Die Gemeinde mit ihren einzelnen Orten liegt am Fuß der Rax auf 484 bis 680 m Seehöhe. Die Flüsse durch das Gemeindegebiet sind die Schwarza, der Preinbach und der Grünstingbach.
Der Ort Reichenau liegt etwa zwei Kilometer abseits der Südbahn. Es gibt einen gemeinsamen Bahnhof mit Payerbach, von dem werktags halbstündlich Züge nach Wien verkehren (Fahrzeit etwa 70 min). Der Name der Station ist Payerbach-Reichenau.
Gemeindegliederung
Das Gemeindegebiet umfasst 15 Ortschaften (in Klammern Einwohnerzahl Stand 1. Jänner 2024[2]):
Von Hirschwang auf das Plateau führt die Raxseilbahn, die 2160 m lang ist und einen Höhenunterschied von 1017 m überwindet. Die 1925 errichtete Raxseilbahn ist die erste Personen-Seilschwebebahn in den heutigen Grenzen Österreichs.
Klima
Monatliche Durchschnittstemperaturen und -niederschläge für Reichenau an der Rax
Der Aufschwung des Alpinismus spiegelte sich in der Erschließung des nahe gelegenen Raxmassives. Kaiser Franz Joseph I. und seine Frau verbrachten hier einige Sommer mit ihrer Familie. Kronprinz Rudolf gab der gleichnamigen Kaltwasserheilanstalt und der Rudolfsvilla ihre Namen.
Am 26. Juli 1944 wurde über dem Ortsteil Prein an der Rax eine amerikanische Boeing B-17 der USAAF, 301st Bombardment Group, abgeschossen. Das Flugzeug explodierte noch in der Luft, wobei drei von zehn Besatzungsmitgliedern ums Leben kamen.[5]
Im April 1945 war das Umland von Reichenau Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen der späteren deutschen 9. Gebirgs-Division (Ost) und der Roten Armee, welche über den Semmering-Pass in die Steiermark vorzudringen versuchte.
Seit 1988 geben die Festspiele Reichenau dem Kurort neue kulturelle und touristische Impulse.
Wirtschaftsgeschichte
Reichenau liegt an der Grauwackenzone. Bereits etwa 1000 v. Chr. wurde in der Gegend Erz abgebaut. Im Gemeindegebiet bestehen Reste mehrerer kleiner Bergwerke, in denen vom 16. bis ins 19. Jahrhundert Eisenerz, Kupfer und andere Erze gefördert wurden.[6]
Nach urzeitlichem Kupferbergbau und frühmittelalterlicher Eisenerzgewinnung wurde in Hirschwang 1750 das erste Hammerwerk errichtet.
Ende des 18. Jahrhunderts gab es einen allgemeinen Brennholzmangel. Holz wurde im Raxgebiet gefällt und über die Schwarza oder Holzrutschen, von denen es eine heute noch zu besichtigen gibt, abtransportiert. 1783 erfolgte durch den „Raxkönig“ Georg Hubmer die erste Holztrift auf der Schwarza nach Hirschwang.[7]
1842 fand die Eröffnung der Südbahnstrecke statt, Reichenau wurde damit ein Reiseziel.
Bereits 1845 wurde in Hirschwang eine Gussstahlhütte errichtet, ab 1888 wird diese jedoch seitens des Betreibers, der Wiener Fa. Schoeller abgesiedelt. Das Hirschwanger Werk wird 1893 zu einer Kartonfabrik, die sich zu einer bedeutenden Kartonfabrik in der Monarchie entwickelt. 1920 wird die Fabrik verkauft,[7] ab 1974[8] gehört sie zu Mayr-Melnhof Karton (MMK; Hauptstandort: Frohnleiten). MMK kündigte am 8. September 2020 an, die Kartonproduktion (etwa 150 Mitarbeiter) im 4. Quartal 2020 zu schließen, die Faltschachtelherstellung im selben Werk jedoch weiterzuführen.[9]
1918 ließ die damals noch der Familie Schoeller gehörende Kartonfabrik eine schmalspurige elektrische Anschlussbahn errichten, die Höllentalbahn (offiziell Lokalbahn Payerbach-Hirschwang). 1926 wird der Personenverkehr mit Anschluss zur Raxseilbahn aufgenommen. Das Akkumulatorenwerk der AFA in Hirschwang, in dem „Tudor- & Edison-Akkumulatoren“ erzeugt wurden, wurde 1924 nach Liesing in den Süden Wiens verlegt.[10] Ein Teil der ehemaligen Fabrik dient als Wagenhalle der heutigen Höllentalbahn-Museumsbahn.
Waldbrand Hirschwang Höllental 2021
Ein am 25. Oktober 2021 ausgebrochener Waldbrand weitete sich innerhalb weniger Stunden auf eine Fläche von 115 Hektar aus; einsatztechnisch war es der größte in Österreich.[11][12] Nach 13 Einsatztagen konnte vorläufig „Brand aus“ gegeben worden.[13][14] Es waren fast 9.000 Helfer, darunter mehr als 7.750 Feuerwehrleute mit 1.355 Fahrzeugen und 16 Fluggeräten aus dem In- und Ausland im Einsatz.[15][16][17][18][19] Im Dezember 2021 wird mit dem Schneiden von angebrannten Stämmen um der Asche Halt zu geben, Anpflanzungen und der Schneesaat von Birke mit der Wiederaufforstung begonnen. Der Brand war gefährlich nahe zum Quellgebiet der Wiener Wasserversorgung. Der Wald ist im Besitz der Stadt Wien.[20]
Mit Stand 9. Februar 2022 ermittelt die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt weiterhin wegen des Verdachts der fahrlässigen Herbeiführung einer Feuersbrunst. Nur wenn ein Vorsatzdelikt (z. B. Brandstiftung) vermutet würde, wäre die Auswertung von Handyortungsdaten rechtens. Unmut darüber äußerte die Bezirkshauptfrau von Neunkirchen, Alexandra Grabner-Fritz, die in Abstimmung mit Einsatzorganisationen und Grundeignern an einem Konzept der Brandfrüherkennung und -vermeidung arbeitet. Ebenso äußerte sich der für Katastrophenschutz zuständige Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) bereits kurz nach dem Brand.[21]
Bevölkerungsentwicklung
Mit 7. Februar 2017 hatte die Marktgemeinde Reichenau an der Rax 2.567 Einwohner mit Hauptwohnsitz und weitere 1.700 mit Nebenwohnsitz.[22]
Religion
Nach den Daten der Volkszählung 2001 waren 72,5 % der Einwohner römisch-katholisch, 8,8 % evangelisch, 5,8 % Muslime, 1,0 % gehörten orthodoxen Kirchen an, 10,3 % der Bevölkerung hatten kein religiöses Bekenntnis. Die römisch-katholischen Pfarren Reichenau, Payerbach, Hirschwang, Edlach und Prein sind im Pfarrverband Raxgebiet zusammengeschlossen. Zu den katholischen Kirchengebäuden zählt die Pfarrkirche Edlach an der Rax.
Beim Hotel Knappenhof wurde eine neue Kapelle gebaut, die seit 13. März 2024 auf das Patrozinium „Hl. Hildegard von Bingen“ geweiht ist und auch einen Taufbrunnen hat.[23][24] Diese Kapelle liegt im Pfarrgebiet der Pfarre Edlach an der Rax, nicht im Pfarrgebiet der Pfarre Reichenau an der Rax.[25]
Nepomukkapelle: Die barocke Kapelle des Brückenheiligen Johannes von Nepomuk, deren Gitter eine besonders schöne Schmiedearbeit darstellt, stammt aus der Zeit vor 1734, denn in diesem Jahr wird sie bereits in einem Grundbuch der Herrschaft Reichenau erwähnt.[26] Die wahrscheinlich in Birnenholz geschnitzte Figur des Heiligen Nepomuk stammt von einem nicht bekannten Künstler. Sie wurde zuletzt im Frühling 2011 von dem in Reichenau wohnhaften Kunstmaler Mino Sudik restauriert.
Das revitalisierte Schloss Reichenau beheimatet alljährlich immer wieder interessante Ausstellungen zu den verschiedensten Themen:
2006 zeigte die Gemeinde Reichenau aus Anlass des 150. Geburtstags von Sigmund Freud die Ausstellung „TraumGESICHTE – Freud – Kubin – Schnitzler“. Diese Schau bot eine interessante Auseinandersetzung mit dem Thema Traum in Wissenschaft, bildender wie darstellender Kunst.[29]
2007 fand die Ausstellung „150 Jahre Südbahn – Wien–Triest – Mit Volldampf in den Süden“ statt.[30]
2008 lautete der Schwerpunkt „Jagen und Sammeln“.[31]
2009 bestand die Schau „A/D RAX“ aus den Sonderausstellungen „Künstler“ sowie „Alpin“.
2010 werden zwei Sonderausstellungen präsentiert: „200 Jahre Malerei von Brauer bis Defregger“ sowie „Seelenblicke: Erik Srodiks Reichenau am Meer“.
Rudolfsvilla
Die ehemalige „Kaiservilla“ befindet sich in der Thalhofstrasse oberhalb des Ortes und wurde 1857 von Ringstrassenarchitekten Anton Hefft als Sommersitz für Kaiser Franz Josef und seine Familie erbaut. Sie nutzten das Gebäude bis 1865 als Sommerdomizil. Zeitweise praktizierte hier der Kurarzt der benachbarten kaiserlichen Kaltwasserheilanstalt Rudolfsbad. Nach dem Tod von Kronprinz Rudolf im Jahre 1889 wurde das Anwesen in „Rudolfsvilla“ umbenannt. Den Zweiten Weltkrieg überdauerte diese Villa und ihre Einrichtungen fast unbeschadet. Heute ist das „Sissi-Schloss“ in Privatbesitz.
Veranstaltungen
Die Festspiele Reichenau sind der kulturelle Höhepunkt des Sommers in Reichenau. Gegründet 1988 von Peter und Renate Loidolt haben sie sich im Verlauf der Jahre zu überregionaler Bedeutung und einer der führenden Adressen im österreichischen Festspielkalender entwickelt. Sie finden zwischen Anfang Juli und Anfang August jeden Jahres statt. Bei täglichem Spielbetrieb werden rund 120 Vorstellungen gezeigt. Rund 41.000 Besucher aus dem In- und Ausland reisen jährlich zu diesen begehrten Aufführungen an.
Der Literaturwettbewerb Wartholz besteht seit dem Jahr 2008. Jedes Jahr wird der international ausgeschriebene Wettbewerb im Februar abgehalten. Auch die Villa Wartholz wird, jährlich im August für „Artist in residence“ geöffnet. Der LiteraturSalon knüpft an das künstlerische Leben historischer Zeiten an und bietet das ganze Jahr über Veranstaltungen.
Im Rahmen des europäischen Wettbewerbes Entente Florale Europe wurde Reichenau 2010 mit einer Silbermedaille in der Kategorie Dorf ausgezeichnet.
Wirtschaft und Infrastruktur
Reichenau ist heute ein beliebter Luftkur- und Fremdenverkehrsort mit etwa 130.000 Übernachtungen pro Jahr.
Die Stadt Wien betrieb bis Ende 2016 in Hirschwang ein eigenes Sägewerk.
Freizeit
Reichenau ist Ausgangspunkt vieler Wanderwege und Klettersteige auf die Rax, den Gahns und den Kreuzberg. Von 2008 bis 2018 war Reichenau eines von zwei Bergsteigerdörfern in Niederösterreich.[32][33]
2018: Johann Ledolter (* 1950), Politiker der ÖVP, Bürgermeister von Reichenau an der Rax 1995–2017, Mitglied des Bundesrates 1999–2003, Abgeordneter zum Nationalrat 2003–2006[43]
Erwin Pröll (* 1946), Landeshauptmann von Niederösterreich 1992–2017
Söhne und Töchter der Gemeinde
Leopold († 1347), Zisterzienser und Abt des Stiftes Heiligenkreuz
Hans Lanner (1873–1964), Zitherspieler, Lehrer und Komponist
Guido von Sommaruga (1842–1895), Dr. jur., Ehrenhauptmann der FF Reichenau, Mitglied des NÖ Landtags, Mitgründer des Ausschusses des Österr. Alpenvereins, Abgeordneter zum NÖ Landtag
Franz von Stejskal (1829–1898), Polizeipräsident in Wien 1892–1897, verstorben in Reichenau
Ernst Strachwitz (1919–1998), Politiker (ÖVP, VdU), Abgeordneter zum Nationalrat 1949–1953, Publizist, lebte von 1962 bis zu seinem Tod in Prein
Heinrich Teweles (1856–1927), Bühnendichter, Sachbuchautor, Essayist, Theaterkritiker, Theaterleiter und Chefredakteur, verstorben in Reichenau
Literatur
Franz Haas: Reichenau und seine malerische Umgebung. Ein Wegweiser für Kurgäste und Naturfreunde. 4., bedeutend vermehrte Auflage. Verlag der Kurkommission, Reichenau 1905, OBV.
Johann Robert Pap: Heimatbuch der Gemeinde Reichenau. Marktgemeinde Kurort Reichenau, Reichenau 1958, OBV.
Johann Robert Pap: 150 Jahre Fremdenverkehr, 50 Jahre Kurort. Kurkommission der Marktgemeinde Kurort Reichenau, Reichenau an der Rax 1979, OBV.
Robert Pap, Eva Pusch: Reichenau an der Rax. Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten/Wien 1988, ISBN 3-85326-846-3.
Claudia Girardi: Pegasus auf Berg- und Talfahrt. Dichter und Dichtung zwischen Rax und Semmering. Mit Beiträgen von Andrea Traxler und Irmtraud Fidler. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 1997, ISBN 3-205-98738-1.
Georg Dolezal: Die Gemeinde Reichenau zur Kriegs- und Besatzungszeit. Der zweite Weltkrieg und seine Folgen am Beispiel einer Marktgemeinde im südlichen Niederösterreich. Diplomarbeit. Universität Wien, Wien 2002, OBV.
Norbert Toplitsch: Habsburger in Reichenau, der Marktgemeinde Kurort Reichenau im Jahr der Niederösterreichischen Landesausstellung 2003 gewidmet. Edition Terra Nova, Ternitz-Pottschach 2003, OBV
Robert Pap: Reichenauer Spaziergänge. Kulturwanderwege in Reichenau, Edlach, Prein, Hirschwang. Neuausgabe (der Erstauflage 1998). Kral, Berndorf, ISBN 978-3-99024-153-0.
Roland Kals, Regina Stampfl, Peter Haßlacher: Reichenau an der Rax – Wo Künstler und Therapeuten in die Berge gehen. Österreichischer Alpenverein, Innsbruck 2013 (austria-forum.org).
↑Michael Hackenberg: „Bergbau im Semmeringgebiet.“ In: „Archiv für Lagerstättenforschung der Geologischen Bundesanstalt.“ Band 24/2003, Wien 2003, ZDB-ID 2434370-5, S. 32–37 (PDF; 11 MB).
↑Gemäß canon 858 § 2 CIC, wonach es zugunsten der Gläubigen gestattet oder angeordnet werden kann, dass es auch in einer anderen Kirche als der Pfarrkirche oder in einer Kapelle innerhalb der Pfarrgrenzen einen Taufbrunnen gibt: Wiener Diözesanblatt April 2024, S. 46. (abgerufen am 9. April 2024).
↑Peter Aichinger-Rosenberger (et al.): Niederösterreich südlich der Donau. Band 2: M bis Z.Dehio-Handbuch. Berger, Horn/Wien 2003, S. 1822 f., OBV.
↑Wolfgang Greisenegger: Theaterwelt – Welttheater. Tradition & Moderne um 1900, Niederösterreichische Landesausstellung 2003, Reichenau an der Rax, 1. Mai bis 2. November 2003. Springer, Wien (u. a.) 2003, ISBN 3-211-00482-3.
↑Karl Heinz Knauer, Günter Dinhobl: Faszination Semmeringbahn. Eine Ausstellung des Technischen Museums Wien und der Marktgemeinde Reichenau an der Rax im Schloss Reichenau, 3. Juli 2004 bis 2. November 2004. Technisches Museum Wien, Wien 2004, ISBN 3-902183-09-8.
↑Horst Ebner: 150 Jahre Südbahn – mit Volldampf in den Süden. Katalog zur Ausstellung, Reichenau an der Rax, 27. Mai bis 4. November 2007. Marktgemeinde Reichenau an der Rax, Reichenau an der Rax 2007, OBV.
↑Horst Ebner: Jagdfieber und fieberhaft sammeln. Katalog zur Ausstellung, Schloss Reichenau an der Rax, 18. Mai bis 2. November 2008. Marktgemeinde Reichenau an der Rax, Reichenau an der Rax 2008, ISBN 978-3-200-01219-6.
↑„Ideen – Taten – Fakten, Nr. 1: Startkonferenz Bergsteigerdörfer im Bergsteigerdorf Ginzling, vom 10.–11. Juli 2008“, Österreichischer Alpenverein im Rahmen des Projekts „Alpenkonvention konkret: Via Alpina und Bergsteigerdörfer“, Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz, Innsbruck 2008, S. 4. PDF-Download (Memento vom 8. November 2018 im Internet Archive), abgerufen am 7. November 2018.