Henry van de Velde

Henry van de Velde, Porträtfoto 1904 von Nicola Perscheid

Henry Clement van de Velde (im belgischen Niederländisch auch Henry Clemens Van de Velde; * 3. April 1863 in Antwerpen; † 25. Oktober 1957 in Zürich) war ein flämisch-belgischer Architekt und Designer.

Van de Velde gilt als einer der vielseitigsten Künstler des Jugendstils. Von ihm ging eine fundamentale Erneuerung der angewandten Kunst aus. Seine Arbeiten in unterschiedlichen Materialien überwanden das gegenständliche Decorum des späten 19. Jahrhunderts.

Leben und Wirken

Henry van de Velde war sechstes von acht Kindern des wohlhabenden Apothekers Guillaume Charles van de Velde (1825–1901). Seine Mutter Jeanne Aimée Aurore (1826–1888), geb. de Paepe, stammte ebenfalls aus einer Apothekerfamilie.[1][2] Sein Vater organisierte nebenher Festivals für berühmte internationale Komponisten.

Henry van de Velde besuchte in Antwerpen das Koninklijk Atheneum, ein humanistische Gymnasium, und freundete sich zu Beginn des Schuljahres 1878/1879 in der vierten Lateinklasse mit dem späteren Dichter Max Elskamp an. Ihr Briefverkehr befindet sich im Archiv der Universitätsbibliothek von Antwerpen.

Von 1880 bis 1885 studierte er an der Kunsthochschule Antwerpen, ab 1883 auch kurzzeitig im Privatatelier des Malers Charles Verlat. Im selben Jahr gründete er die Künstlervereinigung Als Ik Kan mit.[2] Als van de Velde an der Antwerpener Kunstausstellung das Bild Bar aux Folies Bergère von Édouard Manet gesehen hatte, entschloss er sich, in Paris weiterzustudieren. Dort schloss er sich 1884/1885 der impressionistischen Malergruppe L’Art Indépendant an, und auf Vermittlung von Peter Benoit wurde er Schüler von Émile Auguste Carolus-Duran.[2]

Als van de Velde wieder nach Belgien zurückkehrte, suchte er die Einsamkeit und lebte vier Jahre im Gasthaus von Wechelderzande, einem kleinen Ort nahe Antwerpen. In der dortigen Künstlerkolonie befreundete er sich mit Adriaan Joseph Heymans, Florent Crabeels und Jacques Rosseels (1828–1912). Neben seinem künstlerischen Schaffen las van de Velde u. a. die Werke von Friedrich Nietzsche und Émile Zola. Im Sommer 1887 besuchte ihn die schon an Krebs erkrankte Mutter, und van de Velde pflegte und porträtierte sie. Im Winter 1887/1888 kehrten sie zusammen nach Antwerpen zurück. Zusammen mit Max Elskamp, Georges Serigier, George Morren und dem Advokaten Charles Dumercy gründete van de Velde 1887 die drei Jahre aktive Association pour l’art indépendant.

1888 wurde van de Velde von der Künstlervereinigung Les Vingt als Mitglied aufgenommen.[3] In den Wintermonaten war er zusammen mit anderen Künstlern, Schriftstellern, Dichtern und Politikern oft zu Gast bei Edmond Picard. Wegen einer sich anbahnenden Neurasthenie verbrachte van de Velde den Sommer 1889 bei seinem Bruder in der Blankenberger Villa und lernte in dieser Zeit Charles Van Lerberghe, mit dem er sich anfreundete, sowie Émile Vandervelde und den Advokaten Max Hallet kennen. Später zog van de Velde zu seiner älteren Schwester Jeanne und ihrem Mann nach Kalmthout ins Haus „Vogelenzang“. In dieser Zeit hatte er u. a. Kontakt zu August Vermeylen und gestaltete für die neu gegründete Literaturzeitschrift Van Nu en Straks die Titelschrift.

Da van de Velde mit seiner Malerei nicht zufrieden war, versuchte er durch die Kunststickerei das zu verwirklichen, was er in der Malerei glaubte nicht erreichen zu können. So hielt sich van de Velde von Mitte Oktober 1892 bis Frühling 1893 bei seiner Tante Maria Elisabeth de Paepe in Knokke-Heist auf, um bei ihr die Applikationsstickerei zu erlernen. Daraus entstand der Wandbehang Engelswache, der sich heute im Museum für Gestaltung Zürich befindet.[2] „Ein Gefühl von Unruhe und mangelnder Befriedigung beherrschte uns um 1890 so allgemein“, schrieb Henry van de Velde in seinen Kunstgewerblichen Laienpredigten (in deutscher Sprache 1902 erschienen). Die resultierende künstlerische Sinnkrise ließ ihn um 1893/1894 seine Laufbahn als Maler abbrechen und sich der Architektur und angewandten Kunst zuwenden.

Harry Graf Kessler, Ludwig von Hofmann, Edward Gordon Craig und Henry van de Velde
Harry Graf Kessler, Ludwig von Hofmann, Edward Gordon Craig und Henry van de Velde

An Ostern 1893 besuchten ihn Théo van Rysselberghe mit seiner Frau Maria van Rysselberghe (1866–1959), Émile Verhaeren, Alfred William Finch und Maria Sèthe (1867–1943), die er im Mai 1894 in Uccle heiratete. Ihre Hochzeitsreise führte sie zu Johanna van Gogh-Bonger.

Nachdem van de Velde Julius Meyer-Graefe von der 1895 neu gegründeten Zeitschrift Pan kennengelernt hatte, schrieb er über die Jahre verschiedene Artikel für die Zeitschrift. Als 1895 Siegfried Bing seine Galerie in Paris unter dem neuen Namen Hôtel de l’Art Nouveau (oder Maison de l’Art nouveau) mit neuen Ausstellungsräumen einrichten lassen wollte, konnte van de Velde ein großes Esszimmer, ein Rauchzimmer in Kongo-Holz, ein kleines Kabinett in Zitronenholz und einen rotundenartigen größeren Raum mit abgestimmten Möbeln und Wandfüllungen gestalten. Die von anderen Künstlern geschaffenen Möbel, Beleuchtungskörper, Tapeten, Stoffe und Teppiche sollten Teile eines lebendigen Ganzen bilden.

Wenige Wochen nach der Eröffnung der skandalumwitterten Ausstellung besuchte eine Delegation aus Dresden mit dem Generaldirektor der Dresdner Museen, Geheimrat Woldemar von Seidlitz, an deren Spitze die Galerie. Die in Paris für Bing entworfenen und geschaffenen vier Zimmer sollten 1897 in Dresden an der Internationalen Kunstausstellung im Städtischen Ausstellungspalast wieder aufgestellt werden. Zusätzlich sollte ein großer „Ruheraum“ für die Besucher geschaffen werden. Für seinen Künstlerfreund Constantin Meunier wurden zwei große Säle für eine Gesamtschau seines Schaffens zur Verfügung gestellt. In Dresden angekommen, bezogen die beiden Künstler mit ihren Ehefrauen das Hotel Bellevue. Nach der dreiwöchigen Ausstellung war van de Velde auch in Deutschland bekannt. Auf der Rückreise besuchten sie van de Veldes Freund und ersten deutschen Auftraggeber Curt Hermann in Berlin.

Hermann und Eberhard von Bodenhausen ermöglichten van de Velde durch ihr Kapital, mit der Gründung seiner Société van de Velde über ein großes Haus im Brüsseler Vorort Ixelles zu verfügen. Die eigenen Werkstätten für die Herstellung von Möbeln, Beleuchtungskörpern und anderen Einrichtungsgegenständen und auch für Schmuck waren bald voll ausgelastet. Die neuen Werkstätten und seine Beziehungen zu den verschiedenen „Kunsthäusern“ in Paris, Berlin und Den Haag ermöglichten es van de Velde, seine eigenen Produkte auszustellen und zu verkaufen sowie Aufträge einiger belgischer Intellektueller und Kunstfreunde anzunehmen, die als überzeugte Freunde der neuen Kunstströmung Möbel, Schmuckstücke und Bucheinbände bei ihm bestellten. Auch in Deutschland wuchs die Zahl der Auftraggeber. Unter ihnen befand sich der junge, aus einer angesehenen Chemnitzer Industriellenfamilie stammende Herbert Eugen Esche.

Von Henry van de Velde entworfene Möbel im Hessischen Landesmuseum Darmstadt

Sein Mäzen Harry Graf Kessler ließ sich seine Berliner Wohnung in der Köthener Straße von ihm ausstatten, später auch die in der Cranachstraße in Weimar.

Van de Velde erhob die Linie zum alleinigen Ausdrucksträger seiner Objekte, exemplarisch gesteigert zur plastischen Form erscheint sie in den berühmt gewordenen Kandelabern von 1898, die für Kessler angefertigt wurden. Kessler beteiligte sich auch an van de Veldes „Werkstätten für angewandte Kunst“ und bewog ihn 1901 zur Übersiedlung nach Berlin, indem er ihn in kunstinteressierten Kreisen bekannt machte und dort sein Programm vorstellen ließ.

Familie van de Velde vor dem Haus Hohe Pappeln

Im Jahr 1900 nahm Karl Ernst Osthaus Kontakt mit van de Velde auf und stellte ihm seine Idee eines Museums vor, das der Kunst in der Industrieregion des Ruhrgebiets einen höheren Stellenwert verschaffen sollte. Van de Velde begleitete das Museumsprojekt, gestaltete die Innenausstattung im Jugendstil und beriet Osthaus, der vorher vor allem an deutscher Malerei des 19. Jahrhunderts aus der Umgebung der Düsseldorfer Malerschule interessiert war, auch bei Ankäufen von belgischen und französischen Kunstwerken. Ende 2013 wurden verschiedene von ihm entworfene Objekte aus dem Familienbesitz Osthaus in München versteigert, so eine silberne, mit Ceylon-Mondsteinen und Diamantrosen besetzte Gürtelschnalle, ein Schrank aus dem Musikzimmer sowie ein Havana-Sessel von 1897.[4]

Harry Graf Kessler und Elisabeth Förster-Nietzsche setzten sich am Weimarer Hof dafür ein, van de Velde nach Weimar zu holen. Er hatte dabei auch den Auftrag des Großherzogs Wilhelm Ernst, sich besonders um die Produktkultur der Kunsthandwerksbetriebe und -industrie im Land zu kümmern, die bald erfolgreich nach seinen Entwürfen arbeiteten.

In Weimar zog van de Velde mit seiner Familie in ein Haus in der Cranachstraße im Wohnviertel Silberblick; es lag wenige hundert Meter von Elisabeth Förster-Nietzsches Villa entfernt. Zusammen mit seiner Frau richtete er mit den wenigen beweglichen Möbeln, die sie aus dem Haus Bloemenwerf kommen ließen, die Wohnung ein. Seinen Mitarbeiter und guten Freund der Familie, den schwedischen Zeichner Hugo Westberg, hatte van de Velde von Berlin nach Weimar mitgenommen. Westberg führte zusammen mit Hermann Scheidemantel alle von van de Velde in den Weimarer Jahren entworfenen Möbel aus. Nachdem die ursprüngliche Mietwohnung für die inzwischen siebenköpfige Familie zu klein geworden war, ließ van de Velde 1906/1907 an der Belvederer Allee 58 das Jugendstil-Landhaus „Hohe Pappeln“ nach eigenen Entwürfen errichten. Sein am 15. Oktober 1902 gegründetes Kunstgewerbliches Seminar und seine Privatateliers richtete er im „Prellerhaus“ ein.

Die Grossherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule Weimar wurde 1908 auf die Initiative von van de Velde gegründet und von Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar finanziert. Bis zu ihrer Schließung im Jahr 1915 war van de Velde deren Direktor. Die Kunstgewerbeschule wurde nach 1919 Keimzelle der Bauhaus-Schule.

Im Dezember 1996 wurde der Kunstgewerbeschulbau (Van-de-Velde-Bau) zusammen mit dem Kunstschulgebäude in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Das Kunstschulgebäude (auch „Ateliergebäude“ genannt) wurde nach den Plänen von van de Velde in zwei Bauphasen 1904/1905 und 1911 gegenüber dem Kunstgewerbeschulbau von 1905/1906 errichtet.

1902, Münchner Kunstpalast, Van-de-Velde-Zimmer

Van de Velde war sowohl Mitglied des 1903 gegründeten Deutschen Künstlerbundes[5] als auch des vier Jahre später gegründeten Deutschen Werkbundes.

Gemeinsam mit Anna Muthesius und Paul Schultze-Naumburg entwarf er auch künstlerisch inspirierte Modelle weiblicher Reformkleidung. 1902 wurde anlässlich der Industrie- und Gewerbeausstellung Düsseldorf im Ausstellungspalast ein „Van-de-Velde-Zimmer“ eingerichtet. Von 1908 bis 1909 gestaltete er den Innenraum von Schloss Lauterbach ebenfalls im Jugendstil um. Bauaufträge des Großherzogs blieben aus, doch arbeitete Van de Velde erfolgreich als Architekt für private Auftraggeber. In Weimar nicht mehr realisiert wurden ein geplantes monumentales Nietzsche-Denkmal, ein Sommertheater für die Berliner Schauspielerin Louise Dumont und ein Restaurant am Weimarer Ausflugsziel Webicht.

Von 1914 bis 1916 leitete van de Velde auf Wunsch seines Freundes Harry Graf Kessler während dessen Einberufung zum Wehrdienst im Ersten Weltkrieg die von Kessler gegründete Cranach-Presse in Weimar. Die Kunstgewerbeschule wurde kriegsbedingt 1915 geschlossen.

Bildnis als Holzschnitt aus dem Jahre 1917 von Ernst Ludwig Kirchner

Als „feindlicher Ausländer“ während des Ersten Weltkriegs nicht mehr gelitten, verließ van de Velde 1917 Weimar. Er hatte teilweise als Angehöriger einer „kriegsgegnerischen Nation“ politischen Druck zu ertragen. So musste er sich angeblich zeitweise dreimal täglich bei der Polizei in Weimar melden, obwohl er einen deutschen Pass besaß. Im Sommer 1918 kaufte van de Velde in Uttwil in der Schweiz das ehemalige „Hotel Schloss“, wohin ihm seine Familie im November 1918 nachfolgte. Ihre Zwillinge gingen in die öffentliche Sekundarschule nach Dozwil. Dabei mögen finanzielle Gründe mitgespielt haben. Da van de Velde belgischer Staatsbürger war, wurde sein Guthaben auf deutschen Banken von der jungen Weimarer Republik gesperrt, so dass er sich seiner Existenzgrundlage beraubt sah. Zu den Freunden und Gästen gehörte u. a. René Schickele, der auch nach Uttwil zog. Ein paar Monate lang blühte van de Veldes Traum von der Einheit von Kunst und Leben. Es kamen so viele Literaten, Musiker, Künstler und andere „Geistige“ nach Uttwil wie nie zuvor – und danach nie wieder.[6][7]

Auf van de Veldes Initiative hin und mit seiner finanziellen Unterstützung verbrachte Ernst Ludwig Kirchner ab Mitte September 1917 zehn Monate im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen, ebenfalls im Thurgau. Dort lernte seine älteste Tochter Nele van de Velde im Frühling 1918 Kirchner kennen, befreundete sich mit ihm und wurde seine einzige Schülerin.

1920 bis 1926 entwarf er als Architekt für das Mäzenaten-Ehepaar Kröller-Müller ein Privatmuseum in Otterlo in den Niederlanden, das jedoch erst 1938 als Provisorium fertiggestellt wurde. 1925 erhielt er eine Professur für Architektur an der Universität Gent und wurde ein Jahr später Direktor des neu gegründeten Institut Supérieur des Arts Décoratifs (ISAD) in Brüssel.

Der Neustart in Belgien war nicht einfach. Van de Velde wurde noch Jahre nach dem Ersten Weltkrieg als Germanophiler angegriffen und ihm eine angebliche deutsche Staatsangehörigkeit vorgeworfen. 1936 wurde er emeritiert, beteiligte sich aber noch an zwei Weltausstellungen, der Weltfachausstellung Paris 1937 und der 1939 New York World’s Fair. 1939 wurde van de Velde zum Mitglied der belgischen Königlichen Kommission der Monumente und Landschaften berufen. Wegen seiner Tätigkeit als Conseiller esthétique de la reconstruction, als Berater für Wiederaufbau unter der deutschen Militärverwaltung, wurde der 83-Jährige nach dem Zweiten Weltkrieg in Belgien erneut angefeindet. Er musste sich unter dem Vorwurf der Kollaboration einem entsprechenden Verfahren unterwerfen, das nach kurzer Zeit eingestellt wurde.

Auf Einladung von Maja Sacher siedelte sich van de Velde mit seiner Tochter Nele im Herbst 1947 erneut in der Schweiz an. Die ersten Jahre wohnten sie im Haus der Kinderpsychiaterin Marie Meierhofer „im Holderbach“, Oberägeri. Der Architekt Alfred Roth baute ihnen in der Nähe ein einfaches Bungalow-Holzhaus, das sie 1957 bezogen und in dem sie zeitlebens mietfrei leben konnten.[8]

Kurze Zeit darauf starb Henry van de Velde. Sein Nachlass blieb in Brüssel zurück, wurde aber teilweise von Freunden zum Verfassen seiner „Lebensreise“ ins Exil gebracht. Nele wohnte mit ihrem Foxterrier „Chipa“ bis zu ihrem Tod weiterhin im Haus in Oberägeri.[9][10]

Familie

Die Vorfahren seiner Frau Maria Sèthe waren Schotten. Der Großvater arbeitete als Astronom am Hof eines Prinzen von Hessen. Er wurde zunächst Deutscher, später Holländer. Ihre Mutter stammte aus dem Rheinland und versammelte in ihrem Haus junge Virtuosen und Künstler aus dem Kreis der Künstlervereinigung Les Vingt. Maria wuchs die ersten drei Jahre in Paris auf, bevor die Familie 1870 nach Uccle in Brüssel an den Dieweg zog. Ihr Vater war Industrieller, und eine ihrer Schwestern heiratete Paul Du Bois.

Die Villa Bloemenwerf war Henry van de Veldes erstes Werk
Villa Bloemenwerf

Nach der Hochzeit im Jahre 1894 lebte das Paar im Haus der Eltern von Maria. Im Frühling 1895 verstarb ihr erstes Kind kurz nach der Geburt. Bald danach ließ van de Velde auf einem Grundstück seiner Schwiegermutter seinen Familiensitz bauen. Gemäß seinem eigenen Credo, „daß jeder, der ein Heim nach seinem Geschmack, seinem Willen und seinem Herzen errichten wolle, die Pläne eines solchen Hauses selbst ausführen könne“, entwarf er nicht nur die Pläne des Hauses, sondern auch die gesamte Einrichtung und Ausschmückung mit Ausnahme der Versorgungstechnik und den englischen Messingbetten – die wie die Pläne von Bloemenwerf das Prinzip des „Vernunftgemäßen“ verkörperten. Ihr Haus Bloemenwerf benannten sie nach einem bescheidenen Landhaus, das sie auf ihrer Hochzeitsreise zwischen Utrecht und Amsterdam entdeckt hatten. Im Frühjahr 1896 konnten sie einziehen.

Auch das zweite Kind starb 1896 bald nach der Geburt. Die nachfolgenden Töchter Cornélie Jenny (Nele) (1897–1965), Hélène Johanna Rosina (Puppie, Lene, Helen) (1899–1935) und Anne Sophie Alma (1901–1945) kamen in Bloemenwerf zur Welt. Im Jahr 1904 wurden in Weimar die Zwillinge Thylbert (Thyl) († 1980) und Thylberthe (Thylla) († 1955) geboren.[2] Nele, Helen und Anne besuchten ab 1907 die Freie Schulgemeinde Wickersdorf.

Helen heiratete 1923 den Hamburger Bankier(ssohn) Joachim von Schinckel, mit dem sie auf das Gut Schwechow bei Schwerin zog. Mit Joachim hatte sie zwei Kinder. In Hamburg-Blankenese baute Henry van de Velde für die junge Familie 1928 eine Villa.

Anne Sophie lebte 1919/20 mit ihrem Bruder in einem Internat in St. Gallen, danach mit ihren Eltern in den Niederlanden. Nach Abschluss eines Chemiestudiums heiratete sie im Jahre 1927 den Agraringenieur Joachimus von Houweninge, mit dem sie nach Java zog, wo ihr Mann eine Plantage leitete. Die dreifache Mutter starb 1945 in einem Internierungslager in Surabaya an Unterernährung. Ihre Kinder und ihr Mann überlebten und kehrten nach Europa zurück.

Grab von Henry van de Velde und Maria van de Velde-Sèthe in Tervuren

Thyl verschrieb sich früh der Landwirtschaft und züchtete schon als Junge Kaninchen. Über die Erlöse konnte er frei verfügen, stiftete aber die „Karnickelkasse“ der notleidenden Familie im Ersten Weltkrieg. 1929 heiratete er Leentje, die Tochter des flämischen Schriftstellers Herman Teirlinck. In zweiter Ehe heiratete Thyl Rachel van de Berghe. Nach dem Tod des Vaters wurden von ihm und Nele die Memoiren unter Mitwirkung des Kunsthistorikers Hans Curjel aufgearbeitet. Bis zu seinem Tod im Jahr 1980 betreute er den künstlerischen Nachlass des Vaters.

Thylla ging mit 26 Jahren an die von ihrem Vater neu gegründete Designhochschule La Cambre in Brüssel und heiratete im selben Jahr, zwei Wochen nach der Eheschließung ihres Zwillingsbruders, Pierre Janlet, einen Kunstliebhaber und späteren Museumsdirektor. 1941 heiratete Thylla erneut, diesmal den jüngsten Sohn der Familie von Anton und Helene Kröller-Müller, Bob Kröller. Die Familie Kröller-Müller war seit den 1920er Jahren ein wichtiger Auftraggeber von van de Velde.

Maria van de Velde verstarb 1943 an den Folgen einer Krebserkrankung. Henry van de Velde starb 1957 in Zürich und fand in der von ihm gestalteten Grabstätte auf dem Gemeindefriedhof von Tervuren neben seiner Frau seine letzte Ruhestätte.[11]

Ehrungen

Ausstellungen

Galerie einer Auswahl seiner Werke

Bauten (Auswahl)

„Bücherturm“ der Universität Gent (rechts im Bild)
Gut Nettehammer, Luftaufnahme (2016)
Villa Esche in Chemnitz

Varia

Schriften (Auswahl)

  • Die drei Sünden wider die Schönheit. (übersetzt von Ferdinand Hardekopf; hrsg. von René Schickele) (= Europäische Bibliothek, Band 5.) Max Rascher Verlag, Zürich 1918.
  • Zum neuen Stil. (aus seinen Schriften ausgewählt und eingeleitet von Hans Curjel) Piper, München 1955.
  • Geschichte meines Lebens. (hrsg. und aus dem Manuskript übertragen von Hans Curjel) Piper, München 1962. (Volltext auf DBNL; PDF; 12,7 MB)

Literatur (Auswahl)

  • Birgit Schulte (Hrsg.): „… für den neuen Stil kämpfen …“ Henry van de Veldes Beitrag zum Start in die Moderne vor 100 Jahren. Neuer Folkwang Verlag im Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen 2003, ISBN 3-926242-53-1.
  • Birgit Schulte (Hrsg.): Henry van de Velde in Hagen. Neuer Folkwang Verlag im Karl Ernst Osthaus-Museum, Hagen 1992, ISBN 3-926242-11-6.
  • Thomas Föhl: Henry van de Velde. Architekt und Designer des Jugendstils. Weimarer Verlagsgesellschaft, Weimar 2010, ISBN 978-3-939964-02-5.
  • Thomas Föhl, Antje Neumann: Henry van de Velde. Raumkunst und Kunsthandwerk. Ein Werkverzeichnis in sechs Bänden. Band 1: Metallkunst. Henschel, Leipzig 2009, ISBN 978-3-86502-221-9.
  • Thomas Föhl, Antje Neumann: Henry van de Velde. Raumkunst und Kunsthandwerk. Ein Werkverzeichnis in sechs Bänden. Band 2: Textilien. Henschel, Leipzig 2014, ISBN 978-3-86502-230-1.
  • Thomas Föhl, Antje Neumann: Henry van de Velde. Raumkunst und Kunsthandwerk. Ein Werkverzeichnis in sechs Bänden. Band 3: Keramik. Henschel, Leipzig 2016, ISBN 978-3-86502-231-8.
  • Thomas Föhl, Sabine Walter (Hrsg.): Leidenschaft, Funktion und Schönheit. Henry van de Velde und sein Beitrag zur europäischen Moderne. (Ausstellungskatalog) Klassik-Stiftung Weimar, Weimarer Verlagsgesellschaft, Weimar 2013, ISBN 978-3-86539-685-3.
  • Albert Vigoleis Thelen: Eine Begegnung mit Henry van de Velde, geschrieben in Amsterdam zum 90. Geburtstag des Baumeisters. In: Muschelhaufen, Jahresschrift für Literatur und Grafik, Jahrgang 2000, Nr. 39/40, ISSN 0085-3593.
  • Katharina Metz, Priska Schmückle von Minckwitz, Tilo Richter: Henry van de Veldes Villa Esche in Chemnitz. Ein Gesamtkunstwerk zwischen Jugendstil und Sachlichkeit. Birkhäuser, Basel / Boston / Berlin 2003, ISBN 3-7643-6991-4.
  • Nicolaus Schubert: Uttwil, das Dorf der Dichter und Maler. Sechs Lebensbilder. Ges. Frohsinn, Uttwil 1986 (2. Auflage 1991), S. 13–29. (mit Abbildungen, betrifft vor allem seinen Schweizer Aufenthalt in Uttwil am Bodensee)
  • Christina Threuter: Stoffwechsel. Moderne Architektur als Bild. In: From Outer Space, Moderne Architekturtheorie außerhalb der Disziplin, 10. Jahrgang, Heft 2, September 2006. (zu van de Veldes Theorie und Praxis hinsichtlich weiblicher Reformkleidung)
  • Katharina Hohmann, Heike Hanada (Hrsg.): Hotel van de Velde. Max Stein Verlag, Weimar 2007, ISBN 978-3-939615-02-6.
  • A. M. Hammacher: Die Welt Henry van de Veldes. Mercator, Antwerpen / DuMont Schauberg, Köln 1967.
  • Beate Dry-von Zezschwitz: Henry van de Velde. Möbel, Gemälde, Graphik, Objekte, Dokumente. Haus Esche, Chemnitz und aus verschiedenem Privatbesitz. (Auktionskatalog) Auktionshaus Ketterer, München 1990.
  • Antje Neumann, Brigitte Reuter: Henry van de Velde in Polen. Die Innenarchitektur im Sanatorium Trebschen / Trzebiechów. Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam 2007, ISBN 978-3-936168-26-6.
  • Rouven Lotz: Der Hagener Hohenhof. Das Landhaus für Karl Ernst Osthaus von Henry van de Velde. ardenkuverlag, Hagen 2009, ISBN 978-3-932070-89-1.
  • Ursula Muscheler: Möbel, Kunst und feine Nerven. Henry van de Velde und der Kultus der Schönheit. Berenberg Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-937834-50-4.
  • Carsten Ruhl, Rixt Hoekstra, Chris Dähne (Hrsg.): The Death and Life of the Total Work of Art. Henry van de Velde and the Legacy of a Modern Concept. Jovis Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-86859-261-0.
  • Thomas FöhlVelde, Henry van de. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 26, Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-11207-4, S. 740–742 (Digitalisat).
Commons: Henry Van de Velde – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Henry Van de Velde: Anmerkungen, Geschichte meines Lebens. In: dbnl.org. 1962, abgerufen am 2. Juni 2023.
  2. a b c d e Antje Neumann-Golle: Velde, Henry van de. In: AKL Online. 2021, abgerufen am 2. Juni 2023.
  3. Velde, Henri Clemens van de. In: Harald Olbrich (Hrsg.): Lexikon der Kunst. Architektur, Bildende Kunst, Angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie. Band VII: Stae–Z. E. A. Seemann Verlag, Leipzig 2004, ISBN 3-86502-084-4, S. 576 f.
  4. Der richtige Schmuck für die schwungvolle Taille. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 28. Dezember 2013, S. 36.
  5. Van de Velde, H., Professor, Architekt, Weimar, Lassenstr. 29. In: DKB-Mitgliederverzeichnis im Katalog 3. Deutsche Künstlerbund-Ausstellung. Weimar 1906, S. 58, abgerufen am 23. Mai 2016.
  6. Urs Oskar Keller: Ein Weltmann in der Provinz. In: St. Galler Tagblatt. 14. Oktober 2013, abgerufen am 21. März 2020.
  7. Ein Ort der Künste. Website der Gemeinde Uttwil, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 12. Oktober 2018; abgerufen am 21. März 2020.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uttwil.ch
  8. Christoph Affentranger: Zwei Häuser – drei Persönlichkeiten. doi:10.5169/seals-526563#90 In: Tugium: Jahrbuch des Staatsarchivs des Kantons Zug, Bd. 13, 1997, S. 75–95, abgerufen am 25. Januar 2021.
  9. Alfred Roth: Henry Van de Velde zum 90. Geburtstag. doi:10.5169/seals-31012#328. In: Architektur und Kunst. Bd. 40, Heft 4, 1953, S. 47–48.
  10. Van de Velde, Bungalow im Holderbach. Website der Einwohnergemeinde Oberägeri, abgerufen am 16. April 2020.
  11. Henry Clement van de Velde. In: knerger.de. Abgerufen am 2. Juni 2023.
  12. Thomas Föhl, Sabine Walter (Hrsg.): Leidenschaft, Funktion und Schönheit – Henry van de Velde und sein Beitrag zur Europäischen Moderne. Weimar 2013 (Katalog).
  13. Ausstellung "Der Architekt Henry van de Velde". Bauhaus-Universität Weimar, abgerufen am 2. Juni 2023.
  14. Henry van de Velde – Interieurs (Memento vom 30. September 2016 im Internet Archive). Museum Bellerive, abgerufen am 30. September 2016.
  15. Villa Leuring | Den Haag, Scheveningen, Wagenaarweg 30 | Henry van de Velde. In: Bildindex der Kunst & Architektur. Abgerufen am 2. Juni 2023.
  16. Die Inneneinrichtung stellte nach seinen Entwürfen Hermann Scheidemantel her.
  17. Dokumentation zur Wohnung Mutzenbecher, Hamburg 1919 – Henry van de Velde, Weimar und Max Heiderich, Paderborn. In: quittenbaum.de. Abgerufen am 2. Juni 2023 (deutsch).
  18. Henry van de Velde. (Archivlink), Uhrenwerk Weimar, abgerufen am 2. Juni 2023.