Hellmut von GerlachHellmut Georg von Gerlach (* 2. Februar 1866 in Mönchmotschelnitz bei Winzig, Landkreis Wohlau, Provinz Schlesien; † 1. August 1935 in Paris) war ein bedeutender deutscher Publizist. Er war Jurist und Reichstagsabgeordneter (1903–1907) und trat in seinen Publikationen für eine liberale demokratische Gesellschaft und Verständigung mit den Nachbarländern ein. HerkunftHellmut von Gerlach wurde als Sohn des adligen Gutsbesitzers Max von Gerlach (1832–1909) und dessen Ehefrau Welly geb. Peyer (1837–1899) in Mönchmotschelnitz in Niederschlesien geboren. Sein Großvater väterlicherseits war Karl von Gerlach (1792–1863), Polizeipräsident in Berlin, Regierungspräsident in Köln und Erfurt, und ein Urgroßvater mütterlicherseits Johann Gottlieb Koppe (1782–1863). LebenSchule und StudiumHellmut von Gerlach besuchte das Gymnasium in Wohlau. Anschließend studierte er Rechtswissenschaften in Genf, Straßburg, Leipzig und in Berlin. Dabei war er Mitglied des Verband der Vereine Deutscher Studenten. Juristische TätigkeitenDanach war Hellmut von Gerlach als Referendar an Gerichten in Lübben, Berlin, Schleswig und Magdeburg tätig. Anschließend gelang es ihm durch persönliche Beziehungen, in den preußischen Verwaltungsdienst zu kommen. Er wurde zunächst Regierungsassessor und später Stellvertreter des Landrats für den Kreis Herzogtum Lauenburg in Holstein. 1892 verließ er den Staatsdienst. Journalistische und politische Tätigkeiten 1892–1903Seitdem arbeitete Hellmut von Gerlach als Journalist. Von 1892 war er Redakteur der christlich-sozialen Tageszeitung Das Volk.[1] Dabei stand er dem christlich-sozialen, antisemitischen Flügel um Adolf Stoecker nahe. In den folgenden Jahren änderte er seine politische Grundhaltung. Im Juni 1894 nahm er brieflichen Kontakt mit Friedrich Engels auf und besuchte ihn anschließend in London.[2][3] Unter dem Einfluss Friedrich Naumanns entwickelte er liberale politische Ansichten. 1896 beendete er seine Tätigkeit für die Zeitung Das Volk und gründete mit Friedrich Naumann den Nationalsozialen Verein.[4][5][6] Ab 1898 war er Chefredakteur der liberalen Berliner Wochenzeitung Die Welt am Montag. Reichstagsabgeordneter 1903–1907Hellmut von Gerlach bemühte sich in den folgenden Jahren, in das Preußische Abgeordnetenhaus und in den Reichstag für die Nationalliberalen zu gelangen. Im preußischen Abgeordnetenhauswahlkreis Lingen-Bentheim (an der niederländischen Grenze) gründete er dazu nationalsoziale Arbeitervereine, die dann in den Textilarbeitergemeinden Nordhorn, Schüttorf und Gildehaus sowie unter den Eisenbahnarbeitern in Lingen an der Ems viel Zulauf erhielten.[7][8] Trotzdem blieben seine Bemühungen 1898 und 1903 erfolglos.[9] Danach löste sich der Nationalliberale Verein auf. Im Juni 1903 gelang es ihm schließlich, als Abgeordneter für den Reichstagswahlkreis Regierungsbezirk Kassel 5 Marburg-Frankenberg-Kirchhain in den Reichstag zu kommen. Dort schloss er sich der linksliberalen Freisinnigen Vereinigung als Hospitant an. Gewählt wurde er mit Hilfe des Zentrums und der SPD. Im Januar 1907 verlor er den Wahlkreis wieder. Publizistische und gesellschaftliche Tätigkeiten 1908–1918Ab Ende 1906 war Hellmut von Gerlach wieder als Chefredakteur der Welt am Montag tätig. 1908 verließ er die Freisinnige Vereinigung. 1908 wurde er Mitbegründer der Demokratischen Vereinigung (DV). 1912 wurde er nach dem Weggang von Rudolf Breitscheid deren Vorsitzender. In diesem Jahr war er in seinem angestammten Wahlkreis Marburg-Frankenberg als einziger Kandidat der DV in die Stichwahl gekommen, die er dann aber verlor.[10] Ab 1914 nahm Hellmut von Gerlach im Ersten Weltkrieg eine pazifistische Haltung ein und unterstützte entsprechende gesellschaftliche Aktivitäten.[11] Er war auch Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft. Gesellschaftliche und publizistische Tätigkeiten 1918–1933Im November 1918 wurde Hellmut von Gerlach Unterstaatssekretär unter seinem vorherigen Vereinsfreund Rudolf Breitscheid im preußischen Innenministerium. Er war für die Beziehungen zur ehemaligen preußischen Provinz Posen zuständig, die inzwischen unter polnischer aufständischer Kontrolle stand. Am 20. November fuhr er dorthin und sicherte nach eintägigen Verhandlungen mit dem Obersten Volksrat die weitere Lieferung von Lebensmitteln in das Deutsche Reich, die dort dringend benötigt wurden.[12][13] Anfang 1919 verlor er dieses Amt nach den politischen Veränderungen wieder. 1918 gehörte Hellmut von Gerlach gemeinsam mit Friedrich Naumann zu den Gründern der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). 1919 trat er dem Rat des Internationalen Friedensbüros bei. 1920 entging er nur knapp einem rechtsextremen Mordanschlag. 1922 trat er wieder aus der DDP aus. 1926 wurde Hellmut von Gerlach Vorsitzender der Deutschen Liga für Menschenrechte. In dieser Funktion nahm er an mehreren internationalen Friedenskongressen teil. 1930 wurde er Gründungsmitglied der Radikaldemokratischen Partei, die allerdings keine größere politische Bedeutung erlangen konnte. 1932 übernahm er nach der Inhaftierung von Carl von Ossietzky die Leitung der Zeitschrift Die Weltbühne. Emigration 1933–19351933 ging Hellmut von Gerlach ins Exil zunächst nach Österreich. Er stand in dieser Zeit auf der Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs.[14] Seine Schriften wurden alle verboten.[15] Danach konnte er nach Paris emigrieren, wo er auf Einladung der französischen Liga für Menschenrechte sein journalistisches und pazifistisches Engagement fortsetzen konnte. Er schrieb dort auch Artikel für das deutschsprachige Pariser Tageblatt.[16] Dort schlug er Carl von Ossietzky für den Nobelpreis vor, den dieser dann 1936 erhielt.[17] Hellmut von Gerlach hielt sich im Frühsommer 1935 zu einer Kur in Moscia Ascona in der Schweiz auf. Dort forschte er auch zu Hintergründen der Nazientführung des Journalisten Berthold Jacob. Am 1. August 1935 starb er unerwartet an einem Herztod in Paris; anwesend war die Publizistin Milly Zirker. Die Polizei ordnete eine Obduktion an, da sie einen gewaltsamen Tod durch deutsche Agenten nicht ausschloss. Die Bestürzung in deutschen Emigrantenkreisen war groß; viele französische Zeitungen berichteten darüber. Auf der Beerdigung auf dem Friedhof Père-Lachaise sprachen Rudolf Breitscheid, Georg Bernhard und Victor Basch.[18] Publizistisches WirkenHellmut von Gerlach schrieb zuerst für das Deutsche Adelsblatt. Von 1892 bis 1896 war er Redakteur der konservativen Zeitung Das Volk. Von 1898 bis 1901 und ab 1906 war er leitender Redakteur der Wochenzeitung Die Welt am Montag. Dort formulierte er seine liberalen Ideen. Er forderte unter anderem politische Reformen zur Parlamentarisierung des Reichs. Ab 1914 setzte er sich für eine Verständigungspolitik mit den Nachbarländern ein. Nach 1918 war er einer der wichtigsten linksliberalen Publizisten der Weimarer Republik. So trat er für die Erfüllung des Versailler Vertrags ein und prangerte die illegale Aufrüstung an. Er warnte vor rechten Umsturzversuchen und setzte sich auch besonders für eine deutsch-französische Verständigung ein. In seiner Schrift Die große Zeit der Lüge von 1926 beschrieb Hellmut von Gerlach detailliert gezielte Falschinformationen und Manipulationen der Presseberichte ab 1914 zur Unterstützung der Kriegspolitik der Regierung.[19] Seit 1932 war Hellmut von Gerlach auch kurzfristig verantwortlicher Redakteur der Weltbühne. Im Exil schrieb er in Paris weiter für deutschsprachige Zeitungen (Pariser Tageblatt?) und kritisierte scharf die nationalsozialistische deutsche Politik. In seiner Autobiographie Von rechts nach links beschrieb Hellmut von Gerlach pointiert und unterhaltsam sein Leben.[20] EhrungenHellmut von Gerlach galt nach 1945 als eines der wichtigen Vorbilder für eine Versöhnung mit den polnischen und französischen Nachbarländern. Durch das gerichtliche Verbot der Namensgebung der Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft von 1953 geriet sein Name langsam in Vergessenheit. Erst seit etwa 2008 wurde seine historische Bedeutung wieder stärker gewürdigt. Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft1948 wurde die Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft gegründet, die sich um die Deutsch-Polnische Verständigung bemühte. Diese bestand in Düsseldorf und Ost-Berlin. Um 1952 musste sie diesen Namen ändern, nachdem die Witwe Hedwig von Gerlach erfolgreich dagegen geklagt hatte. Hellmuth von Gerlach-HeimDas Hellmuth von Gerlach-Heim bestand in der Cuvrystraße 32 in Berlin als Unterkunft für Flüchtlinge durch die Deutsche Liga für Menschenrechte seit 1952. Dieses wurde spätestens 1955 aufgelöst.[21] Ehrengrab in WiesbadenSeit 1968 ist die Urne von Hellmut von Gerlach auf dem Südfriedhof in Wiesbaden in einem Ehrengrab beigesetzt.[22] GedenktafelnIn der Genthiner Straße 48 in Berlin-Tiergarten gibt es eine Gedenktafel für Hellmut von Gerlach seit 2008. Hellmut-von-Gerlach-StraßenMehrere Straßen in Deutschland wurden nach ihm benannt.
Ehe und NachkommenHellmut von Gerlach heiratete 1904 Hedwig Wiesel (1874–1956). Diese übersetzte 1926 das Antikriegsdrama Das Grab des unbekannten Soldaten von Paul Raynal, das in ihrer Fassung an vielen deutschen Theatern erfolgreich aufgeführt wurde.[23] Nach dem Tod des Ehemanns 1935 kehrte sie aus dem französischen Exil nach Deutschland zurück. 1951 verklagte sie erfolgreich die Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft wegen der von ihr nicht erwünschten Namensverwendung, da diese für die Oder-Neiße-Grenze eintrete und eine polnische Spionageorganisation sei.[24] Die beiden hatten einen Sohn und eine Tochter. Schriften
Literatur
WeblinksCommons: Hellmut von Gerlach – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Hellmut von Gerlach – Quellen und Volltexte
Einzelnachweise
|