Anna Muthesius wurde als Tochter des Kustos und Lehrers Karl Emil Trippenbach (1819–1888) und Charlotte Kratz (1824–1892) in Aschersleben geboren.[1] Nach dem Tod ihres Vaters lebte sie mit ihrer Mutter bei ihrem Bruder in Pansfelde, wo dieser Pastor war, später eine Weile in Ballenstedt.[2] Während ihres Studiums des Gesangs in München und Berlin lernte sie Hermann Muthesius kennen, den sie 1896 heiratete.[3] Das Paar bekam fünf Kinder: Günther (1898–1974) wurde Architekt, Klaus (1900–1959) wurde Landwirt, Eckart wurde ebenfalls Architekt und die Tochter Renata (1913–2016) heiratete den Bühnenbildner Siegfried Stepanek (1921–1969).[1][4] Die Tochter Waltraud verstarb 1912 im Säuglingsalter.[1]
Muthesius begann sich insbesondere mit Reformkleidung und dem Korsett zu beschäftigen. 1903 veröffentlichte sie ihren Vortrag am Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld als Buch Das Eigenkleid der Frau mit zahlreichen Abbildungen auch eigener Kleiderkreationen, in dem sie konstatierte: „Deutschland ist mitten in einer Bewegung zur Annahme einer neuen Frauentracht.“[8] Neben Henry van de Velde, Paul Schultze-Naumburg, Margarethe von Brauchitsch und Alfred Mohrbutter wurde sie so zur maßgeblichen Figur in der deutschen Reformkleidbewegung.[5] Anna Muthesius’ Position zeichnete insbesondere aus, dass sie die Frau aus der passiven Rolle der Dekorierten lösen wollte und die Individualität der Trägerin betonte.[9] Ihre Eigenkleider vertrieb sie unter anderem über die Deutschen Werkstätten Hellerau und über Kaufhäuser wie das Kaufhaus Renner in Dresden.[10] Für Vorträge reiste sie nach Breslau, Dresden und Düsseldorf.[11]
Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ließ sich die Familie in Berlin-Nikolassee nieder, wo Hermann Muthesius 1906/07 in der Potsdamer Chaussee 49 das Haus Muthesius errichtete. Während der Zeit des Nationalsozialismus versteckte Anna Muthesius die Malerin Julie Wolfthorn dort, konnte sie jedoch nicht vor der Deportation und Ermordung bewahren.[12]
Anna Muthesius starb 1961 im Alter von 90 Jahren in Berlin. Sie wurde auf dem Evangelischen Kirchhof Nikolassee beigesetzt, neben ihrem 34 Jahre zuvor verstorbenen Ehemann.[16] Auf Beschluss des Berliner Senats wurde das gemeinsame Grab 1984 zum Berliner Ehrengrab.[17] Seit 2023 gibt es in unmittelbarer Nähe des Berliner Wohnortes der Familie den Anna- und Hermann-Muthesius-Steig.[18]
Das Eigenkleid der Frau. Krefeld, Kramer & Baum 1903 (Digitalisat).
„Die Ausstellung künstlerischer Frauen-Kleider im Waren-Haus Wertheim-Berlin“. In: Deutsche Kunst und Dekoration, 14. Halbband (April bis September 1904), S. 441–456 (Digitalisat).
„Das Frauenkleid in England“. In: Deutsche Kunst und Dekoration. 17.1905–1906, S. 90 (Digitalisat).
„Ausstellung von Kleidern in der Kölner Flora“. In: Deutsche Kunst und Dekoration. 21.1907, S. 212–213 (Digitalisat).
Literatur (Auswahl)
Julia Bertschik: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770–1945). Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien 2005, ISBN 3-412-11405-7.
Ina Ewers-Schulz: „‚Das wesentliche ist die individuelle Anpassung an die Trägerin.‘ Anna Muthesius’ Eigenkleid der Frau“. In: Ina Ewers-Schulz, Magdalena Holzhey: Auf Freiheit zugeschnitten – Das Künstlerkleid um 1900 in Mode, Kunst und Gesellschaft. Hirmer Verlag, München 2018, S. 146–151.
Despina Stratigakos: „Women and the Werkbund: Gender Politics and German Design Reform, 1907–14“. In: The Journal of the Society of Architectural Historians. Band 62, Nr. 4, 2003, S. 490–511.
Rita Wolters: „Muthesius, Anna, geb. Trippenbach“. In: Eva Labouvie (Hrsg.): Frauen in Sachsen Anhalt. Band 2: Ein biographisch-bibliographisches Lexikon vom 19. Jahrhundert bis 1945. Böhlau, Köln u. a. 2019, ISBN 978-3-412-51145-6, S. 326–329.
Friederike Berger: „Anna Muthesius und das Eigenkleid in der frühen Modefotografie“. In: Modebilder/Kunstkleider. Mode, Fotografie und Malerei 1900 bis heute, Ausst.-Kat. Berlinische Galerie. Köln 2022, S. 81–93.
↑Miranda Seymour: Noble Endeavours: The life of two countries, England and Germany, in many stories. Simon and Schuster, 2013, ISBN 978-1-84737-826-2 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑John V. Maciuika: Before the Bauhaus: Architecture, Politics, and the German State, 1890-1920. Cambridge University Press, 2005, ISBN 0-521-79004-2, S.195, 327 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Patricia Ober: Der Frauen neue Kleider: das Reformkleid und die Konstruktion des modernen Frauenkörpers. Verlag Hans Schiler, 2005, ISBN 3-89930-025-4, S.62 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Alice Stepanek: Julie Wolfthorn. In: thehistoryofpaintingrevisited.weebly.com. Abgerufen am 10. August 2024 (englisch).
↑Irma Lang-Scheer. In: galerie-der-panther.de. 9. März 2012, abgerufen am 10. August 2024 (deutsch).
↑Eliana Perotti: Nah am Körper – von der Unterwäsche zum Raum. Zur Ausstellungs- und Wohnraumgestaltung von Lilly Reich. In: Ästhetische Ordnungen und Politiken des Wohnens. transcript Verlag, 2023, ISBN 978-3-8394-6383-3, S.408–427, doi:10.1515/9783839463833-017.