Dernburg war ein Sohn des Publizisten und nationalliberalen Politikers Friedrich Dernburg (1833–1911), der aus einer jüdischen Gelehrtenfamilie stammte, zum evangelisch-lutherischen Glauben konvertiert war und 1864 die Pastorentochter Luise Stahl geheiratet hatte. Nach Tätigkeiten bei verschiedenen Banken, u. a. der Deutschen Bank, wurde Bernhard Dernburg 1889 Direktor der Deutschen Treuhand-Gesellschaft, einer Vorläuferin der heutigen Unternehmensberatungsgesellschaft KPMG. 1901 wechselte er als Vorstand zur Darmstädter Bank für Handel und Industrie.
Dernburg war 1902 auch federführend an der Umwandlung des Kölner Schokoladenunternehmens Gebr. Stollwerck OHG in eine Familien-Aktiengesellschaft (Gebrüder Stollwerck AG) beteiligt. Aufgrund seiner Erfahrungen, die er in USA mit Vorzugsaktien gesammelt hatte, wurden auch bei Stollwerck diese Aktien eingeführt. Dernburg übernahm mit seiner Darmstädter Bank die Rolle des Konsortialführers bei der Umwandlung und erhielt ein Aufsichtsratmandat bei der Gebr. Stollwerck AG.
1906 wechselte Dernburg in die Politik, zuerst als preußischer Bevollmächtigter beim Bundesrat. Am 10. September 1906 übernahm er die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes. Im Mai 1907 wurde er Staatssekretär der zum Reichskolonialamt erhobenen Kolonialabteilung (von dem Amt trat er 1910 zurück[2]). Die gegnerische Presse kolportierte, Dernburg bestehe seit seiner Ernennung darauf, mit „Exzellenz“ angeredet zu werden.[3] Mit Dernburgs Namen ist ein grundlegender Reformkurs in der deutschen Kolonialpolitik verbunden.[4] Nach den Worten Dernburgs sollte nunmehr mit „Erhaltungsmitteln“ anstelle von „Zerstörungsmitteln“ kolonisiert werden. Nicht mehr alkohol- und waffenhandelnde Kompanien sollten die Kolonialwirtschaft prägen, sondern der Missionar, der Arzt, die Eisenbahn und die Wissenschaft. Der Eingeborene sei der wichtigste „Gegenstand“ der Kolonisation und die manuelle Leistung des Eingeborenen das wichtigste Aktivum.[5] Das Ziel dieser überseeischen Wirtschaftsförderung blieb gleichwohl die größtmögliche Ausschöpfung der dortigen Arbeitskräfte durch die Kolonialisten.[6]
Dernburg betrieb zahlreiche Disziplinarverfahren, zog mächtige und berüchtigte Kolonialbeamte wie Gouverneur Jesko von Puttkamer zur Rechenschaft und entließ für den Neustart ältere Beamte.[7] Als erster hoher Kolonialbeamter dieses Ranges sah er sich die Probleme in den Kolonien auch „vor Ort“ an. Er war 1907 in Deutsch-Ostafrika und reiste 1908 ins britische Südafrika sowie nach Deutsch-Südwestafrika. Als Reaktion auf Kritik an der Privilegierung großer Kapitalgesellschaften trat er 1910 als Staatssekretär zurück.[8]
1920 bis 1930 gehörte er dem Reichstag als Abgeordneter der DDP an. Bernhard Dernburg fand seine letzte Ruhe auf dem Friedhof Grunewald (Abt. IV Erb. 17). Die Wandgrabstelle wurde nach einem Entwurf von Max Seliger ausgeführt.
Werner Schiefel: Bernhard Dernburg 1865–1937. Kolonialpolitiker und Bankier im wilhelminischen Deutschland (= Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte, Band 11), Atlantis, Zürich / Freiburg im Breisgau 1974, ISBN 3-7611-0445-6 (zugleich: Dissertation, Philosophische Fakultät, Universität Münster, 1972).
Martin Schumacher (Hrsg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage. Droste, Düsseldorf 1994, ISBN 3-7700-5183-1.
↑Frank Bösch: Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880–1914. Oldenbourg, München 2009, ISBN 978-3-486-58857-6, S. 303 f.
↑Imanuel Geiss: Geschichte griffbereit. Band 2: Personen. Die biographische Dimension der Weltgeschichte. (=rororo-Handbuch 6236), 2. Auflage, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1981, ISBN 978-3-611-00317-2, S. 245.