Martin Irwahn wurde am 18. Februar 1898 als Sohn des Kaufmanns Johannes Wilhelm Heinrich Irwahn (1868–1948) und dessen Frau Amanda Jacobine Emma Irwahn (* 1871), geborene Raab, in deren Wohnung in der Spaldingstraße 80 in Hamburg-Hammerbrook geboren.[1] Seine Mutter war die Schwester des Porzellanmalers und Politikers Friedrich Raab, der zu der Zeit der Hamburgischen Bürgerschaft angehörte. Sein Vater Johannes Irwahn berief 1893 die Gründungsversammlung des DHV ein und war von 1893 bis 1896 dessen Verbandsvorsteher. Er gründete auch den „Deutschen Verein“, der sich explizit gegen die „Verjudung auf allen Gebieten“ richtete.[2] Sein Großvater Johannes Irwahn war Geistlicher in Hamburg-Rothenburgsort.[3] Martin Irwahn wuchs mit seinen Geschwistern Fritz (* 1900) und Gertrud auf.
Als Martin Irwahn drei Jahre alt war, blieb nach einem Unfall seine linke Hand verstümmelt, mit der er später jedoch einen Meißel halten konnte. Aufgrund einer Ohren-Tuberkulose wurde er ab 1910 mehrmals operiert. Da seine Eltern seinen Wunsch, Künstler zu werden, ablehnten, zog er bei denen aus und in einen Wasserturm, in der Waldstraße 37 ein. 1911–1917 absolvierte er eine Bildhauerausbildung an der Hamburger Kunstgewerbeschule bei Johann Michael Bossard und Richard Luksch mit sehr guten Noten. Anschließend studierte er an der Akademie für Bildende Künste Dresden bei Georg Wrba.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten konnte Irwahn sich stilistisch nicht mehr frei entfalten, da diese Werke sonst als Entartete Kunst deklariert werden würden. Er bekam Pressionen und berufliche Einschränkungen. Am 7. Dezember 1933 wurde die Tochter Gesa Irwahn geboren und am 13. August 1935 der zweite Sohn Heinrich Justus (Heiner) Irwahn. Ab 1936 ist Martin Irwahn im Hamburger Adressbuch mit der Adresse Schwarze Straße 1 in Hamburg-Hamm verzeichnet.[5] Im Ohlendorffhaus, das diese Adresse hatte, stellte die Hamburger Stadt seit 1932[6] Künstlern für eine geringe Miete Ateliers mit Wohnräumen zur Verfügung. Martin Irwahn hatte ein Atelier im Erdgeschoss.[7][8][9] Im selben Jahr übernahm Gertrud Irwahn die Aufgaben der Hausmeisterin im Ohlendorffhaus und Martin Irwahn schuf im Auftrag,[4] zusammen mit Baurat Hans Meding und Ludwig Kunstmann,[10] auf dem Friedhof Ohlsdorf die Ehrengruft für die Gefallenen der Bewegung.[4][11] Zwischen Irwahn und dem Bildhauer Alfred Wittich, in dessen Funktion als Kunstwart des Hamburger Senats, kam es zu Differenzen um die Ehrengruft. Danach hielt Irwahn sich vorübergehend in Berlin auf. Ab 1937 ist Gertrud Irwahn im Hamburger Adressbuch verzeichnet mit dem Zusatz Spritzmalerei und der Adresse Lindenstraße 19 in Hamburg-St. Georg, ab 1940 mit der Adresse Große Theaterstraße 44/45 in Hamburg-Neustadt. 1940 nahm Martin Irwahn an derHansischen Hochschule für bildende Künste an einem Fortbildungskurs von Johann Michael Bossard für Großplastik teil. Als Vorlage für Tierplastiken fertigte er oft Zeichnungen im Tierpark Hagenbeck an.[4]
Im Zweiten Weltkrieg wurde Hamburg-Hamm bei alliierten Luftangriffen im Rahmen der Operation Gomorrha im Juli 1943 fast vollständig zerstört. Auch das Ohlendorffhaus war betroffen. Alle dort gelagerten Arbeiten Irwahns wurden zerstört,[4] wie unter anderen auch die Arbeiten von Paul Bollmann, Eduard Hopf und Emil Rasmus Jensen. Irwahn war Luftschutzwart für das Ohlendorffhaus. Indem er in den für 50 Personen ausgelegten Luftschutzkeller ca. 400 Personen reinließ, rettete er vielen Menschen das Leben. Irwahn, seine Schülerin, Malerin und Bildhauerin Ruth Godbersen (1921–2006), Karl Kluths Frau Hannah und Emil Rasmus Jensen liefen danach in Richtung Horner Kreisel und fanden später bei Gertrud Irwahn Unterkunft.[12] Mit seiner Familie und Ruth Godbersen flüchtete Irwahn nach Dagebüll, kehrte aber bald darauf zurück und trennte sich von Gertrud, um nun mit Ruth Godbersen in der Großen Theaterstraße zusammenzuwohnen.[4]
Nachdem der Leichnam des wegen seiner Äußerungen gegen das NS-Regime und der darauf folgenden Denunziation verhafteten und am 5. Dezember 1943 im KZ Fuhlsbüttel ermordeten Malers, Grafikers sowie Professors an der Hansischen Hochschule für bildende KünsteHugo Meier-Thur seinen Angehörigen zur Bestattung übergeben worden war, wollte die Malerin und Bildhauerin Emma Gertrud Eckermann mit Martin Irwahn eine Totenmaske anfertigen. An dem Leichnam konnten sie die Spuren schwerer Misshandlungen und einen blau angelaufenen Kopf feststellen, was darauf schließen ließ, dass Meier-Thur nach den Misshandlungen erstickt worden war.[13]
1945 gründete Martin Irwahn unter anderen mit Richard Steffen die Künstlergemeinschaft Hamburger Gruppe 1945, der auch Ruth Godbersen angehörte.[14] Zudem war er 1945 Mitbegründer und Mitglied Nr. 1 des späteren Berufsverbandes Bildender Künstler Hamburg, dessen 1. Vorsitzender er bis 1949 war. Er war beteiligt an der Einführung der Zweiprozentklausel für Kunst am Bau. 1946 gehörte er zu den Mitbegründern der Werkstättengemeinschaft und Lehranstalt für alle Künste Der Baukreis. Er heiratete Ruth Godbersen, die ihm den Sohn Godber gebar, und reiste 1947 für einen Besuch nach London.[4] Wegen Meinungsverschiedenheiten verließen 1948 unter anderen Martin und Ruth Irwahn die Hamburger Gruppe 1945.[15] 1949 gab er sein Atelier in der Großen Theaterstraße 45 auf, ist aber im Hamburger Adressbuch von 1950 dort noch verzeichnet.
Ein Jahr lang besetzte er mit anderen Künstlern, wie zum Beispiel dem Maler Paul Schmehrsal (1902–1981), das leerstehende Gutshaus auf dem Gut Eddelsen in Eddelsen, in dem der Maler Leopold von Kalckreuth einst lebte und im Dezember 1928 starb.[4] Das Gut Eddelsen vererbte Kalckreuth der Stadt Hamburg mit der Bestimmung, dort einen Ruhesitz für mittellose Künstler zu schaffen, jedoch nutzte die es nach langem Leerstand im Zweiten Weltkrieg als Ausweichkrankenhaus für das Harburger Krankenhaus und verkaufte es nach dem Krieg an die Mineralölunternehmen Shell, das dort ein Tagungs- und Fortbildungszentrum einrichtete.[16]
Nach Beendigung der Hausbesetzung wohnte Irwahn drei Jahre lang im Bahnwärterhaus von Eddelsen und zog dann in ein Haus auf einem Hügelgrundstück in Eddelsen.[4] 1960 wurde ihm der Edwin-Scharff-Preis der Stadt Hamburg verliehen, wie auch dem Maler und Grafiker Tom Hops.[17] Später wurde Irwahn Mitglied der 1974 gegründeten Künstlervereinigung Seevetaler Künstler 74, die bis 2007 bestand.
Martin Irwahn wurde auf dem Hittfelder Friedhof beigesetzt. An der Grabstelle wurde auch seine Ehefrau Ruth und der gemeinsame Sohn Godber begraben. Ursprünglich war dort eine Skulptur Irwahns aufgestellt, die ein sitzendes Mädchen darstellte. Nachdem diese Betonskulptur von der Witterung zerstört worden war, stellte der Heimatverein Hittfeld dort 2017 einen Granitfindling auf.[18]
Ausstellungen (Auswahl)
Einzelausstellungen
1936: Mit Willem Grimm und Will Spanier (1894–1957), Kunstverein in Hamburg[19]
1920: Engel mit Totengräber, Grabsteinrelief mit Inschriften („V.“ steht für „Vers“), links oben „MATTH. 5. V. 8“ („Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.“)[27] und rechts oben „PSALM 90. V. 10“ („Die Zeit unseres Lebens währt siebzig Jahre, wenn es hochkommt, achtzig. Das Beste daran ist nur Mühsal und Verhängnis, schnell geht es vorbei, wir fliegen dahin.“),[28] Grab Vorg Huminius, beim Riedemann-Mausoleum, gegenüber Kapelle 8, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg-Ohlsdorf
1936: Ehrengruft für die Gefallenen der Bewegung, Friedhof Ohlsdorf, Hamburg-Ohlsdorf, zusammen mit Baurat Hans Meding und Ludwig Kunstmann – 1946 eingeebnet
1968: Reiter mit zwei Pferden, Bronze, gegossen von Wilhelm Füssel, Berlin-Charlottenburg. Wagrierweg 31, Hamburg-Niendorf
1970: Reh, Bronze. Die Skulptur stand im Garten des Künstlers in Eddelsen zu dessen Lebzeiten. Weitere Besitzer waren der Sohn Godber und danach dessen Erbe. Dieser überließ sie dem Bürgerverein Eddelsen, der sie zusammen mit dem Heimatverein Hittfeld 2015 vor der Filiale der Sparkasse Harburg-Buxtehude in der Kirchstraße 19 in Hittfeld aufstellen ließ.[35]
1971: Drei Kraniche, Bronze, Ladenbeker Weg 22, Hamburg-Lohbrügge
1979: Mutter und Kind, Bronze, Kirchstraße 11, vor dem Rathaus der Gemeinde Seevetal in Hittfeld
19??: Kraniche (vermutlich von Martin Irwahn), Gips und Metall, nicht signiert. Bis November 2013 stand die Skulptur auf der Veranda Irwahns ehemaligen Hauses in Eddelsen, dann in der Wassermühle Karoxbostel, Verein Wassermühle Karoxbostel, Karoxbostel[36]
Literatur
Irwahn, Martin. In: Hans Vollmer (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Band2: E–J. E. A. Seemann, Leipzig 1955, S.571 (Textarchiv – Internet Archive – Leseprobe).
Martin Irwahn. In: Christian Otto Frenzel: Kunst am Bau in Hamburg 1947–1958. Im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Baubehörde Hamburg. Verlagshaus Axel Springer in Hamburg. Hammerich & Lesser, Hamburg 1959, S. 66, 67, 133.
Irwahn, Martin. In: Heinz Spielmann: Bildhauer in Hamburg 1900–1972, Berufsverband bildender Künstler Hamburgs (Hrsg.), Hans Christians Verlag, Hamburg 1972, ISBN 978-3-7672-0194-1 (nicht paginiert).
Irwahn, Martin. In: Volker Detlef Heydorn: Maler in Hamburg. Band 2: 1945–1966. Berufsverband Bildender Künstler, Hamburg (Hrsg.). Hans Christians Verlag, Hamburg 1974, ISBN 3-7672-0277-8, S. 19–21, 25.
Martin Irwahn. In: Heinz Zabel: Plastische Kunst in Hamburg – Skulpturen und Plastiken im öffentlichen Raum, 2. Auflage, Dialog-Verlag, Reinbek 1987, ISBN 3-923707-15-0, S. 34, 42, 49, 56, 58, 60, 68, 69, 72, 80, 83, 101.
Barbara Leisner, Heiko K. L. Schulze, Ellen Thormann: Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf. Geschichte und Grabmäler, Band 2, bearbeitet von Andreas von Rauch, Hans Christians Verlag, Hamburg 1990, ISBN 3-7672-1060-6, S. 7, 191.
Maike Bruhns: Kunst in der Krise. Band 1: Hamburger Kunst im „Dritten Reich“. Dölling und Galitz, München/Hamburg 2001, ISBN 3-933374-94-4, S. 56, 69, 98, 112, 132, 135, 137, 153, 155, 164, 295, 415, 421, 442, 466, 475, 477, 484–486, 504, 580, 596, 634, 596.
Maike Bruhns: Kunst in der Krise. Band 2: Künstlerlexikon Hamburg 1933–1945. Dölling und Galitz, München/Hamburg 2001, ISBN 3-933374-95-2, S. 60, 76, 84, 124, 155, 164, 213–215, 272, 288, 290, 327, 336, 338, 365, 367, 371, 400, 401.
Friederike Weimar, Ute Janssen, SAGA GWG (Hrsg.): Kunst im Quartier. Hamburgs großer Vermieter fördert Kultur in den Stadtteilen. Beispiele aus acht Jahrzehnten, Hamburg 2008, S. 72–73, 76–77, 80–81 (PDF-Datei).
Uta Schoop: Arnold Fiedler (1900–1985) – Eine Künstlermonographie. Dissertation. 2011, S. 16, 263–264, 284–285, 289, 298, 318, 338, 342, 373, 434 (PDF-Datei).
Maike Bruhns: Irwahn, Martin. In: Der neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs. Hrsg.: Familie Rump. Überarbeitete Neuauflage des Lexikons von Ernst Rump; ergänzt und überarbeitet von Maike Bruhns, Wachholtz, Neumünster 2013, ISBN 978-3-529-02792-5, S. 213–214.
Heike Vosberg: Mühlenasyl für Kraniche. In: Winsener Anzeiger, 8. November 2013 (Digitalisat)
↑Eintrag 397 vom 23. Februar 1898 im Geburtsregister (August Julius Martin Irwahn), Hamburg 01, 1898 Band 01 (eingesehen bei ancestry.de). Ein nachträglicher Stempel auf der Urkunde gibt das Sterbedatum und den Sterbeort Seevetal an.
↑Zwei bekannte Bergedorfer Antisemiten, in: Alfred Dreckmann: In Bergedorf war alles genauso ! Der Kampf um die Weimarer Republik und Arbeiterwiderstand gegen den Faschismus, Herausgeber: Verein der Freunde des Museums für Bergedorf und die Vierlande, Schlossheft Nr. 9, Hamburg-Bergedorf 2003, S. 27
↑ abcdefghiMaike Bruhns: Irwahn, Martin. In: Der neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs. Hrsg.: Familie Rump. Überarbeitete Neuauflage des Lexikons von Ernst Rump; ergänzt und überarbeitet von Maike Bruhns, Wachholtz, Neumünster 2013, S. 213–214
↑Maike Bruhns gibt das Jahr 1931 an, hinsichtlich Irwahns Einzug. In: Kunst in der Krise, Band 2, Dölling und Galitz, München/Hamburg 2001, S. 213–215 sowie Der neue Rump. Lexikon der bildenden Künstler Hamburgs. Hrsg.: Familie Rump. Überarbeitete Neuauflage des Lexikons von Ernst Rump; ergänzt und überarbeitet von Maike Bruhns, Wachholtz, Neumünster 2013, S. 213
↑Maike Bruhns: Kunst in der Krise, Band 2, Dölling und Galitz, München/Hamburg 2001, S. 215