Wolfgang Kohlhaase (* 13. März1931 in Berlin; † 5. Oktober2022 ebenda) war ein deutscher Drehbuchautor, Regisseur und Schriftsteller. Er gilt als „einer der wichtigsten Drehbuchautoren der deutschen Filmgeschichte“.[1] Seinen „vielfältigen Sprachwitz“ und seine „genaue Beobachtungsgabe einzelner Milieus“ setzen Regisseure und Filmkenner mit dem Können von Erich Kästner und Billy Wilder gleich.[2]
Wolfgang Kohlhaase war ein Sohn des Maschinenschlossers Karl Kohlhaase und dessen Frau Charlotte.[3] Er wuchs in Berlin-Adlershof auf und besuchte die Volks- und Mittelschule. Schon während der Schulzeit begann er zu schreiben und wurde 1947 Volontär und Redakteur bei der Jugendzeitschrift Start. Er schrieb Kurzgeschichten und Porträts. Ein Exemplar von Start mit einem Artikel von Kohlhaase erreichte auch das sowjetische Kriegsgefangenenlager, in dem sich 1947 Kohlhaase senior befand. Sein Vater stieg damit bei der Gefängnisleitung im Ansehen; er erhielt sowohl mehr Essen als auch leichtere Arbeit und konnte so das Lager überleben.[4] Der Sohn wurde später Mitarbeiter der FDJ-Zeitung Junge Welt. Von 1950 bis 1952 arbeitete er als Dramaturgie-Assistent bei der DEFA in Potsdam-Babelsberg. Ab 1952 war Kohlhaase freischaffender Drehbuchautor und Schriftsteller. Seine erste Nennung als Drehbuchautor erhielt er 1953 in dem Kinderfilm Die Störenfriede.
Seine ersten Filme, die er vor allem mit seinem Freund Gerhard Klein umsetzte, orientierten sich am Stil des italienischen Neorealismus.[5] Dem Sozialdrama Berlin – Ecke Schönhauser… (1956/57) mit Ekkehard Schall als einem rebellischen und Orientierung suchenden Hauptdarsteller wurde von offizieller Seite allerdings eine „zu große Konzession“ an den Neorealismus und eine zu negative Sichtweise vorgeworfen.[6] 1965 wurde ihr Filmprojekt Berlin um die Ecke nach den Beschlüssen des XI. Plenums des ZK der SED vorzeitig beendet und verboten. In diesem Spielfilm war der Hauptspielort die Fabrik, wo Kohlhaases Vater als Reparaturschlosser gearbeitet hatte (1987 konnte der Film fertiggestellt werden). Danach zog er sich vorläufig vom Drehbuchschreiben zurück und verlegte sich auf schriftstellerische Arbeit.[7] Ab Ende der 1960er Jahre arbeitete er mit dem Regisseur Konrad Wolf zusammen. Aus ihrer gemeinsamen Arbeit gingen mehrere international prämierte Spielfilme hervor, darunter Ich war neunzehn (1968) und Solo Sunny (1980).
Über die Filmarbeit in der DDR sagte er: „Die DDR hatte immer ein Defizit an öffentlichem Gespräch, sie hat sich die Auseinandersetzung mit ihren nicht gelösten Lebensproblemen nicht recht zugetraut, (...). Nichts anderes wollten wir damals machen, als Fragen in die Öffentlichkeit bringen, verdeckte Zustände im Bewußtsein haben, Probleme vergesellschaften. Genau danach wurde gerufen, nach Nachrichten aus der Welt. Aber wenn sie dann da waren, waren sie nicht sehr beliebt.“[8]
Nach 1990 blieb Kohlhaase im Filmgeschäft; unter anderem zeichnete er mit Volker Schlöndorff „das heikle Kapitel des Exils von RAF-Mitgliedern in der DDR auf eine sensible Weise nach“[9] (Die Stille nach dem Schuss, 2000). Nach der Jahrtausendwende arbeitete er dreimal mit dem Regisseur Andreas Dresen zusammen: Sommer vorm Balkon (2005), Whisky mit Wodka (2009), Als wir träumten (2015). An Dresen schätze er besonders seine „freundliche“, „beinahe zärtliche“ Sicht- und Umgangsweise mit den Schauspielern und ihren dargestellten Figuren.[10] Dresen wiederum bestätigte, dass Kohlhaase und er dieselbe „Sicht auf Welt und Menschen“ teilen.[11] Kohlhaases Kunst habe immer etwas mit Partnerschaft und Freundschaft zu tun.[11]
Seine Drehbücher handeln von Geschichten aus dem Alltag und zeigen sein Interesse an einer differenzierten, realistischen Darstellung der Protagonisten und ihrer jeweiligen Lebensumstände.[12] Am Stil seiner Drehbuchdialoge wird „ein knapper, lakonischer Ton“ geschätzt, ein „Dialogwitz“, der „lebensklug“ und „melancholisch, manchmal sogar bitter“ wirke.[1] Anlässlich der Verleihung des Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk auf der Berlinale 2010 lobte die Jury Kohlhaases „Gespür für Authentizität in seinen Figuren wie in seinen Geschichten, seine lakonische, sehr ökonomische Sprache und seine feine Ironie.“[13]
An verschiedenen Hochschulen gab er Kurse über das Schreiben von Drehbüchern.[14]
Am 8. April 2011 erhielt er von der Deutschen Filmakademie die Lola für sein Lebenswerk. In seiner Dankesrede sagte er: „Ich bin nicht nur erfreut, sondern auch ermutigt. Und das braucht man in jedem Alter.“[15]
Erfindung einer Sprache und andere Erzählungen. Mit einem Nachwort von Andreas Dresen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2021, ISBN 978-3-8031-3335-9.
Um die Ecke in die Welt. Über Filme und Freunde. Hrsg. von Günter Agde, erweiterte Nachauflage. Verlag Neues Leben, Berlin 2021, ISBN 978-3-355-01903-3.
Hörspiele
Fisch zu viert – ein Moritatenbericht über eine höchst beklagenswerte Affäre im Jahre 1838 sowie im Märkischen bei Neuruppin, zusammen mit Rita Zimmer, Regie: Günther Rücker, Musik: Reiner Bredemeyer, Dramaturgie: Wolfgang Beck, mit I. Keller, M. Traute, E. Grube-Deister und F. Düren, Ursendung: 25. August 1968, Berliner Welle / Rundfunk der DDR.
Fragen an ein Foto, Regie: Hellmuth Hellstorff, Dramaturgie: Wolfgang Beck mit K. Böwe, G. Naumann, G. Andreae u. R. Quednor, Ursendung: 14. September 1969, Radio DDR I.
Fisch zu viert, zusammen mit Rita Zimmer, Regie: Gert Westphal, mit A. Seeck, E. Wiedemann, G. Zoch und R. Lauffen, Erstsendung: 5. Oktober 1970, Hessischer Rundfunk.
Fisch zu viert, zusammen mit Rita Zimmer, Regie: Robert Bichler, Musik: Emil Moser, mit R. Schäfer, L. Westphal, A.-M. Blanc, K. Schwarzkopf, DRS 1971.
Ein Trompeter kommt, Regie: Fritz-Ernst Fechner, Musik: Rolf Kuhl, Dramaturgie: Wolfgang Beck, mit E. S. Klein, H. Drinda, M. Wünscher, R. Glöss, F. Düren, G. Thies und E. Kahler, Ursendung: 14. Oktober 1970; Radio DDR I.
Fisch zu viert, zusammen mit Rita Zimmer, Regie: Klaus Gmeiner, mit H. Mikulicz, S. Sutter, G. Zoch, M. Heltau und J. Frank, ORF/SFB 1972.
Ein Trompeter kommt, Regie: Otto Düben, Musik: Peter Zwetkoff, mit E. Jacobi, P. Striebeck, H. Anders, U. Herwig, H. Korte, K. M. Vogler, Erstsendung: 2. Juli 1973, Hessischer Rundfunk.
Die Grünstein-Variante – Eine Geschichte in Erinnerung an Geschichten, die Ludwig Turek erzählt hat, Regie: Günther Rücker und Barbara Plensat, Musik: Tilo Medek, Dramaturgie: Wolfgang Beck, mit K. Böwe (Grünstein), R. Ludwig (Lodek), H. Hiemer (Grieche), W. Dissel (Gefängnisdirektor), H. Gärtner (Student), P. Poschniezew (Wärter), Ursendung: 25. Dezember 1976, Stimme der DDR.
Die Grünstein-Variante – Eine Geschichte in Erinnerung an Geschichten, die Ludwig Turek erzählt hat, Regie: Günther Rücker und Barbara Plensat, Musik: Wolfgang Bayer, Dramaturgie: Wolfgang Beck, mit K. Böwe (Lodek), W. Greese (Grünstein), H. Hiemer (der Grieche), H. Hauser (Gefängnisdirektor) und R. Christoph (Wärter), Erstsendung: 8. Mai 1977, Radio DDR I.[21] auch auf Schallplatte Litera 865 432, auf Magnetkassette in Cotta’s Hörbühne, Klett-Verlag, Stuttgart 1988 sowie als Hörbuch bei Der Audio Verlag 2002, ISBN 978-3-89813-176-6.
Fisch zu viert zusammen mit Rita Zimmer – Kunstkopfversion – Regie: Horst Liepach, Musik: Reiner Bredemeyer, Dramaturgie: Wolfgang Beck mit L. Tempelhoff, H. Kipp, M. Bendokat und J. Holtz, Erstsendung: 21. August 1981, Berliner Rundfunk.
Fisch zu viert, zusammen mit Rita Zimmer, Regie: Horst Sachtleben, Musik: Ernst August Quelle, mit Edda Seippel, L. Im, E. Endriss, H. Korte und E. Hallhuber, Erstsendung: 8. Dezember 1986, BR.
Erfindung einer Sprache, Bearbeitung und Regie: Barbara Meerkötter, Musik: Martin Daske, mit S. Icks, B. Zamani, R. Dittrich, L. Liebold, Erstsendung: 29. April 2008, SWR2.
Wolfgang Kohlhaase – Drehbuchautor. Gespräch, Deutschland, 2015, 30:15 Min., Moderation: Jörg Thadeusz, Regie: Thomas Neuner, Produktion: Räuberleiter GmbH, rbb, Reihe: Thadeusz, Erstsendung: 3. Februar 2015 bei rbb, Inhaltsangabe von rbb, (Memento vom 8. Februar 2015 im Webarchiv archive.today).
Leben in Geschichten – Wolfgang Kohlhaase. Fernseh-Dokumentation, Deutschland, 2006, 45 Min., Buch und Regie: Lutz Pehnert, Produktion: cine film, arte / rbb, Erstausstrahlung: 18. August 2007 in arte, Inhaltsangabe von arte, (Memento vom 21. Juli 2012 im Webarchiv archive.today).
Eine gewisse Freiheit. Wolfgang Kohlhaase – Drehbuchautor. Dokumentarfilm, Deutschland, 1989, 40 Min., Buch und Regie: Dorothea Neukirchen, Produktion: WDR, Film-Daten von ARD.
Jochen Brunow: Schreiben in zwei Systemen. Ein Werkstattgespräch mit dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. In: ders. (Hrsg.), Scenario 1. Drehbuch-Almanach, Bertz + Fischer, Berlin 2007, ISBN 978-3-86505-175-2, S. 12–47.
Andreas Dresen: Liebe, Tod und Wetter. Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase erhält einen Ehrenbären für sein Lebenswerk. Eine Hommage, in: Die Zeit Nr. 7, 11. Februar 2010, S. 42.
Caroline Moine: Der Geschichtenerzähler. Facetten der DEFA-Filme von Wolfgang Kohlhaase. In: apropos: Film 2005 – Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2005, S. 42–59, ISBN 3-86505-165-0.
Laila Stieler: Wolfgang Kohlhaase – Momente: Zufriedene Füße. In: Leuchtkraft – Journal der DEFA-Stiftung, Onlineveröffentlichung 2024, abrufbar als PDF (S. 84–88) von DEFA-Stiftung, zuletzt abgerufen am 11. Dezember 2024.
Wolfgang Trampe: Gespräch mit Wolfgang Kohlhaase: „Die sinnliche Erfindung des filmischen Augenblicks.“ In: Wolfgang Trampe: Erzählen für den Film. Schriftenreihe der DEFA-Stiftung. Berlin: 2004, ISBN 3-00-013941-9, S. 11–51.
Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 4: H – L. Botho Höfer – Richard Lester. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 434.
↑Torsten Hilscher: Begnadeter Mann des Worts: Wolfgang Kohlhaase. Zum 80. Geburtstag. In: Potsdamer Neueste Nachrichten, 12. März 2011: „Nach Ansicht von Cineasten, Filmwissenschaftlern und Regisseuren verfügten in der deutschen Filmgeschichte nur noch zwei Drehbuchautoren über einen solch vielfältigen Sprachwitz und eine so genaue Beobachtungsgabe einzelner Milieus: Billie (Billy) Wilder (1906–2002), der das Land 1933 verlassen musste, und Erich Kästner (1899–1974).“
↑Wolfgang Kohlhaase am 1. Juli 1994 über seine Hörspielarbeit und den Dramaturgen Wolfgang Beck, Sendung: 19. Juli 1994 auf MDR Kultur.
↑Wolfgang Kohlhaase, Nachrichten aus der Welt. Das Kino in der DDR. In: Sinn und Form 5/2020, S. 711–714. (Schriftliche Fassung der Eröffnungsrede zur Ausstellung Erzähl mir, Augenblick - Schauspielerporträts von Michael Weidt und Filmplakate aus der DDR am 13. Februar 2020 im Willy-Brandt-Haus in Berlin.)
↑Trauerrede bei der Beerdigung am 29. Oktober 2022: Andreas Dresen, Wo kein Geheimnis ist, gibt es keine Wahrheit. In: Sinn und Form 1/2023, S. 137–140.
↑nach seinem Hörspiel Fragen an ein Foto, Rundfunk der DDR 1969, Abdruck in: Neue Deutsche Literatur, 1970, Nr. 1.