Julius L. Isenstein stammte aus einer weitverzweigten jüdischen Kaufmannsfamilie, darunter der Schriftsteller und Bibliothekar Werner Kraft[5][6] und der Bildhauer Kurt Harald Isenstein, deren Mitglieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter anderem Textilgeschäfte (eines in der Großen Packhofstraße) und kleinere Gewerbebetriebe (Holzstiftefabrik in der List[7]) besaßen.
Julius L. Isenstein wurde 1881 Mitglied des Turn-Klubb zu Hannover[8], zu dessen Förderern er später gehörte. 1888 war er leitender Angestellter im Bankhaus Alexander Simon.
In der von der Alexander und Fanny Simon'schen Stiftung geförderten Ahlemer Gartenbauschule war Isenstein Anfang des 20. Jahrhunderts als Rechnungsführer tätig.[9]
1890 verzeichnet das Adressbuch Isensteins Berufsbezeichnung als „Bankier“ (ohne eigene Firma), 1894 dann: „Bankier, Prokurist der Firma Alexander Simon“. 1898 wurde in der Theaterstraße 12 die Filiale der Dresdner Bank in Hannover durch gleichzeitige Übernahme des Bankhauses Alexander Simon errichtet[10][11]; zu Direktoren wurden S[iegmund] Goldschmidt und Julius L. Isenstein ernannt.[11] Isensteins Berufsbezeichnung lautete jetzt: „Bankier, stellvertretender Direktor der Filiale der Dresdner Bank in Hannover und Prokurist der Firma Alexander Simon“. 1901 erfolgte seine Ernennung zum Direktor der Filiale der Dresdner Bank in Hannover[12].
Nach dem Tod des Gartenarchitekten Julius Trip 1907 engagierte sich Isenstein gemeinsam mit anderen führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur im „Ausschuss für die Errichtung eines Gartendirektor Trip-Denkmals in Hannover“;[13] im Ergebnis realisierte der Bildhauer Georg Herting den 1910 im Maschpark installierten Trip-Brunnen.[14]
Isenstein engagierte sich schon vor 1910 als Mäzen des Turn-Klubb zu Hannover.[15] Ein Gedicht aus dieser Zeit im Zusammenhang mit dem Erweiterungsbau der Turnhalle des Vereins lautet:
„Seht sie an die stolze Halle / Die im Wappenglanze strahlt, / Und begrüßt mit Jubelschalle, / Daß das meiste schon bezahlt. / Wer den Freunden kann vertrauen, / Der darf unternehmend sein; / Er braucht nicht auf Sand zu bauen, / Sondern baut auf Isenstein.“[16]
Später – um 1920 – ernannte der TKH Isenstein zum Ehrenmitglied.[15]
Spätestens ab 1908 war Isenstein Mitglied im Hilfsverein der deutschen Juden, den er zugleich mit anderen Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinschaft im hannoverschen Provinzialkomitee vertrat. Aufgabe des übernational agierenden Vereins war die Verbesserung der Lage der Juden in Osteuropa.[17]
1909 übernahm die Filiale Hannover der Dresdner Bank eine fünfprozentige Anleihe der Kaliwerk Gewerkschaft Großherzog Wilhelm Ernst, Direktor wurde Carl Hasper. „Die Direktoren Isenstein und Hasper hatten persönlich gute Beziehungen zu den Kreisen [der Kaliindustrie] angeknüpft...“[18] Am 16. Dezember erfolgte Isensteins Ernennung zum Preußischen Kommerzienrat gegen eine Stempelgebühr von 3000 Mark, wozu Stadtdirektor Heinrich Tramm ein Gutachten zu erstellen hatte.
Am 2. Mai 1913 starb Isensteins Ehefrau Sophie, geb. Gotthelft, im Alter von 43 Jahren.[19]
Unterdessen engagierte sich Isenstein als Repräsentant der jüdischen Gemeinde Hannovers, die ihren Sitz in der Lützowstraße 3 hatte und unter dem Landrabbinat Hannover unter Landrabbiner Selig Gronemann unterstand. Zudem wirkte er als ehrenamtlicher Erster Kassierer in der im August 1909 gegründeten Sozialvereinigung Jüdischer Frauen- und Mädchenclub Hannover, dessen Clublokal in der Josephstraße 24 unterhalten wurde.[20]
Isenstein war Mitbegründer und Stifter[3][21] der Kestner Gesellschaft als einer von 22 Stiftern, neben hannoverschen Unternehmern wie Hermann Bahlsen, August Madsack und Fritz Beindorff. Zu den jüdischen Persönlichkeiten in diesem Kreis gehörten neben Isenstein auch die Bankiers Louis und Richard Oppenheimer, der Kaufmann Gustav Rüdenberg und der Direktor der Continental Siegmund Seligmann[22]. Zum 60. Geburtstag am 18. Juli 1916 erhielt Isenstein von der Bank eine Geschenkkassette mit Fotografien des Bankgebäudes und der Mitarbeiter: „Zum 18. Juli 1916. Die Beamten der Dresdner Bank Filiale Hannover“ mit den Goldinitialien „JI“.[23]
1921 war Isenstein Mitbegründer der Hannoverschen Hochschulgemeinschaft,[24] die später als Leibniz Universitätsgesellschaft Hannover unter anderem die Karmarsch-Denkmünze der Leibniz Universität Hannover verleiht.[25] In der Hochschulgemeinschaft fungierte Isenstein als Schatzmeister.[26]
Unter Isensteins Leitung ging das Bankhaus Alexander Simon ebenso wie die ursprünglich in Bückeburg ansässige Niedersächsische Bank, die auch in Hannover eine Filiale betrieben hatte, in der Dresdner Bank auf.[29]
1926 wurde Isenstein pensioniert, wohnte aber weiterhin im Bankgebäude Rathenauplatz 4. Dort starb er am 14. Februar 1929.
17 Todesanzeigen im Hannoverschen Kurier vom 17. Februar 1929 zeigen die regionale Bedeutung des Bankiers Julius L. Isenstein auf.
Funktionen
Folgende Funktionen Isensteins in bedeutenden niedersächsischen Unternehmen sind anhand der Todesanzeigen ersichtlich:
Schon vor 1910 hatte Julius Isenstein dem TK Hannover (TKH) eine Stiftung zukommen lassen, die er in den Folgejahren „regelmäßig mit großzügigen Spenden aus seinem Privatvermögen ergänzte.“ 1913 beteiligte er sich mit Hypotheken an der Finanzierung des TKH-Sportplatzes in Kirchrode, den der Verein bis in die Gegenwart nutzt.[15]
Die weiteren Erträge aus Isensteins Stiftung wurden, vor allem im Zuge der Inflation zu Beginn der Weltwirtschaftskrise, weitgehend vernichtet,[15] doch erst während der Zeit des Nationalsozialismus wurde es der hannoverschen Stadtverwaltung „unangenehm, von Geld aus ‚jüdischen Vermögen‘ zu profitieren.“ Im Zuge der Arisierungen wurden zwischen Juli bis Oktober 1941 durch die hannoversche Kämmerei gemeinsam mit der Esberg-Stiftung und der Dr.-Ludwig-Spanier-Stiftung auch die Isenstein-Stiftung umgewidmet und mit dem Kapital aus anderen Vermächtnissen zu anderen Zwecken zusammengelegt.[31]
Grabdenkmal
Auf dem Stadtfriedhof Stöcken besteht noch das Grabmal von Julius L. Isenstein und seiner Ehefrau Sophie. Nach deren Tod erwarb Isenstein 1913 ein Ufergrundstück am Teich und ließ von dem Architekten Albrecht Haupt ein Grabmal entwerfen. Heute liegt es unter Kiefern und von Rhododendron-Büschen umgeben auf dem Friedhof in der Abt. A 25, Nr. 8. Von 2006 bis 2008 wurde es auf Initiative des hannoverschen Historikers Peter Schulze restauriert, finanziert von der Stiftung Falkenreck. Die Dresdner Bank spendete dafür 10.000 €.[32]
Theodor Lessing: Einmal und nie wieder. Lebenserinnerungen. Unveränderter Nachdruck der Erstausgabe Prag 1935. Gütersloh: Bertelsmann Sachbuchverlag 1969.
Hans G. Mayen: 120 Jahre Dresdner Bank. Unternehmens-Chronik 1872 bis 1992. Frankfurt am Main 1996
Felix Jüdell: Erfahrung läßt sich nicht vererben. Dresdner Bank, ihre Entwicklung von 1872 bis 1914. Dresden 2005 (Publikationen der Eugen-Gutmann-Gesellschaft, Bd. 1.)
Werner Kraft: Spiegelung der Jugend. Mit einem Nachwort von Jörg Drews. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973. (Bibliothek Suhrkamp. Bd. 356.)
↑Verhandlungen des III. Allgemeinen Deutschen Bankiertages zu Hamburg am 5. und 6. September 1907, Berlin: Guttentag 1907, S. 146; Vorschau über Google-Bücher
↑Kraft, Werner, in: Archiv Bibliographia Judaica – Deutschsprachiges Judentum Online, veröffentlicht von De Gruyter Oldenbourg 2021 (Print 2006)
↑Hannover. Führer durch die Stadt und ihre Bauten. Hrsg. vom Architekten- und Ingenieurverein zu Hannover. Red.: Theodor Unger. Hannover: Klindworth 1882. Neuausg. Hannover: Vincentz 1978, S. 243. - Die „Hannoversche Holzstifte Fabrik Isenstein“ in der Celler Chaussee (heute: Podbielskistraße) Nr. 25, von den Listern wegen ihrer lauten Pfeifsignale „Plock-Flötje“ genannt, war eine Gründung von Werner Krafts Großvater (1882) und befand sich später in der Nikolaistraße 14 bzw. in der Steinriede 4 (1909–1914). Ernst Bohlius, Wolfgang Leonhardt: Die List. 700 Jahre Umschau aus der Dorf- und Stadtgeschichte. Norderstedt 2003, ISBN 3-8334-0276-8, S. 47. (Link zum Digitalisat)
↑Die Ziele der Simon'schen Stiftung, Hannover: Gebrüder Jänecke, 1907, S. 13; Vorschau über Google-Bücher
↑Hans G. Mayen: 120 Jahre Dresdner Bank. Unternehmens-Chronik 1872 bis 1992. Frankfurt am Main 1996, S. 54 und S. 373
↑ abFelix Jüdell: Erfahrung läßt sich nicht vererben. Dresdner Bank, ihre Entwicklung von 1872 bis 1914, Publikationen der Eugen-Gutmann-Gesellschaft, Bd. 1., Dresden 2005, S. 140
↑Rainer Ertel, Ernst-Friedrich Roesener: Hannoversches Brunnenbuch. Fackelträger, Hannover 1988, ISBN 3-7716-1497-X, S. 9f., 87
↑ abcdLorenz Peiffer, Henry Wahlig: Juden im Sport während des Nationalsozialismus: Ein historisches Handbuch für Niedersachsen und Bremen. Wallstein Verlag, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8353-2031-4. S. 22, 188, 230; Vorschau über Google-Bücher
↑Zitiert bei Elke Schmidt: Unsere Turnhalle. „Großes Werk gedeiht nur durch Ewigkeit“. In: TKH-Klubb-Nachrichten (Turn-Klubb zu Hannover). Nr. 2/2003, S. 24–26.
↑Henning Rischbieter: Die Kestner-Gesellschaft, in ders.: Die zwanziger Jahre in Hannover. Bildende Kunst, Literatur, Theater, Tanz, Architektur, 1916 - 1933. Vom 12. August bis 30. September 1962, Katalog zur Ausstellung, Hannover: Kunstverein e.V., 1962, S. 21ff.; hier: S. 26; Vorschau über Google-Bücher
↑Wieland Schmied: Wegbereiter zur modernen Kunst. 50 Jahre Kestner-Gesellschaft. Hannover 1966, S. 234 sowie Waldemar R. Röhrbein: Jüdische Persönlichkeiten in Hannovers Geschichte. Lutherisches Verlagshaus, Hannover 1998, S. 77.
↑Das Original aus dem Besitz der Dresdner Bank Hannover befindet jetzt im Historischen Archiv der Commerzbank AG in Frankfurt am Main unter der Archivalien-Signatur HAC-500/S12/0259.
↑Heinz Steiner: Die Hannoversche Hochschulgemeinschaft. Vereinigung von Freunden der Technischen Hochschule Hannover e.V., in: Jahrbuch der Technischen Hochschule Hannover, 1949, S. 132f.; Vorschau über Google-Bücher
↑Christian-Alexander Wäldner: Die Technische Hochschule Hannover und der Entzug akademischer Titel in der NS-Zeit. Ergebnisse hannöverscher Vorgänge unter der Berücksichtigung des Falles Walter Dux ( = Geschichte, Bd. 112), zugleich Masterarbeit 2012 an der Universität Hannover, Berlin; Münster: Lit, 2012, ISBN 978-3-643-11908-7, S. 117; Vorschau über Google-Bücher
↑Julius Blanck: Das Bank und Börsenwesen in der Stadt Hannover. Auszug aus der gleichnamigen Abhandlung des Bankiers Julius Blanck in Hannover, in Paul Siedentopf, Karl Friedrich Leonhardt: Das Buch der alten Firmen der Stadt Hannover im Jahre 1927, Leipzig: Jubiläums-Verlag Walter Gerlach, 1927, S. 148ff.
↑Hermann Poppelbaum: Geschichte der Sektion, in Rudolf Behrens (Red.): Sektion Hannover des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1885 – 1935. Festschrift zur Fünfzigjahrfeier, hrsg. im Auftrag der Sektion Hannover, Hannover: [Sektion Hannover im Deutschen und Österreichischen Alpenverein], [1935], S. 15–21; hier: S. 18; als PDF-Dokument auf der Seite alpenverein.de
↑Rüdiger Fleiter: „Arisierung“, in ders.: Stadtverwaltung im Dritten Reich. Verfolgungspolitik auf kommunaler Ebene am Beispiel Hannovers, 2., korrigierte Auflage, zugleich Dissertation 2005 an der Universität Hannover unter dem Titel Die Mitwirkung der hannoverschen Stadtverwaltung an der NS-Verfolgungspolitik (= Hannoversche Studien. Schriftenreihe des Stadtarchivs Hannover, Bd. 10), Hannover: Verlag Hahnsche Buchhandlung, 2007, ISBN 978-3-7752-4960-7, S. 159f., Anm. 183 S. 260; Vorschau über Google-Bücher