die Vergiftung legte Maria Lazar 1920 einen der bedeutendsten weiblichen Beiträge zum literarischen Expressionismus vor.[7] Vertreter des expressionistischen Dramas waren nach dem Weltkrieg der junge Arnolt Bronnen (Vatermord 1920) und Franz Theodor Csokor (Ballade von der Stadt, entstanden 1922). Erster WeltkriegDie meisten Schriftsteller schlossen sich unabhängig von ihrer politischen Weltanschauung der allgemeinen Kriegsbegeisterung an. Nur wenige, wie Karl Kraus (Essay In dieser großen Zeit, November 1914) oder Arthur Schnitzler (schwieg öffentlich), lehnten ihn von Beginn an ab. Andere, wie Stefan Zweig, wandelten sich sehr rasch zu aktiven Pazifisten. Im Gegensatz zum Deutschen Reich, das zahlreiche Künstler an die Front schickte, waren die Behörden in Österreich-Ungarn vielfach bemüht, Künstler im Hinterland für die Propaganda zu nutzen. So konnten viele Schriftsteller im Kriegspressequartier als Kriegsberichterstatter oder im Kriegsarchiv unterkommen, u. a. Hugo von Hofmannsthal, Rilke, Polgar, Alexander Roda Roda. Erwähnenswert ist hier Alice Schalek, die als einzige weibliche Kriegsberichterstatterin des Krieges für die Neue Freie Presse schrieb. Hofmannsthal schrieb patriotische Werke (Prinz Eugen) und verteidigte die österreichische Idee in Reden und Aufsätzen. Andere Autoren, deren Namen noch nicht so viel Gewicht hatten, mussten durchaus an die Front. Der bekannteste ist wohl Georg Trakl, der nach der Schlacht bei Grodek Selbstmord beging. Eine ganz andere Entwicklung war in den nicht deutschsprachigen Ländern der Donaumonarchie zu sehen. Hier war die Abneigung gegen den Krieg für „Kaiser und Vaterland“ stärker. Ein zeitloses Beispiel für die Stimmung gegen den Krieg ist das in tschechischer Sprache verfasste Buch Der brave Soldat Schwejk von Jaroslav Hašek. Dieser schilderte in seiner speziellen Sprache den Widersinn der Kriegshetze und Mobilisierung vor und nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Figur des tragi-komischen Antihelden Schwejk wurde mit seiner Art der „Pflichterfüllung“ zum Vorbild für unzählige weitere Autoren, Kabarettisten, Darsteller und Lebenskünstler, die die Bürokratie, die Monarchie, die Armee, den Krieg, das Krankenhaus oder einfach den „alltäglichen Wahnsinn“ zum Ziel ihrer satirischen Federzüge und Sprachübungen machen wollten. Der Erste Weltkrieg hat im Vergleich mit den anderen beteiligten Staaten (Ernst Jünger und Arnold Zweig in Deutschland, Henri Barbusse in Frankreich) in der österreichischen Literatur wenig Widerhall gefunden. Der Zusammenbruch der Monarchie und die Suche nach einer neuen Identität waren prägender. Die große Ausnahme ist das Kriegsdrama Die letzten Tage der Menschheit (1919/22) von Karl Kraus. Während des Ersten Weltkriegs kontrollierte das sogenannte Kriegsüberwachungsamt sowohl die Zeitungen als auch die Soldatenpost.[8] ZwischenkriegszeitDer Zusammenbruch der Monarchie und die damit verbundene Reduktion des großen Reiches auf ein kleines Land waren für viele Literaten nicht einfach. Es gab Probleme, sich mit dem neuen Staat zu identifizieren und ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln. Dies führte dazu, dass viele Schriftsteller die „alten Zeiten“ beschworen und den Übergang in die neue Realität anfangs nur schwer vollziehen konnten. Dazu gehörten zum Beispiel Joseph Roth, Karl Kraus, Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil, Marta Karlweis. Das Motiv des Verlusts der eigenen Identität, ausgelöst durch das Ende der k.u.k.-Monarchie, war zentral im Werk Alexander Lernet-Holenias, etwa seiner phantastischen Novelle Der Baron Bagge. Joseph Roth (1894–1939) zeichnet in seinem Roman Radetzkymarsch, benannt nach dem gleichnamigen Musikstück von Johann Strauss Vater für den Helden der Völkerschlacht von Leipzig ein trauriges Bild der zerfallenden Monarchie. Die Kapuzinergruft (1938) setzt die Beschreibung des Niedergangs Österreichs bis zum Jahr 1938 fort. In seinen Werken spiegelte sich die nostalgisch grundierte, legitimistische Haltung des Autors. Gleichzeitig gab es eine Hinwendung zu neuen Ideen und Denkmodellen. Die Sozialdemokratie, die Arbeiterbewegung, aber auch konservative und religiöse Strömungen wurden immer stärker. Die Lager verhärteten sich zusehends, was sich auch an der Literatur der Zeit nachvollziehen lässt. Es fand eine Ausrichtung auf Berlin und Prag (Kafka, Meyrink, Brod, Hašek) statt, die wirtschaftlich schlechte Lage verschärfte zusätzlich die Situation. Allerdings wurden durch den Zwang, Geld zu verdienen, auch einige Schriftsteller zur Arbeit als Journalist gezwungen und belebten dadurch das Feuilleton (Kisch, Polgar, Friedell, Roth, Maria Lazar). Das Kabarett konnte befreit von der Zensur agieren und gewann dadurch wieder an Bedeutung (Karl Farkas, Fritz Grünbaum, Peter Hammerschlag, Jura Soyfer, Polgar, Friedell). Auch sozialkritische und politische Werke erschienen, so wie Werfels Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh, welches eindringlich den international völlig ignorierten Völkermord des Osmanischen Reiches an den Armeniern schildert. Während Arnolt Bronnen und andere junge Autoren Werke schrieben, die sozialistisches Gedankengut enthielten, wandten sich andere, wie Mirko Jelusich, Karl Hans Strobl oder Bruno Brehm nationalistischen Ideen zu. Diese Spannungen führten schließlich auch als äußeres Zeichen zur Spaltung des österreichischen P.E.N Clubs 1933 in Ragusa. Die deutschnational orientierten Autoren gründeten als Abspaltung den Bund deutscher Schriftsteller Österreichs. Die Zwischenkriegszeit brachte eine Menge an bedeutender Literatur hervor. 1923 veröffentlichte Joseph Roth Das Spinnennetz. Es folgten Marta Karlweis (Ein österreichischer Don Juan, 1929), Ödön von Horváth (Geschichten aus dem Wiener Wald, 1931; Jugend ohne Gott, 1937), Hermann Broch (Die Verzauberung, erste Fassung 1935/36, erschienen postum 1953), Elias Canetti (Die Blendung, 1936) Albert Drach (Das Kasperlspiel vom Meister Siebentot, erste Fassung 1938/39, erschienen 1965), Ernst Weiß (Der Augenzeuge, geschrieben 1939, erschienen postum 1963). Robert Musil schrieb den Jahrhundertroman Der Mann ohne Eigenschaften, Stefan Zweig veröffentlichte eine Vielzahl von Essays, Novellen und Romanen. Karl Kraus publizierte weiterhin Die Fackel. Der auch als Austrofaschismus bezeichnete „Ständestaat“ schaltete durch die Beherrschung des öffentlichen Kommunikationssystems die oppositionelle Berichterstattung weitestgehend aus. Insgesamt wurden 325 Bücher, vor allem solche von sozialistisch bzw. sozialdemokratisch gesinnter Autoren, verboten. Andererseits konnten Autoren und Verleger, die im nationalsozialistischen Deutschland bereits Berufsverbot hatten, in Österreich ungehindert leben und publizieren. So emigrierte etwa Gottfried Bermann Fischer nach Wien und konnte dort bis 1938 Werke von Autoren wie Thomas Mann und Carl Zuckmayer veröffentlichen.[9] Trotz der gesellschaftlich weit verbreiteten antisemitischen Stimmung wurde für die Zeit zwischen 1933 und 1938 eine im Wesentlichen „formalrechtlich korrekte Behandlung der Juden“ in Österreich festgestellt.[10] So lebten jüdische Autoren und Intellektuelle wie Joseph Roth, Stefan Zweig oder Sigmund Freud bis 1938 in Wien. Nationalsozialismus und ExilliteraturAm 12. März 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht in Österreich ein, und der „Anschluss“ an das Deutsche Reich wurde vollzogen. Am 30. April 1938 fand in Salzburg eine Bücherverbrennung statt. Sie wurde vom SS-Mann, Lehrer und Schriftsteller Karl Springenschmid inszeniert. Unabhängige Literatur und Literaturkritik war nicht mehr möglich. Vom Regime wurde Blut-und-Boden-Literatur gefördert, daneben bestand auch mehr oder weniger ideologiefreie Unterhaltungsliteratur. Schriftsteller zogen sich in Innere Emigration zurück. Sie schwiegen zu politischen Themen, schrieben für die Schublade oder über Unpolitisches. Die Gleichschaltung und Kontrolle der Kunstschaffenden gelang bei Radio, Film, Theater und Literatur leichter als bei der Kleinkunst, die unmittelbar mit dem Publikum Kontakt hatte und so die Zensur geschickt umgehen konnte. Eine der berühmtesten Kabarettbühnen war das Wiener Werkel, wo fast ausnahmslos Werke links-liberaler und auch rassisch verfolgter Autoren aufgeführt wurden, bis es 1944 aufgrund der generellen Theatersperre geschlossen wurde. In künstlerischer Hinsicht wurde experimentiert, und es entstand durch Rudolf Weys das sogenannte Mittelstück als neue Gattung des Wiener politischen Theaters und Kabaretts. Die Bezeichnung spielt auf die Stellung als Kombination von Theater und Kabarett an. Rudolf Weys war Mitbegründer der renommierten Kleinkunstbühne Literatur am Naschmarkt und später Hausautor des Wiener Werkels. Andere wichtige Autoren, die das Mittelstück benutzten, um die Kleinkunst wesentlich zu modernisieren und weiterzuentwickeln, waren zum Beispiel Fritz Eckhardt oder der im KZ Buchenwald an Typhus verstorbene Jura Soyfer. ExilViele jüdische und/oder politisch andersdenkende Dichter verließen 1938 das Land: Theodor Kramer, Veza und Elias Canetti flüchteten nach England, Joseph Roth, Robert Musil, Stefan Zweig, Ödön von Horváth, Maria Lazar und Marta Karlweis mussten ebenfalls fliehen, andere, wie Else Feldmann, Jura Soyfer, Adolf Unger, blieben und wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Autoren wie Franz Werfel, Hermann Broch, Alfred Polgar, Maria Lazar, Ernst Lothar und Marta Karlweis mussten sich zur Zeit des Nationalsozialismus im Ausland aufhalten. Viele fanden sich nur schwer oder gar nicht zurecht. Nach dem Krieg blieben sie zum Teil im Ausland (Elias Canetti bekam den Literaturnobelpreis als britischer Staatsbürger), einige kehrten zurück. Auffällig ist, dass viele nicht mehr an ihre Erfolge in der Zwischenkriegszeit und im Exil anschließen konnten. Dies hing wohl auch damit zusammen, dass das alte Lesepublikum entweder vertrieben oder ermordet war und das neue sich für die zurückgekehrten Autorinnen und Autoren, bis auf wenige Ausnahmen, wie Friedrich Torberg, nicht interessierte. Dies führte zu einer literarischen Verarmung, von der sich Österreich erst Anfang der 1960er Jahre erholen sollte. Dies sollte sich erst in den 1980er Jahren ändern, als dann auch die Jura Soyfer Gesellschaft oder die Theodor Kramer Gesellschaft gegründet wurden. Literatur ab 1945NachkriegszeitNach dem Zweiten Weltkrieg offenbarte sich ein Vakuum in Kunst und Kultur, welches erst langsam wieder gefüllt wurde. Manche sprechen von einem literarischen Nullpunkt nach der Bücherverbrennung von 1933. Die „Trümmerliteratur“ beschrieb eine zusammengebrochene Welt; erst jetzt wurde Franz Kafka entdeckt. Die über die ganze Welt verstreuten Exil-Österreicher, kamen nur teilweise zurück, die Rückkehrer konnten sich oft nur schwer mit den neuen Verhältnissen zurechtfinden. Jean Améry war im Konzentrationslager, die aus Czernowitz stammenden Paul Celan und Rose Ausländer kamen nach Österreich. Hans Weigel und Friedrich Torberg kehrten nach dem Krieg zurück, Erich Fried erst in den 80er-Jahren. Elias Canetti, Franz Werfel und Hermann Broch blieben im Exil. Als Vertreter einer nicht-deutschsprachigen altösterreichischen Literatur kann Josef Burg, jiddischer Schriftsteller aus der Bukowina, angeführt werden, der erst gegen Ende seines Lebens hohe Auszeichnungen erhielt. Die Kulturlandschaft – Zeitschriften, Verlage, Künstlerorganisationen und Gruppen in den Regionen – hatte sich verändert und begann zu etwas Neuem zusammenzuwachsen. Die Bregenzer Festspiele (1946), die Salzburger Festspiele (1945) und die Wiener Festwochen (1949) boten Künstlern erstmals wieder die Möglichkeit, ihre Werke zu präsentieren. Es entstanden und existierten gleichzeitig viele neue literarische Strömungen und Formen mit der Motivation, das Erlebte zu verarbeiten, versäumte Entwicklungen der Weltliteratur nachzuholen und neue Wege zu gehen. Autoren, die sich zum Nationalsozialismus bekannt hatten, wie Franz Nabl und Karl Heinrich Waggerl behielten ihre Positionen und übten weiterhin Einfluss in der Literatur aus. Max Mell und Rudolf Henz gehörten dem katholischen Lager an. So war der Österreichische P.E.N.-Club sehr konservativ geprägt. Auf der anderen Seite versuchten Autoren wie Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Alexander Lernet-Holenia, Gerhard Fritsch und Hans Lebert eine Neuorientierung. Hans Lebert schrieb den Roman Die Wolfshaut das in einem fiktionalen Ort namens Schweigen spielt, eine Anspielung auf die Verleugnung der Mittäterschaft im Nationalsozialismus. Heimito von Doderer (1896–1966) ist für seine akribisch formulierten Romane (Die Strudlhofstiege, Die Dämonen) bekannt. Auch Albert Paris Gütersloh (1887–1973) wollte an die verschüttete moderne Tradition anknüpfen. Aichinger, Bachmann Celan und Fried waren Mitglieder der für die Nachkriegsliteratur tonangebende Gruppe 47 in Deutschland. Durch die neue Freiheit entstanden innovative Kurzgeschichten, die erzählende Literatur sowie die Frauen- und Volksliteratur konnten sich etablieren; daneben wurden Tagebücher veröffentlicht, und es entstanden moderne Dramen (Mundartdichtung, Spiel mit Sprache, Restauratives und innovatives Erzählen, Neue Motive wie Außenseiter, Tod und Krankheit). Von den alliierten Besatzungsmächten wurden Medien gegründet, die auf die Besatzungszonen Einfluss ausüben sollten (Tagebuch, Rot-Weiß-Rot). Sie errichteten auch eine „Österreichische Zensurstelle“, die bis 1953 Briefe zensierte. Seitdem gibt es in Österreich keine staatliche Zensur mehr. Für Kunstschaffende gab es kaum einen Markt; daher übernahm der Staat die Kunstförderung. Gleichzeitig drängten die Institutionen darauf, dass Künstler bei der Stärkung des nationalen Bewusstseins mithelfen sollten, unter anderem auch durch die Verbreitung der Opferthese. Auch die Medienwelt hatte sich stark verändert. Das Radio und insbesondere das Fernsehen boten neue Möglichkeiten zur Verbreitung von literarischen Texten, das Hörspiel erlebte eine neue Blüte. Die Parteizeitungen mussten zunehmend der Boulevardpresse weichen, und es kam zu einer immer größeren Medienkonzentration. Der Staat griff durch parteipolitische Einflussnahme über den ORF aktiv in das Geschehen ein. KleinkunstAusgehend vom Arbeiterstück des 19. Jahrhunderts und dem Agitprop-Stück der 1920er Jahre wurde das Kabarett von aneinandergereihten Einzelstücken und dem Revue-Theater im 20. Jahrhundert zu einer ernstzunehmenden Kunstform weiterentwickelt. Namen von Autoren, die wesentlich dazu beigetragen haben, diese neue Kunstform zu entwickeln, sind:
Die Wiener GruppeDer Wiener Gruppe gehörten Gerhard Rühm (* 1930), Konrad Bayer (1932–1964), H. C. Artmann (1921–2000), Friedrich Achleitner und Oswald Wiener an. Die Affinität zum Sprachspiel ist eine Konstante in der Literatur Österreichs; zu den bekannteren Vertretern gehören Ernst Jandl (1925–2000). Wichtige Lyrikerinnen waren Friederike Mayröcker (1924–2021) und Christine Lavant (1915–1973). Literatur ab den 1960er JahrenEine Blüte erlebte die österreichische Literatur in den 1960er und 1970er Jahren, als mit Autoren wie Peter Handke (* 1942), Ingeborg Bachmann (1926–1973) und Thomas Bernhard (1931–1989) die deutsche Literaturlandschaft nachhaltig verändert wurde. In dieser Tradition arbeiten auch bedeutende zeitgenössische Autoren wie beispielsweise Norbert Gstrein, Elfriede Jelinek (* 1946), O. P. Zier, Sabine Gruber und Ruth Aspöck. Es wurden auch einige Autoren wiederentdeckt und neu rezipiert, wie das Beispiel von Marlen Haushofer zeigt, die neben Kinderbüchern auch eine Reihe interessanter Themen wie die Stellung der Frau oder die Entzauberung der Idylle in ihren Werken behandelt. Wichtige Lyriker sind Christine Busta, Elfriede Gerstl, Robert Schindel. 1973 wurde die Grazer Autorenversammlung gegründet, der Barbara Frischmuth, Peter Handke, Ernst Jandl, Alfred Kolleritsch, Friederike Mayröcker und Michael Scharang angehörten. Sie protestierten vor allem gegen den Konservatismus des P.E.N.-Clubs auch bezüglich der Verleihung von Literaturpreisen. Peter Handke versuchte mit seiner Publikumsbeschimpfung neue Wege der Kommunikation im Drama zu betreten. Jandl und Mayröcker schrieben Konkrete Poesie. Weitere Gruppen in Graz sind das Forum Stadtpark und die Grazer Gruppe. Thomas Bernhard (1931–1989) sorgte mit Heldenplatz für einen Theaterskandal und eine heftige gesellschaftspolitische Kontroverse. Er kritisierte die nicht erfolgte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und die Verdrängungsmentalität in Österreich. Marianne Fritz (1948–2007) schrieb mehrere sehr umfangreiche Romane mit einer eigenwilligen Formen- und Erzählsprache, welche die Gattungsgrenzen und allgemeine sprachliche Konvention sprengen. Christoph Ransmayr mischt historische Fakten mit Fiktion. In Morbus Kitahara erschafft er ein Szenario, in dem Österreich keine Hilfe durch den Marshall-Plan bekam und arbeitete eine komplexe hypothetische Gegenwelt aus. In Josef Haslingers Opernball findet ein Anschlag auf den Opernball bei dem alle Gäste inklusive der Regierung getötet werden und eine faschistische Partei an die Macht kommt. Milo Dor, ein geborener Serbe, beschreibt die Gefahren des Rechtsextremismus und die Immigration. Während der 1980er formte sich wieder eine jüdische Literatur. Robert Schindel veröffentlichte den Roman Gebürtig, Robert Menasse schreibt Essays über Österreich, ein weiterer Autor ist Doron Rabinovici. Österreichische slowenischsprachige Autoren sind Janko Ferk, Gustav Januš, Florjan Lipuš, Cvetka Lipuš und Janko Messner. Peter Handke hat mehrere slowenische Werke ins Deutsche übersetzt. GegenwartDie von Oswald Wiener beeinflusste Marlene Streeruwitz hat das feministische Gedankengut der 1970er Jahre in die Gegenwart transportiert. Werner Schwab verhöhnt und demaskiert mit deftig-kräftigen Ausdrücken und skurrilen Wortverbindungen die schöngeistige Literatursprache. Ransmayr sucht im Gegensatz dazu sowohl inhaltlich als auch stilistisch eher eine vermittelnde Position.[11] Robert Seethaler erzählt in seinen internationalen Bestsellern Der Trafikant und Das Café ohne Namen vom Wien der 40er und 60er-Jahre, Thomas Glavinic beschreibt in Die Arbeit der Nacht die Geschichte eines Mannes der über Nacht vollkommen allein ist. Auch in Die Wand von Marlen Haushofer ist die Protagonistin plötzlich durch eine undurchdringbare unsichtbare Wand von der Welt abgeschnitten und muss alleine auf einer Almhütte überleben. Große Publikumserfolge erzielten Daniel Kehlmann mit Die Vermessung der Welt und Wolf Haas mit seinen „Brenner“-Krimis, die ein sehr eigenwilliger, mit österreichischem Duktus versehener Sprachstil auszeichnet, sowie Bernhard Aichner mit seiner bekannten Thrillerreihe. Bekannte Autorinnen und Autoren wie Monika Helfer, Eva Menasse, Marlene Streeruwitz, Franzobel, Arno Geiger, Norbert Gstrein, Peter Handke, Christoph Ransmayr, Peter Henisch, Elfriede Jelinek, Michael Köhlmeier, Peter Rosei und Gerhard Roth veröffentlichen regelmäßig neue Werke. Weniger bekannte Autoren sind Anna Kim, Teresa Präauer, Stefanie Sargnagel, Sophie Reyer, Reinhold Aumaier, Georg Biron, Adelheid Dahimène, Dimitré Dinev, Martin Dragosits, Klaus Ebner, Günter Eichberger, Janko Ferk, Olga Flor, Evelyn Grill, Constantin Göttfert, Wolfgang Hermann, Rudolf Kraus, Egyd Gstättner, Klaus Händl, Ludwig Laher, Gabriel Loidolt, Wolfgang Pollanz, Gudrun Seidenauer, Linda Stift, Vladimir Vertlib, Christine Werner, Peter Paul Wiplinger. Aktuelle Literaturzeitschriften sind u. a. Literatur und Kritik, Erostepost, (Salzburg) Manuskripte, Schreibkraft und Lichtungen (Graz), Wespennest, Freibord, Podium und Kolik (Wien), Cognac & Biskotten (Innsbruck), DUM und Etcetera (Niederösterreich) sowie Die Rampe (Oberösterreich). Österreichische Literaturpreise
Siehe auch
Literatur zum ThemaEinbändige Literaturgeschichten
Mehrbändige LiteraturgeschichtenGeschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. von Herbert Zeman, Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1994ff (7 Bände geplant, bisher erschienen)
Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Begründet von Helmut de Boor und Richard Newald. Beck, München 1971– (12 Bände geplant, erschienene Bände und Teilbände teilweise in neuerer Bearbeitung)
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