Das Chanzong Wumenguan (禅宗無門關),[Anm 1] so der vollständige Name, wurde 1228 im Dongjia Longxiang Tempel[Anm 2] angefertigt und zu Ehren des Kaisers Song Lizong 1229 veröffentlicht. 1246 erschien eine u. a. von Anwan[Anm 3] und Wuliang Zongshou (無量宗壽) erweiterte Ausgabe, die die Basis für die bis heute in Japan gedruckten darstellte.
Im gebräuchlichen Namen, übersetzt etwa „Pass ohne Tor“ oder „Torlose Schranke“, ist bereits das Paradoxe eines Gong'an/Kōan enthalten.[Anm 4] Möglich sind auch Übersetzungen wie „Die Schranke des Meisters Wumen“ oder solche, die anderweitig der Bedeutung von wu (mu) im Zen Rechnung tragen und helfen können, die „Schranke“ dualistischen Denkens hinter sich zu lassen. Im chinesischen Mahayana-Buddhismus ist der Begriff 無 (wú).[Anm 5] oft ein Synonym für 空 (sunyata)[Anm 6] 門 (mén)[Anm 7] steht allgemein für eine Tür oder ein Tor, im buddhistischen Sinne wird der Begriff jedoch häufig verwendet, um sich auf einen bestimmten „Aspekt“ bzw. eine bestimmte „Methode“ der Dharma-Lehren zu beziehen, es kann ebenso einen „Prüfpunkt“ meinen. Da „Wumen“ der Spitzname des Zen-Meisters war, den dieser als Mönch nach seiner sechs Jahre dauernden Lösung des „Wu“-Gong'ans erhielt, ist der Titel auch ein Ausdruck seiner „Nicht-Methode“ (im Sinne von „Methode der Leerheit“ oder „keine Methode ist die Dharma-Methode“).
Neben mündlichen Überlieferungen bildeten, wie auch beim Biyan Lu und Congrong Lu[Anm 8], ältere Schriften, u. a. das Jingde Chuandeng Lu[Anm 9] eine der Quellen. Daher gibt es gelegentlich inhaltliche Überschneidungen. Wumen verlieh dabei seinem Buch einen eigenen Charakter, angefangen mit den Titelüberschriften aus jeweils nur vier Schriftzeichen, er kürzte ggf. die überlieferte Vorlage auf ein Minimum und fügte einen (bisweilen sehr knappen) ironischen Kommentar sowie einen vierzeiligen Vers hinzu.
Die Sammlung beginnt mit dem für Wumen Huikai persönlich so bedeutenden Gong'an des Zhaozhou (jap. Joshu), wo dieser auf die Frage „Hat ein Hund die Buddha-Natur?“ mit „Wu“ (Mu) antwortet. Ähnlich bekannt ist Zhaozhous „Zypresse[Anm 10] im Vorgarten“. Aber auch die Dialoge anderer Meister der Tang-Zeit sind im Wumenguan vertreten, darunter Yunmen (jap. Ummon), Huangbo (jap. Obaku) und Nanquan (jap. Nansen)[Anm 11].
Die Fälle mit der Auflistung der Protagonisten sind:
Der eine Weg des Qianfeng[Anm 29] (und Yunmen Wenyan) (乾峰一路)
Der Weg zum Satori führte auch Wumen durch unterschiedliche Formen der Meditation (insbesondere auch das lange Sitzen im Zazen) und die provozierenden Fragen, die der Meister dem Schüler stellt. Yuelin gab ihm den Gong'an (Kōan) von Zhaozhou Congshen, den Wumen später als Fall Nr. 1 aufnahm: „Hat ein Hund Buddha-Natur?“ Wumen rang sechs Jahre lang mit dieser Frage, im Zazen vertieft und schließlich schlaflos werdend, bevor er eines Tages plötzlich, durch den Klang der Mittagstrommel erweckt, seinen individuellen Lösungsweg fand: „WU!“ (無, jap. „Mu“) – Nichts, Leere – es ist aber kein Ja oder Nein, denn darauf kommt es nicht an:[Anm 30]
„Der Hund! Die Buddha-Natur!
Die Wahrheit zeigt sich deutlich.
Ein Augenblick von Ja-und-Nein:
Verloren sind dein Leib und deine Seele“
– Wumen Hukai
Sein Satori in diesem Augenblick beschrieb er:
„Ein Donnerschlag bei klarem, blauem Himmel!
Alle Wesen auf Erden haben ihre Augen geöffnet.
Alles unter der Sonne hat sich sogleich verneigt.
Der Berg Sumeru springt auf und tanzt.“
– Wumen Hukai
Ein typischer, absolut reduzierter (vollständiger) Kommentar von Wumen lautet (in Fall Nr. 37): Könnt ihr Jôshûs Antwort klar durchschauen, gibt es keinen Shakyamuni in der Vergangenheit, keinen Maitreya in der Zukunft.
Hierzu zitierte er den folgenden Vers:
„Worte enthalten nicht die Wirklichkeit.
Die Rede ist nicht dem Schüler angepaßt.
An Worten haftend verliert man die Realität.
An Sätzen hängen führt zur Täuschung.“
– Dongshan Shouchu
Gegenüber dem Biyan Lu, das als ein sprachlich sehr anspruchsvoller, philosophischer Höhepunkt der klassischen Zen-Literatur gilt, hob Heinrich Dumoulin das Wumenguan als ein „ein Meisterwerk der Prägnanz“[2] hervor.
Während mit dem Niedergang der Südlichen Song-Dynastie der Chan-Buddhismus in China an Bedeutung verlor, wurde durch Wumen Huikais Schüler Shinji Kakushin (1207–1298)[Anm 31][3] das Wumenguan/Mumonkan nach Japan gebracht, wo es bis in die Gegenwart als ein Kernstück der Zen-Literatur verwendet und darüber hinaus immer wieder neu mit Teishōs kommentiert wird.
Literatur
Zen. Der lebendige Buddhismus in Japan. Ausgewählte Stücke der Zen-Texte übers. u. eingel. v. Schuej Ohasama, hrsg. v. August Faust, Geleitwort v. Rudolf Otto. F. A. Perthes, Gotha – Stuttgart 1925. (reprogr. Nachdruck: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968)
Das Wu-Men-Kuan 無 門 關 oder „Der Pass ohne Tor“. Übers. Heinrich Dumoulin. – In: Monumenta Serica Vol. VIII, 1943, S. 41–102.
Wu-men Hui-k’ai: Mumonkan. Die Schranke ohne Tor. Meister Wu-men’s Sammlung der 48 Kôan, aus dem Chinesischen übersetzt und erläutert von Heinrich Dumoulin. Matthias Grünewald Verlag, Mainz 1975. (Lizenzausgabe: Angkor Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-936018-66-0).
Shibayama Zenkei (Hrsg.): Zu den Quellen des Zen. Die berühmten Koans des Meisters Mumon aus dem 13. Jahrhundert. Übers. aus dem Amerikanischen v. Margret Meilwes. Otto Wilhelm Barth Verlag (im Scherz Verlag), Bern u. a. 1976, ISBN 978-3-502-64564-1.
Two Zen Classics: Mumonkan and Hekiganroku. Translated with commentary by Katsuki Sekida, edited and introduced by A. V. Grimstone. Weatherhill, New York City – Tokyo 1977 (Nachauflagen 1996 u. 2000: ISBN 0-8348-0130-2).
Die torlose Schranke – Mumonkan. Zen-Meister Mumons Koan-Sammlung. Neu übertragen und kommentiert von Zen-Meister Kôun Yamada. Ins Deutsche übersetzt von Ludwigis Fabian und Peter Lengsfeld unter Mitwirkung von Migaku Sato, Geleitwort von Hugo M. Enomiya Lassalle. 1. Auflage. Kösel, München 1989, ISBN 3-466-20308-2
Andy Ferguson: Zen’s Chinese Heritage. The Masters and Their Teachings. Wisdom Publications, Boston 2000.
↑Deutsch etwa Buch des Gleichmutes / der Gelassenheit (從容錄; Pinyin Cóngróng lù; jap. Shōyōroku), zusammengestellt von Wansong Xingxiu (萬松行秀; Pinyin Wànsōng Xíngxiù, 1166–1246), veröffentlicht 1224. Der vollständige Titel lautet Wansong Laoren Pingchang Tiantong Jue Heshang Songgu Congrong An Lu (萬松老評唱天童覺和尚 頌古從容庵錄).
↑Deutsch etwa Bericht von der Übertragung der Lampe aus der Regierungsperiode Jing-de (景德傳燈錄; Pinyin Jǐngdé Chuándēnglù; jap. Keitoku dentōroku). Siehe Daoyuan: Records of the Transmission of the Lamp, Vol. 1–8. Translated by Randolph S. Whitfield. Books on Demand, Norderstedt 2015–2020.
↑ abIn vielen angloamerikanischen (und daraus folgend deutschen) Übersetzungen wird „Eiche“ verwendet, diese wäre jedoch 栎属 statt 栢樹. Eine Erklärung könnte die angestrebt vergleichbare Häufigkeit der Eiche im westlichen Sprachraum sein.
↑Xiangyan Zhixian (香嚴智閑; Pinyin Xiāngyán Zhìxián; W.-G. Hsiang-yen Chih-hsien; jap. Kyōgen Chikan); auch bekannt als Guanxi Zhixian (灌溪智閑), ca. 820–898
↑Yue'an Shanguo (月庵善果; Pinyin Yuè'ān Shànguǒ; W.-G. Yüeh-an Shan-kuo; jap. Gettan Zenka), auch Dagui Shanguo genannt, 1079–1152.
↑Wohl aufgrund der ungenauen Wörterbücher wird hier im angloamerikanischen und deutschen Sprachraum auch mit „Bulle/Stier“, „Kuh“, „Rind“ etc. übersetzt, 水牯牛 sollte aber ein Wasserbüffel sein.
↑Shinchi Kakushin (心地覚心), auch bekannt als Muhon Kakushin (無本覺心) sowie posthum als Hotto Kokushi (法燈國師), 1207–1298, begründete nach seiner Rückkehr nach Japan die Hotto-Linie (法燈派) des Zen.
↑Heinrich Dumoulin: Geschichte des Zen-Buddhismus, Band I: Indien, China und Korea. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Narr Francke Attempto, Tübingen 2019, ISBN 978-3-7720-8514-7, S. 256.
↑Robert E. Buswell, Donald S. Lopez: Shinchi Kakushin. In: The Princeton Dictionary of Buddhism. Princeton University Press, 2017, ISBN 978-0-691-15786-3.