Adolf Wölfli

Adolf Wölfli (um 1920)

Adolf Wölfli (* 29. Februar 1864 in Bowil bei Bern; † 6. November 1930 in der Waldau in Bern)[1] war ein Schweizer bildender Künstler, Komponist und Schriftsteller.

Leben

Die Skt-Wandanna-Kathedrale in Band-Wand, 1910
Heilanstalt Waldau, Gemälde von Adolf Wölfli, 1921
Schähren=Hall und Schährer=Skt. Adolf=Ring, 1926
Campbell’s Tomato Soup, Collage, 1929

Wölfli wurde als jüngstes von sieben Kindern geboren.[1] Der alkoholkranke Vater verliess 1870 die Familie, die Mutter starb 1873. Als Halbwaise musste sich Adolf Wölfli unter schwierigen, lieblosen Bedingungen als Verdingbub bei verschiedenen Bauernfamilien in Schangnau seinen Lebensunterhalt verdienen, später als Knecht oder Handlanger. 1890 wurde er wegen versuchter Vergewaltigung an einem 5- und einem 14-jährigen Mädchen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Als er drei Jahre nach seiner Entlassung rückfällig wurde, ordnete man eine Untersuchung seiner Zurechnungsunfähigkeit an. In der Psychiatrischen Klinik Waldau bei Bern wurde die Diagnose Schizophrenie gestellt.

Wölfli lebte von 1895 bis zu seinem Tode in der Nervenheilanstalt Waldau. Während seines 35-jährigen Aufenthalts schuf er ein umfassendes Werk aus rund 1460 Zeichnungen, etwa 1560 Collagen und 25'000 zu Heften gebundenen Seiten mit Erzählungen, Gedichten und Musikkompositionen. Das produktive Werk entstand überwiegend in einer 7-Quadratmeter-Kammer mit Bunt- und Bleistiften auf dünnem, holzhaltigem Makulaturpapier. Geschildert wurden Eindrücke aus Schangnau, Bern, der Waldau und dem Emmental, den einzigen Orten, die Wölfli kennengelernt hatte.[2] Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Art brut bzw. Outsider Art.

Der früher als Assistenz- und als Oberarzt an der Waldau tätige Psychiater Walter Morgenthaler widmete ihm 1921 das Buch Ein Geisteskranker als Künstler, das erstmals einen an Schizophrenie leidenden Patienten als Künstler ernst nahm. Erst lange nach seinem Tod wurde sein bildnerisches und dichterisches Werk, das sich gängigen ästhetischen Kategorien entzieht, einem breiteren Publikum bekannt. Der französische Maler Jean Dubuffet stellte 1948 120 Zeichnungen Wölflis in der Compagnie de l’Art Brut in Paris aus; auf der Documenta 5 in Kassel 1972 wurde ihm der Bereich Bildnerei der Geisteskranken gewidmet. Die Präsentation seines Werks auf der Documenta 5, kuratiert von Harald Szeeman,[3] hatte einen grossen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung von Wölflis Schaffen. In Bern entstand deshalb 1972 die Arbeitsgruppe Wölfli, auf die auch die Überführung der Werke ans Kunstmuseum Bern und die Gründung der Adolf-Wölfli-Stiftung zurückzuführen ist.

Wölflis Nachlass wird seit 1975 in der Adolf-Wölfli-Stiftung im Kunstmuseum Bern verwahrt, wissenschaftlich bearbeitet und ausgestellt. Die erste Kuratorin war Elka Spoerri,[4] deren Kataloge als Standardwerke eingestuft werden. Zur Sammlung gehört eine Collage aus dem Jahr 1929, die lange vor Andy Warhols bekanntem Werk von 1962 die Dose von Campbell’s Tomato Soup zeigt. Weitere Werkgruppen von Adolf Wölfli befinden sich in der Collection de l’Art Brut in Lausanne, im Psychiatrie-Museum Bern, im Kunstmuseum Basel, im Kunstmuseum St. Gallen, im Kunstmuseum Thurgau, im Kunsthaus Zug, im Aargauer Kunsthaus in Aarau, im Museum im Lagerhaus in St. Gallen und in der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg.

Wölflis Grab auf dem Berner Schosshaldenfriedhof ist inzwischen aufgehoben.

Ausstellungen

Veröffentlichte Werke

  • Von der Wiege bis zum Graab, 2 Bände, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1986
  • Geographisches Heft No. 11, Schriften 1912–1913, Hatje, Stuttgart, 1991

Vertonungen

Seine eigenen Kompositionen haben sich als aufführbar erwiesen, obwohl die Art seiner Notierung von der herkömmlichen abweicht. Aufgrund einer Fotografie von Wölfli mit einer papiernen, selbst gebastelten Trompete ist auch bekannt, dass er sich bemühte, seine Kompositionen vorzuspielen. Auch bezeichnete er sich selber in einer seiner Identitäten als Componist.[5]

Daneben hat sein Gedicht-Material mittlerweile zahlreiche Komponisten zu weiteren Vertonungen angeregt, darunter:

  • Wolfgang Rihm: Wölfli-Liederbuch für Bassbariton und Klavier (1980); Orchesterfassung 1981
  • Georg Friedrich Haas: Kurzoper Adolf Wölfli (1981)
  • Per Nørgård: Oper Der göttliche Tivoli (1983)
  • Graeme Revell: Nurse With Wound And Déficit Des Années Antérieures – Necropolis, Amphibians & Reptiles – The Music Of Adolf Wölfli (1986)
  • Karlheinz Essl: Sound/Video/Performance ALLgebrah. Eine Kopfwelt (2001) – gemeinsam mit der Videokünstlerin Michaela Grill
  • Bernhard Gál: Hinaus: In den, Wald. (Klanginstallation, 2001); (CD-Fassung, 2004)
  • Georges Aperghis: Wölfli-Kantata (2005); CD 2014 mit den Neuen Vocalsolisten Stuttgart.
  • Walter Feldmann: Unsichtbahr Text, Wolfs – Allgebrah für 8 Instrumente (2015–16)

Weitere Vertonungen sind auf der Website der Adolf-Wölfli-Stiftung zu finden.

Theaterproduktionen zu Adolf Wölfli (Auswahl)

  • Von der Wigga bis zum Graab, Regie: Matthias Weigold, Test Theater, Tournee durch BRD, Italien, Schweiz, Österreich, 1978–1980.
  • Adolf Wölfli in New York, Regie: Lukas Bangerter, Theaterhaus Jena, 1999
  • Ad Wölfli – Porträt eines produktiven Unfalls, Regie: Ruedi Häusermann, Theater Basel
  • BEYOND – Inside the Mind of Adolf Wölfli, Regie: Markus Zohner, Markus Zohner Arts Company, Uraufführung: 17. November 2023, Lugano / Schweiz. Internationale Tournée.[6]

Literatur

  • Adolf Wölfli – Schreiber, Dichter, Zeichner, Componist, mit Beitr. von Daniel Baumann, Marie-Françoise Chanfrault-Duchet, Josef Helfenstein, Louis A. Sass, Elka Spoerri, Harald Szeemann, Max Wechsler und Allen S. Weiss, hrsg. Adolf-Wölfli-Stiftung. Wiese-Verlag, Basel / Kunstmuseum Bern, Bern 1996, ISBN 3-909164-52-8.
  • Daniel Baumann: Adolf Wölfli. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 21. November 2013.
  • Daniel Baumann, Berno Odo Polzer (Hrsg.): Kopfwelten. ADOLF WÖLFLI: Schreiber, Dichter, Zeichner, Componist. Wespennest, Graz 2001, ISBN 3-85458-306-0.
  • Reto Caluori: Adolf Wölfli. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 3, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 2119 f.
  • Eva Demski: Adolf Wölfli: Ein ganzes Universum, in: Eva Demski: Unterwegs. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1988.
  • Walter Morgenthaler: Ein Geisteskranker als Künstler: Adolf Wölfli. Bern 1921. Nachdruck: Medusa-Verlag, Wien 1985, ISBN 3-85446-115-1. Kommentierte Neuausgabe. Köln: König, Walther, 2021
  • Porträt eines produktiven Unfalls: Adolf Wölfli, Dokumente und Recherchen, hrsg. und mit Beiträgen von Bettina Hunger, Hubert Thüring ...[et al.], Basel [etc.], Stroemfeld/Nexus 1993, ISBN 3-86109-105-4.
  • Lucienne Peiry: Écrits d’Art Brut. Graphomanes extravagants. Le Seuil, Paris 2020, ISBN 978-2-02-144768-2.
  • Gerd Presler: Adolf Wölfli, Die totale Verweigerung. In: L’Art brut – Kunst zwischen Genialität und Wahnsinn. dumont Tb 111, Köln 1981, S. 38–50, ISBN 3-7701-1307-1.
  • Pete Smith: Von der reichen Kunst eines armen Mannes. In: Ärzte Zeitung vom 4. Juli 2011.
  • Elka Spoerri: The Art of Adolf Wölfli. American Folk Art Museum, New York 2003, ISBN 0-691-11498-6.
Commons: Adolf Wölfli – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise, Anmerkungen

  1. a b Adolf Wölfli Stiftung, Kunstmuseum Bern (Hrsg.): Adolf Wölfli, Zeichnungen 1904-1906. Gerd Hatje, Stuttgart 1987, ISBN 3-7757-0232-6, S. 134.
  2. vgl. Eva Demski, S. 82f
  3. documenta 5 - Retrospektive - documenta. Abgerufen am 4. März 2023.
  4. Roberta Smith: Elka Spoerri, 77, Who Decoded Works of Noted Outsider Artist. In: New York Times. 3. Juni 2002. Abgerufen am 7. Mai 2024.
  5. vgl. Eva Demski, S. 86f
  6. BEYOND – Inside the Mind of Adolf Wölfli - Markus Zohner Arts Company. Abgerufen am 31. Januar 2024 (britisches Englisch).