Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments sind für bestimmte Themenbereiche eingerichtet und befassen sich als erste mit den Gesetzesvorschlägen, die dem Europäischen Parlament vorgelegt werden. Die Ausschusssitzungen der 20 ständigen Ausschüsse finden grundsätzlich im Brüsseler Parlamentssitz statt. Die Sitzungen der Ausschüsse sind öffentlich und können in der Regel per Livestream verfolgt werden.
Das Europäische Parlament gehört zum Typus der Arbeitsparlamente. Dementsprechend nehmen die Ausschüsse des Parlaments die wichtigen gesetzgeberischen und kontrollierenden Kompetenzen wahr.[1]
Die Ausschüsse erörtern die Gesetzesvorschläge und nehmen dazu Berichte mit Änderungsanträgen an. Zwischen den Abstimmungen in den Ausschüssen und den Plenardebatten werden die Änderungsanträge und Entschließungen innerhalb der Fraktionen erörtert. Die Ausschüsse benennen zudem eine Gruppe von Abgeordneten, die für die Verhandlungen mit dem Rat im Rahmen des EU-Gesetzgebungsverfahrens (Trilog) zuständig ist. Ferner nehmen die Ausschüsse Initiativberichte an, veranstalten Anhörungen mit Sachverständigen und kontrollieren die übrigen Organe und Einrichtungen der EU.
Die Zuständigkeiten der Ausschüsse können nicht systematisch aus den Verträgen, Kompetenznormen und funktionalen Rechtsgrundlagen der Europäischen Union hergeleitet werden, sodass es regelmäßig zu Kompetenzkonflikten kommt.[1]
Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments haben, je nach Bedeutung des Ausschusses, zwischen 25 und 76 ordentliche Mitglieder und eine entsprechende Zahl an stellvertretenden Mitgliedern. Alle Ausschüsse wählen aus ihren ständigen Mitgliedern heraus eine oder einen Vorsitzenden sowie bis zu vier stellvertretende Vorsitzende mit einer Amtszeit von üblicherweise zweieinhalb Jahren. Die politische Zusammensetzung des Europäischen Parlaments spiegelt sich in der Zusammensetzung des Ausschusses wider, die Verteilung der Vorsitze folgt dem D’Hondt-Verfahren.
Die Vorsitzenden aller Ausschüsse bilden zusammen die Konferenz der Ausschussvorsitze, die der Konferenz der Präsidenten (d. h. der Fraktionsvorsitzenden) Vorschläge zur Arbeit der Ausschüsse und zur Aufstellung der Tagesordnung unterbreiten kann.
Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments sind kaum mit denen der nationalen Parlamente zu vergleichen, da einheitliche Exekutive bzw. eine parlamentarisch getragene Regierungskoalition fehlt. Dadurch entstehen gänzlich unterschiedliche Konflikt- und Kooperationslinien, teils bis ganz unabhängig von Partei-, Delegations- und Fraktionszugehörigkeit.[1]
Sonder- und Untersuchungsausschüsse
Das Europäische Parlament kann Sonder- und Untersuchungsausschüsse einrichten, um besondere Fragen zu behandeln.
Untersuchungsausschüsse
Seit dem Vertrag von Maastricht kann das Europaparlament auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder Untersuchungsausschüsse einrichten, um Verstöße gegen das Unionsrecht bzw. Missstände bei dessen Anwendung zu überprüfen. Gegenstand der Untersuchung können sowohl Institutionen der Europäischen Union wie die eines Mitgliedstaats sein. Der Einsetzungsbeschluss des Untersuchungsausschusses muss jedoch die genaue Angabe des Untersuchungsgegenstands inklusive der Referenz zu den relevanten Bestimmungen des Unionsrechts enthalten.
Ein Untersuchungsausschuss kann Dokumente einfordern und Zeugen vorlagen, wobei jedoch sowohl Mitgliedsstaaten wie EU-Institutionen entscheiden, ob die Zeugen tatsächlich erscheinen müssen. Ein Erscheinen kann aus Gründen der Geheimhaltung bzw. Sicherheit verweigert werden.[2]
Ein Untersuchungsausschuss muss spätestens zwölf Monate nach der ersten Sichtung einen Abschlussbericht veröffentlichen, die Frist kann maximal zweimal um jeweils drei Monate verlängert werden.
Sonderausschüsse
Des Weiteren kann das Europaparlament Sonderausschüsse einsetzen, um sich mit Themen zu beschäftigen, die über den im Vertrag festgelegten Rahmen eines Untersuchungsausschusses hinausgehen. Dazu gehören zum Beispiel breiter gefasste Themen, die nicht unbedingt Verstöße gegen das Unionsrecht betreffen müssen, sowie Themen, die Länder außerhalb der EU betreffen. Oft ist das Ziel ihrer Tätigkeit, Vorschläge möglicher zukünftiger Gesetzesmaßnahmen zu formulieren. Ein Sonderausschuss verfügt über keine formalen Untersuchungsbefugnisse.[2]
Liste der ständigen Ausschüsse
Im Folgenden sind die 20 ständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments inklusive der aktuell vier Unterausschüsse aufgelistet. Die offiziellen Abkürzungen der Ausschüsse gehen im Allgemeinen auf die englische oder französische Bezeichnung zurück.
Sonderausschuss zu Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation, und zur Stärkung der Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht im Europäischen Parlament
Nichtständiger Ausschuss zur behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen
Die Entwicklung des Europäischen Parlaments und jene der parlamentarischen Ausschüsse vollzogen sich annähernd parallel.[17] Nach der ersten direkten Wahl zum Europäischen Parlament 1979 gab es 16 ständige Ausschüsse, deren Zahl bis 1999 auf 20 anstieg.[1] In Folge des Vertrags von Amsterdam fusionierte das Europäische Parlament einige Ausschüsse, die Gesamtzahl sank auf 17.[18] Im Rahmen der Osterweiterung und der erwarteten Kompetenzgewinne durch den Vertrag von Lissabon beschlossen die Abgeordneten Neuerungen für die Ausschüsse:[1]
Der Regional- und Verkehrsausschuss wurde geteilt in den Ausschuss für regionale Entwicklung (REGI) und in den Ausschuss für Verkehr und Tourismus (TRAN).
Für den Themenbereich des internationalen Handels/Außenwirtschaftspolitik, bis dato im Kompetenzbereich des Industrieausschusses (ITRE), wurde ein eigenständiger Ausschuss für internationalen Handel (INTA) gegründet.
Der ebenso neu gegründete Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) übernahm die Themen des Binnenmarktes des Rechtsausschusses (JURI) und die Zuständigkeiten des Verbraucherschutzes vom Umweltausschuss (ENVI)
Der Industrieausschuss übernahm vom Wirtschaftsausschuss (ECON) den Themenbereich der Industriepolitik
Der Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) erhielt auch die Zuständigkeit für Fragen der Geschäftsordnung des Parlaments.
Wissenschaftliche Rezeption
Aufgrund der besonderen Natur der Ausschüsse des Europäischen Parlaments – supranationales Parlament, Abgeordnete unterschiedlicher Parteien und Parteienfamilien, supranationale Themenfelder – sind diese oft Untersuchungsgegenstand der Politikwissenschaften bzw. dem Subfeld der Europastudien.
Einzelnachweise
↑ abcdeAndreas Maurer: Politische und rechtliche Konstitutionalisierungsprozesse – Vertragsentwicklung und Vertragssystem der Europäischen Union. In: Handbuch Europäische Union. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2020, ISBN 978-3-658-17408-8, S.87–118, doi:10.1007/978-3-658-17409-5_2 (springer.com [abgerufen am 30. Oktober 2020]).
↑Leigh Hancher: 1992 and Accountability Gaps: the Transnuklear Scandal: A Case Study in European Regulation. In: The Modern Law Review. Band53, Nr.5, September 1990, S.669–684, doi:10.1111/j.1468-2230.1990.tb01833.x (wiley.com [abgerufen am 31. Oktober 2020]).
↑Virginie Mamadouh, Tapio Raunio: The Committee System: Powers, Appointments and Report Allocation*. In: JCMS: Journal of Common Market Studies. Band41, Nr.2, April 2003, ISSN0021-9886, S.333–351, doi:10.1111/1468-5965.00425 (wiley.com [abgerufen am 30. Oktober 2020]).
↑Christine Neuhold: The Role of European Parliament Committeesin the EU Policy-Making Process. Hrsg.: Renner Institut. (renner-institut.at [PDF]).