Luftangriffe auf ChemnitzDie Luftangriffe auf Chemnitz während des Zweiten Weltkrieges fügten der sächsischen Industriestadt Chemnitz schwere Schäden zu. Vom 6. Februar bis zum 11. April 1945 flogen Einheiten von Royal Air Force (RAF) und United States Army Air Forces (USAAF) insgesamt zehn Luftangriffe auf die Stadt. Daran beteiligt waren 2.880 schwere viermotorige Bombenflugzeuge, welche über 7.700 Tonnen Sprengmittel und Brandsätze abwarfen.[1] Davon entstammten etwa 55 % dem Bomber Command der britischen RAF und der Kanadischen RCAF, sowie 45 % der amerikanischen 8th Air Force.[2] Im Chemnitzer Stadtgebiet kamen dabei wohl 4.000 Menschen ums Leben, davon 2.100 allein in der Nacht vom 5. auf den 6. März 1945. Die Innenstadt wurde zu 80 % vernichtet. 27.000 Wohnungen (ein Viertel des Gesamtbestandes), 167 Fabriken, 84 öffentliche Gebäude und zahlreiche Kulturbauten im Stadtgebiet waren völlig zerstört. Von den Alliierten wurde Chemnitz als „weitere tote Stadt“ abgeschrieben.[1][3] AngriffsplanungenIm Deutschen Reich des Jahres 1939 stand Chemnitz mit über 337.000 Einwohnern auf Rang 20 der Liste der größten deutschen Städte, wobei Breslau, Königsberg und Wien mit berücksichtigt sind. Das dicht besiedelte Chemnitz hatte eine leistungsfähige Maschinenbau- und Fahrzeugindustrie. Mit der Aufrüstung der Wehrmacht in den 1930er Jahren wurden die Werke von Auto Union (DKW), Presto, Reinecker, Wanderer und Wetzel-Union zu Rüstungsbetrieben. Die Stadt war daher bereits seit September 1941 unter dem Codenamen „Blackfin“ („Tintenfisch“, zoologisch korrekt aber ein Thunfisch) ein strategisches Ziel in den Planungen der Royal Air Force. Der Stellvertreter von Arthur Harris, Oberbefehlshaber des RAF Bomber Command, war Air Vice-Marshal Robert Saundby und versah als begeisterter Angler alle in Auswahl kommenden deutschen Städte mit einem „Fish code“.[4] Chemnitz war vorgesehen für Flächenangriffe im Rahmen der morale-bombing-Strategie zum Brechen der Abwehrmoral der Zivilbevölkerung, auch als Ziel im mitteldeutschen „Kleinen Ruhrgebiet“, später zur „Störung deutscher Truppenbewegungen und Flüchtlingstransporte“ und weil es „noch größere unzerstörte Areale“ aufwies.[5] Uwe Fiedler, der Direktor des Schlossbergmuseums Chemnitz, und bester Kenner der Luftkriegsgeschichte der Stadt, schreibt 2005[6]: „Die großflächige Zerstörung der Chemnitzer Innenstadt war nicht, wie lange Zeit angenommen, lediglich ein Begleiteffekt von Angriffen, die in erster Linie den Betrieben der Rüstungsindustrie galten, sondern bereits seit 1942 angestrebtes Ziel der britischen Luftkriegsplanungen“. Chemnitz lag jedoch zunächst außerhalb der Reichweite britischer Bomber. Erst mit der verstärkten Indienststellung schwerer viermotoriger Maschinen vom Typ Stirling, Halifax und Lancaster bei der RAF änderte sich dies. Mitte 1943 begann die Combined Bomber Offensive, der Einsatz der US-Luftwaffe mit ihren B-17 („Flying Fortress“) und B-24 („Liberator“) im Luftkrieg über Europa, der ab Anfang 1944 mit dem Einsatz von Langstrecken-Begleitjägern zu seinem Höhepunkt kam. Chemnitz hatte im Frühjahr 1945 keinen Flakschutz mehr, da die schweren Batterien zu den mitteldeutschen Treibstoffzentren verlegt worden waren. Frühe Angriffe17. August 1940In der Nacht vom 17. August 1940 fiel eine einzelne britische Fliegerbombe auf Chemnitzer Stadtgebiet. 12. Mai 1944Nach mehreren Jahren Ruhe wurde am 12. Mai 1944 mittags Rabenstein von elf US-Bombern vom Typ B-17 mit 26 Tonnen Bombenlast angegriffen,[7] es starb ein Säugling als erster Bombentoter von Chemnitz. 29. Juni 1944Auf dem Rückflug von einem Angriff auf das BRABAG-Hydrierwerk Böhlen warfen am frühen Vormittag 15 B-17 der USAAF am 29. Juni 1944 ihre noch vorhandenen Bomben auf Chemnitz als „Target of opportunity“ (Gelegenheitsziel) ab, es gab drei Tote. Besonders Borna und Rabenstein waren betroffen. 11. September 1944An diesem Tag erfolgte von 11.30 bis 13.25 Uhr ein gezielter Angriff der USAAF auf das Werk Siegmar (früher Wanderer) der Auto Union, das zu der Zeit die Hälfte aller Maybach-HL-230-Motoren für die Panzer Tiger und Panther baute. 74 B-17-Bomber, begleitet von 20 Mustang-Jägern, warfen 450 Spreng- und viele Brandbomben auf Industrieanlagen und Wohnhäuser. Im Auto-Union-Werk kamen 85 Menschen, darunter 41 Zwangsarbeiter, ums Leben. Im Wohngebiet von Siegmar starben 21 Einwohner.[8] Die Angriffe 19456. Februar 1945474 amerikanische Bomber vom Typ B-17 warfen ab 10.50 Uhr über 3.000 Sprengbomben und rund 600 Splitterbomben, insgesamt 1.132 Tonnen Bombenlast, über dem Stadtgebiet von Chemnitz ab.[9] Der Schaden war erheblich. Das Hauptziel, der Bahnhof Chemnitz-Hilbersdorf, wurde nicht getroffen. 14./15. Februar 1945Anglo-amerikanischer „Doppelschlag“. Chemnitz wurde zunächst am 14. Februar zur Mittagszeit (11.45 – 13.55 Uhr) durch die USAAF mit 294 (306) Bombenflugzeugen B-17 und 718 (747) Tonnen Bombenlast angegriffen, begleitet von einer großen Zahl Jagdflugzeuge P-51.[9] Zwei darauffolgende Nachtangriffe von 20.35 bis 22.00 Uhr und von 23.55 bis 1.20 Uhr führten britische und kanadische Bomberbesatzungen durch, die am Vortag den ersten Angriff auf Dresden geflogen hatten. Das auch für Chemnitz geplante Inferno einschließlich Feuersturm misslang, witterungsbedingt wurde nicht das Stadtzentrum getroffen, sondern Vororte im Süden der Stadt. Von 717 Flugzeugen gingen 13 verloren. 789 Tonnen Spreng- und 1320 Tonnen Brandbomben wurden abgeworfen.[10] Die alliierte Wirkungsaufklärung meldete: Chemnitz angeschlagen, aber noch nicht vernichtet. 2. März 1945Am Vormittag erfolgte von 10.00 bis 12.15 Uhr ein Großangriff der USAAF. 255 B-17 Bomber der 1st Air Division warfen 594 Tonnen Bombenlast ab. Es entstanden erhebliche Schäden in der Innenstadt. Unter den vielen Toten waren auch zahlreiche Kinder eines Städtischen Kinderheims. Hinter dem Bahnhof Siegmar stadtwärts wurde ein voll besetzter Eisenbahnzug mit Flüchtlingen aus dem Osten getroffen: in ihm gab es 75 Tote, darunter 30 Kinder, und 250 Verletzte. Wichtige Industriebetriebe, so die Reinecker AG, wurden dem Erdboden gleichgemacht.[8] 3. März 1945An diesem Tag wurde Chemnitz von 10.00 bis 12.30 Uhr als Sekundärziel von 166 amerikanischen B-17 angegriffen. Angegebenes Ziel waren die Bahnanlagen, der Rangierbahnhof Hilbersdorf wurde verfehlt. Auf die schwer getroffene Innenstadt gingen 400 Tonnen Bomben nieder. Bei beiden Angriffen zusammen (2. und 3. März) kamen 540 Menschen ums Leben, darunter 39 Kinder. 5./6. März 1945Anglo-amerikanischer „Double Strike“. Am Vormittag flogen die USAAF von 9.45 bis 12.10 Uhr ihren üblichen Tagesangriff mit 233 B-17, die 563 Tonnen Bomben abwarfen, und Langstrecken-Begleitjägern.[9] Wieder nicht getroffen wurde das Hauptziel Bahnhof Hilbersdorf, in der Stadt wurden jedoch viele weitere Zerstörungen angerichtet. Am Abend heulten ab 20.30 Uhr die Sirenen. Die britische RAF und die kanadische RCAF griffen an, eine erste Welle von 20.37 Uhr bis 21.08 Uhr, die zweite Welle von 22.30 Uhr bis nach Mitternacht. Die Stadt wurde durch „Christbäume“ sehr gut ausgeleuchtet. 683 schwere viermotorige Bomber der Typen Halifax und Lancaster warfen zunächst 413 Minenbomben (rund 800 Tonnen) ab, dann 859 Tonnen Brandbomben und schließlich 1.112 Tonnen Sprengbomben. 22 Maschinen gingen verloren. 2.105 Tote gab es allein in dieser Nacht in Chemnitz. Die Stadt war glühend rot erleuchtet, „der Feuersturm war schlimm, aber nicht so wie in Dresden“. Noch zwei Tage später waren nicht alle Brände gelöscht. Von 117.000 Wohnungen waren 42.000 zerstört. 75 % der Stadtfläche und 140 km Frontbebauung lagen „in Schutt und Asche“.[1][8] Die überlebende Bevölkerung floh in die Umgebung. Die alliierte Luftaufklärung registrierte Chemnitz als „weitere tote Stadt“. 11. April 1945Der letzte Bombenangriff auf Chemnitz erfolgte zur Nachtzeit durch die RAF, mit 20 Flugzeugen und 16 Tonnen Bomben. Unter anderem wurden die Gießereien der Firma Krautheim in Borna getroffen. Ab 13. April besetzte die 4. US-Panzerdivision Siegmar und die westlichen Vororte von Chemnitz. Entsprechend ihrer Direktive verblieb sie dort und unternahm nur zeitweise Vorstöße ins Stadtgebiet. Die Bevölkerung hatte unter Tieffliegerangriffen und zweiwöchigem Artilleriebeschuss bis Anfang Mai zu leiden, was noch einmal zahlreiche Todesopfer forderte.[11] Vergeblich bat die Stadt um Besetzung durch die Amerikaner, gemäß alliierter Vereinbarungen wurde die Rote Armee ab 8. Mai 1945 Besatzungsmacht. Am 6./7. Mai zogen die Reste der Wehrmacht aus Chemnitz ab. Die RAF vermisste nach den Angriffen auf Chemnitz insgesamt 31, die USAAF zwei schwere Bomber[12] TodesopferBei den Luftangriffen auf Chemnitz (damaliges Stadtgebiet) kamen etwa 4.000 Menschen ums Leben, 2.105 davon in der Nacht vom 5./6. März 1945.[13] Der Luftkriegshistoriker Olaf Groehler allerdings gibt allein für diese Nacht 3.700 getötete Einwohner an[10]. Verluste der Wehrmacht sind in diesen Zahlen nicht enthalten. Verlässliche Angaben über Vermisste und Verwundete sind schwer zu finden. Auf dem Städtischen Friedhof Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) wurde zur DDR-Zeit ein Gedenkstein mit folgender Inschrift aufgestellt: „Zum Gedenken an 4000 Opfer anglo-amerikanischen Bombenterrors auf Chemnitz am 5. März 1945. Hier fanden 1224 Bombenopfer ihre letzte Ruhestätte“. Hinter dem Gedenkstein befinden sich die Massengräber unter Rasenflächen. Auf der anderen Seite des Gräberfeldes steht ein großes Denkmal – ebenfalls aus der frühen DDR-Zeit – mit einer trauernden Frau, die ein totes Kind in den Armen hält. 675 Kinder verloren ihr Leben bei den Bombenangriffen auf Chemnitz.[14] Auf dem Mahnmal findet sich auch ein Gedicht von Louis Fürnberg: „Es werden sich die Wunden schließen, die furchtbar der Barbar der Menschheit schlug, und leuchtend wird das Frührot sich ergießen über die Erden – Neuland unterm Pflug“. Das Denkmal stammt von dem Chemnitzer Bildhauer Hanns Diettrich. Es war 1992 stark verwittert, als es von Frank Diettrich, dem Sohn des Künstlers, restauriert wurde. Materielle VerlusteDie Innenstadt wurde am härtesten getroffen, sie wurde zu 80 % vernichtet. Im gesamten Stadtgebiet wurden acht Quadratkilometer bebaute Fläche völlig zerstört: 167 Fabriken (aber nur 17 der 50 mit höchster Angriffspriorität), 84 öffentliche Gebäude (von 400), 42.000 Wohnungen (von 117.000). Entsprechend hoch war die Zahl von Obdachlosen. Die Einwohnerzahl von Chemnitz soll von 334.000 vor dem Krieg auf 250.000 im Frühjahr 1945 gesunken sein.[15] Noch im Krieg wurden die Hauptstraßen beräumt, bis Ende 1945 waren 33 Kilometer Straßenzüge von Trümmern befreit und wertvolles Wiederaufbaumaterial gewonnen. Verluste und Schäden an Kulturbauten und öffentlichen GebäudenDieser Abschnitt wurde verfasst in enger Anlehnung an das Standardwerk Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg, darin das Kapitel Karl-Marx-Stadt. Ehemals Chemnitz von Heinrich Magirius: „Die Bombenangriffe im Februar und März 1945, insbesondere der angloamerikanische Großangriff am 5. März 1945, vernichteten die Innenstadt und die inneren Vorstädte fast vollständig“. Zerstört (bzw. stark beschädigt/ausgebrannt) wurden:
Beschädigt wurden:
„Der Denkmalbestand an Wohnhäusern in der Innenstadt wurde vollständig zerstört“ (Magirius) Charakteristische Beispiele:
AltlastenDie Westalliierten rechneten mit etwa 10 % Blindgängern bei ihren Bombenangriffen auf West- und Mitteleuropa im Zweiten Weltkrieg. Entsprechend häufig wurden solche Funde noch über Jahrzehnte auch in Chemnitz gemacht. So stießen Bauarbeiter noch am 25. Oktober 2016 auf dem Kaßberg mit dem Bagger auf eine amerikanische Splitterbombe von 250 kg, die nach Evakuierung von 17.500 Bewohnern und großflächigen Straßensperrungen über 16 Stunden am späten Abend vor Ort entschärft werden konnte.[16] Am 6. November 2020 wurde in Chemnitz-Markersdorf nach Evakuierung von 15.000 Einwohnern, auch aus Alters- und Pflegeheimen, eine amerikanische 250-kg-Sprengbombe erfolgreich entschärft. 1.000 Einsatzkräfte waren an der Evakuierung beteiligt, die durch die epidemische Lage infolge der Coronavirus-Infektionen besonders kompliziert wurde.[17] BegräbnisstättenOpfer der Luftangriffe, auch des Artilleriebeschusses, wurden auf fast allen Friedhöfen in den Chemnitzer Ortsteilen bestattet. Bei der folgenden Zusammenstellung handelt es sich um einen Teil der Begräbnisstätten.
Denkmäler in der Stadt
Beschädigung des Denkmals auf dem Städtischen ZentralfriedhofDas Denkmal zur Erinnerung an die Chemnitzer Bombenopfer auf dem Städtischen Friedhof wurde am 7. März 2020, zwei Tage nach deren Ehrung zum 75. Jahrestages des Luftangriffs auf Chemnitz am 5. März 1945 durch Aufbringen von roter Farbe beschädigt.[21] Literatur
WeblinksCommons: Luftangriffe auf Chemnitz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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