PallästhesieAls Pallästhesie (von altgriechisch πάλλώ ‚vibrieren‘, ‚schwingen‘) bezeichnet man in der Sinnesphysiologie das Vibrationsempfinden. Der Begriff Pallästhesie als Bezeichnung für die Sinnesmodalität „Vibrationsreizwahrnehmung“ wurde von Adam Rydel und Friedrich Wilhelm Seiffer 1903 geprägt,[1] ebenso die Begriffe Pallhypästhesie (verminderte Vibrationsreizwahrnehmung) und Pallanästhesie (fehlende Vibrationsreizwahrnehmung). Die Wahrnehmung von Vibrationen ist eine Komponente der haptischen Wahrnehmung, genauer der Feinwahrnehmung („epikritische Sensibilität“). Die Funktionen der Pallästhesie sind u. a. das Unterscheiden zwischen glatten und rauen Oberflächen, die Sicherheit beim Fassen und Stehen. Starke Vibrationseinwirkung wird als unangenehm empfunden. GrundlagenDie Rezeption von Vibrationsreizen erfolgt durch spezielle Mechanorezeptoren, die Vater-Pacini-Körperchen. Spezifische Reize sind – nach Rydel und Seiffer 1903 – Vibrationsfrequenzen zwischen 32 und 256 Hz, auf niedrigere und höhere Frequenzen sprechen die Vater-Pacini-Körperchen weniger gut an. Die Reizstärke wird durch die Vibrationsamplitude definiert: bei geringer Vibrationsamplitude ist sie schwach, große Vibrationsamplituden sind entsprechend starke Reize. Die Wahrnehmungsschwelle für Vibrationsreize ist definiert als diejenige Reizstärke (Vibrationsamplitude), die nötig ist, um eine Vibrationswahrnehmung hervorzurufen. Die Wahrnehmungsschwelle für Vibrationsreize ist altersabhängig, sie steigt mit zunehmendem Alter an. D. h., es kommt im Alter – wegen altersbedingter Abnahme der Nervenleistung (hier der myelinisierten, schnell-leitenden Aß-Nervenfasern) – zu einer gewissen Pallhypästhesie. Bei bestimmten Erkrankungen ist die Wahrnehmungsschwelle maximal erhöht, d. h., die größte Vibrationsamplitude erzeugt keine Vibrationswahrnehmung (Pallanästhesie). Da die verschiedenen Körperregionen und -strukturen (Skelett, Gelenke, Knochen, Haut) unterschiedlich dicht mit Vater-Pacini-Körperchen besetzt sind, ist die Pallästhesie dementsprechend unterschiedlich ausgeprägt: am empfindlichsten sind die Fußsohlen und die Fingerkuppen. Messung der PallästhesieDie Fähigkeit, Vibrationsreize wahrzunehmen, kann mit der Methode der quantitativen sensorischen Testung (QST) semi-objektiv gemessen werden. Maßgeblich ist die Vibrationsreiz-Wahrnehmungsschwelle, die mit verschiedenen Stimulations-Techniken festgestellt werden kann:
Im klinischen Alltag wird häufig die Rydel-Seiffer-Stimmgabel benutzt, die mit einer Skala von „0“ bis „8“ versehen ist. Die untersuchte Person gibt an, wann sie die Vibration nicht mehr spürt (Wahrnehmungsschwelle). In diesem Moment wird auf der Stimmgabel ein Wert abgelesen. Werte unter „6“ gelten als pathologisch. Typische Stellen für die Prüfung der Pallästhesie sind markante Knochenpunkte, beispielsweise der Innen- und Außenknöchel (Malleolus medialis et lateralis) am Fuß, die Tuberositas tibiae am Schienbein, der Beckenkamm (Crista iliaca), das Brustbein (Sternum), der distale Abschnitt der Speiche (Radius) und das Ellbogengelenk. Das Untersuchungsergebnis ist verwertbar, wenn die Angaben bei wiederholter Prüfung derselben Lokalisation konstante Werte erbringen und außerdem in bestimmten Arealen das Vibrationsempfinden besser ist. In der Arbeitsmedizin finden eher Pallästhesiometer Verwendung, da sie genauer messen als die Stimmgabel. StörungenPallhyp- oder Pallanästhesien können auftreten, wenn das Zentralnervensystem oder Nervenbahnen, die die Vibrations-Sinnesqualität leiten, geschädigt sind. Eine häufige Ursache sind Polyneuropathien, die beispielsweise infolge einer langjährigen Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), dann als diabetische Polyneuropathie bezeichnet, auftreten können. Weitere mögliche Ursachen sind Schädigungen des Rückenmarks (etwa bei Querschnittlähmung, Bandscheibenvorfall), des lemniskalen Systems oder des sensorischen Cortex im Parietallappen des Großhirns (beispielsweise durch Schlaganfall). Auch bestimmte arbeitsbedingte Vibrationsexpositionen durch Maschinen, die zu Gewebeschädigungen führen, können Pallhypästhesie hervorrufen[5] (Berufskrankheit Vibrationsschäden[6]). Literatur
Einzelnachweise
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