Ehernes LohngesetzDas eherne Lohngesetz (engl. iron law of wages) ist eine Lohntheorie von Ferdinand Lassalle aus dem 19. Jahrhundert, die besagt, dass der durchschnittliche Arbeitslohn sich mittelfristig stets auf das Existenzminimum einpendelt. Steigt der Arbeitslohn über das Existenzminimum, steigt durch Vermehrung der Arbeiterbevölkerung das Arbeitsangebot, sodass der Lohn wieder sinkt. Sinkt hingegen der Lohn unter das Existenzminimum, führt eine Verminderung des Arbeitsangebots zu einem Anstieg der Löhne. Diese Theorie geht auf die Forschung von Theoretikern des klassischen Liberalismus, insbesondere auf David Ricardo (siehe dessen Theorie des Lohnes), zurück. Lassalle schloss aus dem ehernen Lohngesetz, dass eine nachhaltige Besserung der Lage der Arbeiterschaft nicht durch den Arbeitskampf der Gewerkschaften, sondern nur durch die Erringung einer parlamentarischen Mehrheit für die Arbeiterparteien möglich sei. Er kämpfte daher gegen das Dreiklassenwahlrecht und für ein allgemeines und direktes Wahlrecht.[1] Ferdinand LassalleFerdinand Lassalle war Wegbereiter der deutschen Sozialdemokratie und erster Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), einer Vorgängerorganisation der SAP (Sozialistische Arbeiterpartei) bzw. der späteren SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands). Die ausführlichste Version seines Lohngesetzes findet sich in dem Offenen Antwortschreiben:[2]
– Lassalle, Offenes Antwortschreiben, in: LGRS, Bd. 3. 58f (zitiert nach Grebing et al.) In Anlehnung an die Bevölkerungstheorie von Thomas Robert Malthus wird die Vermehrungsrate der Arbeiterbevölkerung durch die Lohnhöhe mitbestimmt. Liegt dieser Lohn über dem Subsistenzniveau steigt durch Vermehrung der Arbeiterbevölkerung das Arbeitsangebot, sodass der Lohn sinkt; sinkt der Arbeitslohn unter das Subsistenzniveau, führt eine Verminderung des Arbeitsangebots zu seinem Wiederanstieg. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Arbeitsnachfrage eine monoton abnehmende Funktion der Lohnhöhe sei. BedeutungGewerkschaftenEntsprechend dieser Vorstellung sollten die Löhne gesetzlich festgelegt, d. h. für eine bestimmte Arbeitsleistung entsprechend dem „ehernen Lohngesetz“ der Gegenwert in Geld gesetzlich festgeschrieben werden. Die Überlegung ähnelt dem Mindestlohn, definiert jedoch nicht den Mindestanspruch, sondern einen fixen „ehernen Geldwert“, der weder über- noch unterschritten werden darf. Das eherne Lohngesetz ist daher das konzeptionelle Gegenteil der angewandten Tarifautonomie, die zwischen der Gewerkschaft als Arbeitnehmervertretung und den Arbeitgebern ohne formelle Einwirkung von außen stattfindet. Schon Ricardo wies in seiner Theorie den Gewerkschaften keine Rolle zu. Aufgrund des ehernen Lohngesetzes hielt er ihre Bemühungen für nutzlos.[3] Das eherne Lohngesetz hatte entscheidenden Einfluss auf Gewerkschaften und Sozialdemokratie v. a. wegen der aus ihm abgeleiteten Konsequenzen für die Politik der Arbeiterbewegung. Eine nachhaltige Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse wurde nicht durch Arbeitskampf im Produktionsbereich erwartet, sondern durch Erringung der parlamentarischen Mehrheit durch die Arbeiterklasse (Kampf um das allgemeine und direkte Wahlrecht).[4] Heutige SichtDer von Lassalle beschriebene Zusammenhang, von den Klassikern als auch von Marxisten in den Rang eines Naturgesetzes gehoben, wurde bereits zu Marx’ Zeiten widerlegt. Dies zeigte sich unter anderem in den Nordstaaten der USA.[5] Auch im Deutschen Kaiserreich wuchsen die Reallöhne der Arbeiter kontinuierlich.[6][7] Mit der Industrialisierung (zunächst in westlichen Ländern) stiegen die Lebensstandards von Arbeitern im Durchschnitt kontinuierlich an. Nachdem die malthusianische Bevölkerungsfalle, auf der Lassalles Gesetz beruht, verlassen worden war, ging auch die Bedeutung seines Lohngesetzes verloren. Trotz steigender Löhne wuchs die Bevölkerung langsamer bzw. das Bevölkerungswachstum kam in manchen Ländern fast zum Erliegen (siehe auch Demografischer Übergang). Finden sich heutzutage Vollzeitbeschäftigte, die zu einem Arbeitsentgelt arbeiten, welches sich knapp oberhalb oder unter der Armutsgrenze befindet, spricht man von Niedriglohn. Die frühkapitalistischen Produktionsverhältnisse, die in den Industriestaaten bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich waren und auch heute noch auf der Welt vorkommen, bezeichnet man auch als Lohnsklaverei. Werden Personen trotz Erwerbstätigkeit nicht von Armut verschont, spricht man von Erwerbsarmut (auch Working Poor). KritikKarl Marx (1818–1883) verneinte einen sofortigen Einfluss von Veränderungen der Lohnhöhe auf die Vermehrungsrate mit dem Hinweis auf die Aufwuchszeit der Kinder, die bis zu deren Eintritt in den Produktionsprozess vergehe.[4] In Kritik des Gothaer Programms kritisierte Marx zunächst, dass Lassalle das Gesetz begründen wolle, indem er sich auf Thomas Robert Malthus’ (1766–1834) Gesetzesbehauptungen stütze. Malthus habe beansprucht, überhistorische Bevölkerungsgesetze entdeckt zu haben; wenn sie zuträfen, so wirkten sie auch dann, wenn es keine Lohnarbeit mehr gäbe.[8] Des Weiteren hielt Marx Lassalles Position für rückschrittlich. Laut Marx erkenne Lassalle nicht, dass der Kapitalist mit dem Arbeitslohn nicht den Wert der Arbeit, sondern den Wert der Arbeitskraft zahle (Mystifikation des Lohnes). Die kapitalistische Produktionsweise, so Marx, ziele primär darauf ab, dass der Kapitalist den Mehrwert möglichst steigern bzw. den Arbeiter möglichst ausbeuten müsse. Ob ein Arbeiter höheren oder niedrigeren Lohn erhalte, ändere nichts daran, dass das System Sklaverei sei und dass diese umso härter werde, je mehr die Produktivkraft der Arbeit zunehme. Lassalles Position gleiche der eines Sklaven, der die Sklaverei abschaffen wolle, weil er glaube, die Sklaven könnten einen bestimmten niedrigen Lebensstandard nicht überschreiten.[9] Friedrich Engels (1820–1895) betrachtete Lassalles Gesetzesbehauptung als veraltet. Marx habe in Das Kapital gezeigt, dass die Prinzipien, die den Lohn regulieren, komplexer und elastischer seien, als Lassalle es behauptet habe.[10] Literatur
Weblinks
Belege
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