Oskar Grosberg war der Sohn des Gutspächters Martin Grosberg lettischer Herkunft[3] und dessen Frau Anna geb. Ickner. Er besuchte das Stadtgymnasium in Riga, dann das Gouvernements-Gymnasium in Mitau (lett. Jelgava). Wegen finanzieller Notlage des Elternhauses musste er die Schulbildung vorzeitig abbrechen. Er betätigte sich als Buchhändler in Riga und lernte Landwirtschaft bei seinem Vater.
Nach einem Einsatz als Gutsverwalter wurde er Beamter im Verkehrsministerium in Sankt Petersburg und fand dort zu seiner Lebensaufgabe als Journalist. Er wurde Mitarbeiter der Zeitung St. Petersburger Herold und war ab 1892 „Disponierender Redakteur“ der St. Petersburger Zeitung, vor allem Theater- und Ballett-Kritiker. Von St. Petersburg aus war er Korrespondent für reichsdeutsche Zeitungen, von 1912 bis 1915 für die Deutsche Monatsschrift für Russland. 1898 heiratete er Wanda (Vanda) Bartelsen, die 1934 starb. Der gemeinsame Sohn Werner Grosberg war ebenfalls langjähriger Redakteur bei der Rigaschen Rundschau.
1916 kehrte Oskar Grosberg nach Riga zurück, wo er bis zur Umsiedlung 1939 blieb. Von 1916 bis 1939 war er Redakteur der Rigaschen Rundschau, mit einer Unterbrechung von 1918 bis 1919. Eine langjährige Freundschaft verband ihn mit Paul Schiemann, dem Chefredakteur der Rigaschen Rundschau.[4] In dieser Umbruchszeit, als Lettland seine Unabhängigkeit gewann, war er Schriftleiter der Baltischen Zeitung, eines neu gegründeten „liberalen“ Blattes,[5] und Herausgeber der Baltischen Heimat. Sehr populär wurden seine Kunst- und Theaterkritiken und Feuilletons.
Als Gründungsmitglied des Vereins deutscher Journalisten nahm er eine Mittlerrolle zwischen Deutschen und Letten ein. Als Angehöriger des Präsidiums des PEN-Clubs Lettlands arbeitete er in lettischer Sprache an der Zeitung Brihwà Seme (Brīvā Zeme / Freies Land) des lettischen Bauernbundes mit.
In der Zarenzeit waren die Menschen lettischer Sprache überwiegend landwirtschaftlich tätig, ob als Kleinbauern oder abhängig auf Gutshöfen unter deutschbaltischer Herrschaft. Diese Lebenswelt schilderten die Brüder Reinis Kaudzīte (1839–1920) und Matīss Kaudzīte (1848–1926) bereits im ersten Roman in lettischer Sprache Mērnieku laiki (1879, Landvermesserzeiten). Ebenfalls aus eigener Erfahrung schrieb Rūdolfs Blaumanis (1863–1908) so populäre Stücke wie Indrāni (1904, Die Indrans). Die deutsche Übersetzung besorgte der Autor selbst, während ein weiteres Schauspiel dieses Autors von Grosberg übersetzt wurde: Pazudušais dēls / Der verlorene Sohn.[7] Auch Jānis Jaunsudrabiņš (1877–1962) schilderte das Landleben in seinen Büchern. Sein Roman Aija aus dem Jahr 1911 erschien 1922 in Grosbergs Übersetzung.
Grosberg war in beiden Welten zuhause, in der lettischsprachigen und in der deutschsprachigen. Dadurch hatte er Kontakt zu zeitgenössischen Schriftstellern beider Welten. Sein bekanntester Roman Meschwalden handelt vom Leben auf einem typischen lettischen Gutshof. Das gleiche Thema verwendete auch Jēkabs Janševskis (1865–1931) in seinem populärsten Roman Dzimtene (1925). Beide Schriftsteller schöpften aus eigenen Erfahrungen vom Leben auf dem Gutshof. Edvarts Virza (1883–1940) nahm diese Romane als Vorbild zu seinem Hauptwerk Straumēni (1933),[8] das bereits 1934 in Willi Stöpplers deutscher Übersetzung unter dem Titel Straumehni. Eines alten semgallischen Gehöftes Jahreslauf erschien[9] sowie 1935 unter dem Titel Die Himmelsleiter.[10] Stöpplers Übersetzung entstand sicher nicht ohne Zutun von dessen Schwiegervater Jānis Jaunsudrabiņš, womit sich der Kreis schließt und Grosbergs Rolle als Kulturmittler veranschaulicht wird.
Siegfried von Vegesack prägte in seiner Baltischen Tragödie den Begriff von der „gläsernen Wand“: der Trennung zwischen der lettischen und der deutschbaltischen Bevölkerung. Grosberg gilt als einer der wenigen, die zu deren Überwindung beigetragen haben.[11]
Auszeichnungen
Während der Zeit der unabhängigen Republik Lettland wurde er zweimal mit dem Drei-Sterne-Orden ausgezeichnet:[12]
1930 mit dem IV. Grad
1937 mit dem III. Grad.
Seit 2011 erinnert eine Gedenktafel am ehemaligen Redaktionsgebäude der Rigaschen Rundschau (Domplatz 1 / Mūku iela, Riga) an Oskar Grosberg.[13]
Werke (Buchausgaben)
Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. Verlag Amelang, Leipzig 1918. (Digitalisat in der Staatsbibliothek Berlin).
Meschwalden. Ein altlivländischer Gutshof im Kreislaufe des Jahres. Verlag Löffler, Riga 1922. (Spätere Ausgaben wurden teilweise gekürzt. Eine vollständige Ausgabe erschien im Verlag v. Hirschheydt, Hannover ca. 1968). Lettische Ausgaben: Oskars Grosbergs: Mežvalde bei Valters un Rapa, Riga 1928; bei Gulbis, Riga 1942 (mit den Illustrationen von Sigismunds Vidbergs); bei v. Hirschheydt, Aizpute 2005.
Nitschewó. Kulturbilder aus einem versunkenen Reich. Verlag Ruetz, Riga 1926.(Nachdruck Verlag v.Hirschheydt, Hannover 1960)
Die Presse Lettlands. Mit einem geschichtlichen Rückblick. Baltischer Verlag, Riga 1927.
Paul v. Kügelgen und die St. Petersburger Zeitung zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Erinnerungen. Berlin 1928.
Guckkasten. Baltische Erzählungen. Verlag Ruetz. Riga 1929 und Verlag v. Hirschheydt, Hannover-Döhren 1963.
Lettland, Land und Leute. Plauderbuch. Mit Zeichnungen von Siegfried Bielenstein. Verlag Ruetz, Riga 1930.(Mehrere Nachdrucke wurden verlegt)
Strypin. Roman aus dem kaiserlichen Petersburg. Baltischer Verlag, Riga 1930.
Meine Freunde unter den Tieren. Kleine Geschichten von großen und kleinen Tieren. Verlag Ruetz, Riga 1934.
Pension Tampin. Eine lustige Sommergeschichte in Livland. Verlag Ruetz, Riga 1934.
Elsa Thode. Die Geschichte einer Ehe. Verlag Ruetz, Riga 1938.
Semgallische Erzählungen. Manuskript, 1938. Nur die lettische Übersetzung von Olģerts Liepiņš wurde gedruckt: Zemgales stāsti, Verlag Valters un Rapa, Riga 1938.[14][15]
Kārlis Skalbe: Die Meerjungfrau (Jūras vārava), Märchensammlung. Verlag Zeltā Ābele, Riga 1939.
Rūdolfs BlaumanisDer verlorene Sohn (Pazudušais dēls), Theaterstück, 1931. Übersetzung als Manuskript.
Jēkabs Līgotnis (Līgotņu Jēkabs): In Bieranti (Bierantos), Bauerndrama, 1938. Übersetzung als Manuskript.[16][17]
Richard Waldess (Rihards Valdess, eig. Rihards Bērziņš): Teerjacken (Jūras vilki, 1930), Roman. 1934 in Fortsetzungen erschienen in der Rigaschen Rundschau.
Zumindest zwei weitere Übersetzungen lettischer Literatur von Oskar Grosbergs waren geplant, sind jedoch nicht erschienen. So heißt es im Ilustrēts Žurnāls Nr. 7/1925: „Lai mūsu rakstnieku labākiem darbiem atvērtu ceļu uz Vakareiropu, Leta izdos Janševska Dzimteni vācu (Oskara Grosberga) tulkojumā. Pirmais sējums iznāks visdrīzākā laikā.“ (Um den besten Werken unserer Schriftsteller den Weg nach Westeuropa zu ebnen, wird die LETAJēkabs Janševskis’ [vierteiligen Roman] Dzimtene (Heimat) in deutscher Übersetzung (von Oskar Grosberg) herausgeben. Der erste Band erscheint in allernächster Zeit.)[18]
In ihrer Rezension des Romans Jauna valsts (Ein neuer Staat) von Ansis Gulbis in der Izglītības Ministrijas Mēnešraksts (Monatsschrift des Bildungsministeriums) Nr. 4/1932 urteilt Zenta Mauriņa: „Gulbja romāns rakstīts Eiropas masštabā, tādēļ arī saprotams, ka Grosbergs to tulko vācu […] valodā“ (Gulbis’ Roman hat europäisches Format, weshalb es verständlich ist, dass Grosberg ihn ins Deutsche übersetzt).[19]
Sonstige Werke
Außer den Buchausgaben erschienen zahlreiche Arbeiten in Periodika (Zeitungen, Zeitschriften, Kalender) und Feldpostausgaben[20].
Als Herausgeber mit Carlo v. Kügelgen und Heinrich Pantenius: Deutsches Leben im alten St. Petersburg. Ein Buch der Erinnerung. Riga 1930 und Verlag v.Hirschheydt, Hannover-Döhren 1983.
Libretto zum Ballett Ilga (4 Aufzüge und 5 Bilder), Musik: Jānis Vītoliņš[21], Choreographie: Osvalds Lēmanis, Bühnenbild und Kostüme: Niklāvs Strunke; das Ballett erlebte 1937 insgesamt 23 Aufführungen.[22][23]
Libretto zum Ballett Maija, Turaidas Roze (Maija, Rose von Treyden, 1924–1926). Die Musik des Komponisten Emilis Jūlis Melngailis (1874–1954) blieb unvollendet[24].
May Redlich: Lexikon deutschbaltischer Literatur. Eine Bibliographie. Herausgegeben von der Georg-Dehio-Gesellschaft. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1989. ISBN 3-8046-8717-2
Carola L. Gottzmann, Petra Hörner: Grosberg, Oskar Johann Martin. In: Lexikon der deutschsprachigen Literatur des Baltikums und St. Petersburgs. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 3 Bände; Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2007, ISBN 978-3-11-019338-1, S. 497 f. (Bd. 1).
Wolfgang Wachtsmuth: Von deutscher Arbeit in Lettland 1918–1934. Ein Tätigkeitsbericht. Materialien zur Geschichte des baltischen Deutschtums. 3 Bände; Verlag Comel, Köln 1953.
Erik Thomson: Baltische Gedenktage in Jahrbuch des baltischen Deutschtums, Band 38 (1991), herausgegeben von der Carl-Schirren-Gesellschaft, Lüneburg 1990. ISBN 3-923149-19-0
Der neu erscheinende Sankt-Petersburger Herold zitiert Grosbergs Feuilletons vor 100 Jahren: [1][2]
Rihards Valdess (1888–1942): Jūras vilki / Teerjacken, übersetzt von Grosberg in der Rigaschen Rundschau vom 9. Februar bis zum 9. März 1934: [3][4]
Jēkabs Janševskis: Dzimtene übersetzt von Grosberg; keine Druckausgabe bekannt. [5]
Einzelnachweise
↑Hans Feldmann / Heinz von zur Mühlen: Baltisches historisches Ortslexikon. Teil 2: Lettland. Verlag Böhlau, Köln / Wien 1990
↑Der lettische Ortsname Skulte existiert außerdem im Stadtgebiet des heutigen Riga, links der Düna, das ebenfalls fälschlich als Adiamünde benannt wurde. Jedoch ist der väterliche Hof Skultesmuiža eindeutig nahe dem Fluss Aģe (deutsch Adja oder Adia) und dessen Mündung zu finden. Siehe den Artikel Skultes pagasts. In: Astrīda Iltnere (Red.): Latvijas pagasti. Latvijas pagasti, novadi, pilsētu un novadu lauku teritorijas. Enciklopēdija, Band 2: M – Ž. Preses Nams, Riga 2002, ISBN 9984-00-436-8, S. 394–397, hier S 397.
↑Laut Wilpert „estnischer“ Herkunft. Dagegen sprechen jedoch sowohl die Eintragung bei Gottzmann als auch Grosbergs Veröffentlichungen in lettischer Sprache.
↑Oskar Grosberg: Begegnungen mit Paul Schiemann. In: Rigasche Rundschau vom 8. August 1932, S. 2 (Digitalisat der Latvijas Nacionālā digitālā bibliotēka, abgerufen am 4. Juli 2023).
↑Wolfgang Wachtsmuth: Von deutscher Arbeit in Lettland 1918–1934, Bd. 3: Das politische Gesicht der deutschen Volksgruppe in Lettland in der parlamentarischen Periode 1918–1934. Comel, Köln 1953.
↑Konstantīns Karulis: Die Entstehung des lettischen Heimatromans – Theodor Hermann Pantenius und Jēkabs Janševskis. In: Michael Garleff (Hg.): Literaturbeziehungen zwischen Deutschbalten, Esten und Letten. Zwölf Beiträge zum 7. Baltischen Seminar 1995. Carl-Schirren-Gesellschaft, Lüneburg 2007, ISBN 978-3-923149-39-1, S. 71–89, hier S. 88.
↑Edvarts Virza: Straumehni. Eines alten semgallischen Gehöftes Jahreslauf. Einzig berechtigte Übertragung aus dem Lettischen von Willi Stöppler. Semneeku Domas, Riga 1934 (online und als PDF, 37,8 MB in der LNB).
↑Oskar Grosberg: Lettische Literatur. Eduard Virza. Die Himmelsleiter. Uebertragen aus dem Lettischen von Willi Stöppler. Rezension in: Rigasche Rundschau, 15. März 1935 (2. Beilage), S. 9 (Digitalisat auf periodika.lv).