UnterwasserstationEine Unterwasserstation bzw. ein Unterwasserlabor (kurz UWL), auch Unterwasserhabitat, ist eine Tauch- und Arbeitsstation unter Wasser, die in der Regel auf dem Meeresboden für Forschungszwecke wie meereskundliche Aufgaben dauerhaft oder für einen längeren Zeitraum errichtet wird. In den 1960er und 70er Jahren dienten Unterwasserstationen der Erforschung insbesondere der Offshore-Tauchtechnik und des Sättigungstauchens, auch wurden neue Erkenntnisse in der Zoologie gewonnen. Die Stationen verblieben während des Forschungsauftrages in der festgelegten Tiefe, die Versorgung war über Schiffe oder von Land sichergestellt. Entsprechend der Aquanautik, dem Forschungsbereich der Meereskunde, der sich mit der Stationierung von Menschen unter Wasser beschäftigt, nennt man Besatzungsmitglieder einer Unterwasserstation Aquanauten.[1] GeschichteErste Generation, ab 1957Die frühe Geschichte von Unterwasserstationen ist identisch mit der von Taucherglocken und Senkkästen. Da außerdem lange Aufenthalte in Umgebungen mit erhöhtem Druck (hyperbare Umgebungen) notwendigerweise mit einer Sättigung des Körpers mit dem umgebenden Gas einhergeht, ist sie ebenfalls eng mit der Entwicklung des Sättigungstauchens verbunden. Die zündende Inspiration, die zum Bau vieler verschiedener Unterwasserstationen führte, kam von George F. Bond, der zwischen 1957 und 1963 in seinem Projekt Genesis in fünf Phasen die medizinischen Auswirkungen von Organismen in gesättigtem Zustand erforschte. Durch diese Experimente motiviert, begann Edwin A. Link das Programm Man-in-the-Sea noch bevor George F. Bond die Experimente mit Menschen 1962 durchführte. Dazu entwickelte er eine Tauchkammer, in der er diverse Versuche vornahm, bevor unter der Bezeichnung Man-in-the-Sea I Robert Sténuit knapp über 24 Stunden auf einer Tiefe von 61 m verbrachte.[1] Ebenfalls durch die Ergebnisse von George F. Bond motiviert, fand 1962 in Frankreich Jacques-Yves Cousteaus erstes Conshelf-Projekt auf einer Tiefe von 10 m statt. Dabei verbrachten zwei Taucher eine Woche in einem waagerechten Stahlzylinder. Nun wurden die Projekte anspruchsvoller. 1963 folgte Cousteaus Conshelf-II-Projekt. Im Vordergrund stand dabei nicht nur der technische Erkenntnisgewinn, sondern auch die Absicht, anstelle eines reinen Schutzraumes ein wohnliche Umgebung zu schaffen. Auf 11 m Tiefe lebten fünf Personen für vier Wochen, zwei weitere eine Woche auf 25 m Tiefe.[2] Im Juni 1964 verbrachten Robert Sténuit und Jon Lindbergh 49 Stunden auf einer Tiefe von 126 m in Edwin A. Links Man-in-the-Sea II-Programm. Das Habitat bestand dabei aus einem elastischen Ballon namens SPID. Analog zum Wettlauf zum Mond begann nun ein Wettrennen um die Führung bei der Stationierung von Menschen auf dem Meeresboden. Die Anlagen wurden größer und man erweiterte die Einsatztiefe. Es folgte eine Reihe von anspruchsvollen Unterwasserstationen, in denen sich Menschen für mehrere Wochen und in großen Tiefen aufhielten. Mit Sealab II entstand das bisher größte Habitat mit einer Nutzfläche von 63 m², das auf einer Tiefe von über 60 m eingesetzt wurde. Mehrere Länder bauten fast zeitgleich eigene Stationen und begannen Experimente meist in flachen Gewässern, während immer neue Rekorde gebrochen wurden. So wohnten in Conshelf III sechs Aquanauten für mehrere Wochen auf einer Tiefe von 100 m. In Deutschland wurde mit dem UWL Helgoland das erste Habitat für den Betrieb in kalten Gewässern gebaut, die Tektite-Stationen waren geräumiger und technisch ausgereifter. Das wohl ambitionierteste Projekt war Sealab III, ein Umbau von Sealab II, das nun auf 186 m betrieben werden sollte. Als einer der Taucher noch in der Vorbereitungsphase durch menschliches Versagen tödlich verunglückte, wurden alle weiteren Projekte der U.S. Marine beendet. Ein französisches Tauchunternehmen war das im September 1970 durchgeführte Janus II, bei dem drei Aquanauten acht Tage im Golf von Ajaccio in 255 Metern Tiefe verbrachten, ein neuer Spitzenwert, da bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand derart lange unter einer so hohen Wassersäule gearbeitet hatte. International ist zu bemerken, dass alle begonnenen Groß-Projekte bis auf das La Chalupa-Habitat durchgeführt, aber nicht mehr fortgesetzt wurden, so dass die folgenden Habitate kleiner und für geringere Tiefen ausgelegt waren. Das Rennen um größere Tiefen, längere Missionen und technische Weiterentwicklungen schien somit ein Ende gefunden zu haben. Auch aus Gründen wie fehlende Mobilität, nicht zu gewährleistende Autarkie, Verlagerung des Schwerpunkts auf Raumfahrt und/oder Übergang zu oberflächenbasierten Ölplattformen sank das Interesse an Unterwasserstationen, so dass nach 1970 eine spürbare Abnahme an großen Projekten auftrat. Mitte der achtziger Jahre entstand noch das Habitat Aquarius im Stil von Sealab und Helgoland und ist noch heute in Betrieb. Die erste Generation von Unterwasserstationen endete mit ihm. Folgendes Zitat der Cousteau Society drückt stellvertretend das Ergebnis der gesamten ersten Generation von Unterwasserstationen aus:
Es folgten Projekte, die das Erleben in den Vordergrund rückten. So entstanden futuristische Konzepte für Unterwasserdörfer und -Luxushotels (Village Sous-Marin, Hydropolis, Poseidon Resort). Man entdeckte die Unterwasserwelt auch als Plattform für Fernseh-Spielshows (Progetto Abissi), baute Unterwasser-Observatorien (Coral World/Eilat) und -Restaurants, die per Korridor von der Wasseroberfläche erreichbar waren (Red Sea Star, Ithaa) oder Forschungsstationen, die an der Wasseroberfläche treiben und über einen Unterwasserbereich verfügen sollten (SeaOrbiter). Die meisten dieser neuen Großprojekte wie Hydropolis, Poseidon Resort und SeaOrbiter wurden nicht umgesetzt, obwohl die Architekten sowohl von SeaOrbiter, Jacques Rougerie, als auch von Poseidon Undersea Resort, L. Bruce Jones, für die erfolgreiche Realisierung von unterseeischen Projekten bekannt sind. 2. Generation, ab 20182018 schlug Martin Henke, Gründer von Calamar Park, einer „Initiative für Studien zur Aquanautik“[3], auf der 21. Konferenz für Unterwasser-Forschung und -Technologie analog zur ISS den Bau einer Internationalen Unterwasserstation vor[4], dessen Konzept 2020 bei der ESA eingereicht wurde. Schwerpunkt dieser Präsentation war eine internationale und interdisziplinäre Nutzung, Modularität, größere Nutzfläche und ein kleines, mobiles Habitat als ein ergänzendes Element einer größeren Struktur, die wiederum Teil eines lokalen Netzwerks ist.[5] 2020 nahm Fabien Cousteau, Enkel von Jacques-Yves Cousteau, die Idee einer Internationalen Unterwasserstation auf und stellte seine Vision einer permanenten Unterwasser-Forschungsstation namens Proteus vor, die eines Tages viermal größer als alle bisherigen Unterwasser-Habitate sein soll. Die Installierung soll zu einem unbestimmten Zeitpunkt vor der Küste von Curaçao stattfinden.[6] Im Jahr 2023 zeigte er eine neue Version des Konzepts, jetzt weniger futuristisch, jedoch weiterhin mit sehr großer Nutzfläche.[7] Am 17. Februar 2022 fand auf eine Initiative von Martin Henke die Online Konferenz „Seafloor Habitat 2.0 - Ignition Con“ statt. Mit der Konferenz war beabsichtigt, die Ära der kleinen Habitate der 60er und 70er Jahre zu beenden und durch eine neue Generation von Stationen zu ersetzen, die über viel größere Nutzflächen verfügen und daher die Möglichkeit für längere Aufenthalte und langfristige Operationen bieten. Neben den Habitat-Pionieren James W. Miller und Ian Koblick, sowie der Meeresforscherin Sylvia Earle nahmen mehrere Repräsentanten aus Bereichen wie der Raumfahrtindustrie und Unterwasserarchäologie teil, um die Nutzungsmöglichkeiten von Habitaten für ihren jeweiligen Sektor zu erörtern. Henke erweiterte sein Konzept um die Notwendigkeit, den Humanfaktor, serielle Bauweise, weitere Nutzungssektoren und einen entsprechenden Entwicklungspark einzubeziehen und sich nicht-wissenschaftlichen Sektoren zu öffnen, damit zukünftige Stationen auch langfristig finanziell nachhaltig operieren können.[8] Im Oktober 2022 kündigte der französische Forscher Alban Michon die Entwicklung des aus mehreren schmalen Röhrenelementen bestehenden Habitat-Systems Biodysseus an, mit dem er mehrere Wochen auf dem Meeresboden unter dem Eis der Arktis verbringen will. Auch hier wurde Modularität, Mobilität und Interdisziplinarität hervorgehoben.[9][10] Am 4. August 2023 kündigte das britische Unternehmen DEEP die Entwicklung eines modularen Habitat-Konzepts namens Sentinel an. Der Schwerpunkt dieses Konzepts liegt auf dem Humanfaktor, Modularität, Wiederverwendbarkeit sowie einem multinationalen Ansatz und Zielgruppen wie Raumfahrt-Simulationen und Unterwasserarchäologie. Die Entwicklung eines weiteren mobilen Habitats namens Vanguard wurde von DEEP am 10. September 2024 angekündigt.[11][12] Im Oktober 2024 gab Sebastian Aristotelis, Gründer von SAGA Space Architects, auf dem Digital Tech Summit in Dänemark die Entwicklung des Unterwasserhabitats UHAB-3 bekannt.[13] Zuvor hatte er erfolgreiche Versuche in seinem kleinen Habitat (UHAB-1) für eine Person absolviert. Ein sechs-stufiger Plan sah vor, zwischen Januar und November 2024 ein originalgetreues Modell (UHAB-2) zu produzieren, bevor UHAB-3 begonnen wird.[14] Technische GrundlagenTypenAus der Liste der bisherigen Unterwasserstationen ableitend, können Unterwasserstationen je nach geplanter Tiefe und Mobilität in verschiedene Typen unterteilt werden. Dadurch wird ersichtlich, dass sich Unterwasserstationen konzeptionell nicht immer klar von Tauchbooten, Taucherglocken oder Schiffen unterscheiden lassen. Ein auf dem Meeresboden absetzbares und mit Ausstiegsschleusen versehenes Tauchboot kann somit durchaus als Unterwasserstation kategorisiert werden. Ebenso verhält es sich mit Taucherglocken, die über einen Trockenbereich verfügen und den Tauchern erlauben, komplett aufzutauchen; oder Schiffe, die über einen Bereich im Rumpf verfügen, dessen Druck an die Umgebung angepasst werden kann und es Tauchern erlaubt, über Schleusen Ausstiege vorzunehmen. Zu diesem Dilemma schrieb G. Haux 1970:
Die wichtigsten Unterscheidungen sind wie folgt:
Die zwei Innendrucktypen: Umgebungsdruck gegen OberflächendruckBezüglich des Innendrucks lassen sich zwei Arten von Unterwasserstationen unterscheiden:
Das Drei-Kammer-SystemWährend man in den Experimenten Man-in-the-Sea I, Conshelf I, II und III das Habitat zugleich auch als Dekompressionskammer benutzte, wurden die beiden Funktionen schon im Man-in-the-Sea II-Experiment physisch voneinander getrennt. Nach dem Aufenthalt im Habitat stiegen die Taucher in eine Transportkapsel um, in der sie auch gleichzeitig dekomprimierten. Seit den Sealab-Projekten nutzt man das Drei-Kammer-System, bei dem die Taucher nach ihrem Aufenthalt im Habitat in eine Personentransferkapsel (PTC, engl. personnel transfer capsule) umsteigen, die unter Wasser versiegelt und so an Bord des Versorgungsschiffes gehoben wird. Dort koppelt man es an eine geräumige Deckdekompressionskammer (DDC für deck decompression chamber), in der die teilweise beträchtliche Dekompressionsphase absolviert wird. Die Vorteile sind Mobilität, Wetterunabhängigkeit und bessere medizinische Überwachung. Die letzte Etappe der Entwicklung ist die Reduzierung von Tieftauchsystemen auf Deckdekompressionskammer und Personentransferkapseln wie in der Draeger Tieftauchanlage Bibby Topaz.[17] Die Taucher wohnen dabei für den gesamten Einsatz unter dem Druck der Einsatztiefe in einem sehr geräumigen Druckkammer-Komplex im Rumpf des entsprechenden Schiffes. Für die einzelnen Taucheinsätze werden sie per Kapsel auf die entsprechende Tiefe gebracht, wo sie aussteigen und die Unterwasserarbeiten absolvieren. Am Ende des Tauchgangs steigen sie zum Transport an die Wasseroberfläche wieder in die Kapsel, die auf dem Schiff an den Druckkammerkomplex gekoppelt wird. Am Ende des mehrere Tage dauernden Einsatzes beginnt die wiederum mehrere Tage lange Dekompressionsphase. Systeme dieser Art werden heute für alle Offshore-Sättigungstauchgänge eingesetzt.[18] Unterwasserstationen haben sich somit durch ihre eigene Weiterentwicklung selbst abgeschafft. Komponenten von Unterwasserstationen
AusstiegeFür Ausstiege werden entweder gängige Drucklufttauchgeräte oder lange Schlauchverbindungen zum Habitat benutzt. Die Schlauch-Variante wird im Englischen als Hookah bezeichnet, dem aus dem Hindustani stammenden Begriff für Wasserpfeife.
Somit sind die horizontalen Radien der Ausstiege auf die Menge des Luftvorrats oder die Länge des Atemschlauches begrenzt. Aber auch die Entfernungen über und unter das Niveau des Habitats sind beschränkt und richten sich nach der Einsatztiefe und der damit verbundenen Gasdrucksättigung der Taucher. Der für Ausstiege erreichbare Freiraum beschreibt somit die Form eines Ellipsoids rund um das Habitat. Natürlich gilt für jede Bodentiefe (die Tiefe des Habitats, von welchem die Exkursionen stattfinden) eine andere Nullzeit; die mögliche Entfernung über und unter dem Habitat, ohne eine Dekompressionsschuld einzugehen, vergrößert sich mit steigender Tiefe. Das angesprochene Ellipsoid nimmt daher eine rundere Form ein, je tiefer das Habitat positioniert ist. Dieses Prinzip ist als Exkursionstauchen beschrieben. Im Programm Tektite I befand sich das Habitat auf einer Tiefe von 13,1 m. Ausstiege waren vertikal bis auf eine Tiefe von 6,7 m (6,4 m über dem Habitat) bzw. 25,9 m (12,8 m unter dem Habitat-Niveau) begrenzt und wurden horizontal bis auf eine Entfernung von 549 m zum Habitat durchgeführt.[1] VorteileDie Stationierung von Tauchern auf dem Meeresboden hat gegenüber von oberflächenbasierten Tauchgängen diverse Vorteile:
Nachteile
WeblinksCommons: Unterwasserstation – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Siehe auchListe der Unterwasserstationen Einzelnachweise
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