Kontrafaktisches KonditionalKontrafaktische Konditionalsätze, auch kontrafaktische Implikationen oder kurz Kontrafaktuale, werden in der Philosophie Aussagen der Form „Wenn ... der Fall wäre, dann wäre ---“ genannt. Beispiele:
Im Vordersatz oder Antezedens wird also eine Situation beschrieben, die so nicht geschehen ist, aber doch hätte geschehen können (s. a. Kontrafaktizität). Im Nachsatz oder Sukzedens werden Konsequenzen aus dieser Situationsbeschreibung gezogen. In der Grammatik existiert für Kontrafaktuale der Name „Irrealis“, genauer „Irrealis der Vergangenheit“. Da aber in der Philosophie, insbesondere in der Wissenschaftstheorie und der Logik, Kontrafaktuale unter eigenen Gesichtspunkten und Interessen untersucht werden, hat sich dort auch ein eigener Name für sie eingebürgert. Relevanz der Kontrafaktuale für die WissenschaftstheorieKlärung des Begriffs der NaturgesetzeNelson Goodman hat in seinem Werk „Tatsache, Fiktion, Voraussage“ untersucht, wie Kontrafaktuale dazu beitragen können, das Wesen der Naturgesetze zu klären. Es gibt folgenden engen Zusammenhang zwischen Kontrafaktualen und Naturgesetzen: Sei die Allaussage „Alle F sind G“ ein Naturgesetz (bzw. eine Aussage, die aus Naturgesetzen folgt). Dann gilt das Kontrafaktual „Wäre a ein F, dann wäre a ein G“. Hat die Allaussage allerdings nicht den Charakter eines Naturgesetzes, dann gilt das Kontrafaktual typischerweise nicht. Beispiel Wir gehen von der Aussage aus:
Mit geeigneten Bedingungen ist gemeint, dass sich genügend Sauerstoff im Raum befindet, dass das Streichholz trocken ist usw. Diese Aussage drückt eine Naturgesetzmäßigkeit aus. Daher ist das entsprechende Kontrafaktual:
wahr, wobei wir davon ausgehen, dass s ein Streichholz ist, für das die oben genannten geeigneten Bedingungen vorliegen. Andererseits: Betrachten wir die Allaussage:
Diese Aussage ist keine Naturgesetzmäßigkeit, sondern eine zufällige Wahrheit (wir gehen davon aus, dass die Aussage wahr ist). Daher ist folgendes Kontrafaktual, ausgesagt von einer Kupfermünze k, falsch:
Stattdessen gilt vielmehr folgendes Kontrafaktual:
Klärung des Begriffs der KausalitätDavid Lewis verwendet Kontrafaktuale dazu, den Begriff der Kausalität zu erklären. Eine vereinfachte Fassung seiner Definition lautet wie folgt:
Hinter dieser Definition steht die Beobachtung, dass wir oft Kontrafaktuale verwenden, um über Kausalvorgänge zu reden. Zum Beispiel können wir sagen:
um auszudrücken, dass das Zerbrechen des Glases von dem Stoß verursacht worden ist. Eine wichtige Einschränkung hierbei ist, dass das Kontrafaktual Ereignisse, wie einen Stoß oder ein Zerbrechen, in Beziehung setzen muss. In dem Satz:
wird nämlich kein Kausalzusammenhang ausgedrückt: Dass Frank mein Onkel ist, verursacht nicht, dass seine Tochter meine Kusine ist, dies ist jedoch auch kein Ereignis (also kein Geschehen), sondern eher ein Zustand. Anstelle der oben dargestellten einfachen Definition verwendet Lewis eine komplexere. Der Grund hierfür liegt in der Transitivität der Kausalrelation: Wenn ein Ereignis a ein Ereignis b verursacht und b wiederum c, dann verursacht a auch c. Im Gegensatz zur Kausalrelation sind Kontrafaktuale jedoch nicht immer transitiv (siehe auch unten). Um die Transitivität der Relation zu gewährleisten, verwendet Lewis die folgende, komplexere Definition:
Eine formale Semantik für KontrafaktualeEine formale Semantik für Kontrafaktuale wurde von David Lewis (nach Vorarbeiten von Robert Stalnaker) entwickelt. Die Semantik macht Gebrauch von dem Begriff der „möglichen Welt“, Wir können uns von unserer Welt vorstellen, dass sie anders wäre, als sie tatsächlich ist, bei dieser Vorstellungswelt handelt es sich dann um eine mögliche Welt. Lewis geht nun davon aus, dass diese möglichen Welten durch eine Ähnlichkeits-Relation geordnet sind, d. h. die möglichen Welten sind der tatsächlichen Welt mehr oder weniger ähnlich. Ein Kontrafaktual „Wäre a, dann wäre b“ ist nach Lewis wahr, wenn es eine mögliche Welt gibt, in der a und b gelten, und wenn diese Welt der tatsächlichen Welt ähnlicher ist als alle Welten, in denen ebenfalls a gilt, jedoch nicht b. Der Satz „Wenn das Streichholz angestrichen worden wäre, hätte es sich entzündet“ ist also wahr, wenn die mögliche Welt, in der das Streichholz angestrichen wurde und sich entzündet hat, der tatsächlichen Welt ähnlicher ist als alle Welten, in denen es ebenfalls angestrichen wurde, sich aber nicht entzündet hat. Indem Lewis diese Intuitionen in mathematisch präzise Begriffe gießt, gelangt er zu einer formalen Semantik für Kontrafaktuale. Die Ähnlichkeitsrelation wird dabei als eine Relation für jede Welt w modelliert, wobei zu lesen ist als: „ ist w mindestens so ähnlich wie “. Es wird gefordert, dass von je zwei Welten die eine w mindestens so ähnlich wie die andere oder umgekehrt, alle Welten müssen also vergleichbar sein. (Die intuitiv naheliegende Forderung der negativen Transitivität, die zu einer „strengen schwachen Ordnung“ machen würde, wird zur Ableitung der Eigenschaften des Kontrafaktuals nicht benötigt.) Es kann dann gezeigt werden, dass die oben formulierten Eigenschaften der Kontrafaktuale unter dieser Festlegung gültig sind. Lewis stellt noch die Forderung auf, dass keine Welt einer Welt so ähnlich sein kann wie sie selbst, dass es also kein gibt, mit . Dadurch haben Kontrafaktuale mit einem wahren Antezedens dieselben Wahrheitsbedingungen wie eine materiale Implikation mit wahrem Antezedens, d. h. sie sind wahr, wenn das Sukzedens wahr ist, sonst falsch. Siehe auchLiteratur
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