Wilhelm Petersen (* 15. März 1890 in Athen; † 18. Dezember 1957 in Darmstadt) war ein deutscher Komponist.
Leben
Wilhelm Petersen war das jüngste von fünf Kindern des Hofpredigers bei König Georg I. Waldemar Petersen (1850–1940) und seiner Ehefrau Theodore Petersen geb. Saggau (1855–1925). Alle fünf Kinder wurden während des Aufenthaltes des Ehepaares in Athen geboren. Bekannte ältere Brüder von Wilhelm sind der Professor für Elektrotechnik Waldemar Petersen und der NS-Politiker Hans Petersen.
Zur schulischen Ausbildung der fünf Kinder kehrte die Familie im Jahre 1891 zunächst nach Mainz zurück. Ab 1892 war der evangelische Pfarrer dann in der Stadtkirchengemeinde in Darmstadt tätig. Wilhelm besuchte wie seine Brüder das Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt. Hier freundete er sich mit Karl Thylmann an. Petersen machte 1908 das Abitur. Bedingt durch den Wechsel nach Hessen war er von früher Kindheit an gesundheitlich angeschlagen und anfällig. Er entwickelte daher eine sehr enge Bindung zu seiner Mutter.
Der dichterisch Hochbegabte lebte während seines Studiums (1908–1911) in München im Dichterkreis um Stefan George, Karl Wolfskehl und Alexander von Bernus. Komposition studierte er bei Friedrich Klose und Rudolf Louis, Dirigieren bei Felix Mottl. 1911 heiratete er die zwölf Jahre ältere ehemalige Frau von Alexander von Bernus, die Schriftstellerin Adelheid von Sybel. Die Ehe blieb kinderlos.
Im November 1916 wurde der gesundheitlich zerbrechliche Petersen eingezogen und musste beim 87. Infanterieregiment in Wiesbaden seinen Militärdienst ableisten. Nach einem körperlichen Zusammenbruch im Sommer 1918 wurde er endgültig entlassen.
Nach dem Ersten Weltkrieg widmete sich Petersen in München zunächst musikschriftstellerischen Arbeiten, die er in Das Reich, einer der Anthroposophie nahestehenden Zeitschrift von Bernus, veröffentlichte. Petersen schrieb Rezensionen über das Münchner Konzertleben und verfasste Aufsätze mit sozial- und musikphilosophischer Thematik.
Die Uraufführung seiner I. Symphonie c-Moll op. 3 beim Tonkünstlerfest des ADMV 1921 in Nürnberg wurde zum großen Erfolg. Die mit einiger Spannung erwartete Uraufführung seiner II. Symphonie Es-Dur op. 4 beim ADMV 1923 in Kassel konnte den Erfolg von 1921 nicht wiederholen.
Nachdem die Hyperinflation 1922 seine wirtschaftliche Existenz vernichtet hatte, übersiedelte der mittellose Petersen 1923 wieder nach Darmstadt und wohnte fortan im Haus der Eltern. Er wurde in dieser Zeit von seinen Eltern und von seinem älteren Bruder Waldemar Petersen finanziell unterstützt. Einen besonderen Verlust stellte der Tod der Mutter am 14. Juni 1925 dar.
Als Komponist wandte er sich der Kammermusik, dem Lied und dem A-cappella-Chor zu. Seine Werke fanden Anerkennung im regionalen Rahmen. 1926 erhielt er zudem den Georg-Büchner-Preis des Volksstaates Hessen.
1927 wurde Petersen Dozent an der Städtischen Akademie für Tonkunst in Darmstadt. In den folgenden Jahren widmete er sich der Komposition eines seiner Hauptwerke, der Großen Messe op. 27. Dieses Werk, 1930 in Darmstadt unter Karl Böhm uraufgeführt, wurde in Deutschland mehrere Male mit großem Erfolg gespielt – so 1935 im Opernhaus in Dresden erneut unter Böhm. Bruno Walter lernte die Messe im Alter kennen und war der Überzeugung, „dass die Originalität und die Bedeutendheit der musikalischen Sprache des Meisters [den Werken Petersens] schließlich den Platz in der Öffentlichkeit verschaffen wird, der ihnen zukommt.“[1]
1935 erhielt Petersen eine Professur an der 1933 gegründeten Musikhochschule in Mannheim. Günstige Verlagsverhandlungen mit dem Verlag Simrock, der den Erwerb des Gesamtwerkes Petersens in Erwägung zog, wurden durch die Umstände der 1935 in Berlin stattfindenden Aufführung der Dritten Symphonie cis-Moll op. 30 zunichtegemacht. Während Petersens Symphonie von nazitreuen Kritikern verrissen wurde, lobten andere das Werk und wiesen auf die überaus erfolgreiche Uraufführung 1934 in Darmstadt hin. 1937 erfolgte ein Aufführungsverbot der Messe in Mannheim.
Petersen war – im Gegensatz zu seinen älteren Brüdern Waldemar Petersen und Hans Petersen – ein Gegner des NS-Regimes, obwohl er Mitglied im NSV (1934–1944) und in der Reichsmusikkammer (1933–1944) war. Zwar wird man ihn nicht einen Verfolgten des Regimes nennen können; er durfte lehren und seine Werke wurden immer wieder aufgeführt. 1937 und 1939 wurden seine Schüler von der Gestapo verhört. Er selbst wurde wegen der Nähe zur Anthroposophie 1941 verhört. Wilhelm Petersen hat sich nicht kompromittiert. Es gibt auch keine Werke von ihm, die er nach 1945 hätte schamvoll verschweigen müssen.
Das letzte bedeutende Ereignis in Petersens Leben war 1941 die erfolgreiche – in Deutschland weit beachtete – Uraufführung der Oper Der Goldne Topf nach E. T. A. Hoffmann in Darmstadt, zu der Petersen auch das Libretto geschrieben hatte. Von 1940 bis 1950 komponierte Petersen noch Kammermusik, Konzerte und Orchestersuiten, um 1950 als Komponist endgültig zu verstummen.
In dieser Zeit musste er auch eine Reihe von Schicksalsschlägen hinnehmen: 1940 verstarb der Vater nach jahrelangem Siechtum, am 11. September 1944 wurde das elterliche Haus beim Bombenangriff auf Darmstadt vollständig zerstört und im Februar 1946 verstarb der vermögende Bruder Waldemar, der ihn über Jahre finanziell unterstützt hatte. Resignation und Krankheit machten ihm ein Arbeiten unmöglich. So gab er auch nach zwei Jahren eine 1951 wieder aufgenommene stundenweise Tätigkeit an der Musikhochschule in Mannheim auf.
Am 18. Dezember 1957 verstarb Wilhelm Petersen in Darmstadt. Er wurde auf dem Alten Friedhof (Grabstelle: I Mauer 36a) begraben.
Werke
Vokalmusik
Chöre
- Bekenntnis (18. Jahrhundert) für 4–8stimmigen A-cappella-Chor op. posth. 11 (1924)
- Urworte. Orphisch von J. W. Goethe für A-cappella-Chor op. 21 (1927)
- Hymne für Chor und Orchester (frei nach dem Bekenntnis aus Des Knaben Wunderhorn) op. 25 (1927)
- Große Messe für Soli, Chor und Orchester op. 27 (1929)
- Fünf Gesänge nach alten Dichtungen für A-cappella-Chor op. 14 (1930)
- Vier A-cappella-Chöre nach Gedichten von Spervogel (12. Jahrhundert) op. 15 (1930)
- Sechs A-cappella-Chöre nach Gedichten von C. F. Meyer op. 16 (1930)
- Vier A-cappella-Chöre nach Gedichten von Morgenstern op. 17 (1930)
- Vier A-cappella-Chöre nach Gedichten aus Wegzehrung von Albert Steffen op. 18 (1930)
- Von edler Art Kantate nach alten Weisen für gemischten Chor und kleines Orchester op. 34 (1933/34)
- Vier geistliche Gesänge nach alten Melodien für gemischten Chor und kleines Orchester op. 35 (1933/34)
- An die Jugend der Welt für 3-stimmigen Chor, Klavier und kleines Orchester (Text von Maria Massa-Georgi) op. posth. 9 (nicht datierbar)
Lieder
- Drei Oden nach Klopstock für Baßbariton und Klavier op. 13 (1924)
- Sieben Lieder aus dem Siebenten Ring von Stefan George für mittlere Stimme und Klavier op. 19 (1925)
- Fünf Gesänge nach Hölderlin und George für mittlere Stimme und Klavier op. 20 (1926)
- Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten (Goethe) für mittlere Stimme und Klavier op. 23 (1927)
- Drei Barocklieder von Christian Weise und Paul Fleming für Gesang und Klavier op. 26 (1927)
- Fünf Lieder von Friedrich Hebbel op. 31 (1931/32)
- Sechs Lieder (Eichendorff) op. 32 (1931/32)
- Goethe-Lieder für hohe Stimme und Klavier op. 40 (1939)
- Vier Lieder (Christian Morgenstern) für hohe Stimme und Klavier op. 41 (1939)
- Der alte Garten 2. Folge der Eichendorff-Lieder für Gesang und Klavier op. 44 (1943–1945)
- Sechs Gesänge nach Texten von Claudius, Hölderlin, George, Lenau, Trakl für mittlere Stimme und Klavier op. 45
- Wunderhorn-Lieder für Singstimme und Klavier op. 12 (1943–1945)
- Lieder aus Shakespeares Dramen op. 46 (1946–1950)
- Drei Lieder für Gesang und Klavier nach Texten von Mombert, Hille und Mörike op. posth. 10 (nicht datierbar)
Bühnenwerke
- Bühnenmusik „Der Tod des Empedokles“ (Hölderlin) op. 24 (1926)
- Bühnenmusik „Die Spürhunde“ (Sophokles) op. 28 [verloren] (1926)
- Musik zu Shakespeares Macbeth o. op. 1 (1926)
- Bühnenmusik „Die Vögel“ (Aristophanes) op. 29 (1928)
- Der Goldne Topf. Oper in drei Aufzügen – frei nach E. T. A. Hoffmann o. op. 2 (1938)
Instrumentalwerke
Orchesterwerke und Konzerte
- Symphonische Fantasie für großes Orchester op. 1 (1913)
- Eine Trauermusik für großes Orchester op. 2 (1913)
- I. Symphonie c-Moll op. 3 (1916)
- II. Symphonie Es-Dur (über den Choral Christ ist erstanden) Ostersymphonie op. 4 (1922)
- Hymne nach Texten von Novalis für Sopran und Orchester op. 7 (1923) [verloren]
- Variationen für Streichorchester op. Posth. 12 (1924)
- III. Symphonie cis-Moll op. 30 (1931/32)
- IV. Symphonie D-Dur op. 33 (1931/32)
- Sinfonietta für Streichorchester G-Dur op. 5 (1933/34)
- Symphonische Variationen für Orchester op. 36 [verloren] (1935)[2]
- Thema, Verwandlungen und Fuge für großes Orchester op. 39 (1936)
- Musik für Orchester in zwei Sätzen o. op. 3 (1938)
- V. Symphonie d-Moll op. posth. 1 (1939)
- Metamorphosen für Klavier und Orchester op. posth. 2 (1942)
- Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. posth. 4 (1943–1945)
- Suite in g-Moll für Orchester op. posth. 5 (1946–1950)
- Suite in C-Dur für Orchester op. posth. 6 (1946–1950)
- Suite in a-Moll für Orchester op. posth. 7 (1946–1950)
- Suite in d-Moll für Orchester op. posth. 8 (1946–1950)
- Konzert für Klavier und Orchester c-Moll op. posth. 3 (1946–1950)
Kammermusik
- I. Streichquartett op. 8 (1923)
- II. Streichquartett op. 10 (1924)
- Präludium und Fuge für Violine und Klavier op. 11 (1924)
- II. Sonate für Violine und Klavier h-Moll op. 22 (1927)
- Vier kleine Stücke für Violine und Klavier op. 37 (1935)
- Vier Miniaturen für Violine und Klavier op. 38 (1935)
- Klavierquartett c-Moll op. 42 (1942)
- III. Sonate für Violine und Klavier c-Moll op. 43 (1943–1945)
- I. Sonate für Violine und Klavier d-Moll op. 6 (1946)
- III. Streichquartett e-Moll op. 49 (1946–1950)
Klaviermusik
- Präludium für Klavier o. op. 4 (1924)
- Thema und Variationen für Klavier c-Moll op. 9 (1932)
- Suite für Klavier b-Moll op. 47 (1946–1950)
- Variationen über ein Lied des Königs Thibaut von Navarra (1201–1253) für Klavier op. 50 (1946–1950)
- Suite für Klavier d-Moll op. 51 (1946–1950)
- Miniaturen für Klavier op. 52 (1946–1950)
- Suite für Klavier c-Moll op. 53 (1946–1950)
- Thema und Variationen für Klavier d-Moll op. 48 (1946–1950)
Diskographie (Auswahl)
- III. Symphonie cis-moll opus 30, HR-Sinfonieorchester Frankfurt, Constantin Trinks; CD Profil Hänssler 22069, 2022
- Lieder für Bariton und Klavier: opus 12 (Wunderhorn, Erstfassung), opus 12 (Wunderhorn, Endfassung), opus 13 (Klopstock), opus 45 (Claudius, Hölderlin, George, Lenau, Trakl), opus 46 (Shakespear); Hans Christoph Begemann, Bariton, Matthias Gräff-Schestag, Klavier; CD Eigenart 10280, 2001
Literatur
- Wolfgang Mechsner: Wilhelm Petersen: Leben und Werk. Biographie mit thematischem Werkverzeichnis. Thiasos-Musikverlag, Frankfurt am Main, 1996, ISBN 3-9805244-1-8.
- Adelheid Petersen: Wilhelm Petersen: Skizze seines Wesens und Lebens. Roether, Darmstadt, 1962, DNB 453746470.
- Artikel Wilhelm Petersen. In: Historischer Verein für Hessen im Auftrag des Magistrats der Wissenschaftsstadt Darmstadt, Roland Dotzert (Hrsg.): Stadtlexikon Darmstadt. Theiss, Stuttgart 2006, ISBN 3-8062-1930-3, S. 704.
Weblinks
- Werke von und über Wilhelm Petersen im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werkeverzeichnis von Wilhelm Petersen auf Klassika.info
- Wilhelm-Petersen-Gesellschaft e. V., Darmstadt
- Mario Zadow: Wilhelm Petersen. In: kulturimpuls.org. Forschungsstelle Kulturimpuls, 6. Oktober 2004; abgerufen am 29. Oktober 2020 (Kurzbiographie mit Abbildungen).
- Wolfgang Mechsner: Wilhelm Petersen. Abgerufen am 29. Oktober 2020 (deutsch, englisch, französisch, Beihefttext einer Aufnahme des Klavierquartetts op. 42).
- Petersen, Wilhelm. Hessische Biografie. (Stand: 28. November 2023). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
- Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Einträge in TUfind zu Wilhelm Petersen.
- Aufnahmeprüfung: Wilhelm Petersen, Sinfonie Nr. 3, von Alexandra Maria Dielitz, BR-Klassik 2023, in der ARD Audiothek.
Einzelnachweise
- ↑ Mechsner 1996, S. 351.
- ↑ Das Manuskript der vom Komponisten verfassten Einführung zum Werk befindet sich im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig (Bestand Musikverlag A. J. Benjamin/Sikorski).