Eine torische Varietät ist eine spezielle algebraische Varietät und damit ein Objekt aus der algebraischen Geometrie, einem Teilgebiet der Mathematik. Das Studium torischer Varietäten wird auch als torische Geometrie bezeichnet. Torische Varietäten haben die Besonderheit, dass eine enge Verbundenheit zur konvexen Geometrie besteht.
Definitionen
Algebraischer Torus
Ein algebraischer Torus
über
ist eine algebraische Gruppe, die isomorph zu einer algebraischen Gruppe der Form
ist.[1]
Die Charaktere von
sind Morphismen
, die gleichzeitig Gruppenhomomorphismen sind. Die Charaktere bilden eine freie abelsche Gruppe
. Analog dazu sind die 1-Parameter Untergruppen von
definiert als die Morphismen
, die Gruppenhomorphismen sind. Diese bilden ebenfalls eine freie abelsche Gruppe
und es gibt eine natürliche bilineare Abbildung
mit welcher man
mit
und
mit
identifizieren kann. Man erhält einen kanonischen Isomorphismus
via
.
Im Falle
lässt sich zeigen, dass alle Charaktere von der Form
![{\displaystyle \chi ^{m}\colon (\mathbb {C} ^{*})^{n}\rightarrow \mathbb {C} ^{*},(t_{1},\dots ,t_{n})\mapsto t_{1}^{a_{1}}\cdots t_{n}^{a_{n}}{\text{ mit }}m=(a_{1},\dots a_{n})\in \mathbb {Z} ^{n}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/fe0082ad3574cc79052f93db3ec3940f8c25796d)
und alle 1-Parameter Untergruppen von der Form
![{\displaystyle \lambda ^{u}\colon \mathbb {C} ^{*}\rightarrow (\mathbb {C} ^{*})^{n},t\mapsto (t^{b_{1}},\dots ,t^{b_{n}}){\text{ mit }}u=(b_{1},\dots b_{n})\in \mathbb {Z} ^{n}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/bfe579b65b63faadbdd12b579b421599d56be325)
sind. In diesem Fall gilt
und
und die bilineare Abbildung ist das Skalarprodukt.[2]
Torische Varietäten als torische Einbettungen
Eine torische Varietät ist eine irreduzible algebraische Varietät
, die einen algebraischen Torus
als eine Zariski-offene Teilmenge enthält, sodass die Gruppenverknüpfung des Torus sich zu einer algebraischen Gruppenoperation
des Torus auf der ganzen Varietät fortsetzen lässt. Hierbei meint algebraisch, dass die Gruppenoperation durch einen Morphismus algebraischer Varietäten gegeben ist.[3]
Bei manchen Autoren wird zusätzlich verlangt, dass eine torische Varietät normal ist.[4] Dabei heißt eine algebraische Varietät normal, falls in jedem Punkt der Varietät der lokale Ring ein normaler Ring ist.
Konstruktionen affiner torischer Varietäten
Aus obiger abstrakten Definition ist nicht ersichtlich wie die Verbindung zur konvexen Geometrie entstehen. Im folgenden Abschnitt sind drei äquivalente Konstruktionen affiner torischer Varietäten aufgeführt. Das heißt, man erhält jede affine torische Varietät durch jede der folgenden Konstruktionen.
1. Konstruktion
Es sei
ein Torus mit Charaktergitter
. Man betrachte eine endliche Teilmenge
mit den zugehörigen Charakteren
. Definiere die Abbildung
![{\displaystyle \Phi _{\mathfrak {A}}:T\rightarrow \mathbb {C} ^{s},\quad \Phi _{\mathfrak {A}}(t)=(\chi ^{m_{1}}(t),\dots ,\chi ^{m_{s}}(t))}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/1ea16c9c6adf205cb4606405af215084624677aa)
und
als den Zariski-Abschluss von
. Dann ist
eine affine torische Varietät, deren Torus das von
erzeugte Untergitter
als Charaktergitter besitzt. Die Dimension von
ist gleich dem Rang des Gitters
.[5]
2. Konstruktion
Polyedrische Gitterkegel
Sei
ein Gitter, das heißt eine freie abelsche Gruppe von endlichem Rang. Ein konvexer rationaler polyedrischer
-Kegel ist
ein konvexer Kegel im Vektorraum
, der von endlich vielen Vektoren aus
erzeugt wird. Im Folgenden sprechen wir kurz von einem
-Kegel.
Jedem
-Kegel
kann ein dualer Kegel
zugeordnet werden. Dazu betrachtet man zum dualen Gitter
den dualen Vektorraum
und definiert
.
Torische Varietäten aus Gitterkegeln
Einem
-Kegel
wird zunächst sein dualer Kegel
zugeordnet. Zu diesem betrachtet man die kommutative Halbgruppe
. Es stellt sich heraus (Lemma von Gordan[6]), dass diese Halbgruppe endlich erzeugt ist und die Monoidalgebra
daher eine endlich erzeugte kommutative
-Algebra ist. Das Maximalspektrum
dieser Algebra hat dann die Struktur einer affinen torischen Varietät.
Der Torus von
ist
genau dann, wenn
ein spitzer Kegel ist.[7] Des Weiteren lässt sich zeigen, dass
dann sogar normal ist.[8]
3. Konstruktion
Sei
ein Untergitter.
- Ein Ideal der Form
heißt Gitterideal.
- Gitterideale, die Primideale sind, heißen torische Ideale.
Sei
ein torisches Ideal. Dann ist
eine affine torische Varietät.
Für eine torische Varietät
, die wie in der 1. Konstruktion gegeben ist. Dann gibt es eine induzierte Abbildung
. Der Kern dieser Abbildung
ist ein Untergitter von
und es gilt:
.[9]
Beispiele
Neilsche Parabel als affine torische Varietät
Die Neilsche Parabel
ist eine affine torische Varietät. Denn sie enthält den Torus
als offene Teilmenge:
.[10]
Für
und
![{\displaystyle \Phi _{\mathfrak {A}}\colon \mathbb {C} ^{*}\rightarrow \mathbb {C} ^{2},\quad t\mapsto (t^{2},t^{3})}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/91c480391f84eaef8c3fb9efb644c382e66924d9)
erhält man:
.
Betrachtet man die von
erzeugte affine Halbgruppe
, dann gilt
. Da
allerdings nicht normal ist, kann
nicht von der Form
sein, wobei
ein spitzer Kegel ist.[11]
Das Verschwindungsideal
ist ein torisches Ideal zu dem von
erzeugten Gitter.[12]
Torische Varietät zu einem Kegel
Es sei der Kegel
gegeben. Dann ist der duale Kegel gegeben durch
. Nun bestimmt man die Erzeuger der affinen Halbgruppe
. Also eine Menge
, sodass
gilt.
Man erhält
.
Damit ist die torische Varietät
zum Kegel
gegeben als
, wobei
.
Es lässt berechnen, dass das Verschwindungsideal von folgender Form ist:
.[13]
Konstruktion projektiver torischer Varietäten
Es sei
die Quotientenabbildung. Wie im affinen Fall betrachtet man eine Torus
mit Charaktergitter
und eine endliche Teilmenge
. Die Abbildung
kann auch als Abbildung nach
aufgefasst werden:
.
Dann ist Zariski-Abschluss des Bildes der Abbildung
eine projektive torische Varietät
.[14]
Verschwindungsideal projektiver torischer Varietäten
Sei
wie oben gegeben und
die induzierte Abbildung zwischen den Gitter,
der Kern dieser Abbildung.
ist genau dann das Verschwindungsideal von
, falls
homogen ist.[15]
Torische Varietäten aus Gitterpolytopen
Sei
ein Gitter. Ein Polytop
heißt Gitterpolytop, falls es die konvexe Hülle einer Teilmenge
ist, also
.
Ein Gitterpolytop heißt sehr ampel, wenn für alle Ecken
die Halbgruppe
gesättigt ist, d. h., aus
folgt schon
für jedes
.
Für ein sehr amples Gitterpolytop
mit
wählt man
und erhält eine torische Varietät
.[16] Für ein allgemeines Gitterpolytop
von maximaler Dimension lässt sich zeigen, dass ein
existiert, sodass
sehr ampel ist. Die torische Varietät zu
ist dann definiert als
.[17]
Eigenschaften projektiver torischer Varietäten
Sei
ein Gitterpolytop von maximaler Dimension und
die zugehörige Varietät. Bezeichne mit
die affinen Karten von
.
- Es gilt:
, wobei
.[18] Man erhält also für jede Ecke des Polytops einen affinen Teil der projektiven Varietät. Betrachtet man den sogenannten normal fan zum Polytop
enthält dieser bereits alle Informationen über die Struktur von
, ohne dass eine Einbettung in
nötig wäre. Dies führt zum Begriff der abstrakten Varietät.[17]
- Die Varietät
ist genau dann glatt, wenn
ein glattes Polytop ist. Dabei heißt ein Polytop
glatt, wenn die Erzeuger der Strahlen
eine Teilmenge einer Basis von
bilden, wobei
eine Seite von
ist, die
enthält.[19]
Siehe auch
Literatur
Monographien und Lehrbücher
- David A. Cox, John B. Little, Henry K. Schenck: Toric varieties. American Mathematical Society, Providence 2011, ISBN 978-0-8218-4819-7.
- Günter Ewald: Combinatorial convexity and algebraic geometry. Springer, New York 1996, ISBN 0-387-94755-8.
- William Fulton: Introduction to toric varieties. Princeton University Press, Princeton, NJ. 1993, ISBN 0-691-03332-3.
- Tadao Oda: Convex bodies and algebraic geometry : an introduction to the theory of toric varieties. Springer, Berlin, 1988, ISBN 3-540-17600-4, SUB Göttingen.
- Tadao Oda: Lectures on Torus Embeddings and Applications. Springer, Berlin 1978, ISBN 3-540-08852-0.
- George R. Kempf, Finn Faye Knudsen, David B. Mumford, B. Saint-Donat: Toroidal Embeddings I. Springer, Berlin 1973, ISBN 978-3-540-06432-9.
Originalpublikationen
Vorlesungen und Vorlesungsskripte
- Jürgen Hausen: A video course on toric varieties. Tübingen 2020, (Toric Varieties auf YouTube, PDF).
- David A. Cox: Lectures on Toric Varieties. Hanoi 2005, (PDF).
- David A. Cox: What is a Toric Variety? Workshop on Algebraic Geometry and Geometric Modeling, Vilnius 2003, (PDF Skript, PDF Folien).
- Ludger Kaup: Vorlesungen über Torische Varietäten. Konstanzer Schriften in Mathematik und Informatik, Nr. 130, Fassung vom Frühjahr 2002, ISSN 1430-3558, (PDF).
- Jean-Paul Brasselet: Introduction to toric varieties. Impa, Marseille 2001, (PDF).
- David A. Cox: Minicourse on Toric Varieties. Buenos Aires 2001, (PDF).
Einzelnachweise
- ↑ Oda: Lectures on Torus Embeddings and Applications. 1978, 1.1 Algebraic tori.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 10 f.
- ↑ Cox: Toric varieties. 2011, Theorem 3.1.1.
- ↑ Fulton: Introduction to Toric Varieties. 1993, Definition in 1.1.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 20.
- ↑ Cox: Toric varieties. 2011, Proposition 1.2.17.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 30.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 37.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 14 ff.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 12.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 18.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 16.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 34.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 55.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 56.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 74.
- ↑ a b David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 82.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 75.
- ↑ David Cox, John Little, Hal Schenck: Toric Varieties. 2010, S. 86.