Nationaler Normenkontrollrat
Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) ist ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung. Er prüft seit 2006 die transparente und nachvollziehbare Darstellung der Bürokratiekosten aus Informationspflichten und seit 2011 die gesamten Folgekosten (Erfüllungsaufwand) in allen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen der Bundesregierung. Entscheidungsträger in Regierung und Parlament bekommen so belastbare Informationen darüber, welche Kostenfolgen mit ihren Entscheidungen ausgelöst werden. Darüber hinaus berät er die Bundesregierung in Sachen „Bessere Rechtsetzung“. International setzt sich der NKR gleichermaßen für Transparenz über die Folgekosten der EU-Gesetzgebung ein. Grundlage seiner Arbeit ist das im September 2006 verabschiedete NKR-Gesetz.[1] Im Januar 2022 beschloss das Bundeskabinett mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des NKR-Gesetzes, dass die Zuständigkeit für den NKR vom Bundeskanzleramt zum Bundesministerium der Justiz wechselt.[2][3] EntstehungIm Koalitionsvertrag der Großen Koalition wurde 2005 zwischen CDU, CSU und SPD die Einrichtung eines Normenkontrollrates vereinbart. Dies wurde am 1. Juni 2006 mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Einrichtung eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG) umgesetzt.[4] Grundüberlegungen zum Entwurf des Gesetzes wurden von der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld (u. a. Hans-Georg Kluge) sowie von der Bertelsmann-Stiftung entwickelt. Die entsprechenden Überlegungen wurden über die nordrhein-westfälischen CDU-Abgeordneten in den Bundestag eingebracht. Am 18. August 2006 trat das Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG) in Kraft. Vorbild ist die vergleichbare Einrichtung in den Niederlanden (Adviescollege toetsing administrative Lasten (Actal), deutsch „Rat zur Vermeidung administrativer Lasten“), die dort die Rolle eines unabhängigen und neutralen Methodenwächters der Bürokratiekostenmessung wahrnimmt. Die Koalition ging davon aus, dass in den Niederlanden ermittelt wurde, dass staatlich verordnete Informationspflichten 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingen. Falls in Deutschland mit seiner etwa fünfmal höheren Wirtschaftskraft die Regelungsdichte bei Informationspflichten mit der in den Niederlanden vergleichbar sein sollte, hätten die deutschen Unternehmen rund 80 Mrd. Euro aufgrund von gesetzlich begründeten Informationspflichten zu tragen. Zugleich hätten sich die Niederländer vorgenommen, diese Kosten in vier Jahren um ein Viertel zu senken. Würde man dieses Ziel auf Deutschland übertragen, käme man auf ein Einsparvolumen von etwa 20 Milliarden Euro. Organisation und ArbeitsweiseDer NKR ist nur an den durch das Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates (NKRG) begründeten Auftrag gebunden und in seiner Tätigkeit unabhängig. Das Gremium besteht aus zehn ehrenamtlichen Mitgliedern, die auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten berufen werden. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre. Eine erneute Berufung ist zulässig. Die Mitglieder dürfen nicht bei öffentlichen Verwaltungen arbeiten oder Abgeordnete sein. Die Mitglieder des NKR erhalten eine pauschale Entschädigung sowie Ersatz ihrer Reisekosten (§ 3 Abs. 10 NKRG). Der Ersatz der Reisekosten richtet sich nach dem Bundesreisekostenrecht. Die pauschale Entschädigung für den NKR-Vorsitzenden und seinen Stellvertreter beträgt 30.000 Euro, für die weiteren Mitglieder 25.000 Euro pro Jahr. Durch die gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien ist der NKR wie ein Ministerium in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Spätestens zu Beginn des Abstimmungsverfahrens innerhalb der Bundesregierung müssen Regelungsentwürfe dem NKR zugeleitet werden. Auch im Vorfeld berät der NKR die Ressorts auf Wunsch. Der Kabinettsvorlage muss das Votum des Normenkontrollrates beigefügt sein, das den Gesetzentwurf ins Parlament begleitet und zusammen mit der vom Kabinett verabschiedeten Fassung veröffentlicht wird. Seit der vierten Amtsperiode ist der NKR nicht mehr beim Bundeskanzleramt, sondern beim Bundesjustizministerium angesiedelt.[5] Aufgaben und KompetenzenDer NKR ist das zentrale politische Steuerungsorgan für alle Fragen, die sich mit Bürokratieabbau und besserer Rechtsetzung befassen. Er kann u. a. die Einhaltung der Grundsätze der Standardisierten Bürokratiekostenmessung überprüfen:
Kompetenzen zur Prüfung von Landesrecht bestehen nicht. Er kann hierzu eigene Anhörungen durchführen, Gutachten in Auftrag geben, der Bundesregierung Sonderberichte vorlegen und Amtshilfe von Behörden des Bundes und den Länder fordern. Bericht über BürokratiekostenNach Einsetzung des NKR wurden zunächst nur die Bürokratiekosten von bestehenden Gesetzen ermittelt. Als Bürokratiekosten gelten Informations- und Dokumentationspflichten, zum Beispiel Daten oder Statistiken, die Bürger oder Unternehmen auf Grund von Gesetzen oder Verordnungen an Behörden übermitteln müssen. Mit Hilfe des Statistischen Bundesamtes führte die Bundesregierung 2006 eine „Bestandsmessung“ durch. Dafür wurde das Standardkosten-Modell (SKM) genutzt. Es zeigte sich, dass Unternehmen in Deutschland mit rund 49 Milliarden Euro jährlich durch Bürokratiekosten belastet waren. Zwischen 2006 und 2012 konnten die Bürokratiekosten der Wirtschaft um 25 Prozent gesenkt werden. Die Bundesregierung erstattet dem Bundestag jährlich einen Bericht über die Erfahrungen mit der angewandten Methodik zur standardisierten Bürokratiekostenmessung sowie den Stand des Bürokratiekostenabbaus und die Prognose, ob die von der Bundesregierung anvisierten Ziele der Bürokratiekostenmessung innerhalb des angegebenen Zeitraums erreicht werden. Auch der NKR legt gemäß § 6 NKRG einen Jahresbericht vor. Dieser steht auf seiner Homepage zur Verfügung. Hier kann unter anderem der aktuelle Stand des Erfüllungsaufwands eingesehen werden. Reduzierung der Folgekosten durch „One in, one out“-RegelNach Umsetzung des 25-%-Abbauzieles bis 2012 gab es zunächst kein neues quantitatives Ziel zum Abbau von Informationspflichten. Zudem nahm die Bundesregierung ab 2012 nicht mehr nur Bürokratiekosten in den Blick, sondern alle Folgekosten (Erfüllungsaufwand). Entsprechend wurde auch der Prüfauftrag des NKR erweitert. Im Herbst 2014 hat der NKR gegenüber der Bundesregierung angeregt, nach dem Vorbild Großbritanniens eine ‚One in, one out‘-Regel einzuführen. Die Bundesregierung hat diese Idee aufgegriffen und ist im Juli 2015 die Selbstverpflichtung[6] eingegangen, den Erfüllungsaufwand grundsätzlich nicht weiter ansteigen zu lassen. ‚One in, one out‘ bedeutet: Wird eine gesetzliche Regelung verabschiedet, deren Folgekosten die Wirtschaft belasten, muss grundsätzlich an anderer Stelle eine gleichwertige Entlastung der Wirtschaft geschaffen werden. Ex-post-EvaluierungMit dem Schritt, sämtliche Folgekosten von Regelungsvorhaben vor ihrer Verabschiedung abzuschätzen, ist die Transparenz (ex ante) für den Gesetzgeber nachhaltig verbessert worden. Es ist jedoch ebenso wichtig, in regelmäßigen Abständen zu prüfen, wie sich Gesetze und Verordnungen in der Praxis (ex post) bewährt haben. Seit 2013 gilt in der Bundesregierung, dass alle Regelungsvorhaben mit Erfüllungsaufwand von mehr als einer Million Euro nach 3 bis 5 Jahren auf den Prüfstand gestellt werden müssen. EU-Ex-ante-VerfahrenÜber die Hälfte der Folgekosten in Deutschland haben ihren Ursprung in Rechtsakten der EU-Ebene. Bundesministerien und NKR haben deshalb 2016 vereinbart, dass bei EU-Rechtsakten das federführende Ministerium zunächst prüft, ob sich die Folgekosten für Deutschland aus der Abschätzung der Europäischen Kommission ableiten lassen. Ist dies nicht der Fall, soll das Ministerium eine Nachbesserung der Folgenabschätzung bei der Europäischen Kommission anmahnen oder gegebenenfalls eine eigene Abschätzung vornehmen. MitgliederMitglieder des Normenkontrollrates sind in seiner vierten Amtszeit:
Der Normenkontrollrat war in seiner ersten Mandatszeit parteipolitisch paritätisch besetzt. Laut Pressemeldungen gab es Unstimmigkeiten innerhalb des Normenkontrollrates über den Grad der Deregulierung und Entbürokratisierung: Während die CDU-Mitglieder möglichst viel deregulieren wollten, warnten die SPD-Mitglieder vor einem Abbau von Standards im Bereich Arbeitsrecht, sozialer Schutz von Arbeitnehmern und Versicherten sowie von Umweltschutzstandards. Inzwischen sind Mitglieder von FDP und Grünen im Normenkontrollrat vertreten. Im Rahmen der Erweiterung der Kompetenzen des Normenkontrollrates im Jahre 2011 wurde er von ehemals acht auf zehn Mitglieder erweitert. Ehemalige Mitglieder sind:
KritikDie „deutsche Wirtschaft“ kritisiert, dass dem NKR Kompetenzen fehlten und er in seiner Beratungstätigkeit eingeschränkt sei. Der Kontrollrat testet auf SPD-Antrag nur Gesetzesentwürfe der Bundesregierung, nicht aber solche der Fraktionen; diese machen in etwa 30 % aller Entwürfe aus. Zudem würde durch die ‚one in, one out‘-Regel der Erfüllungsaufwand nur konstant gehalten, aber nicht reduziert. Außerdem müssten auch Umsetzungsgesetze für europäisches Recht in die ‚one in, one out‘-Betrachtung einbezogen werden, da es den Unternehmen egal sei, ob die Belastungen ihren Ursprung in Brüssel oder Berlin hätten.[10] Normenkontrollräte in den LändernIn Deutschland verfügen nur Baden-Württemberg, Bayern[11] und Sachsen über einen Normenkontrollrat auf Länderebene. Andere StaatenNeben der oben erwähnten holländischen Actal gibt es auch in anderen Ländern vergleichbare Einrichtungen. So bestand bis Januar 2008 in Großbritannien die Better Regulation Commission, die dann durch die Better Regulation Executive ersetzt wurde.[12] In den USA besteht der Paperwork Reduction Act als Rechtsgrundlage für Bürokratievermeidung. Literatur
Siehe auchWeblinksEinzelnachweise
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