Rauschenbusch war das jüngste von vier Kindern einer baptistischen Familie deutscher Herkunft. Sein Vater August Rauschenbusch war lutherischer Pfarrer in der siebten Generation, schloss sich aber gemeinsam mit seiner Ehefrau Caroline nach seiner Auswanderung in die USA den Baptisten an. Er kehrte später nach Deutschland zurück und übte durch seine schriftstellerische und theologische Lehrtätigkeit wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des damals noch jungen deutschen Baptistenbundes aus.
Rauschenbusch wurde Baptistenprediger der Second German Baptist Church in Hell’s Kitchen, einer armen Gegend Manhattans. Hier beschäftigte ihn das Schicksal der vielen europäischen Einwanderer in die USA, die oft in städtischen Slums von New York City und anderen Großstädten landeten und verelendeten. Sie arbeiteten und lebten häufig unter menschenenunwürdigen Bedingungen und litten an Überarbeitung, Mangelernährung, Krankheiten, Gewalt, Alkoholismus, Kriminalität, Korruption und starben eines zu frühen Todes. Er schloss sich einer Gruppe von Gleichgesinnten an, aus der heraus das Konzept des Social Gospel entwickelt wurde, um etwas von der Gerechtigkeit des Reiches Gottes bereits in dieser Welt sichtbar werden zu lassen. 1891 während eines Sabbaticals in England und Deutschland arbeitete er diese neue Sichtweise weiter aus.[2]
1897 erhielt Rauschenbusch einen Ruf als Professor an das Baptistische Theologische Seminar in Rochester. In mehreren Schriften, vor allem in Christianity and the Social Crisis (1907) und in A Theology of the Social Gospel (1917), schuf er die theologische Grundlage einer sozialen Dimension des Evangeliums und einer daraus resultierenden Verantwortung der Christen für gesellschaftliche Reformen als Schritte auf das Reich Gottes hin.[3]
Bedeutung
Rauschenbusch verband in besonderer Weise evangelikalenPietismus mit kapitalismuskritischer und sozialreformerischer Leidenschaft, damit sich etwas vom Reich Gottes in dieser Welt manifestieren würde. Insofern brach er aber auch mit dem Konservativismus und der Selbstgefälligkeit des amerikanischen Protestantismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Seine Ansichten wirkten vor allem in den USA nach bis in die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, in Deutschland wurde er trotz deutschen Wurzeln kaum beachtet und rezipiert.[4][5][6]
Walter Rauschenbusch gab auch gemeinsam mit Ira David Sankey ein Gesangbuch heraus und betätigte sich nebenbei als Kirchenliederdichter und -übersetzer in die deutsche Sprache.[7] Im freikirchlichen Gesangbuch Feiern und Loben findet sich unter der Nummer 248 noch eine Liedstrophe von ihm: Schau ich zu deinem Kreuze hin.
Christianity and the Social Crisis. 1907 – Neuauflage mit einem Vorwort von Douglas F. Ottati: Louisville 1991, ISBN 0-664-25321-0.
The Freedom of Spiritual Religion. Philadelphia 1910.
Christianizing the Social Order. 1912.
A Theology for the Social Gospel. MacMillan, New York 1917 und Martino Fine 2010 und 2017
Die religiösen Grundlagen der sozialen Botschaft, aus dem Englischen übersetzt von Clara Ragaz, mit einer Einleitung von Leonhard Ragaz, Erlenbach/Zürich 1922.
Literatur
Eberhard Amelung: Walter Rauschenbusch. In: Tendenzen der Theologie im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte in Porträts. Hg. v. Hans Jürgen Schultz, Stuttgart u. a. 1966, S. 69–73.
Milenko Andjelic: Christlicher Glaube als prophetische Religion: Walter Rauschenbusch und Reinhold Niebuhr. Frankfurt am Main; Berlin; Bern; New York; Paris; Wien: Lang 1998 (Internationale Theologie; Bd. 3) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1996, ISBN 3-631-33576-8.
William H. Brackney: Walter Rauschenbusch – Prophet and Legend, Kirchliche Zeitgeschichte Vol. 31/1, Glaube und der Erste Weltkrieg, S. 199–220, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018.
Christoph Bresina: Von der Erweckungsbewegung zum „Social Gospel:“ Walter Rauschenbuschs Herkunft, Umfeld und Entwicklung bis 1891. Marburg, Univ., Diss., 1993.
Uwe Dammann: Artikel Rauschenbusch, Walter (1861–1918). In: Ev. Lexikon für Theologie und Gemeinde. Bd. 3, 1994, 1655f.
Uwe Dammann: Ein Radikaler für das Reich Gottes. Eine Erinnerung an Walter Rauschenbusch (1861–1918). In: Die Gemeinde. 20/2011, S. 12.
Christopher H. Evans: The Kingdom always but coming: A Life of Walter Rauschenbusch, Baylor University Press, Februar 2010, ISBN 978-1-60258-209-5
Klaus Jürgen Jähn: Walter Rauschenbusch und die Anfänge seiner Theologie des Social Gospel 1886-1891, Band 10, ISBN 978-3-7534-3876-4
William L. Pitts: The Reception of Rauschenbusch. The Responses of His Earliest Readers, Mercer University Press
Dores Robinson Sharpe: Walter Rauschenbusch, Kessinger Publishing, 2010, ISBN 978-1-163-15675-9
Don E. Smucker: Walter Rauschenbusch und die täuferische Geschichtsschreibung. In: Das Täufertum. Erbe und Verpflichtung. (Hrsg. Guy F. Hershberger), Stuttgart 1963, S. 273–286.
↑Gunnar Hillerdal: Art. Armut, Kapitel VII: 16.–20. Jahrhundert (ethisch). In: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 4. Walter de Gruyter, Berlin 1997, S. 98–121, hier S. 113.