Marwan I.

Marwān ibn al-Hakam (arabisch مروان بن الحكم, DMG Marwān b. al-Ḥakam, geb. 624; gest. 7. Mai 685), auch Marwan I., war der vierte Kalif der Umayyaden (684–685) und Begründer des marwanidischen Zweigs dieser Dynastie.

Abstammung

Marwān war ein Sohn Enkel von al-Hakam ibn Abī l-ʿĀs und Āmina bint ʿAlqama aus dem Stamm der Kināna. Väterlicherseits gehörte er zu demselben Zweig der Umayyaden-Familie wie der dritte Kalif ʿUthmān ibn ʿAffān (644–656).[1] ʿUthmāns Vater ʿAffān ibn Abī l-ʿĀs, war der Bruder von Marwāns Vater al-Hakam ibn Abī l-ʿĀs.[2]

Politische Rolle unter früheren Kalifen

Nach Berichten, die Muhammad ibn Saʿd anführt, war Marwān beim Tode des Propheten im Sommer 632 acht Jahre alt. Er blieb zunächst bei seinem Vater al-Hakam, bis dieser während des Kalifats von ʿUthmān ibn ʿAffān starb. Marwān trat daraufhin in den Dienst seines Cousins ʿUthmān und wurde sein Sekretär.[3] 648 nahm er an einem Feldzug gegen Ifrīqiya teil.[4] Nach Abū Hilāl al-ʿAskarī (gest. nach 1010) kaufte Marwān ein Fünftel der Beute aus diesem Feldzug, die einen Wert von 400.000 Dinar hatte, für 100.000 Dinar ʿAbdallāh ibn Abī Sarh ab. Als er dann Medina erreichte, führte er einen Teil davon ab, während ʿUthmān ihm den Rest schenkte.[5] Nach einer Überlieferung, die auf ʿĪsā, den Sohn von Talha ibn ʿUbaidallāh zurückgeführt wird, gab der Kalif seinem Cousin auch ein Fünftel der Beute von Armenien in Höhe von 25.000 Dirham.[6] Eine Zeitlang war Marwān auch Gouverneur von Fars.[1]

Der große Einfluss Marwāns auf den Kalifen als dessen Sekretär und die Tatsache, dass ein Fünftel der Beute der Nordafrika-Eroberung an ihn floss, gehörten zu den wichtigsten Anschuldigungen, die gegen ʿUthmān erhoben wurden und schließlich 656 zu seiner Ermordung führten.[4] Bei der Verteidigung von ʿUthmāns Haus in Medina gegen die Aufständischen der ägyptischen Armee im Jahre 656 wurde er verwundet.[1]

In der Kamelschlacht tötete er durch einen Pfeilschuss Talha ibn ʿUbaidallāh, den er für den Hauptschuldigen am Mord ʿUthmāns hielt.[1] Nach einer Überlieferung, die der Historiker Chalīfa ibn Chaiyāt (gest. 854) anführt, wandte er sich danach an ʿUthmāns Sohn Abān mit den Worten: „Wir haben den Mord an Deinem Vater stückweise für dich gerächt.“[7] Unter Muʿāwiya I. diente Marwān zunächst als Statthalter von Bahrain und dann zwei Phasen lang (661–668 und 674–677) als Statthalter von Medina.[1]

Aktivitäten während der umaiyadischen Thronfolgekrise

Als 683 der umayyadische Kalif Yazid I. starb, rief sich ʿAbdallāh ibn az-Zubair, der Sohn von az-Zubair ibn al-ʿAuwām, in Mekka zum Kalifen aus und vertrieb die Umayyaden aus dem Hidschāz, darunter auch Marwān und seine Söhne, die nach Syrien flüchten mussten. Nach dem Tod von Yazīds Nachfolger Muʿāwiya II. ein Jahr später erhielt Ibn az-Zubair immer mehr Unterstützung. Auch mehrere Stammesfürsten der Qais in Syrien und Palästina stellten sich auf seine Seite, darunter Zufar ibn al-Hārith im Militärbezirk von Qinnasrīn[8] und ad-Dahhāk ibn Qais al-Fihrī, den Ibn az-Zubair zu seinem Statthalter in Damaskus erklärte. Marwān, der nicht mehr daran glaubte, dass die Umayyaden ihre Macht erhalten könnten, machte sich auf den Weg in den Hedschas, um ebenfalls Ibn az-Zubair zu huldigen und von ihm ein Sicherheitsversprechen für die Umayyaden zu erhalten. In Adhriʿāt, dem heutigen Darʿā, begegnete er aber dem früheren umayyadischen Statthalter des Irak, ʿUbaidallāh ibn Ziyād. Dieser drängte ihn, sich selbst um das Kalifat zu bewerben, da er als Sayyid aus der Nachkommenschaft des ʿAbd Manāf ibn Qusaiy mehr Anspruch darauf habe als Ibn az-Zubair. Er kehrte daraufhin wieder um und richtete sich zunächst in Palmyra ein.[9] Auf dem wenige Wochen später stattfindenden Kongress von al-Dschābiya wurde er dann zum Kalifen erhoben. Julius Wellhausen urteilte deshalb: „Ohne sein eigenes Verdienst, ohne dass er es selber nur gewollt hatte, gelangte Marvan durch seine Vertreibung aus Medina auf den Thron in Damaskus.“[10]

Nach der Erhebung zum Kalifen

Unmittelbar nach seiner Erhebung zum Kalifen machte sich Marwan I. an die Bekämpfung seiner Gegner. In der Schlacht bei Mardsch Rāhit im August 684 schlug er zunächst ad-Dahhāk und seine Anhänger. Im Anschluss an diese Schlacht setzte er ʿUbaidullāh ibn Ziyād gegen Zufar in Marsch, der sich mit seinen qaisitischen Anhängern in Qarqīsiyā' an der Mündung des Chabur in den Euphrat verschanzt hatte. Die Widerstandskraft Zufars erwies sich jedoch als unerwartet stark, so dass ʿUbaidullāh unverrichteter Dinge wieder abziehen musste.[11] Der größte Erfolg Marwāns war die Rückgewinnung der Kontrolle über Ägypten. Ein Angriff der Umayyaden auf Medina scheiterte aber. Auch die meisten Angehörigen des Stammesverbands der Qais im Dschund von Qinnasrīn blieben ihm feindlich gesinnt. Allein ʿUmair ibn al-Hubāb, einer der Anführer der Banū Sulaim, huldigte ihm.[12]

Festlegung von Festtagsbräuchen

Marwān ibn al-Hakam soll der erste gewesen sein, der beim Fest die Chutba dem Gebet voranstellte. Er soll diesen Brauch, der bis heute im Islam aufrechterhalten wird, während seiner Statthalterschaft in Medina eingeführt und damit begründet haben, dass die Leute nach dem Gebet nicht mehr sitzen blieben, um ihm zuzuhören. Er soll auch der erste gewesen sein, der die Chutba an diesem Tag auf einem Minbar hielt.[13]

Tod und Nachkommen

Marwān starb am 7. Mai 685 an der Pest. Kurz vor seinem Tod teilte er das Reich unter seinen beiden Söhnen auf: der ältere von ihnen, ʿAbd al-Malik erhielt Syrien, der jüngere, ʿAbd al-ʿAzīz, Ägypten. Die genealogischen Werke listen 13 Söhne Marwāns auf, die ihm von fünf verschiedenen Frauen und einer Konkubine geboren wurden:

  • seine Frau ʿĀ'ischa bint Muʿāwiya ibn al-Mughīra ibn Abī l-ʿĀs war Mutter seiner Söhne ʿAbd al-Malik und Muʿāwiya,
  • seine Frau Laila bint Zabbān vom Stamm der Kalb war Mutter seines Sohnes ʿAbd al-ʿAzīz,
  • seine Frau Qutaiya bint Bischr aus dem Stamm Kilāb war Mutter seiner Söhne Bischr und ʿAbd ar-Rahmān (starb im Kindesalter),
  • seine Frau Umm Abān, die Tochter seines Cousins ʿUthmān war Mutter seiner Söhne Abān, ʿUthmān, ʿAbdallāh (starb im Kindesalter), ʿUbaidallāh, Aiyūb und Dāwūd,
  • seine Frau Zainab bint ʿUmar aus dem Clan der Machzūm war Mutter seines Sohns ʿUmar.
  • eine Umm Walad namens Zainab gebar ihm einen Sohn namens Muhammad.[14]

Marwān war einer der ersten Muslime, der mehreren seiner Söhne keine traditionellen arabischen Namen, sondern islamische Namen gab, also solche, die entweder auf koranische Gottesnamen oder Figuren verweisen, oder auf den Propheten Mohammed selbst. Insgesamt waren acht seiner Söhne Träger solcher islamischer Namen (ʿAbd al-Malik, ʿAbd al-ʿAzīz, ʿAbd ar-Rahmān, ʿAbdallāh, ʿUbaidallāh, Aiyūb, Dāwūd und Muhammad). Hieraus schließt Fred Donner, dass er wahrscheinlich sehr religiös gewesen ist.[15]

Rezeption

Marwan gehört zu den realen Personen, die in den Geschichten aus Tausendundeine Nacht auftreten. Er tritt in der Geschichte Der Beduine und seine Frau (ANE 219)[16] als Antagonist in Erscheinung.

Literatur

Arabische Quellen

  • Muhammad ibn Saʿd (gest. 845): Kitāb aṭ-Ṭabaqāt al-kabīr. Ed. K.V. Zetterstéen. Leiden 1905. Bd. V, S. 24–30. Digitalisat
  • Aḥmad ibn Yaḥyā al-Balāḏurī (gest. 892): Ansāb al-ašrāf. Ed. Suhail Zakkār, Riyāḍ az-Ziriklī. Dār al-Fikr, Beirut 1996. Bd. VI, S. 255–268. Digitalisat
  • Abū Hilāl al-ʿAskarī (gest. nach 1010): al-Awāʾil. Ed. Muḥammad al-Maṣrī, Walīd Qaṣṣāb. Dār al-Bašīr, Tantā, 1408h. Digitalisat
  • Ibn ʿAsākir (gest. 1176): Taʾrīḫ madīnat Dimašq. Ed. ʿUmar ibn Ġarāma al-ʿUmarī. Dār al-Fikr, Beirut 1997. Bd. LVII, S. 224–281. Digitalisat

Sekundärliteratur

  • C. E. Bosworth: “Marwān I b. al-Ḥakam” in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Brill, Leiden 1989. Bd. VI, S. 621b–623a.
  • Fred M. Donner: "Was Marwan ibn al-Hakam the First “Real” Muslim?" in Sarah Bowen Savant: Genealogy and knowledge in Muslim societies: understanding the past. Edinburgh University Press, Edinburgh 2014. S. 105–114.
  • Muhammad Hamidullah: “Marwān Ibn al-Hakam et ʿAmr Ibn al-ʿAs, victimes de fausses accusations?”, in Türk Kültürü Araştırmaları 24/1 (1986) 63–68.
  • Ṣāleḥ K. Ḥammarneh: "Marwān b. al-Ḥakam and the Caliphate", in Der Islam; Zeitschrift Für Geschichte Und Kultur Des Islamischen Orients, 65 (1988) 200–225.
  • Gernot Rotter: Die Umayyaden und der zweite Bürgerkrieg. (680–692). (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, 45, 3) Steiner, Wiesbaden 1982, ISBN 3-515-02913-3.

Einzelnachweise

  1. a b c d e Bosworth: “Marwān I b. al-Ḥakam”. 1989, S. 621b.
  2. Donner: "Was Marwan ibn al-Hakam the First “Real” Muslim?" 2014, S. 106.
  3. Muḥammad ibn Saʿd: Kitāb aṭ-Ṭabaqāt al-kabīr. 1905, S. 24, Zeile 25.
  4. a b Rotter: Die Umayyaden und der zweite Bürgerkrieg. 1982, S. 17.
  5. Abū Hilāl al-ʿAskarī: al-Awāʾil. 1408h, S. 185.
  6. Abū Hilāl al-ʿAskarī: al-Awāʾil. 1408h, S. 190.
  7. Ḫalīfa b. Ḫaiyāṭ: Tārīḫ. Ed. Akram Ḍiyāʾ al-ʿUmarī. Beirut 1977. S. 185. Digitalisat
  8. Rotter: Die Umayyaden und der zweite Bürgerkrieg. 1982, S. 135f.
  9. Rotter: Die Umayyaden und der zweite Bürgerkrieg. 1982, S. 140.
  10. Julius Wellhausen: Das arabische Reich und sein Sturz. Georg Reimer, Berlin 1902. S. 114. Digitalisat
  11. Rotter: Die Umayyaden und der zweite Bürgerkrieg. 1982, S. 187.
  12. Rotter: Die Umayyaden und der zweite Bürgerkrieg. 1982, S. 152.
  13. Ṣaḥīḥ al-Buḫārī. Dār Ibn Kaṯīr, Damaskus-Beirut, 2002. Bd. I, S. 233. (Kitāb al-ʿĪdain. Bāb al-ḫurūǧ ilā l-muṣallā bi-ġair al-minbar. Nr. 956.) Digitalisat
  14. Donner: "Was Marwan ibn al-Hakam the First “Real” Muslim?" 2014, S. 110.
  15. Donner: "Was Marwan ibn al-Hakam the First “Real” Muslim?" 2014, S. 110f.
  16. Ulrich Marzolph, Richard van Leeuwen und Hassan Wassouf: The Arabian Nights Encyclopedia, ABC-Clio, Santa Barbara 2004, S. 114.
VorgängerAmtNachfolger
Muʿāwiya II.Kalif der Umayyaden
684–685
Abd al-Malik

 

Prefix: a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Portal di Ensiklopedia Dunia