Thomas Kuczynski wurde als Sohn von Jürgen Kuczynski und Marguerite Kuczynski in London geboren, als diese dort im Exil waren. Nach 1945 übersiedelte die Familie in die Sowjetische Besatzungszone. Er studierte von 1963 bis 1968 Statistik an der Hochschule für Ökonomie, Berlin-Karlshorst, und wurde 1972 bei Hans Mottek über das Ende der Weltwirtschaftskrise in Deutschland (1932/33) promoviert. Seit 1966 war er Mitglied der SED. Von 1972 bis zu dessen Abwicklung 1991 arbeitete er am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR und war von 1988 bis 1991 dessen letzter Direktor. Seine Promotion B erfolgte 1988 mit der Arbeit Zur Anwendbarkeit mathematischer Methoden in der Wirtschaftsgeschichtsschreibung. Methodologische Überlegungen und praktische Versuche.[1] Seither arbeitete er als freier Publizist, u. a. als Autor im Marx-Engels-Jahrbuch und in der Zeitschrift Lunapark21.[2] Er war von 1972 bis 1998 mit Rita Kuczynski verheiratet.
Kuczynski erstellte eine Studie Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeit im ‚Dritten Reich‘ auf der Basis der damals erzielten zusätzlichen Einnahmen und Gewinne, in der er errechnete, dass die Bundesrepublik Deutschland den Opfern von Zwangsarbeit in Nazideutschland rund 180,5 Milliarden DM schuldig sei. Später, in seinem Buch Brosamen vom Herrentisch, erhöhte er diese Zahl auf 228 Milliarden DM (116 Milliarden Euro).
Über zwanzig Jahre hat Kuczynski an einer Ausgabe des Kapital Band 1 gearbeitet. Die neue Textausgabe basiert auf dem von Karl Marx geforderten, aber nicht realisierten Vergleich der deutschen mit der französischen Ausgabe. Nicht nur diese beiden, sondern alle von Marx und Engels edierten Ausgaben und Übersetzungen wurden herangezogen, wobei der in der Marx-Engels-Gesamtausgabe erreichte Forschungsstand berücksichtigt ist. Damit verwirklichte Thomas Kuczynski ein Projekt, das zwar im damaligen Marx-Engels-Institut in Moskau von dessen Leiter Dawid Rjasanow in Angriff genommen worden war, aber nach der Schließung des Instituts 1931 nie realisiert wurde.[5] In einem Nachwort zur neuen Textausgabe wird über die Bearbeitung umfassend berichtet.[6]Georg Fülberth nennt diese Schrift Kuczynskis „philologisches Hauptwerk“.[1]
Thomas Kuczynski starb am 19. August 2023 im Alter von 78 Jahren.[7] Kuczynski war zuletzt mit der Mathematikhistorikerin Annette Vogt verheiratet und lebte in Berlin-Pankow.[1]
Veröffentlichungen (Auswahl)
Das Ende der Weltwirtschaftskrise in Deutschland 1932/33. Berlin 1972 (Berlin, Hochsch. für Ökonomie, Diss., 1972).
Zur Anwendbarkeit mathematischer Methoden in der Wirtschaftsgeschichtsschreibung. Methodologische Überlegungen und praktische Versuche. Berlin 1978 (Berlin, Akademie der Wissenschaften der DDR, Promotion B, 1979).
Wirtschaftsgeschichte und Mathematik. Beiträge zur Anwendung mathematischer, insbesondere statistischer Methoden in der wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung, Akademie Verlag, Berlin 1985 (Hrsg.).
Brecht 88. Anregungen zum Dialog über die Vernunft am Jahrtausendende. Ediert von Wolfgang Heise. Henschel, Berlin 1987 (Beitrag).
Die Transformation der Werte in Produktionspreise im Rahmen der einfachen Reproduktion. Forschungsgruppe Politische Ökonomie am Institut für Politikwissenschaft, Marburg 2000, ISBN 3-8185-0302-8.
Brosamen vom Herrentisch. Verbrecher Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-935843-37-2.
Geschichten aus dem Lunapark. Historisch-kritische Betrachtungen zur Ökonomie der Gegenwart. Papyrossa Verlag, Köln 2014, ISBN 978-3-89438-562-0.
Karl Marx. Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, erster Band Buch I: Der Produktionsprozess des Kapitals, neue Textausgabe mit USB-Card, bearbeitet und herausgegeben von Thomas Kuczynski. VSA-Verlag, Hamburg 2017, ISBN 978-3-89965-777-7.
Zum Begriff der Produktionsweise bei Marx. Zentralität, Ambiguität und Differenzierung. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2018/19. Argument Verlag, Hamburg 2019, ISBN 978-3-86754-685-0, S. 11–20.
Engels’ Altersbriefe im Lichte des Zusammenbruchs des „Realsozialismus“. In: Sozialismus, Heft 11/2020, S. 38–42, ISSN 0721-1171.
Karl Marx. Lohn, Preis und Profit. Das kleine »Kapital«: ein Vortrag zur Politischen Ökonomie des Kapitalismus. Herausgegeben und kommentiert von Thomas Kuczynski, VSA Verlag, Hamburg 2022, ISBN 978-3-96488-147-2.
Zum Begriff der Produktionsweise bei Marx. Zentralität, Ambiguität und Differenzierung. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2020/21. Argument, Hamburg 2022, ISBN 978-3-86754-687-4, S. 11–20.
Letzte Geschichten aus dem Lunapark. Historisch-kritische Kolumnen zur Ökonomie der Gegenwart, Payprossa, Köln 2024, ISBN 978-3-89438-837-9.
Interview in: Clement de Wroblewsky: „Da wachste eines Morgens uff und hast ’nen Bundeskanzler“. Wie DDR-Bürger über ihre Zukunft denken. Rasch und Röhring, Hamburg 1990, ISBN 3-89136-308-7.
Thomas Grimm:Thomas Kuczynski – Warum so spät? Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeit im ‚Dritten Reich‘. In: Linke Vaterlandsgesellen. Sozialisten, Anarchisten, Kommunisten, Raufbolde und andere Unangepasste. Parthas Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-932529-39-1, S. 314–333.
Joachim Bischoff: Thomas Kuczynski hat den ersten Band neu herausgegeben – „Das Kapital“: eine neue Textausgabe. In: Sozialismus 2/2018, S. 58–60.
↑Thomas Kuczynski: "Es gibt keinen Königsweg für die Wissenschaft..." – Eine Textausgabe des Kapitals, die Marx forderte, aber nicht mehr realisieren konnte. In: Sozialismus, 9/2017, S. 57–64.