Römisch-katholische Kirche in den Vereinigten Staaten
Die römisch-katholische Kirche in den Vereinigten Staaten ist Teil der weltweiten römisch-katholischen Kirche und die zahlenmäßig stärkste religiöse Gemeinschaft.
Ihren Ursprung findet die Römisch-katholische Kirche in den Vereinigten Staaten bereits mit der Kolonialisierung Amerikas. Doch entwickelte sie sich in den folgenden Jahrhunderten sehr langsam und war in ihrer Organisation und Hierarchie stets an Europa angekoppelt. Der erste Bischofssitz, der in den USA eingerichtet wurde, war Baltimore, errichtet am 6. November 1789.[1] Der erste Bischof und später Erzbischof von Baltimore – und damit der erste Bischof mit Sitz in den Vereinigten Staaten – war John Carroll (1735–1815).[2] Die Erhebung des Bistums Baltimore zum Erzbistum und die damit verbundenen Einrichtung einer ersten Kirchenprovinz in den Vereinigten Staaten am 8. April 1808 bezeichnete Papst Pius X. anlässlich des 100. Jahrestages in seiner EnzyklikaCommunium rerum vom 21. April 1909 als einen Markstein beim hierarchischen Aufbau der katholischen Kirche des jungen Staates: „Nordamerika konnte die Jubelfeier seiner Bistumsorganisation begehen“.[3]
19. Jahrhundert
Ein starkes Wachstum der katholischen Kirche in den USA erbrachten die großen Einwanderungswellen des 19. Jahrhunderts. Die verschiedenen ethnischen Gruppen brachten ihre Glaubenstraditionen mit in ihre neue Heimat, welche sie bis heute pflegen. Sie wurden bis um 1900 vor allem von europäischen Missionaren seelsorglich betreut, die dazu aus ihren Herkunftsländern entsandt wurden.
Durch die Gründung immer neuer Kirchengemeinden und Bistümer verdichtete sich die Kirchenstruktur. Wichtiger noch: Nach und nach entfaltete sich eine eigenständige Kirchenkultur, auch durch die Möglichkeit der Abnabelung von Europa dank zunehmender geistlicher Berufungen. Bereits 1875 wurde diese Entwicklung durch einen eigenen Kardinal für die USA gewürdigt, als der New Yorker Erzbischof John McCloskey ins Kardinalskollegium aufgenommen wurde.
Die Männer- und Frauenorden in den USA erhielten als eigenständige Ordensprovinzen innere Autonomie. Auch neue Ordensgemeinschaften entstanden, die sich jedoch meist auf eine Wirksamkeit in den USA beschränkten und nur in Einzelfällen und spät (erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts) auch in die Mission gingen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelten sich im religiös-weltanschaulichen „Schmelztiegel“ dieser jungen Nation moderne Gebräuche, die in Europa skeptisch betrachtet wurden. So war es damals für Ordensleute in den USA schon nicht mehr üblich, auf der Straße ihre Ordenstracht zu tragen. Stattdessen trugen Ordenspriester einen schwarzen Anzug mit geistlichem Hemd – was in Europa zu dieser Zeit undenkbar gewesen wäre.
20. Jahrhundert
Vor allem in den 1930er und 1940er Jahren traten zahlreiche Protestanten der katholischen Kirche bei.[4] Ein Forum katholischer Intellektueller war die von George Shuster geprägte, seit 1924 in New York erscheinende Zeitschrift Commonweal.[5] Früher als in fast allen anderen Ländern begann die katholische Kirche in den USA, Medien wie Fernsehen und Radio, später das Internet zu nutzen. Das Zweite Vatikanische Konzil erwies sich als Rückenwind für „liberale“ Theologen, die bis dahin in der theologisch, zumal moraltheologisch eher konservativ ausgerichteten katholische Kirchen der USA misstrauisch beäugt worden waren.[6] Seit den 1960er Jahren vermischten sich mehr und mehr die Katholiken, die zuvor vielerorts in nach Herkunftsländern aufgeteilten Gemeinden nebeneinander gelebt hatten.
Die Spendenfreudigkeit der US-Amerikaner brachte die Kirche der USA zu Wohlstand und ermöglichte die Gründung zahlreicher karitativer Initiativen. Da es keinen steten Einnahmenzustrom und keine Rücklagen aus einer Kirchensteuer gibt, muss die Wirtschaftlichkeit solcher Einrichtungen stets im Blick bleiben. Die Mobilität der US-Amerikaner führte unter anderem dazu, dass Ordenshäuser schneller aufgehoben bzw. kirchliche Gebäude häufiger abgerissen und andernorts neu gebaut wurden, als es damals in Europa üblich war.
Organisation
Etwa ein Viertel der US-Amerikaner ist katholisch. Da es unter den Protestanten verschiedene verbreitete Konfessionen in den Vereinigten Staaten gibt, ist die römisch-katholische Kirche dort die größte einzelne Glaubensgemeinschaft.[7]
Die höchsten Anteile von Katholiken an der Gesamtbevölkerung finden sich im Nordosten sowie im Südwesten des Landes. Diese Verteilung der katholischen Bevölkerung ist vor allem auf verschiedene Einwanderungswellen zurückzuführen, im Nordosten auf Deutsche, Iren, Polen und Italiener, im Südwesten auf Hispanics. Der prozentuale Anteil ist je Bundesstaat wie folgt (Stand 2008):[9]
Papst Leo XIII. richtete am 24. Januar 1893 ein Apostolisches Delegat ein, das Papst Johannes Paul II. am 10. Januar 1984 zu einer Nuntiatur führte. Apostolischer Nuntius ist seit 12. April 2016 Erzbischof Christophe Pierre, der das Amt auch nach seiner Erhebung zum Kardinal im September 2023 weiter ausübt.
In den vergangenen Jahren ist in den USA eine große Zahl von Fällen sexuellen Missbrauchs Kinder und Jugendlicher durch katholische Geistliche bekannt geworden, vor allem aus den 1940ern und bis in die 1990er Jahre. Jahrelang waren die Fälle nicht öffentlich geworden. Landesweit hatten mehr als 10.000 Opfer geklagt. Die durch katholische Laien gegründete private Organisation BishopAccountability veröffentlichte online nach Durchsicht kircheninterner Dokumente eine Zahl von 3.000 Einzeltätern. Das Problem der Missbrauchsskandale hat die Kirche der USA nicht nur viel an Ansehen gekostet, sondern zahlreiche Diözesen auch an den Rand der Zahlungsunfähigkeit getrieben. Der Erzbischof von Boston sitzt seit 2004 nicht mehr in seiner Residenz, sondern in einer Mietwohnung.
Im Juli 2007 erklärte sich die Erzdiözese von Los Angeles bereit, eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 660 Millionen Dollar als außergerichtlichen Einigung an rund 500 Kläger zu zahlen. Die Kirche vermied damit einen Prozess wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern[10]. Mit der vereinbarten Zahlung von Los Angeles summieren sich die kirchlichen Entschädigungszahlungen auf rund zwei Milliarden US-Dollar (1,45 Milliarden Euro). Der Dokumentarfilm Deliver Us from Evil aus dem Jahr 2006 thematisiert die Problematik anhand der Geschichte eines nordkalifornischen Priesters, dem der mögliche sexuelle Missbrauch von potentiell hunderten von Kindern vorgeworfen wird.
Kardinal Bernard Francis Law, der damalige Erzbischof von Boston, legte im Jahre 2002 die Leitung des Erzbistums Boston nieder, weil ihm vorgeworfen wurde, Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern unter seinen Diözesanpriestern nicht in hinreichender Weise verfolgt und angezeigt zu haben.[11]
Bei einer sechstägigen Reise vom 16. bis 21. April 2008 in die USA äußerte sich Papst Benedikt XVI. „tief beschämt“ über pädophile Priester und rief die katholische Kirche in den USA nach den Missbrauchsskandalen mehrfach zur Reinigung und Erneuerung auf. Er traf sich in einer symbolischen Geste auch mit Männern und Frauen, die als Kinder oder Jugendliche von Priestern missbraucht worden waren. Zugleich würdigte Benedikt jedoch auch die tiefe Spiritualität in den USA.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden rund 1000 Missbrauchsfälle im Staat Pennsylvania bekannt.[12]
Jean Jadot, Apostolischer Delegat in den USA 1973–1980
Literatur
Patrick Carey: Catholics in America: A History. 2. Auflage. Rowman & Littlefield, Lanham, 2008, ISBN 978-0-7425-6233-2.
Arnd Franke: Stewardship. Das bedeutendste Pastoralkonzept in den USA als Inspiration für den deutschen Kontext. Aschendorff Verlag, Münster 2019, ISBN 978-3-402-13380-4, S. 112–121.
Mary Gail Frawley-O’Dea: Perversion of Power: Sexual Abuse in the Catholic Church. Vanderbilt University Press, Nashville 2007, ISBN 978-0-82651547-6.
Mary Gail Frawley-O’Dea, Virginia Goldner (Hrsg.): Predatory priests, silenced victims. The sexual abuse crisis and the Catholic Church. Analytic Press, Mahwah 2007.
↑Avery Dulles: Die amerikanische Erfahrung von Kirche und das Zweite Vatikanische Konzil. In: Stimmen der Zeit, Bd. 202 (1984), S. 533–545, hier S. 534.
↑Avery Dulles: Die amerikanische Erfahrung von Kirche und das Zweite Vatikanische Konzil. In: Stimmen der Zeit, Bd. 202 (1984), S. 533–545, hier S. 535.
↑Avery Dulles: Die amerikanische Erfahrung von Kirche und das Zweite Vatikanische Konzil. In: Stimmen der Zeit, Bd. 202 (1984), S. 533–545, hier S. 538–541.