„Von den anfänglich eher strengen Arbeiten – beispielsweise Die Geschwister, Stehende Frauen am Fenster oder Auf der Treppe – alle Mitte der fünfziger Jahre entstanden – gelangt sie, spätestens ab Mitte der siebziger Jahre zu kritischen bis schockierenden Bildern. Fast antizyklisch zum allgemeinen Kunstgeschehen hat Ingeborg Leuthold den Realismus nicht nur nie verlassen, sondern ihm in der ihr eigenen, oft überzeichnenden Formensprache eine verstärkte Ausdruckskraft gegeben.“
„In den neunziger Jahren verstärkte sich das Interesse der Malerin an der Semantik ausgestellter Körper und führte sie zu großformatigen Nahsichten von Loveparade und Christopher Street Day. Dem Wunschtraum vom Geschlechtertausch mit Sympathie begegnend, haften diese Darstellungen nicht an der Oberfläche und lassen an der inneren Vereinsamung, welche die Akteure mit aufreizender Verkleidung, Entblößungen und obszönen Gesten überspielen, keinen Zweifel. Die Radikalität, mit der Ingeborg Leuthold die sexuelle Konnotation der modernen Bacchantenzüge aufgreift und der dahinter versteckten Sinnkrise nachgeht, sucht man in der gegenwärtigen Malerei vergebens.“
„War die Tätowierung um 1900 noch ein verpöntes Merkmal von Verbrechern und Zirkusartisten ist sie heute ubiquitär. Zur Schau gestellt oder sorgfältig unter der Kleidung verborgen, befriedigt sie unter Millionen Menschen aus allen Schichten den starken Wunsch, mit dem keep-smiling Schluß zu machen und sich durch diese teuer und schmerzhaft erkaufte Prozedur der eigenen Schönheit und Attraktivität zu vergewissern.“
↑Lebenslauf in Ingeborg Leuthold, Tattoo total oder die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies. Ladengalerie Müller, 2010, ISBN 978-3-926460-90-5.
↑Text von Anne Meckel im Katalog der Ausstellung Ingeborg Leuthold, Ein Querschnitt durch vier Jahrzehnte Malerei, Berlin, 1994.
↑ abVorwort von Friedrich Rothe im Katalog Ingeborg Leuthold, Tattoo total oder die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies. Ladengalerie Müller, 2010, ISBN 978-3-926460-90-5.
Literatur
Anne Meckel: Ingeborg Leuthold. Ein Querschnitt durch vier Jahrzehnte Malerei. 1994.