Anschließend arbeitete er als Oberarzt in der Abteilung für Neurologie am Jüdischen Krankenhaus Breslau weiter, 1937 wurde er zudem Direktor des Krankenhauses. Am 9. November 1938, während der Judenverfolgungen der Reichspogromnacht, gewährte er dort 64 Juden Zuflucht.[5] Guttmann lernte von dem Pionier der Neurochirurgie Otfried Foerster an dessen Forschungsinstitut in Breslau, der ihn 1939 zu seinem ersten Assistenten machte.[6]
Im gleichen Jahr 1939 konnte er nach Großbritannien fliehen.[4] Zwischen 1939 und 1943 war er in der Neurochirurgischen Abteilung in Nuffield tätig. 1943 erhielt er von der britischen Regierung den Auftrag, das National Spinal Injuries Centre als erste Spezialklinik für Wirbelsäulenverletzte im Stoke Mandeville Hospital in Aylesbury aufzubauen. Die Initiative ging von der Royal Air Force aus, um die Behandlung und Rehabilitation der wirbelsäulenverletzten Piloten zu gewährleisten, „die häufig beim Landeanflug mit ihren durch Beschuss beschädigten Bombern abstürzten“.[7]
Bis 1967 war er Direktor der Klinik. Guttmann entwickelte bis heute gültige Methoden zur Behandlung von Querschnittgelähmten. Gleichzeitig förderte er die sportliche Betätigung von Behinderten in diesem Zentrum.
Erstmals 1948 führte er die Stoke Mandeville Games für Behinderte durch. Im Gründungsjahr der Spiele nahmen 16 kriegsversehrte Männer und Frauen mit Rückenmarksverletzungen an diesen teil. Die Teilnehmer maßen sich im Bogenschießen.[8] 1952 beteiligten sich bereits 130 Sportler aus verschiedenen Ländern an den Wettkämpfen. 1956 erhielt Ludwig Guttmann den Fearnley Cup als Würdigung seines Beitrags zur Förderung der olympischen Idee.[9]
Der Begründer der ersten Rehabilitationsklinik für Querschnittgelähmte in Spanien Mr. Guillermo González Gilbey, der selbst unter Querschnittlähmung litt und in England bei Ludwig Guttmann große Fortschritte erzielte, benannte 1965[15] diese Klinik in BarcelonaInstitut Guttmann.[16]
Auch Heidelberg würdigte ihn mit einer Ludwig-Guttmann-Straße auf dem Gelände der SRH, der ursprünglichen Stiftung Rehabilitation Heidelberg, deren SRH Hochschule Heidelberg bis Anfang 1991 ausschließlich Studierende mit Behinderungen aufnahm. Während der Paralympischen Spiele 1972 dienten die dortigen Einrichtungen der SRH den ca. 1.000 Sportlern, damals ausschließlich Rollstuhlfahrer, als olympisches Dorf.[19]
Motorische und vegetative Grenzzonenreflexe bei Läsionen peripherer und zentraler Abschnitte des Nervensystems. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Bd. 147 (Dezember 1933), S. 291–307, doi:10.1007/BF02870448.
The Place of Our Spinal Paraplegic Fellow-Man in Society: A Survey on 2000 Patients (= Dame Georgina Buller Memorial Lecture. 1959).
Franz Karl Kessel, Ludwig Guttmann, Georg Maurer: Verletzungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks. Verletzungen der peripheren Nerven. (= Neuro-Traumatologie mit Einschluß der Grenzgebiete Band 2). Urban & Schwarzenberg, München 1971, ISBN 3-541-01341-9.
Spinal Cord Injuries: Comprehensive Management and Research. Blackwell, Oxford 1973, ISBN 0-632-09680-2.
Sport and Recreation for the Mentally and Physically Handicapped. In: The Journal of the Royal Society for the Promotion of Health. Bd. 93 (1973), S. 208–221.
Textbook of Sport for the Disabled. HM+M, Aylesbury 1976, ISBN 0-85602-055-9.
Übersetzung: Sport für Körperbehinderte. Urban & Schwarzenberg, München 1979, ISBN 3-541-08911-3.
Literatur
Daniel Dubinski, Hartmut Collmann: Sir Ludwig Guttmann (1899–1980). In: Ulrike Eisenberg, Hartmut Collmann, Daniel Dubinski: Verraten – Vertrieben – Vergessen. Werk und Schicksal nach 1933 verfolgter deutscher Hirnchirurgen. Hentrich & Hentrich, Berlin 2017, ISBN 978-3-95565-142-8, S. 252–287.
Erdmann Kreusch, Karl-Ludwig Lemberg, Volkmann: Das Institut für Rückenmarksverletzte in Stoke-Mandeville. In: Bundesministerium für Arbeit (Hrsg.): Rehabilitation in England (= Arbeit und Gesundheit. Neue Folge, Heft 62). Thieme, Stuttgart 1957, S. 149 f.
Susan Goodman: Spirit of Stoke Mandeville: The Story of Sir Ludwig Guttmann. Collins, London 1986, ISBN 0-00-217341-7.
Joan Scruton: Stoke Mandeville: Road to the Paralympics. Peterhouse, Brill 1998, ISBN 0-946312-10-9.
Joseph Walk (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. Hrsg. vom Leo Baeck Institute, Jerusalem. Saur, München 1988, ISBN 3-598-10477-4.
John F. Oppenheimer (Red.) u. a.: Lexikon des Judentums. 2. Auflage. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh u. a. 1971, ISBN 3-570-05964-2.
Guttmann, Sir Ludwig, in: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,1. München : Saur, 1983, ISBN 3-598-10089-2, S. 442f.
Daniel Westermann: Sir Ludwig Guttmann und seine Sportidee In: Daniel Westermann: Die XXI. Weltspiele der Gelähmten in Heidelberg 1972. Entstehungsgeschichte und Ablauf. Verlag Regionalkultur, Heidelberg u. a. 2014, ISBN 978-3-89735-807-2, S. 33–54.
↑Biographisches Handbuch der deutsch-sprachigen Emigration nach 1933, Vol. 2, S. 356 f, 1983.
↑
Joseph Walk: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden, 1918–1945, 1988.
↑ abDavid Neuhäuser: Neurologe Ludwig Guttmann: Der Arzt, der die Paralympics erfand. In: Der Spiegel. 24. August 2021, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 24. Januar 2024]).
↑ abJürgen Probst: Gedenken der jüdischen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Unfallheilkunde, Versicherungs- und Versorgungsmedizin Orthopädie und Unfallchirurgie Mitteilungen und Nachrichten, Oktober 2013, S. 606–613.
↑Amir Wechsler, Berlin: Paralympics: Ludwig Guttmann entdeckt Sport als Lebensretter. In: FAZ.NET. 6. September 2021, ISSN0174-4909 (faz.net [abgerufen am 25. Januar 2024]).