Die orthogonale Gruppe
ist die Gruppe der orthogonalen
-Matrizen mit reellen Elementen. Die Verknüpfung der orthogonalen Gruppe ist die Matrizenmultiplikation. Bei der orthogonalen Gruppe handelt es sich um eine Lie-Gruppe der Dimension
.
Da die Determinante einer orthogonalen Matrix nur die Werte
annehmen kann, zerfällt
in die beiden disjunkten Teilmengen (topologisch: Zusammenhangskomponenten)
- die Drehgruppe
aller Drehungen (orthogonale Matrizen mit Determinante
) und
aller Drehspiegelungen (orthogonale Matrizen mit Determinante
).
Die Untergruppe
heißt die spezielle orthogonale Gruppe. Insbesondere ist die
als die Gruppe aller Drehungen um eine durch den Koordinatenursprung verlaufende Achse im dreidimensionalen Raum von großer Bedeutung in zahlreichen Anwendungen, wie etwa der Computergraphik oder der Physik.
Orthogonale Abbildungen und Matrizen aus algebraischer Sicht
Koordinatenfreie Beschreibung
Ausgehend von einem
-dimensionalen euklidischen Vektorraum
mit einem Skalarprodukt
definiert man: Ein Endomorphismus
heißt orthogonal, falls
das Skalarprodukt erhält, also falls für alle
![{\displaystyle \langle f(u),f(v)\rangle =\langle u,v\rangle }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/2f1ea4801feb4fd6d2f2b3eed71470dfcbae7f87)
gilt. Eine lineare Abbildung erhält genau dann das Skalarprodukt, wenn sie längen- und winkeltreu ist.[1] Die Menge aller orthogonalen Selbstabbildungen von
heißt die orthogonale Gruppe von
, geschrieben als
.
Bezüglich einer Orthonormalbasis von
werden orthogonale Endomorphismen durch orthogonale Matrizen dargestellt. Gleichbedeutend hierzu ist folgende Formulierung: Versieht man den
mit dem Standardskalarprodukt, so ist die Abbildung
genau dann orthogonal, wenn die Matrix
orthogonal ist.
Diagonalisierbarkeit unitärer Matrizen
Jede orthogonale Matrix
ist eine unitäre Matrix mit reellen Elementen. Damit entspricht sie einer unitären Abbildung
Nach dem Spektralsatz für endlich dimensionale unitäre Räume ist
als unitäre Matrix diagonalisierbar. Die dabei auftretenden Diagonalelemente
mit
sind genau die Eigenwerte von
. Diese sind aber notwendig vom Betrag Eins (vgl. unitäre Matrix). Sie lassen sich daher in der Form
für gewisse, bis auf die Reihenfolge eindeutige Winkel
schreiben. Da die Matrix nur reelle Elemente besitzt, treten dabei die nichtreellen Eigenwerte in Paaren zueinander konjugierter komplexer Zahlen auf. Im Reellen ist
in der Regel nicht diagonalisierbar, jedoch lässt sich auch hier eine Zerlegung in ein- bzw. zweidimensionale invariante Unterräume angeben.
Auswirkungen auf orthogonale Matrizen
Zu jeder orthogonalen Matrix
lässt sich eine Drehung des Koordinatensystems
finden, so dass die Matrix
von „beinahe diagonaler“ Gestalt ist:
![{\displaystyle P^{T}\cdot A\cdot P={\begin{pmatrix}+1&&&&&&&&\\&\ddots &&&&&&&\\&&+1&&&&&&\\&&&-1&&&&&\\&&&&\ddots &&&&\\&&&&&-1&&&\\&&&&&&D(\varphi _{1})&&\\&&&&&&&\ddots &\\&&&&&&&&D(\varphi _{d})\end{pmatrix}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/ea042ad4f84181ef77aa0ddc12daa2e7a219201a)
Alle hier nicht angegebenen Elemente haben den Wert
. Die auftretenden
-Matrizen
beschreiben zweidimensionale Drehungen um die Winkel
der Form
![{\displaystyle D(\varphi )={\begin{pmatrix}\cos \varphi &-\sin \varphi \\\sin \varphi &\cos \varphi \end{pmatrix}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/795e03ba45d738376ce2cf3e1c2f60a7fea97518)
Jedes
gehört dabei zu einem Paar konjugiert komplexer Eigenwerte
.
Dabei gilt natürlich
, falls
die Anzahl der Diagonalelemente mit Wert
und
die Anzahl der Diagonalelemente mit Wert
repräsentieren.[2] Offenbar ist
genau dann eine Drehung, wenn
, die geometrische wie auch algebraische Vielfachheit des Eigenwertes
, eine gerade Zahl ist.
Ebene Drehspiegelung
Neben den ebenen Drehungen, die den Matrizen
entsprechen, sind auch die Drehspiegelungen
![{\displaystyle S(\varphi )={\begin{pmatrix}\cos \varphi &\sin \varphi \\\sin \varphi &-\cos \varphi \end{pmatrix}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/9e1c1fee239bd220fc9e93eee881f5e5b7a00e04)
orthogonale Matrizen. Die Eigenwerte von
sind
und
; folglich handelt es sich um eine Achsenspiegelung die sich nach einer Drehung des Koordinatensystems um
als
schreiben lässt.[3]
Räumliche Drehung
Nach der oben beschriebenen Normalform lässt sich jede Drehung im Raum durch Wahl einer geeigneten Orthonormalbasis durch eine Matrix
![{\displaystyle D_{1}(\varphi )={\begin{pmatrix}1&0&0\\0&\cos \varphi &-\sin \varphi \\0&\sin \varphi &\cos \varphi \end{pmatrix}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/04c9e457dad4656e52641d5103e4dd03a3b41ebc)
beschreiben, wobei mit
auch alle Sonderfälle erfasst werden. Die genannte Matrix
beschreibt eine Drehung um die
-Achse. Insbesondere verfügt jede echte räumliche Drehung über eine Drehachse. Fischer[4] verdeutlicht dies am Beispiel eines Fußballes auf dem Anstoßpunkt: Nach dem ersten Tor gibt es zwei sich gegenüberliegende Punkte auf dem Ball, die jetzt exakt genauso zum Stadion ausgerichtet sind, wie zu Beginn des Spieles.
Der Winkel
ist aufgrund des orientierungserhaltenden Charakters der zugelassenen Transformationsmatrizen
eindeutig festgelegt; dies geht mit der aus dem Alltag bekannten Erfahrung einher, dass es – zumindest theoretisch – stets feststeht, in welche Richtung man eine Schraube drehen muss, um diese fester anzuziehen.
Räumliche Drehspiegelung
Nach der oben beschriebenen Normalform lässt sich jede Drehspiegelung im Raum durch Wahl einer geeigneten Orthonormalbasis durch eine Matrix
![{\displaystyle {\begin{pmatrix}-1&0&0\\0&\cos \varphi &-\sin \varphi \\0&\sin \varphi &\cos \varphi \end{pmatrix}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/0d4443d686b05c8cd87e4f143bc1605f156581d7)
beschreiben, wobei mit
auch alle Sonderfälle erfasst werden. Auch hier ist der Winkel
eindeutig, sofern man die Orientierung des Raumes nicht umkehrt.
Eine doppelte Drehung im vierdimensionalen Raum
Im vierdimensionalen Raum ist eine gleichzeitige Drehung mit zwei unabhängigen Drehwinkeln möglich:
![{\displaystyle D(\varphi ,\psi )={\begin{pmatrix}D(\varphi )&0\\0&D(\psi )\end{pmatrix}}\in \mathrm {SO} (4)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/bfb09ea184ee255e88639f4462e7d0618ae3d50a)
Vertauscht man bei einer zweidimensionalen Drehung
die beiden Basisvektoren, so erhält man die Drehung
. Das ist nicht verwunderlich, hat man doch gleichzeitig die Orientierung der Ebene verändert. Vertauscht man nun im vorliegenden Beispiel gleichzeitig den ersten mit dem zweiten wie auch den dritten mit dem vierten Basisvektor, so bleibt die Orientierung erhalten, aber aus
wird
.
Die Orthogonale Gruppe als Lie-Gruppe
Ausgehend vom linearen Raum
aller Matrizen gelangt man zur Untermannigfaltigkeit
durch die Forderung, dass die Matrix
orthogonal ist, d. h.
gilt. Da orthogonale Matrizen insbesondere invertierbar sind, ist
eine Untergruppe der allgemeinen linearen Gruppe
.
Topologische Eigenschaften
Wie die allgemeine lineare Gruppe besteht auch die orthogonale Gruppe aus zwei Zusammenhangskomponenten: Matrizen mit positiver bzw. negativer Determinante im Fall der reellen
;
und die Menge der orthogonalen Matrizen mit Determinante
im Falle der
. Ein eleganter Beweis für den Wegzusammenhang der
lässt sich wie folgt führen[5]: Man verbinde die Einheitsmatrix
mit einer gegebenen Drehung
durch einen Weg innerhalb der
. Wendet man auf jeden Punkt dieses Weges nun das Gram-Schmidtsche Orthogonalisierungsverfahren an, so erhält man einen Weg, der ganz in der
verläuft. Da die Multiplikation mit der Diagonalmatrix
einen Diffeomorphismus von
mit seinem Komplement in der
liefert, ist auch Letzteres zusammenhängend.
Weiterhin sind
und
kompakt. Es handelt sich um eine abgeschlossene Teilmenge der Einheitskugel bezüglich der Spektralnorm im
.
Operation der SO(n) auf der Einheitssphäre
Die
operiert in natürlicher Weise auf dem
. Da orthogonale Abbildungen längentreu sind, sind die Bahnen dieser Operation genau die Sphären um den Ursprung. Die Operation schränkt also zu einer transitiven Operation auf der Einheitssphäre
ein. Die zugehörige Isotropiegruppe des kanonischen Einheitsvektors
der Standardbasis des
besteht genau aus der
, aufgefasst als Untergruppe der
mit einer
an der Matrix-Position
. Man erhält somit die kurze exakte Sequenz
![{\displaystyle \mathrm {SO} (n-1)\rightarrow \mathrm {SO} (n)\rightarrow S^{\,n-1}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/35eb6e1ca5e0a0c0bcb1a2225a7ff37888500aba)
beziehungsweise das Hauptfaserbündel (vgl. auch Faserbündel)
.
Hieraus lässt sich induktiv folgern, dass die Fundamentalgruppe der
für
zu
isomorph ist.[6] Sie ist damit ähnlich „verdreht“ wie das Möbiusband. Die Fundamentalgruppe der Kreisgruppe
ist
, da die
topologisch dem Einheitskreis
entspricht.
Die Lie-Algebra zur O(n) und SO(n)
Die Lie-Algebra
besteht genau aus den schiefsymmetrischen Matrizen, die Lie-Algebra
, also der Tangentialraum der
im Punkt der Einheitsmatrix
, besteht genau aus den schiefsymmetrischen Matrizen[7], die zugleich spurlos sind, was im Reellen bereits durch die Schiefsymmetrie impliziert ist. Daher sind beide Lie-Algebren gleich
.
Ist also
schiefsymmetrisch, so liefert die Exponentialabbildung für Matrizen die zugehörige Einparametergruppe
![{\displaystyle \alpha ^{A}\colon \mathbb {R} \ni t\mapsto \exp(t\cdot A)\in \mathrm {SO} (n)\,.}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/95b911c45896011541ca54e1f943b86af2dee76b)
In allgemeinen Lie-Gruppen ist die Exponentialabbildung nur lokal surjektiv, von einer Umgebung der Null auf eine Umgebung der Eins; die Exponentialabbildung von
nach
dagegen ist tatsächlich (global) surjektiv[8].
Offensichtlich ist eine schiefsymmetrische Matrix durch die
Einträge oberhalb der Hauptdiagonale eindeutig bestimmt. Damit ist die Dimension der
ebenfalls geklärt.[9]
Im Fall
haben die Matrizen der zugehörigen Lie-Algebren die einfache Form
![{\displaystyle {\mathfrak {o}}(2)={\mathfrak {so}}(2)=\left\{{\begin{pmatrix}0&\lambda \\-\lambda &0\end{pmatrix}}:\lambda \in \mathbb {R} \right\}=\operatorname {span} {\begin{pmatrix}0&1\\-1&0\end{pmatrix}}=\operatorname {span_{\mathbb {R} }} (i\sigma _{2})}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/9b366d047b6764ba7428d61bcc359458354c837d)
wobei
die zweite Pauli-Matrix ist.
Im Fall
ist die zugehörige Lie-Algebra
isomorph zum
mit dem Kreuzprodukt als Lie-Klammer. Zum Nachweis muss man lediglich den Kommutator zweier generischer, also mit je drei freien Variablen gebildeter, schiefsymmetrischer Matrizen berechnen und das Ergebnis mit der Formel für das Kreuzprodukt vergleichen.
Literatur
- Theodor Bröcker, Tammo tom Dieck: Representations of Compact Lie Groups (= Graduate Text im Mathematics. Band 98). Springer, New York NY u. a. 1985, ISBN 3-540-13678-9.
- Gerd Fischer: Lineare Algebra (= Vieweg-Studium. Band 17). 5. Auflage. Vieweg, Braunschweig u. a. 1979, ISBN 3-528-17217-7.
- Horst Knörrer: Geometrie (= Vieweg-Studium. Band 71). Vieweg, Braunschweig u. a. 1996, ISBN 3-528-07271-7.
- Serge Lang: Linear Algebra. 2nd edition. Addison-Wesley, Reading MA u. a. 1971.
- Hermann Weyl: The classical Groups. Their invariants and representations (= Princeton Mathematical Series. Band 1, ISSN 0079-5194). 2. edition, with supplement, reprinted. Princeton University Press u. a., Princeton NJ 1953.
Anmerkungen und Einzelnachweise
- ↑ Das Skalarprodukt eines euklidischen Vektorraums lässt sich sogar aus dem zugehörigen Längenbegriff alleine rekonstruieren. Vgl. Polarisationsformel.
- ↑ G. Fischer: Lineare Algebra. 5. Auflage. 1979, S. 204 f.
- ↑ Es handelt sich bei
um eine Spiegelung an der x-Achse gefolgt von einer Drehung um
. Dabei bleibt ein um
zur x-Achse gedrehter Vektor fest.
- ↑ G. Fischer: Lineare Algebra. 5. Auflage. 1979, S. 205.
- ↑ Bröcker, tom Dieck: Representations of Compact Lie Groups. 1985, S. 5.
- ↑ Bröcker, tom Dieck: Representations of Compact Lie Groups. 1985, S. 36 und S. 61.
- ↑ Bröcker, tom Dieck: Representations of Compact Lie Groups. 1985, S. 20. Wenn man beispielsweise die Funktion
mit der oben definierten zweidimensionalen Drehung
in
ableitet, so erhält man die schiefsymmetrische Matrix
.
- ↑ Jean Gallier: Basics of Classical Lie Groups: The Exponential Map, Lie Groups, and Lie Algebras. In: Geometric Methods and Applications (= Texts in Applied Mathematics). Springer, New York, NY, 2001, ISBN 978-1-4612-6509-2, S. 367–414, doi:10.1007/978-1-4613-0137-0_14 (springer.com [abgerufen am 23. März 2018]).
- ↑ Die insgesamt
Gleichungen, die die Orthogonalität einer Matrix sicherstellen, haben also nur (bzw. beim zweiten Nachdenken tatsächlich) den Rang
.