Lucian FreudLucian Freud (* 8. Dezember 1922 in Berlin; † 20. Juli 2011 in London[1]) war einer der bedeutendsten Porträtmaler des 20. Jahrhunderts. Der Kunstkritiker Robert Hughes bezeichnete ihn 2004 als „Großbritanniens größten lebenden Maler“ (“Britain's greatest living Artist”[2]). BiographieHerkunft und AusbildungLucian Freud war Enkel von Sigmund Freud und einer der drei Söhne des österreichischen Architekten Ernst L. Freud. Seine Mutter Lucie (Lux) Freud, geb. Brasch (1896–1989), stammte aus einer Berliner Kaufmannsfamilie.[3] Lucian Freud hatte zwei Brüder, Stephen Gabriel Freud (1921–2015) und den Schriftsteller und Politiker Clement Raphael Freud (1924–2009). Die Familie wohnte im Berliner Bezirk Tiergarten am Matthäikirchplatz, Lucian Freud besuchte das Französische Gymnasium.[4] 1933 emigrierte die Familie aufgrund des steigenden Antisemitismus nach England, wo Freud 1939 die britische Staatsbürgerschaft annahm. Lucian Freud besuchte die Dartington Hall School in der Grafschaft Devon und die Bryanston School in Dorset, von der er nach einem Jahr wegen Disziplinschwierigkeiten verwiesen wurde.[5] In den Jahren 1938 und 1939 nahm das Central Saint Martins College of Art and Design in London den 16-Jährigen für wenige Monate auf. Von 1939 bis 1941 belegte er Kurse an der von Cedric Morris gegründeten East Anglian School of Painting and Drawing in Dedham. Diese zog 1940 nach einem Bombentreffer nach Benton End-House in Suffolk nahe Hadleigh um. 1941 wurde er zur Handelsmarine eingezogen, wurde aber bereits nach drei Monaten ausgemustert. Anschließend studierte er bis 1943 am Londoner Goldsmiths College.[6] FrühwerkFreud bezog 1941 eine Wohnung in Delamere Terrace in Paddington. In diesem Londoner Stadtteil lebte er dreißig Jahre bis zu seinem Umzug nach Holland Park 1977. Im Jahr 1943 beauftragte ihn der Herausgeber der Zeitschrift Poetry London, der anglo-indische Poet und Literat Meary James Tambimuttu (1915–1983), mit der Illustration des Gedichtbands The Glass Tower von Nicholas Moore. Der Band, für den Freud auch das Titelblatt entwarf, enthält neben drei Farblithographien insgesamt 14 Tierzeichnungen, die das Ergebnis seiner Studien im Londoner Zoo sind. Sie stehen nur in losem Bezug zu den Gedichten und verleihen dem Buch das Aussehen eines modernen Bestiariums.[7] Freuds erste Einzelausstellung fand 1944 in der renommierten Lefevre Gallery in London statt. 1946 verbrachte er zwei Monate in Paris bei seinem Freund John Craxton, den er 1941 kennengelernt hatte. Dort entstanden seine beiden ersten Radierungen. Nach einer Ausstellung in der Schweiz reiste Craxton nach Südeuropa und hielt sich vom Spätsommer 1946 bis zum folgenden Frühling auf der griechischen Insel Poros auf, wo ihn Freud besuchte und Stillleben mit Zitronen, Mandarinen oder Disteln in einem strahlenden südlichen Licht malte. Die beiden Maler skizzierten sich auch gegenseitig.[8] Im Jahr 1947 lernte Freud Kitty Garman kennen, die er 1948 heiratete. Sie war eine Tochter des Bildhauers Jacob Epstein und Nichte von Lorna Wisharts (1911–2000), mit der Freud ein längeres Verhältnis gehabt hatte. Beide besuchten 1947 den Maler Graham Sutherland in Aix-en-Provence. Sutherland, der ein hervorragender Grafiker war, hatte sich zwischenzeitlich der surrealistischen Malerei zugewendet und schenkte Freud sein Radierwerkzeug. In Aix entstand u. a. die Radierung Girl with a Fig Leaf, ein Porträt Kitty Garmans mit einem Feigenblatt in der Hand, das fast ihr ganzes Gesicht verdeckt. Mit der Illustrierung der surrealistischen Novelle Equilibriad (1948) von William Sansom (1912–1976) endete vorerst Freuds Phase intensiver Auseinandersetzung mit der Zeichnung, und er wendete sich verstärkt der Malerei zu.[9] 1950–19701949 nahm er eine Stelle als Visiting Tutor an der Slade School of Fine Art an, wo er bis 1954 unterrichtete.
1951 war er mit seinem Bild Interior in Paddington an der Ausstellung Sixty Paintings for ’51 im Rahmen des Festival of Britain beteiligt. Für das Bild wurde er vom Arts Council of Great Britain mit einem Förderpreis von 500 Pfund Sterling ausgezeichnet. Es war sein erstes großes Auftragswerk und zugleich sein erstes großformatiges Bild. In einer Raumecke dargestellt ist der Fotograf Harry Diamond (1924–2009), der hier Freud zum ersten Mal Modell steht, in Gesellschaft einer dominanten Topfpflanze. Beide stehen auf einem roten Teppich, den Freud speziell für dieses Bild bei einem Trödler erworben hatte. Der Blick aus dem Fenster fällt auf den Grand-Union-Kanal in dem als Little Venice bekannten Londoner Quartier. 1952 begann seine Affäre mit der aus einer anglo-irischen Aristokraten-Familie stammenden Lady Caroline Blackwood, deren Mutter ein Mitglied der Guinness-Familie war. Sie brannte als 21-Jährige mit Freud nach Paris durch und heiratete ihn dort am 9.Dezember 1953. Zurück in London wurde sie zu einem Mittelpunkt der Londoner Bohème. 1957 wurde die Ehe geschieden. Freud porträtierte Caroline Blackwood mehrmals, z. B. 1952 als Hotel Bedroom. Girl in Bed und 1954 als Girl in a Green Dress. 1954 wurden Werke von Freud, Francis Bacon und Ben Nicholson als britischer Beitrag auf der Biennale von Venedig ausgestellt. Von Freud wurden 22 Bilder gezeigt. In den folgenden Jahren erhielt Freud zunehmend Aufträge aus der englischen Aristokratie, die ihm ein sorgenfreies Leben ermöglichten. In dieser Zeit hielt er sich gelegentlich auch in Irland auf, wo er in Dublin mit dem Maler Patrick Swift (1927–1983) das Atelier zeitweise teilte. Dabei malte Patrick Swift auch das Portrait of Lucian Freud in Patrick Swift's Hatch Street Studio.[10] In den frühen 1950ern porträtierte er den Maler John Minton (1917–1957) und 1951/1952 zum ersten Mal Francis Bacon – Portrait of Francis Bacon. Dieses Bild wurde 1988 aus der Berliner Neuen Nationalgalerie gestohlen und ist seitdem verschollen. In London gehörte Freud zu einer losen Gruppe von Künstlern, die „figurativ“ malten, und die der amerikanische Maler R. B. Kitaj als School of London („Londoner Schule“) bezeichnete. Diese Maler, die mehr oder weniger intensiv miteinander in Kontakt standen, schufen gegenständliche Bilder in einer Zeit, in der die abstrakte Malerei, Konkrete Kunst und die Performance- und Installationskunst die internationale Kunstszene dominierten. Neben Freud und Bacon zählten Frank Auerbach, Michael Andrews, Leon Kossoff, Robert Colquhoun (1914–1962), Reginald Gray und Kitaj selbst zu diesem Kreis. 1971–2012Freuds zweite Einzelausstellung fand 1974 in der Londoner Hayward Gallery statt und wurde von Arts Council of Great Britain organisiert. 1977 zog Freud in den Londoner Stadtteil Holland Park um. Ab 1979, als die Nishimura Gallery in Tokio die erste Ausstellung in Japan organisierte, wurden seine Bilder in Galerien und Museen auch außerhalb von Großbritannien gezeigt. So war er 1981 an der Ausstellung Eight Figurative Artists am Yale Center for British Art in New Haven, USA, beteiligt. 1987 organisierte der British Council eine Retrospektive für das Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington, DC, die anschließend im Musée National d’Art Moderne in Paris, in der Hayward Gallery und in der Neuen Nationalgalerie in Berlin gezeigt wurde. In den 1990er Jahren lernte Freud Leigh Bowery kennen, einen Performance-Künstler, der sich durch seine phantasievoll-schrillen Auftritte in der Kunstszene einen Namen gemacht hatte, und der ihm mehrmals Modell saß. Über Bowery lernte er Sue Tilley kennen, eine Verwaltungsangestellte mit beachtlichem Körperumfang. Zwischen 1993 und 1996 porträtierte er sie insgesamt viermal und fertigte außerdem zwei Porträts als Radierungen an. Zwei dieser großformatigen Ölbilder erzielten 2008 und 2015 bei Christie’s Spitzenpreise. 1991 organisierte der British Council eine Ausstellung unter dem Titel Lucian Freud. Paintings and Works on Paper („Gemälde und Werke auf Papier“) für den Palazzo Ruspoli in Rom. Die Schau wurde anschließend in der Tate Liverpool gezeigt und wurde nach drei Stationen in Japan 1993 in Australien mit Ausstellungen in Sydney und Perth beendet. Die Ausstellung Lucian Freud. Recent Works („Jüngste Werke“) der Whitechapel Gallery von 1993 fand anschließend im Metropolitan Museum of Art in New York und dem Museo Reina Sofia in Madrid statt. Weitere nationale und internationale Ausstellungen folgten. 2010 zeigte das Centre Pompidou in Paris unter dem Titel l’Atelier (The Studio) Freuds letzte Ausstellung zu Lebzeiten. Am 20. Juli 2011 starb Freud in London. Er wurde am 27. Juli auf dem Highgate Cemetery bestattet, die Trauerrede hielt der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams. NachkommenLucian Freud war ab 1948 mit Kitty Garman verheiratet, einer Tochter des Bildhauers Jacob Epstein; die Ehe wurde 1952 geschieden. Am 9. Dezember 1953 heiratete Lucian Freud Lady Caroline Blackwood. Diese Ehe blieb kinderlos und wurde 1959 geschieden. Aus seinen zahlreichen Beziehungen hatte Freud eine Reihe von Kindern; über ihre genaue Anzahl wird in der Presse spekuliert.[11] Die Journalistin Gina Thomas nannte vierzehn Kinder von sechs Frauen.[12]
WerkFreud bezieht seine Bilder aus der Beobachtung nackter wie bekleideter Menschen, die in der Regel zu seinem persönlichen Umfeld gehören – in Bewegung, in Ruhe, im Schlaf. „Das ist ein wenig wie Tierwelt-Fotografie – von einem der Tiere“, wie er selbst sagte. Lucian Freud stellt Menschen und Tiere in der Regel dar, als seien sie unbeobachtet und völlig entspannt. Freuds eigenwillige Erweiterung des Porträts hin zu Nacktporträts (naked portraits), die mit konventionellen Aktdarstellungen nichts gemein haben, hat ihn zu einer Ausnahmeerscheinung innerhalb der figurativen Malerei gemacht. Freud malt seine Modelle in langen Sitzungen, die vielfach über Monate hinweg mehrere Stunden je Woche in Anspruch nahmen. Arbeitete er in den 1940ern noch mit dünnem flächigen Farbauftrag, so wich dieser bald einer pastosen Bildoberfläche. Zwischen 1993 und 1996 malte Freud eine Serie von vier Akten, die jeweils im Abstand von rund einem Jahr entstanden. Modell der Bilder war immer Sue Tilley. Der Kontakt zwischen ihr und Freud wurde durch Leigh Bowery hergestellt, der mit Freud befreundet war und ihm ebenfalls mehrfach Modell gesessen hat. Bowery hatte Sue Tilley, die eine Anstellung in einem Londoner Arbeitsamt hatte, im Londoner Nachtklub „Taboo“ kennengelernt.[18] Freud überzeugte die damals ungefähr 125 Kilogramm wiegende Sue Tilley, sich ihm als Modell über mehrere Jahre zur Verfügung zu stellen. Die Sitzungen, die in der Regel am Wochenende gegen Abend stattfanden und mehrere Stunden dauerten, zogen sich jeweils rund neun Monate hin.[19] 2001 malte er zum Anlass des Kronjubiläums der Königin ein Porträt der Königin Elisabeth II., das in der Jubiläumsausstellung 2002 in der National Portrait Gallery gezeigt wurde und das sich heute im Besitz der königlichen Sammlung befindet. Zitate
– Art and Love. Lucian Freud interviewt von Leigh Bowery: The Independent Magazine. 11. Januar 1992. Wiederabdruck in Katalog Lucian Freud. Recent Drawings and Etchings. Matthew Marks Gallery, New York 1993, o. S.[20]
– Lucian Freud[22] Auszeichnungen
NachlassFreud hinterließ ein Vermögen von 96 Millionen Pfund. Zum Begleichen der Erbschaftssteuer wurden u. a. vier Werke aus seiner Sammlung britischen Museen übergeben, darunter die Bronzefigur eines galoppierenden Pferdes von Edgar Degas an das National Museum of Art in Cardiff. Das Bild von Camille Corot L’Italienne ou La Femme à la Manche Jaune, das Freud 2001 in einer Auktion erworben hatte und das seit dieser Zeit in seinem Atelier hing, erhielt nach seiner testamentarischen Verfügung die National Gallery als Dank Freuds für die freundliche Aufnahme seiner Familie in Großbritannien nach der Flucht aus NS-Deutschland.[23] Ein Legat von 2,5 Millionen Pfund steuerfrei und ein Haus in West London erhielt sein langjähriger Assistent David Dawson. Das nach Legaten und Steuern verbliebene Vermögen von 42 Millionen Pfund wird in einem Trust von der Anwältin Diana Rawston und Freuds Tochter Rose Pearce verwaltet.[24] Diese Regelung wurde von Freuds Sohn Paul McAdam, der wie Freuds andere Kinder im Testament nicht bedacht wurde, vor Gericht angefochten.[25] Im Jahr 2015 erhielt die National Portrait Gallery Lucian Freuds Archiv, womit eine Steuerschuld von 2,94 Millionen Pfund abgeglichen wurde. Das Archiv enthält 47 Skizzenbücher, diverse Zeichnungen, ein Konvolut seiner Kinderzeichnungen und eine Briefsammlung.[26] Im selben Jahr wurde über den Arts Council of England Freuds Sammlung von Werken seines Kollegen und langjährigen Freundes Frank Auerbach zur Begleichung von Steuerschulden verwendet. Die Sammlung von 15 Ölbildern und 29 Papierarbeiten wurde auf rund 20 kleinere Museen in Großbritannien verteilt, das wertvollste der Bilder Rebuilding the Empire Cinema, Leicester Square[27] aus dem Jahr 1962 ging an das Courtauld Institute in London, weitere Werke erhielten das National Museum Cardiff, die Tate Modern, die Hatton Gallery in Newcastle, die Hartlepool Art Gallery, die New Art Gallery in Walsall und Glasgower Museen. Die Sammlung von Glückwunschkarten zu Freuds Geburtstag, die Auerbach gestaltet hatte, erhielt das Fitzwilliam Museum Cambridge.[28] Lucian Freud auf dem KunstmarktLucian Freud zählt zu den Künstlern der Gegenwart, deren Gemälde auf Auktionen Spitzenpreise erzielen. Auch die bei Auktionen erzielten Preise für Grafik liegen im mittleren Spitzenfeld. 2008 erzielte das Porträt von Sue Tilley Benefits Supervisor Sleeping (1995) bei Christie’s 33,6 Millionen US-Dollar und brach damit den Rekordpreis, der bis dahin für ein Bild eines lebenden Künstlers gezahlt worden war.[29] Bei Sotheby’s Londoner Contemporary art-Abendauktion vom 13. Oktober 2011 spielte das Gemälde Boys Head (1952), ein kleinformatiges Porträt von Charlie Lumley, knapp 5 Millionen Dollar ein.[30] Das Bild Benefits Supervisor Resting brachte bei einer Auktion bei Christie’s am 13. Mai 2015 56.165.000 Dollar ein.[31] Am 11. November 2015 wurde bei Christie’s in New York das Portrait von Andrew Parker Bowles (2003/04) für 34,89 Millionen Dollar versteigert. Dargestellt ist der erste Ehemann von Camilla Parker Bowles.[32] Preise für Grafik beginnen bei 6000 Dollar. Einen Spitzenpreis für eine Grafik mit 49.125 Dollar wurde am 15. Februar 2012 bei Christie’s für „After Chardin“ (Radierung 2000) erreicht.[33] Bei einer Versteigerung bei Philipps in London am 15. Oktober 2015 wechselten zwei Radierungen, die sein Modell Sue Tilley darstellen, für 100.000 Pfund den Besitzer.[34] Häufig wechseln seine Bilder allerdings privat und über den Kunsthandel den Besitzer, die gezahlten Preise werden dann nicht bekannt. Am 12. November 2013 wurde das Bild Three Studies of Lucian Freud (Triptychon) von Francis Bacon aus dem Jahr 1969 bei Christie’s in New York für 142,4 Millionen US-Dollar versteigert (Höchstgebot 127.000.000 US-Dollar zuzüglich Kommission).[35] Das Werk war damit das zu diesem Zeitpunkt am teuersten verkaufte Gemälde.[36] Einzelausstellungen (Auswahl)
LiteraturPrimärliteratur
Sekundärliteratur
Filme
WeblinksCommons: Lucian Freud – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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