Andrei Wladimirowitsch GawrilowAndrei Wladimirowitsch Gawrilow (russisch Андрей Владимирович Гаврилов, wiss. Transliteration Andrej Vladimirovič Gavrilov; * 21. September 1955 in Moskau) ist ein russischer Pianist. Nach dem Gewinn des Tschaikowski-Wettbewerbs 1974 wurde Gawrilows internationale Karriere zweimal abrupt unterbrochen: Von 1979 bis 1984 wurde er vom Sowjet-Regime in die Isolation gezwungen, von 1993 bis 2001 zog er sich aufgrund einer Lebenskrise vollkommen zurück. Seit 2001 lebt Gawrilow in der Schweiz und setzt dort seine Karriere fort. LebenFamilieGawrilow wurde in eine multinationale Künstlerfamilie geboren. Sein Vater war Wladimir Gawrilow (* 30. Mai 1923 in Moskau; † 4. Dezember 1974 in Twer unter ungeklärten Umständen[1][2]), einer der führenden russischen Maler der Mitte des 20. Jahrhunderts, über den Gawrilow auch deutsche Vorfahren hat. Seine Mutter war die armenische Pianistin Assanetta Egeserian (* 20. Dezember 1925 in Achali Atoni; † 29. November 2006 in Luzern), die bei Heinrich Neuhaus studiert hatte und Gawrilow im Alter von knapp unter 3 Jahren ersten Klavierunterricht erteilte. Erste Erfolge1961 wurde er an der Moskauer Zentralen Musikschule aufgenommen, wo er von Tatjana Kestner, die bei Alexander Goldenweiser studiert hatte, unterrichtet wurde. Seine Ausbildung beendete er bei einem anderen Neuhaus-Schüler, Lew Naumow, am Moskauer Konservatorium. Bereits mit 18 Jahren und nach einem Semester am Konservatorium[3] gewann er 1974 den Tschaikowski-Wettbewerb und erlangte internationale Bekanntheit, als er im gleichen Jahr bei den Salzburger Festspielen für Swjatoslaw Richter einsprang,[4] der ihn bereits seit Gawrilows Jugend protegierte. Bereits nach dem ersten Teil, also vor der Pause, musste er fünf Zugaben spielen. Nach dem zweiten Teil umarmte ihn die erste Reihe des Publikums, das Publikum trug den jungen Russen auf Schultern zum Künstlerzimmer.[5] Bis 1979 trat Gawrilow in allen wichtigen Musikzentren in Ost und West mit bis zu 90 Konzerten im Jahr auf und führte noch sein Studium am Konservatorium fort.[3] 1979, auf dem zwischenzeitlichen Höhepunkt von Gawrilows Karriere, bot Herbert von Karajan, der ihn mit dem Ersten Tschaikowski-Klavierkonzert in Berlin gehört hatte, Aufnahmen aller Rachmaninow-Konzerte an, obwohl Karajan Rachmaninow-Konzerte selten dirigierte. Im Dezember 1979 waren in Berlin Tonaufnahmen mit den Berliner Philharmonikern für das Zweite Klavierkonzert terminiert, zu deren Proben Gawrilow nicht erschien. Es stellte sich heraus, dass ihm – aufgrund kritischer Äußerungen über das sowjetische Regime – durch den damaligen KGB-Chef und späteren kurzzeitigen ZK-Sekretär Juri Andropow im Einvernehmen mit Leonid Breschnew der Pass und die Flugtickets entzogen und seine Telefonleitung gekappt worden war[6]. Später wurde Gawrilow unter virtuellen Hausarrest gestellt. Milizionäre zeigten Gawrilow eine offizielle Anweisung, dass ein tödlicher Unfall Gawrilows den Behörden nicht unwillkommen wäre.[7] Rehabilitation und LebenskriseErst durch Michail Gorbatschows Vermittlung wurde Gawrilow 1984 rehabilitiert und erhielt als erster Sowjetbürger einen so genannten „freien Pass“, so dass er wieder im Westen konzertieren und Tonaufnahmen machen konnte, ohne im Ausland politisches Asyl beantragen zu müssen. In Interviews erklärte Gawrilow später: „Ich war der erste freie, neue russische Mensch. Darauf bin ich genauso stolz, wie auf meine künstlerischen Erfolge!“[5] Er lebte in der Folge in London und ab 1989 in Bad Camberg bei Wiesbaden und nahm auch die deutsche Staatsbürgerschaft an.[8] Gawrilow spielte unter Dirigenten wie Claudio Abbado, Riccardo Muti und Jewgeni Swetlanow. Er konzertierte mit den wichtigsten Orchestern der Welt in der Carnegie Hall New York, in der Royal Festival Hall und der Queen-Elisabeth-Hall in London sowie vielen anderen renommierten Spielstätten.[9] 1989 wird ihm der Preis der privaten italienischen Accademia Musicale Chigiana zuerkannt.[10] 1993 geriet Andrei Gawrilow in eine schwerwiegende Lebenskrise. Einem Interview mit dem Guardian zufolge sah er sich zwar auf der Höhe seiner Karriere, materiell gut gestellt, aber nicht als einen freien, originären und idealistischen Künstler außerhalb der Musikindustrie.[7] Mitten in einem live übertragenen Konzert in Wien ging Gawrilow einfach von der Bühne und ließ alle Konzerte und Studioaufnahmen platzen. Neun Jahre lang suchte er nach eigenen Angaben[5] die Zwiesprache mit Gott, trieb religiöse und philosophische Studien, beschäftigte sich mit den Intentionen der Komponisten in den Werken und überarbeitete seine Klaviertechnik grundlegend. Seine Stationen waren Palästina und Israel, ja sogar die Fidschi-Inseln im Südpazifik. Dritte Karriere2001 tauchte Gawrilow wieder auf. In der Schweiz fand er seine neue Heimat, wohnte zuerst in Luzern und begann in der Saison 2001/2 wieder zu konzertieren. Seit August 2008 lebt er mit seiner zweiten Frau, einer jungen japanischen Pianistin, und seinem Sohn im Kanton Zürich. Im September 2009 startete Andrei Gawrilow eine Aufsehen erregende Tournee durch die russischsprachigen Staaten, die in der sibirischen Stadt Tjumen begann und über Jekaterinburg am Ural nach Moskau und Sankt Petersburg führte. Im November spielte Gawrilow in der Ukraine um dann im Dezember über die sibirischen Städte Nowosibirsk und Krasnojarsk nach Moskau zurückzukehren. Die dramatische Biographie von Gawrilow soll demnächst in Hollywood verfilmt werden. EinspielungenGawrilow ist ein Pianist von außerordentlicher Virtuosität und Kraft.[11] Bereits 1974 nahm Melodija das 1. Tschaikowski-Konzert vom Preisträger-Konzert des Tschaikowski-Wettbewerbes sowie ein Live-Soloprogramm auf. 1976 folgte eine Studioaufnahme des 3. Rachmaninow-Konzertes. Von 1977 bis 1989 arbeitete er im Tonstudio exklusiv für EMI. Aus dieser Zeit stammt die legendäre Aufnahme der Chopin-Etüden und vieler weiterer Werke, vor allem von Chopin, Skrjabin, Prokofjew, Rachmaninow und J.S. Bach. Von 1991 bis 1993 nahm er für Deutsche Grammophon auf, wo Gawrilow, der immer wieder zu seinem Kernrepertoire zurückkehrt, u. a. einige der bereits für EMI eingespielten Werke duplizierte. Eine Reihe von Projekten mit vielen Gawrilow-Novitäten wurde durch den Rückzug 1993 nicht mehr realisiert, so Bachs Englische Suiten, die kompletten Beethoven Klavierkonzerte, die Chorfantasie und die Diabelli-Variationen, sowie weiterer vager Pläne mit Werken von Franz Liszt (Études d’exécution transcendante, Paganini-Etüden), Ravels Gesamtwerk für Klavier solo und mit Orchester sowie den Klavierkonzerten von Grieg und Schumann.[8] Die Veröffentlichung einer Reihe mit neuen DVD-Aufnahmen ist derzeit geplant. Ein erstes Set soll fünf DVDs mit Werken von Chopin und Bach, darunter dessen legendäre Goldberg-Variationen umfassen, sowie drei DVD mit seinen Erklärungen dazu. Ein zweites solches DVD-Set Werke von Schumann und Prokofiew.[5] 2011 erschien Gawrilows Autobiografie Tschainik, Fira und Andrei in russischer Sprache. DiskographieSofern nicht anders angegeben, sind Aufnahmen bis 1976 bei Melodija erschienen, solche von 1977 bis 1989 bei EMI (anfangs in Koproduktion mit Melodija), solche von 1991 bis 1993 bei DGG. 1974
1976
1977
1979
1981
1982
1983
1984
1984/1985
1985/1987
1986
1987 1988
1989
1991
1992
1993
1999
TV- und RundfunkaufnahmenTV1979
1989
1990
2000
Rundfunk2009
Weitere Aufnahmen2006
Schriften
Einzelnachweise
WeblinksCommons: Andrei Wladimirowitsch Gawrilow – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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