Jānis Jaunsudrabiņš wurde im südlettischen Dorf Nereta unweit der litauischen Grenze geboren. Der Vater, ein Landarbeiter, starb vor Jānis’ drittem Geburtstag. Wegen des Todes zog die Familie auf das Gehöft Riekstiņi, zu den Eltern der Mutter. Aus den Erinnerungen an den Alltag auf dem Hof Riekstiņi und aus den Eindrücken, die Jānis als Kind dort aufnahm (er lebte dort von 1880 bis 1886), schöpften die 100 Geschichten seines bekanntesten Buches, Baltā grāmata (Das weiße Buch).[1] Von 1880 bis 1886 diente Jānis als Hütejunge auf verschiedenen Höfen in Nereta. Erinnerungen an diese Zeit flossen in die 80 Geschichten des Buches Zaļā grāmata (Das grüne Buch) ein.[1] Jānis konnte, weil er im Frühjahr, Sommer und Winter arbeiten musste, die Gemeindeschule nur im Winter besuchen.[1]
Dank seiner Begabung lernte Jaunsudrabiņš Deutsch und Russisch. Das ermöglichte ihm, von 1895 bis 1897 eine Landwirtschaftsschule zu besuchen. Anschließend arbeitete er als Verwaltern auf Gütern des deutschbaltischen Adels.[2] In dieser Zeit unternahm er seine ersten Versuche als Schriftsteller und Maler.[3]
1899 gab er seine Tätigkeit als Gutsverwalter auf und studierte an der privaten Kunstschule von Benjamin Blum (Blumschen Zeichenschule, lettisch: Venjamiņa Blūma Rīgas zīmēšanas un gleznošanas skola) in Riga, an der Janis Rozentāls unterrichtete. 1901 heiratete er seine Jugendliebe Līze Sproģe; 1902 wurde ihre Tochter Lilija geboren. Jaunsudrabiņš arbeitete in diesen Jahren als Redakteur, Schriftsteller sowie Zeichenlehrer in Riga und begann, sich als Maler einen Namen zu machen.[3] 1908 ermöglichte ihm ein Mäzen, zwei Semester als Meisterschüler bei Lovis Corinth in Berlin zu studieren. Nach Riga zurückgekehrt, berichtete er für verschiedene Zeitungen über Kunstausstellungen, nahm selbst an Gemeinschaftsausstellungen teil und beschickte auch Einzelausstellungen.[4]
Vor allem wurde Jaunsudrabiņš als Erzähler bekannt. 1907 erschien sein erster Roman, Vēja ziedi (Blüten des Windes).[3] Seine Erfolge als Schriftsteller ermöglichten ihm, 1913 ein Haus in Pļaviņas zu kaufen. Als im Ersten Weltkrieg deutsche Truppen in die Ostseegouvernements vorrückten, evakuierten die russischen Behörden Teile der lettischen Bevölkerung. Jānis Jaunsudrabiņš lebte mit seiner Familie von 1915 bis 1918 in Baku.[5] 1921 starb seine Frau Līze, im Jahr darauf heiratete er Elza Zīverte.
In 1920er Jahren war Jaunsudrabiņš der meistgelesene lettische Schriftsteller.[5] Außer durch seine Bücher und durch Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen erreichte er sein Publikum über den seit diesem Jahrzehnt aufkommenden Rundfunk.[6][7]
Angesichts der Besetzung Lettlands durch die UdSSR flüchtete Jānis Jaunsudrabiņš mit seiner Frau Natālija (Nāte) im Herbst 1944 nach Deutschland. Die Flucht aus Lettland ist Thema des autobiografischen Werkes Es stāstu savai sievai (Ich erzähle meiner Frau). Über Zwischenstationen in Bielefeld, wo die Schwiegereltern seiner Tochter lebten, in Bünde und in Werfen (Bünde) kam das Ehepaar Jaunsudrabiņš in ein DP-Lager in Greven. In Bünde und vor allem in Greven erlebte er die Anfänge der Selbstorganisation der lettischen Flüchtlinge.[8]
1948 gelangte das Ehepaar Jaunsudrabiņš schließlich nach Körbecke im Sauerland, wo es sich für ein kleines Haus erwärmt hatte. In diesem Mondscheinhaus am Südufer des Möhnesees, das im Lauf der Jahre zum Treffpunkt lettischer Landsleute und westfälischer Künstler und Schriftsteller wurde, verbrachte Jaunsudrabiņš den Rest seines Lebens.[9] Jaunsudrabiņš war in Deutschland auch als Gymnasiallehrer und Journalist tätig. Zahlreiche westfälische Zeitungen, Zeitschriften und Heimatkalender veröffentlichten Beiträge von Jaunsudrabiņš.[10]
Jānis Jaunsudrabiņš starb 1962 im Alter von 85 Jahren. Er wurde in Körbecke beigesetzt. Als 1997 der Friedhof in Körbecke aufgehoben wurde, wurden die sterblichen Überreste des Dichters, seiner Frau und seiner Tochter Lilija (1902–1969) nach Nereta überführt.[11]
Werk
In seiner realistischen, stets humorvollen Prosa erzählt Jaunsudrabiņš vom Leben einfacher Leute. Auch seine Sprache ist schlicht und geradeheraus; er wurde mit Mark Twain und Thomas Hardy verglichen.[12] Er war ein Meister der Kleinen Form. Seine eindringlichen Naturschilderungen verraten die Augen des Malers. Er bezog auch märchenhafte Elemente in seine Prosa ein.[13] In den 1920er Jahren war Jaunsudrabiņš der meistgelesene Prosa-Autor Lettlands. Seit den späten 1950er Jahren werden seine Bücher wieder aufgelegt. Sie zählen heute zum Kanon der lettischen Literatur.[14]
Jānis Jaunsudrabiņš ist bei seinen Landsleuten auch durch seine zahlreichen Übersetzungen ins Lettische bekannt.[15][16][17]
Ehrungen
Bis 1944 erhielt Jānis Jaunsudrabiņš mehrere Auszeichnungen durch die Republik Lettland, darunter einen Ehrensold.
1952 wurde der Autor in Stockholm vom Internationalen P.E.N.-Club für sein Lebenswerk geehrt.
Das Gehöft Riekstiņi bei Nereta beherbergt derzeit das einzige Jaunsudrabiņš gewidmete Museum in Lettland.[18]
In Körbecke wurde 2001 ein Gedenkzimmer eingerichtet, in dem Gemälde, Fotos, die Bibliothek, Möbel und eine Büste des Schriftstellers zu sehen sind.[19]
Aija. Roman, übersetzt von Oskar Grosberg. Verlag Gulbis, Riga 1922.
Kraniche über dem Möhnesee und Erzählungen aus Lettland. Mit Zeichnungen des Dichters, Verlag Aschendorff, Münster 1972 (postum), enthält acht auf Deutsch verfasste Erzählungen sowie Auszüge aus dem Weißen Buch (übersetzt von Willi Stöppler) und aus dem Grünen Buch (übersetzt von Māra Linde).
Zuhause. Einige Erzählungen aus dem Weißen Buch, übersetzt von Willi Stöppler. Eigenverlag, Werther 1982.
Erzählungen vom Möhnesee. Sechs auf Deutsch verfasste Erzählungen. Heft 5 der Schriftenreihe des Heimatvereins Möhnesee, Körbecke 1982.
Ich erzähle meiner Frau von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Westfalen (deutsch von Ojārs Jānis Rozītis, Originaltitel: Es stāstu savai sievai). Waxmann Verlag, Münster 2006, ISBN 978-3-8309-1748-9.[25]
Neuwirt und Teufel (Auszug aus Jaunsaimnieks un velns) in der Tageszeitung Rigasche Post vom 18. Januar 1937.[26]
Der Schafhändler (Miniatur aus Baltā grāmata) in der Tageszeitung Rigasche Post vom 18. November 1937.[27]
Kienspäne (Miniatur aus Baltā grāmata) in der Tageszeitung Rigasche Post vom 18. November 1937.
Abend der Woche in Deutsche Zeitung im Ostland vom 3. Juni 1944.[28]
Welta Ehlert (Hrsg. u. Übers.): Unter dem Flügel eines Vogels. Lettische Erzählungen aus neun Jahrzehnten. Verlag Volk und Welt, Berlin 1978 (enthält sechs Miniaturen aus dem Weißen Buch).
1977: Puika (Knabe). Regie: Aivars Freimanis (Nach dem Buch Baltā grāmata)[33].
1981: Vēja ziedi (Windblüten). Regie: Daina Dumpe (Kinofilm nach dem gleichnamigen Roman).[34]
1986: Kā mēs aizgājām no mājām (Wie wir von zuhause fort gingen). Regie: Pēteris Krilovs (30-Minuten-Kurzfilm nach dem Buch Es stāstu savai sievai).[34]
1987: Aija (Aya). Regie: Varis Brasla (Zweiteilige Fernsehproduktion nach dem gleichnamigen Buch)[35].
2000: Saldā indes garša (Der Geschmack des süßen Giftes). Regie: Inta Gorodecka (Fernsehserie nach dem Roman Jaunsaimnieks un velns).[34]
Literatur
in der Reihenfolge des Erscheinens
Andris Bērziņš: Jānis Jaunsudrabiņš, Västerås 1952.
Ojārs Jēgens (Hg.): Tā mums iet. Jānim Jaunsudrabiņam adresētas vēstules 1944–1954 (So geht’s uns. Briefe an Jānis Jaunsudrabiņš 1944–1954). Kopenhagen 1956 (Digitalisat).
Jānis Jaunsudrabiņš: Mana dzīve, Västerås 1957.
Margrieta Dombrovska: Jānis Jaunsudrabiņš, in: Latviešu literatūras vēsture, Band 4, Riga 1957, S. 307–324.
Ernests Blese: Storia della letteratura lettone, in: Giacomo Devoto (Hrsg.): Storia della letteratura baltiche, Mailand 1957.
Margrieta Dombrovska: Jānis Jaunsudrabiņš, in: Istorija latysskoj literatury, Band 1, Riga 1971, S. 411–419.
Jānis Rudzītis: Jānis Jaunsudrabiņš, in: Ders.: Starp provinci un Eiropu, Västerås 1971, S. 47–54.
Jānis Jaunsudrabiņš: Sirmā grāmata. Jāņa Jaunsudrabiņa darbi, atmiņas, apceres, piemineklis, Verlag Ziemeļblāzma, Västerås 1972; darin einige Kapitel mit Übersetzungen ins Deutsche von Willi Stöppler (dort Vilis Šteplers).
Jānis Rudzītis: Rakstnieks no Dieva žēlastības, in: Ders.: Raksti, Västerås 1977, S. 93–98.
Saulcerīte Viese: Rīta gaismas pieskāriens, in: Radīšanas brīnums, Riga 1980, S. 16–25.
Arvīds Grigulis: Jāņa Jaunsudrabiņa dzīve un literāra darbība, in: Jānis Jaunsudrabiņš: Kopoti raksti, Band 1, Riga 1981, S. 5–26.
Jānis Jaunsudrabiņš in Westfalen = Jaunsudrabiņš Vestfālē, Münster 1982 (zweisprachig).
Jānis Jaunsudrabiņš: Mana dzīve, in: Ders.: Kopoti raksti, Band 15, Riga 1985, S. 279–419.
Ilgonis Bersons: Jāņa Jaunsudrabiņa radoša mūža ritējums, in: Jānis Jaunsudrabiņš: Kopoti raksti, Band 15, Riga 1985, S. 430–492.
Austra Rudzīte: Jaunsudrabiņš no riekstiniem līdz mēnesnīcai, Münster 1988.
Antons Stankevičs: Zem Neretas debesīm, Riga 1988.
Wolfhard Raub: Jānis Jaunsudrabiņš. Lettischer Dichter und Maler im westfälischen Exil, Münster 2002 (Katalog zur Ausstellung der Universitäts- und Landesbibliothek Münster in Zusammenarbeit mit dem Jaunsudrabiņš-Archiv Münster).
Benedikts Kalnačs (Hg.): Vācu literatūra un Latvija (Die deutsche Literatur und Lettland), Riga 2005.
Wolfhard Raub: Einleitende Bemerkungen. In: Jānis Jaunsudrabiņš: Ich erzähle meiner Frau von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Westfalen. Waxmann Verlag, Münster 2006, ISBN 978-3-8309-1748-9, S. 7–17.
Andreas Fülberth: Der lettische Schriftsteller Janisjaunsudrabins und die Stationen seines Exils in Westfalen. Eine Betrachtung unter regionalgeschichtlichen Aspekten. In: Christian und Marianne Pletzing (Hg.): Displaced Persons. Flüchtlinge aus den baltischen Staaten in Deutschland. Martin Meidenbauer, München 2007, ISBN 978-3-89975-066-9, S. 149–164.
Liene Lauska: Pēteris Ērmanis und Jānis Jaunsudrabiņš. Die soziale und kulturelle Integration lettischer Schriftsteller in Lettland und im deutschen Exil, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-631-61087-9.
Weitere Quellen führt Kindlers Neues Literaturlexikon an.
↑ abcWolfhard Raub: Einleitende Bemerkungen. In: Jānis Jaunsudrabiņš: Ich erzähle meiner Frau von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Westfalen. Waxmann Verlag, Münster 2006, S. 7–17, hier S. 7.
↑Jānis Jaunsudrabiņš: Ich erzähle meiner Frau von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Westfalen. Waxmann Verlag, Münster 2006, S. 99.
↑ abcWolfhard Raub: Einleitende Bemerkungen. In: Jānis Jaunsudrabiņš: Ich erzähle meiner Frau von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Westfalen. Waxmann Verlag, Münster 2006, S. 7–17, hier S. 8.
↑ abWolfhard Raub: Einleitende Bemerkungen. In: Jānis Jaunsudrabiņš: Ich erzähle meiner Frau von der Flucht aus Lettland und dem Exil in Westfalen. Waxmann Verlag, Münster 2006, S. 7–17, hier S. 9.
↑Andreas Fülberth: Der lettische Schriftsteller Jānis Jaunsudrabiņš und die Stationen seines Exils in Westfalen. Eine Betrachtung unter regionalgeschichtlichen Aspekten. In: Christian und Marianne Pletzing (Hg.): Displaced Persons. Flüchtlinge aus den baltischen Staaten in Deutschland. Martin Meidenbauer, München 2007, S. 149–164, hier S. 157.
↑Andreas Fülberth: Der lettische Schriftsteller Jānis Jaunsudrabiņš und die Stationen seines Exils in Westfalen. Eine Betrachtung unter regionalgeschichtlichen Aspekten. In: Christian und Marianne Pletzing (Hg.): Displaced Persons. Flüchtlinge aus den baltischen Staaten in Deutschland. Martin Meidenbauer, München 2007, S. 149–164, hier S. 150.
↑Nezūdams mantojums (Memento des Originals vom 6. April 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.periodika.lv (Unvergängliches Erbe. Übersetzungen ins Lettische durch Jaunsudrabiņš und Übersetzungen ins Deutsche durch seinen Schwiegersohn) in der Exil-Zeitung LAIKS Nr. 70 vom 1. Sept. 1962.
↑Diese neuartigen kurzen, in der Ich-Form verfassten Skizzen von einem Bauernhof sind laut Kindlers in der lettischen Literatur zu einem Gattungsbegriff geworden.
↑Diese plastischen Schilderungen aus der russischen Revolutionszeit und der Ölstadt Baku sind laut Kindlers eng mit psychologischen Analysen der Hauptpersonen verflochten, in deren seelischer Entwicklung sich „die Auflösungserscheinungen der chaotischen Umwelt“ widerspiegeln.
↑Jaunsudrabiņšs deutsche Übersetzung wurde 1961 unter dem Titel "Bauer und Teufel" als Manuskript fertiggestellt, jedoch vom Verlag abgelehnt. Siehe Liene Lauska, S. 234
↑Das Thema: Ein Maler befreit sich von seiner dem Geld hörigen Ehefrau. 1956 übersetzte Jaunsudrabiņš das Buch ins Deutsche, ließ es von Josefa Berens-Totenohl korrigieren und scheiterte mit dem Manuskript beim Verlag. Siehe Liene Lauska, S. 234.
↑Deutsche Übersetzung der mit Humor erzählten Geschichte seiner Flucht aus Lettland.
↑Als Fortsetzungsroman in der Tageszeitung Jaunākās Ziņas ab 3. Dezember 1927, S. 6 (PDF; 10,6 MB)
↑Die Dreharbeiten begannen 1958 in Strazde, vgl. N. Abramovs et al.: Kinoskatītāja rokasgrāmata A -Z; Verlag Galvenā enciklopēdiju redakcija, Rīga 1980, S. 277