New Glenn
Die New Glenn ist eine in Entwicklung befindliche zweistufige Schwerlast-Trägerrakete des US-amerikanischen Raumfahrtunternehmens Blue Origin. Sie wird teilweise wiederverwendbar sein und soll für unbemannte wie bemannte Missionen eingesetzt werden. Die Rakete ist nach John Glenn benannt, dem ersten US-amerikanischen Astronauten in einer Erdumlaufbahn.[1] Finanziert wird die mehrere Milliarden US-Dollar teure Entwicklung mit Privatmitteln des Amazon- und Blue-Origin-Gründers Jeff Bezos.[2] Mit bis zu 45 Tonnen LEO-Nutzlast stünde die New Glenn in Konkurrenz zu den ebenfalls teilweise wiederverwendbaren Raketen Falcon 9 (23 t) und Falcon Heavy (64 t) von SpaceX sowie der europäischen nicht-wiederverwendbaren Rakete Ariane 6 (21 t). EinsatzprofilBlue Origin bewirbt die Rakete als Transportmittel für Personen wie für Fracht. Letzteres bezieht sich vor allem auf die Beförderung von Satelliten in eine Erdumlaufbahn,[3] aber es werden auch Missionen zum Mond angestrebt.[1][4] Angedeutet wurde auch eine Nutzung für den Weltraumtourismus.[5] Neben kommerziellen Anwendungen plant Blue Origin eine Zertifizierung der Rakete für militärische Missionen.[6] Die maximale Nutzlast ist mit 45 Tonnen für erdnahe Umlaufbahnen und 13 Tonnen für geostationäre Transferbahnen angegeben.[3] Diese Zahlen beziehen auf eine teilweise wiederverwendbare Konfiguration. Anders als SpaceX bietet Blue Origin keine Einwegverwendung für größere Nutzlasten an.[7] AufbauDie New Glenn soll zunächst aus zwei Stufen bestehen; eine dreistufige Variante ist in Planung. Die Erststufe soll nach dem Einsatz aufrecht landen können (propulsive landing) und 25-mal wiederverwendbar sein.[8] Zunächst ist allerdings nur eine 12-fache Verwendung geplant.[7] Mit etwa 98 Metern Höhe und 7 Metern Durchmesser wäre bereits die zweistufige New Glenn eine der größten jemals gebauten Raketen.[9][10] Die Motoren für alle Stufen entwickelt Blue Origin selbst. Die erste Stufe wird über sieben BE-4-Triebwerke mit insgesamt 16.800 kN Schub verfügen.[11] Als Treibstoff dient verflüssigtes Methan und als Oxidator Flüssigsauerstoff.[12][3] Das BE-4 arbeitet mit sauerstoffreicher Verbrennung im Hauptstromverfahren (oxygen-rich staged combustion cycle), einer ursprünglich in Russland entwickelten Triebwerkstechnologie (vgl. RD-170). Es wird auch als Motor für die neue Vulcan-Rakete der United Launch Alliance (ULA) verwendet, was zur Amortisierung der Entwicklungskosten beiträgt.[13][14] Das BE-4 soll 100-mal wiederverwendbar sein.[8] Die zweite Stufe erhält zwei BE-3U-Motoren, die mit flüssigem Wasserstoff und Sauerstoff betrieben werden. Für die dritte Stufe ist ein einzelnes BE-3U vorgesehen.[15] Es handelt sich dabei um eine Vakuum-Version des 490 kN starken BE-3-Triebwerks der Touristenrakete New Shepard. Mittels einer Doppelstartvorrichtung sollen zwei Nutzlasten übereinander transportiert werden können.[9] Produktions- und Starteinrichtungen
Blue Origin bemühte sich im Jahr 2013 um eine Anmietung des Startkomplexes 39A am Kennedy Space Center (KSC) in Florida. Von dort starteten bereits die Apollo-Missionen zum Mond und die meisten Space-Shuttle-Flüge, das heißt, die Einrichtung ist schon für bemannte Missionen ausgelegt. Den Zuschlag erhielt jedoch der Konkurrent SpaceX.[16] Daraufhin mietete Blue Origin die Startkomplexe LC-36 und LC-11 der benachbarten Cape Canaveral Air Force Station an. Die vorhandenen Vorrichtungen am LC-36 zum Start von Atlas-Raketen wurden vollständig abgebrochen, eine neue Startanlage ist im Bau. Am direkt angrenzenden LC-11 sollte ein Prüfstand für die Raketenmotoren entstehen;[17][18] diesen Plan gab Blue Origin jedoch auf.[19] Etwa 15 Kilometer nordwestlich, nahe dem KSC-Besucherzentrum, errichtete das Unternehmen eine 750.000 Quadratmeter große Fabrik für die Raketenfertigung.[20] Neben der Fabrik entstehen auch das Missions-Kontrollzentrum[18] und eine Anlage zur Wiederaufbereitung der Raketen-Erststufen.[21] In Huntsville (Alabama) wurde eine Fabrik für die BE-4-Triebwerke gebaut.[22] Für stark geneigte Umlaufbahnen ist ein zweiter Startplatz auf der Vandenberg Space Force Base geplant.[9] Landungen der Erststufe sollen auf einer schwimmenden Plattform etwa 1000 km vor der Küste erfolgen.[23] Hierzu sollte zunächst das Spezialschiff Jacklyn, eine ehemalige RoRo-Fähre, umgerüstet werden,[24][18] jedoch gab Blue Origin diesen Plan wieder auf.[25] EntwicklungsgeschichteBlue Origin arbeitete bereits in den frühen 2010er Jahren an einer Orbitalrakete mit wiederverwendbarer Erststufe. Sie sollte ein „bikonisches“ (doppelkegelförmiges) Raumschiff mit Astronauten oder Fracht in eine Erdumlaufbahn bringen.[26] 2011 begann die Entwicklung des Haupttriebwerks.[27][28] Im Gegensatz zu SpaceX ist Blue Origin dafür bekannt, im Verborgenen zu arbeiten und neue Produkte erst vorzustellen, wenn das Design feststeht. So wurde das BE-4 erst 2014 – gemeinsam mit ULA – angekündigt. Über den geplanten Fabrikneubau am Cape Canaveral informierte Jeff Bezos im September 2015.[27][29] Name und Konzept der New Glenn wurden schließlich im September 2016 vorgestellt.[30] Im Oktober 2017 begann der Test des BE-4-Triebwerks.[31] Für etwa Anfang 2018 wurde der Baubeginn der ersten Rakete angekündigt.[32] Danach verzögerte sich jedoch die Fertigstellung des BE-4 wegen Problemen mit dessen Treibstoffpumpe.[33] Um den ursprünglich für das vierte Quartal 2020 geplanten Erstflugtermin einhalten zu können, wurde Anfang 2018 die Motorkonfiguration für die zweite Stufe geändert. Statt einer Vakuumversion des BE-4 (BE-4U) werden zwei BE-3U eingesetzt. Die Entwicklung dieses Triebwerks war bereits weiter fortgeschritten.[15] Der Termin für den Erstflug verschob sich dennoch mehrfach, zuletzt auf Ende 2024.[34] Blue Origin hatte die NASA als Kunden gewinnen können, welche die Escapade-Raumsonden auf dem Jungfernflug platzieren wollte.[35] Aufgrund anhaltender Verzögerungen wurde dieser Plan im September 2024 jedoch wieder fallengelassen.[36] Technische DatenDaten – soweit nicht anders angegeben – gemäß Payload User's Guide, Revision C vom Oktober 2018:
Geplante StartsDurch die mehrjährige Verzögerung bei der Entwicklung der Rakete ergeben sich Verschiebungen in der Startplanung; auch Stornierungen sind möglich. Im Folgenden sind daher nur Startaufträge wiedergegeben, die innerhalb der letzten 24 Monate erteilt oder bestätigt wurden.
1 Bahn, auf der die Nutzlast von der obersten Stufe ausgesetzt werden soll; nicht zwangsläufig der Zielorbit der Nutzlast. Vergleich mit anderen SchwerlastraketenDie stärksten derzeit verfügbaren oder in Entwicklung befindlichen Trägerraketen für den Transport in niedrige Erdumlaufbahnen (LEO) sind:
1 Maximale Nutzlast bei Wiederverwendung aller wiederverwendbaren Komponenten. Ohne Wiederverwendung wäre eine wesentlich größere Nutzlast möglich, beim Starship mehr als 150 t (angestrebt 250 t). 2 Bei Wiederbetankung im Orbit. 3 Im Jahr 2016 kündigte ULA an, die Vulcan zusammen mit einer neuen Oberstufe für bemannte Missionen zertifizieren zu wollen, was später aber nicht mehr aktiv weiterverfolgt wurde. Bislang (Stand: Anfang 2023) sind keine bemannten Starts geplant, allerdings besteht daran Interesse. Weblinks
Einzelnachweise
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