Das ArchitekturbüroCremer & Wolffenstein wurde 1882 von Wilhelm Cremer und Richard Wolffenstein gegründet und bestand bis zum Tod der beiden Architekten 1919. Im aufstrebenden Berlin des späten 19. Jahrhunderts spezialisierte sich das Büro auf Bauten für Handel und Verkehr und errichtete zahlreiche Geschäfts- und gehobene Wohnhäuser neben Hotels und Villen.
Eine Spezialität des Büros war der Bau von Synagogen, vielleicht begünstigt durch die jüdische Herkunft Wolffensteins. Die beiden Architekten gelten als wichtigste Vertreter des Synagogenbaus um 1900. Sie orientierten sich an der Dresdner Synagoge, Gottfried Sempers einzigem ausgeführten Sakralbau, mit ihrer einfachen, quadratischen Grundform und würfelförmigen Anordnung der Baumassen. Für die Fassaden verwendeten sie neben Sempers neuromanischen Formen andere Stile des eklektizistischenHistorismus. Den üblicherweise im Synagogenbau der Zeit vorherrschenden maurisch-orientalischen Formen, etwa bei der Neuen Synagoge in Berlin, standen sie eher ablehnend gegenüber. Mit Ausnahme der Neuen Synagoge in Posen (1906–1907) wurden alle der acht ausgeführten von elf geplanten Synagogen in der Reichspogromnacht 1938 zerstört und erlitten damit das gleiche Schicksal wie das Vorbild in Dresden.
Das Architekturbüro war bekannt für einfache und funktionale Grundrisse. Anfänglich bevorzugten die beiden Architekten die Neurenaissance, verwendeten später aber alle Stile des Historismus. Die Wohn- und Geschäftshäuser für den Durchbruch der Kaiser-Wilhelm-Straße zählten zu den ersten neobarocken Bauten Berlins. In späteren Werken finden sich bereits Jugendstilanklänge.
Bauten und Entwürfe (Auswahl)
1884: Entwurf zur Bebauung eines Grundstücks an der Peter-Paul-Passage[1] in Liegnitz[2]
1885–1886: Waren-Börse in der St. Wolfgangstraße (Berlin-Mitte), das Gebäude wurde später als „Feen-Palast“ berühmt.[3]
1885–1887: Eckhaus-Paar an der Kaiser-Wilhelm-Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße) / Burgstraße (Hausnummern 1–3, 47–49; zwischen Burgstraße und Heilig-Geist-Straße) (zerstört)
Die beiden Gebäude befanden sich unmittelbar gegenüber von Berliner Dom und Stadtschloss auf der anderen Seite der heutigen Liebknechtbrücke als städtebaulich hervorgehobener Eingang der Kaiser-Wilhelm-Straße.
1887: Haus des Geselligen Vereins der Gesellschaft der Freunde in Berlin, Potsdamer Straße 23a (zerstört)
1887/88: Villa des Maurermeisters Wilhelm Koch in der Hardenbergstraße 21–23, Berlin-Charlottenburg.[5]
1888–1890: Elektrizitätszentrale und Verwaltungsgebäude der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) in Berlin, Schiffbauerdamm 22 (zerstört)[6]
1889: Synagoge Charlottenburg in (Berlin-)Charlottenburg (zerstört) (unbestätigt, der Name tritt in den Bauakten nicht auf)
1889–1891: Hotel Lindenhof (späteres Hotel Westminster) mit Café Ronacher und Lindengalerie in Berlin, Unter den Linden 17–18 (zerstört)[7]
Über dem 1955 neu erbauten Hochbahnhof wurde zum hundertjährigen Jubiläum der BVG im Jahr 2002 eine rein dekorative Stahlkonstruktion errichtet, die sich an den Formen der ursprünglichen Kuppel von Cremer & Wolffenstein orientiert.
1901–1903: Verlagshaus Rudolf Mosse in Berlin, Schützenstraße 18–25 / Jerusalemer (ältester Bauteil des Mossehauses)
1910–1911 erweitert entlang der Schützenstraße, 1921–1923 umgebaut und erweitert von Erich Mendelsohn, 1992/1993 nach Kriegsschäden rekonstruierend instand gesetzt
1902: Kaufhaus Bargou und Söhne in Görlitz. Umbau des Stammhauses der 1868 gegründete Kaufhauskette
1914: Villa für Emil Georg von Stauß in Berlin-Dahlem, Pacelliallee 14/16 (nach 1945 Residenz des US-amerikanischen Stadtkommandanten, heute Gästehaus des Außenministeriums)
Geschäftshaus der Brüder Simon in Berlin, Neue Friedrichstraße / Klosterstraße (zerstört)
Bankgebäude der Preußischen Hypotheken-Actienbank in Berlin, Mohrenstraße (zerstört)
Verwaltungsgebäude der Schienenfahrzeugfabrik Orenstein & Koppel am Tempelhofer Ufer 23–24
Innenfassade der Synagoge an der Lindenstraße
Geschäftshaus am Oranienplatz Ecke Oranienstraße
Festsaal im Haus des Geselligen Vereins der Gesellschaft der Freunde
Hôtel Lindenhof, später Hotel Westminster, Unter den Linden 17–18
↑Hd.: Wohn- und Geschäftshaus der Berliner Elektricitäts-Werke und der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft in Berlin. In: Zeitschrift für Bauwesen. Nr.4, 1892, Sp.145–148 (zlb.de – Atlas: Tafel 30–31).
↑Berliner Neubauten. 63. Die Neubebauung der Grundstücke Unter den Linden 17 u. 18 und Behrenstrasse 55-57. In: Deutsche Bauzeitung. Band26, Nr.91, 12. November 1892, S.553ff. (digitale-sammlungen.de [abgerufen am 16. Juli 2023]).
↑Architektonische Rundschau, Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst. Hrsg.: Ludwig Eisenlohr, Carl Weigle, Architekten in Stuttgart. 1893, 9. Jahrgang, 4. Heft, Tafel 25; Textarchiv – Internet Archive. Blätter für Architektur und Kunsthandwerk, 1894, Heft No.4, S. 23, Tafel 40; Textarchiv – Internet Archive
↑Evelyn Wöldicke: Die Villa Gontard. Ein Haus im Tiergartenviertel. 2013, ISBN 978-3-422-07256-5.
↑Max Wagenführ: Staatliches und privates Bauwesen. In: Berliner Architekturwelt. Nr.3, Juni 1913, S.87–126 (zlb.de – Abbildungen mit Grundrissen und Details S. 91–94).
↑Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten, Teil VIII, Bauten für Handel und Gewerbe, Band A: Handel. Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1978, ISBN 3-433-00824-8, S. 108 und S. 136.