Liber ExtraDer Liber Extra (auch Decretales Gregorii IX., „Dekretalen Gregors IX.“; siehe unten) ist eine große Dekretalensammlung von Papst Gregor IX. aus dem Jahr 1234. Er war für die Entwicklung des kanonischen Rechts von überragender Bedeutung. Der Liber Extra gilt neben dem Decretum Gratiani als wichtigste kirchliche Rechtssammlung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. VerfasserVerfasser ist Raimund von Peñafort (früherer Magister von Bologna), der im Auftrag Gregors IX. (1227–1241) tätig wurde. Raimund wurde 1230 mit dieser Arbeit betraut und vollendete sie innerhalb von vier Jahren. Raimund sichtete die in den Quinque compilationes antiquae enthaltene Material und ordnete es neu. Er kürzte die Texte oft stark und gab den einzelfallbezogenen Schreiben eine allgemeine Ausrichtung. Durch Auswahl und Textveränderung versuchte er, Widersprüche zwischen den einzelnen Dekretalen so weit wie möglich zu verringern. Inhalt und AufbauDer Liber Extra enthält 1871 Kapitel, überwiegend Auszüge aus Dekretalen des 12. Jahrhunderts; nur ein kleiner Teil des Materials stammt aus dem älteren Kirchenrecht (z. B. Auszüge aus den Schreiben Gregors I.). Im Vergleich zu den Quinque compilationes wurden 383 Dekretalen ausgelassen. Dafür wurden sieben Dekretalen des Papstes Innozenz III. sowie 195 Dekretalen Gregors IX. eingefügt. Die Arbeit ist nach dem Vorbild der Compilatio prima in fünf Bücher eingeteilt und nach Titeln geordnet, innerhalb derer die Kapitel chronologisch nach ihrer Abfassung geordnet sind. Verhältnis zu anderen Rechtsquellen und RechtsverbindlichkeitDer Liber Extra war keine Kodifikation und wurde nicht promulgiert, wohl aber gebot Gregor IX. in einem Begleitschreiben (Rex pacificus) die Benutzung dieser und keiner anderen Sammlungen im Rechtsunterricht und der gerichtlichen Praxis; Ausnahmen sollten vom Papst genehmigt werden. In der Praxis kam dies einer Kodifikation so nahe, dass der Liber Extra oft als Gesetzbuch bezeichnet wird. Andreas Thier hat die Beschreibung als „Kompilation mit kodifikatorischen Elementen“ vorgeschlagen.[1] Von den einzelnen Kapiteln hat nur der dispositive (normschaffende) Teil Rechtsverbindlichkeit. Die Rechtsverbindlichkeit erstreckt sich aber nur auf den Quellentext, wie er sich in der neuen Kompilation findet, ohne Rücksicht auf historischen Ursprung oder Wortlaut in anderen Sammlungen. Die Titelrubriken hatten Verbindlichkeit, sofern sie vollständig oder sinngemäß einen Rechtssatz ausdrücken. Summarien und Inskriptionen hatten keine Gesetzeskraft. Die von Raimund von Peñaforte eingeführten Kapitelüberschriften, die sich auf den erzählenden Teil der Quellentexte beziehen, sind ohne Gesetzeskraft. Welchen Status die im Liber Extra nicht enthaltenen Dekretalen (insbesondere die aus der Zeit vor Entstehung des Decretum Gratiani) nach 1234 hatten, ist in der Forschung teilweise umstritten. BezeichnungGregor IX. (in Rex pacificus) und Raimund sprechen in Bezug auf den Liber Extra von einer Sammlung (compilatio). Der Liber Extra wurde auch als Compilatio nova im Gegensatz zu den Quinque compilationes antiquae oder als Libri quinque decretalium papae Gregorii IX. („Fünf Bücher an Dekretalen Papst Gregors IX.“) bezeichnet. Relativ häufig ist die Bezeichnung Liber decretalium extra decreta vagantium („Sammlung der außerhalb des Dekrets zirkulierenden Dekretalen“). Übliche Kurzformen sind Decretales Gregorii IX. („Dekretalen Gregors IX.“), Liber Extra, Extra oder einfach die Sigle „X“. ZitierweiseDer Liber wird nach Buch, Titel und Kapitel mit einem vorangestellten „X“ (für „Extra“) zitiert, z. B. steht „X.3.34.9“ für das neunte Kapitel im 34. Titels des dritten Buchs des Liber Extra. Vormoderne Juristen zitieren den Liber Extra ebenfalls oft mit „X“ und geben sowohl Buch als auch Titel mit (abgekürzten) Titel bzw. Incipit an. Verbreitung und AusgabenDer Liber Extra fand in ganz Lateineuropa sehr weite Verbreitung. Es sind ca. 700 Handschriften vor allem des 13. und 14. Jahrhunderts erhalten. Damit war er „im Mittelalter der bekannteste europäische Gesetzestext“.[2] Die erste gedruckte Ausgabe erschien um 1468 in Straßburg. Für katholische Autoren und Gerichte war von 1582 bis 1917 die editio Romana die maßgebliche Ausgabe. Die heute gebräuchliche Edition ist die durch Richter und Friedberg von 1881.[3] Dekretalisten zum Liber ExtraDie Juristen, die die seit dem Decretum Gratiani ausgefertigten Dekretalen sammelten, überarbeiteten und kommentierten, nennt man Dekretalisten im Gegensatz den Dekretisten, die sich vor allem auf Gratians Dekret konzentrierten. Wichtige Dekretatlisten waren:
Drucke und Editionen
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
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