Zweizeiler (Verslehre)Ein Zweizeiler ist in der Verslehre eine aus zwei Versen bestehende Strophen- oder Gedichtform. Sind die beiden Verse heterometrisch, weisen also unterschiedliches Versmaß auf, so werden solche Zweizeiler insbesondere in der antiken Verslehre als Distichon bezeichnet. Bekanntestes Beispiel ist das elegische Distichon, das in seiner epigrammatischen Form auch eine Gedichtform ist. Ein Beispiel aus Goethes Venezianischen Epigrammen[1]: Dichten ist ein lustiges Handwerk, nur find ich es theuer; Als kurze Gedichtform eignet sich der Zweizeiler vor allem für Epigramm, Sprichwort und Sinnspruch. Zweizeiler in der deutschen DichtungDer Zweizeiler wird als Strophenform in der deutschen Dichtung meist paargereimt und ab 1850 immer beliebter. Da der Satz meist mit der Strophe abgeschlossen wird, zwingen die kürzeren Versmaße zu starker Verknappung, so bei Else Lasker-Schüler: So still ich bin, Jambische ZweizeilerVierheberEine häufige Form ist der paargereimte Zweizeiler aus jambischen Vierhebern:
Dessen Wurzeln lassen sich bis zur lateinischen Ambrosianischen Hymnenstrophe der Spätantike zurückverfolgen. Über das ältere deutsche Kirchenlied des 15. und 16. Jahrhunderts geht die Form dann über in das Volkslied. Bekannte Beispiele sind hier „Es stand ein Lind im tiefen Tal“[3], „Es war ein Markgraf überm Rhein“[4] und „Es blies ein Jäger wohl in sein Horn“[5]. In der Kunstdichtung bleibt die zweizeilige Strophe aber bis zu Herders Volksliedsammlung und der Romantik selten, von Ausnahmen wie Brockes’ Die Welt ist allezeit schön[6] abgesehen. Mit Beginn der Romantik und der Sammlung Des Knaben Wunderhorn (Beispiele: Die Diebsstellung[7], Ritter St. Georg[8]), wurde der volkslied- und balladenhafte Ton der paargereimten jambischen Vierheberstrophe zunehmend populär. Sehr bekannt ist Heines bibelhistorische Ballade Belsazar[9]: Die Mitternacht zog näher schon; Zahlreiche weitere Beispiele finden sich bei Ludwig Uhland (Siegfrieds Schwert), Joseph von Eichendorff (Die Räuberbrüder), Justinus Kerner (Die traurige Hochzeit), Gustav Schwab (Der Reiter und der Bodensee) und Eduard Mörike (Zwei Liebchen). Der schlichte Paarreim und die Nähe zum Volkslied wurde also oft als Kunstmittel verwendet, durch die Knappheit und den ausgeprägten jambischen Rhythmus bestand aber immer die Gefahr des Umkippens ins unfreiwillig Komische, so bei Felix Dahns Gotentreue[10]: Erschlagen lag mit seinem Heer Genau diesen Effekt machten sich die Dichter des Grotesken und des Komischen zunutze. Zahlreiche Beispiele finden sich bei Christian Morgenstern: Das Geierlamm, Der Gingganz, Der heilige Pardauz, Der Lattenzaun, Der Zwölf-Elf, Die wiederhergestellte Ruhe, um nur einige zu nennen. Hierher gehört auch das dreistrophige Himmel und Erde[11]: Der Nachtwindhund weint wie ein Kind, FünfheberDer paargereimte jambische Fünfheber ist bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine relativ seltene Form. Einige Male wird er für Balladen (Platen Der Pilgrim von St. Just) und Gelegenheitsgedichte (Nikolaus Lenau Frühlingsgrüße; Theodor Storm Einer Braut am Polterabend) verwendet und Conrad Ferdinand Meyer wählt ihn für seine Verserzählung Huttens letzte Tage. Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts wird die schlichte Form zunehmend beliebter, so bei Hermann Hesse in Berggeist (1899) und Alpenpaß (1911)[12] Durch viele Täler wandernd kam ich her, Weitere Beispiele finden sich bei Oskar Loerke (Gleichnis am Morgen; Wind), Josef Weinheber (In Betrachtung einer Hand; Dran denk ich oft; Die Sonne ohne dich hat keinen Sinn), Ernst Jünger (Brautlied), Bertolt Brecht (Orges Gesang), Heinz Piontek (Aus einem Park), Stephan Hermlin (Epitaph für einen deutschen Soldaten) und Günther Kunert (Testament). Die elfsilbige hyperkatalektische Form mit weiblichem Reim nach dem Schema
wird von Stefan George vielfach verwendet, so in Ob denn der wolken-deuter mich belüge[13]: Ob denn der wolken-deuter mich belüge Weitere Gedichte Georges in dieser Form sind Friedensabend (in Das Buch der hängenden Gärten) und Flammen (in Der siebente Ring). Auch der junge Hesse verwendet die Form, so in Ich liebe Frauen und Er ging im Dunkel. Weiter sind hier zu nennen Max Dauthendey (Ein Jahr; Sind je die Zeiten trauriger gewesen) und Karl Wolfskehl (Vita in morte und Ich grüsse dich der naht mit dunklen Krügen). Dass die Form sich nicht nur für düster-schwüle Betrachtungen eignet, belegt wieder Morgenstern mit seinem Mopsenleben (in Palma Kunkel) und Tucholsky macht sie zum Träger böser Satire[14]: […] Und schaut ein General noch so verrucht aus: Trochäische ZweizeilerVierheberOben wurde schon die Eignung des Zweizeilers für Sinnspruch und Sprichwort erwähnt. Das gilt natürlich auch da, wo einzelne Strophen sprichwörtlich werden, so die erste Strophe von Wilhelm Buschs Julchen[15]: Vater werden ist nicht schwer, Oder etwas später: Sein Prinzip ist überhaupt: Was über die Nähe des jambischen Vierhebers zum Komischen gesagt wurde, gilt verstärkt noch für (paargereimte) Zweizeiler aus trochäischen Vierhebern:
Am bekanntesten dürfte wohl Buschs Max und Moritz sein[16]: Ach, was muß man oft von bösen Auch bei Morgenstern finden sich wieder Beispiele (Exlibris, Nach Norden, St. Expeditus, West-östlich). Was sich für die Komik eignet, kann auch für Satire und Invektive nicht untauglich sein. So verwendet Arno Holz die Form für seine Schmähung der deutschen Dichterin[17]: Powrer noch als Zink und Zinn Außerhalb der komischen und satirischen Dichtung hat dieser trochäische Zweizeiler geringere Bedeutung. Siehe etwa die historische Ballade Die Herzogin von Orlamünde aus Des Knaben Wunderhorn[18]: Albert Graf von Nürnberg spricht: Ein seltenes Beispiel des Gebrauchs der Form in der modernen deutschen Lyrik ist schließlich das Gedicht Selbdritt, selbviert von Paul Celan aus Die Niemandsrose mit den durch Wortwiederholung geradezu überbetonten Trochäen: Krauseminze, Minze, krause, Wieder im Bereich des Komischen dichtete Robert Gernhardt angeregt von der oben zitierten Hesseschen Berglyrik ebenfalls in paargereimten trochäischen Vierhebern[19]: Steiner sprach zu Hermann Hesse: FünfheberAuch der paargereimte trochäische Fünfheber erscheint bei Morgenstern, sowohl in akatalektischer Form mit weiblichem Reim (Der Aromat, Die Kugeln) als auch in katalektischer mit männlichem Reim (Das böhmische Dorf, Wort-Kunst). Dem gegenüber stehen außerhalb der komischen Dichtung Beispiele mit abendlichem oder schon nächtlichem Sujet, vorwiegend katalaktisch: Will Vesper Trüber Abend, Gertrud Kolmar Der schöne Abend, Moritz Jahn Aleen in der Nacht, Franz Werfel Nächtliche Heimkehr und Nächtliche Kahnfahrt und Erinnerung, Hermann Hesse Wanderer im Schnee, Emil Barth Nachtgleiche. Dem fallenden Rhythmus des Trochäus folgend wird die Form auch verwendet, um Sinken und Fallen zu thematisieren, beispielhaft in Conrad Ferdinand Meyers Eingelegte Ruder[20]: Meine eingelegten Ruder triefen, Weitere Beispiele des trochäischen Fünfhebers bei Meyer sind Neujahrsglocken und Zwiegespräch[21], ein Sinkendes und Nächtliches kombinierender Dialog zwischen Sonne und Abendröte, wobei die Dialogpartner strophenweise wechseln: Sonne: Ähnlich nach unten gerichtet Franz Werfel in Tropfen und abgründig bei Isolde Kurz in Schlummerflocken: Niedersank der Tag. Aus dunklen Toren Elegisches DistichonDas aus der Paarung eines Hexameters mit einem Pentameter entstehende Distichon ist in der deutschen Dichtung vor allem seit der Klassiḱ eine häufige Form, sowohl als Gedichtform – siehe das Beispiel aus Goethes Venezianischen Epigrammen in der Einleitung oder die Xenien von Goethe und Schiller –, als auch als Strophenform. Das Metrische Schema zeigt an, dass analog antikem Gebrauch die Daktylen zu Trochäen verkürzt werden können, außer im zweiten Teil des Pentameters:
Beispiele für strophischen Gebrauch finden sich bei Klopstock (Die künftige Geliebte, Winterfreuden) und Schiller (Der Genius, Die Geschlechter, Nänie). Goethe verwendet es strophisch in den Römischen Elegien und in seinem Lehrgedicht Die Metamorphose der Pflanzen. Einen Höhepunkt der Elegiendichtung bilden dann die Werke von Hölderlin (Brod und Wein, Der Wanderer, Menons Klagen um Diotima). In der Romantik wird die Form noch verschiedentlich verwendet, namentlich bei Novalis und Rückert, in der moderneren Dichtung aber wird sie selten. So beklagt Josef Weinheber das Schwinden der Form aus der Dichtung[22]: Hirtlicher Vers, du schwindest dahin? Und hatten doch einstens Zweizeiler in der französischen DichtungIm Gegensatz zum sehr häufigen Gebrauch des elegischen Distichons im Deutschen ist die französische Form (französisch distique) isometrisch und gereimt. Aus einem Reimpaar bestehende Strophen oder Strophenteile werden auch als Couplet bezeichnet (englisch couplet; französisch couplet de deux vers). Das Wort leitet sich vom lateinischen copula („Verbindung“) ab, davon die die altfranzösischen Worte cople oder couple und das spanische copla, die seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert für die Verbindung von Reimpaaren zur Strophe eines Gedichtes oder Liedes belegt sind. In der Troubadour-Lyrik ist Couplet die Bezeichnung für „Strophe“ schlechthin. Zweizeiler in der englischen DichtungDas heroic couplet wird von Edmund Spenser, Ben Jonson und John Dryden verwendet. Geoffrey Chaucer wandelt die Form ab (in The Romaunt of the Rose). Zweizeiler in außereuropäischen LiteraturenBeispiele für zweizeilige Strophenformen in den außereuropäischen Literaturen sind die arabisch-persische Ghasel, der altindische Shloka und der tamilische Kural-Venba (vgl. Tirukkural). Auch die germanische Langzeile mit ihren beiden Teilen kann als Zweizeiler aufgefasst werden. Siehe auch: Liste von Strophen- und Gedichtformen Literatur
Einzelnachweise
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