Vorläufer der Generalvikare waren in der Alten Kirche vorübergehend eingesetzte Vertreter des Bischofs für die Dauer einer Krankheit oder Abwesenheit, in etwa nach dem Vorbild der römischen Prokuratoren.[3] Im Mittelalter, etwa ab dem 9. Jahrhundert, wurden die ursprünglich als Vorsteher der Diakone fungierenden Archidiakone mit dem Ausbau der kirchlichen Strukturen in größeren Diözesen zu Vorstehern der Gerichtsbarkeit und Verwaltung eigens festgelegter Bezirke. Bis zum 13. Jahrhundert entwickelten sich die Archidiakone von Mitarbeitern der Bischöfe zu Prälaten mit Amtsvollmachten, die für ihren Bezirk bischofsähnlichen Umfang annahmen und die Jurisdiktion der Bischöfe stark einschränkten. So oblag ihnen neben der Verwaltung die Aufsicht über den Klerus und ein Teil der bischöflichen Gerichtsbarkeit. Mit Beginn des 14. Jahrhunderts wurden die dem Bischof vorbehaltenen Rechte gegenüber den Archidiakonen stärker betont und deren Überhand nehmende Machtfülle eingeschränkt. Als persönliche Vertreter des Bischofs und diesem unmittelbar verantwortlich wurden zunehmend Offiziale für die Gerichtsbarkeit und Generalvikare für die Verwaltung ernannt und damit nach und nach das Archidiakonatswesen zurückgedrängt.[4]
Die Ernennung von Generalvikaren erfolgte zuerst in großen Diözesen Frankreichs und Deutschlands, später auch in Italien und schließlich kirchenrechtlich abgesichert in der gesamten Römisch-katholischen Kirche. Neben der Entlastung der Bischöfe sicherte sie deren Jurisdiktion, z. B. während der seit Papst Gregor IX. verpflichtenden Ad-limina-Besuche.[3]
Der Generalvikar (vicarius generalis) „unterstützt den Diözesanbischof bei der Leitung der ganzen Diözese“ (Can. 475,1 CIC) und ist dazu nach Maßgabe des geltenden Kirchenrechts mit stellvertretender ordentlicher Gewalt oder Vollmacht (potestas ordinaria vicaria, im Sinne von Can. 131,2 CIC) ausgestattet.
In aller Regel ist nur ein Generalvikar zu ernennen, es sei denn, die Größe der Diözese, die Zahl der Einwohner oder andere pastorale Gründe legen etwas anderes nahe (can. 475, § 2 CIC).
Dem Generalvikar kommt kraft Amtes in der ganzen Diözese die ausführende Gewalt(potestas executica) zu, die der Diözesanbischof von Rechts wegen hat, um alle Verwaltungsakte erlassen zu können, ausgenommen jene, die sich der Bischof selbst vorbehalten hat oder die von Rechts wegen ein Spezialmandat des Bischofs erfordern (can. 479, § 2 CIC).
Dem Generalvikar kommt also von Amtswegen die Erledigung der allgemeinen Verwaltungsangelegenheiten zu, wie auch außerdem die Erledigung der Aufgaben, die ihm vom Bischof übertragen worden sind (potestas executica a ordinario delegata, im Sinne von can. 479, § 1 CIC). Die Aufgaben und Amtsbefugnisse des Generalvikars sind also immer auch von der Definition und Delegation des jeweiligen Diözesanbischofs abhängig.
Die Aufgaben und Vollmachten eines Generalvikars werden teilweise interpretativ ausgeweitet, indem er als „persönlicher“ Stellvertreter des Diözesanbischofs oder gar als dessen Alter Ego bezeichnet wird. Beide Auffassungen widersprechen jedoch der objektiv-funktionalen Aufgabenstellung, aus der kein persönliches Näheverhältnis abgeleitet werden kann. Trotzdem hat ein Generalvikar als Stellvertreter noch vor den Weihbischöfen das zweithöchste Amt in einer Diözese nach dem des Diözesanbischofs. Er ist jedoch stets von diesem abhängig und hat seinen Anordnungen und Weisungen Folge zu leisten.
Das Amt des Bischofsvikars(vicarius episcopalis) ist dem Generalvikar administrativ gleichgesetzt, hat aber eine jurisdiktionelle Einschränkung auf ein bestimmtes Segment innerhalb einer Diözese. Der Diözesanbischof kann einen oder mehrere Bischofsvikare einsetzen, die in einem genau festgelegten Gebietsteil der Diözese, in einem näher umschriebenen Geschäftsbereich oder für die Gläubigen eines bestimmten Ritus oder eines bestimmten Personenkreises dieselbe ordentliche Gewalt haben, die dem Generalvikar zukommt (can. 476 CIC).
Ein Generalvikar muss Priester sein, mindestens 30 Jahre alt und Doktor oder Lizentiat im kanonischen Recht (Lic. iur. can.) oder der Theologie (Lic. theol.), oder wenigstens in diesen Disziplinen wirklich erfahren, „ausgewiesen durch Rechtgläubigkeit, Rechtschaffenheit, Klugheit und praktische Verwaltungserfahrung“ (can. 478, § 1 CIC) und mit dem Bischof höchstens im fünften Grad blutsverwandt (can. 478, § 2 CIC).
In jeder Diözese ist vom Diözesanbischof ein Generalvikar zu ernennen, der dem Bischof bei der Leitung der ganzen Diözese zur Seite steht (can. 475, § 1 CIC). Der Generalvikar wird gemäß can. 477 CIC vom Diözesanbischof frei ernannt und kann von ihm abberufen werden. Die Gewalt des Generalvikars erlischt mit Zeitablauf der Beauftragung, mit Amtsverzicht oder mit Abberufung durch den Diözesanbischof. Da der Generalvikar der Stellvertreter des Diözesanbischofs ist, verliert er bei Tod, Verzicht, Versetzung, Absetzung oder Suspendierung des Diözesanbischofs ebenfalls sofort sein Amt (can. 481 CIC).
Auch exemte Abteien, die kirchenrechtlich als eigene Teilkirchen gelten, kennen als Stellvertreter des (Territorial-)Abtes einen Generalvikar.
Militärseelsorge
Da die Militärseelsorge in der Regel einem eigenen Militärordinariat unterstellt ist, das rechtlich somit eine eigene Teilkirche bildet, hat dieses auch einen eigenen Generalvikar, der als Stellvertreter des für das Militär zuständigen Diözesanbischofs bzw. Militärbischofs fungiert.
Anglikanische Kirche
In den Anglikanischen Kirchen ist ebenfalls die Amtsbezeichnung vicar general üblich. Im Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche wird ein anglikanischer Generalvikar jedoch nur bei Verhinderung des Bischofs tätig.
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit bezeichnete man mit Vikar auch die Stellvertreter weltlicher Machthaber. Der Generalvikar insbesondere war der Stellvertreter des Königs oder Kaisers in einem Gebiet, das keiner direkten herzoglichen Gewalt unterstand.
Heinrich Molitor: Der Kompetenzbereich von Generalvikar und Offizial der Erzdiözese Köln während des 17. und 18. Jahrhunderts. Selbstverlag, Köln 1960.
Velasio De Paolis: Die Natur der Gewalt des Generalvikars. Eine historisch-kritische Analyse. Pontifica Universitas Gregoriana, Roma 1966.
↑Hans Wolter: Kirchenrecht und kirchliche Verwaltung im 13. Jahrhundert. In: Hubert Jedin (Hrsg.): Handbuch der Kirchengeschichte. Die Mittelalterliche Kirche: Vom Hochmittelalter bis zum Vorabend der Reformation. BandIII/2. Herder, Freiburg im Breisgau 1985, ISBN 3-451-20454-1, S.293.