Jost studierte Architektur an der Technischen Hochschule Darmstadt. Nach dem mit Auszeichnung bestandenen zweiten Staatsexamen war er als Regierungsbaumeister (Assessor) in der staatlichen Bauverwaltung des Großherzogtums Hessen tätig, zunächst in Gießen und ab 1901 in Friedberg. Von Friedberg aus betreute er auch die umfangreichen Neubauten der großherzoglich hessischen Kurverwaltung in Bad Nauheim, die über die Region hinaus große Beachtung fanden. Ab 1915 setzte Baurat Bruno von Boehmer dort sein Werk fort.
1912 wurde Jost als Kreisbauinspektor nach Worms versetzt. Noch im gleichen Jahr erhielt er aber eine Berufung als Stadtbaurat nach Halle (Saale); dieses Amt übte er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1939 aus.
Eines seiner bemerkenswertesten Projekte gleich zu Beginn seiner Amtszeit in Halle ist der Entwurf für die Hauptgebäude des in den Jahren 1913 bis 1915 erbauten neuen Gertraudenfriedhofs im Norden der Stadt. Während seiner halleschen Zeit verwirklichte er zahlreiche weitere Bauprojekte, wie das Stadtbad, die Stadtsparkasse, das Solbad Wittekind, den Ratshof, die neben vielen anderen Bauten das Stadtbild bis in die Gegenwart prägen. Bedeutsame stadttechnische Bauten, wie das Kraftwerk in Trotha, Verteiler- und Umformstationen, verdeutlichen ebenso sein Wirken für die Stadt.
Josts architektonische Überzeugungen waren durch die Ablehnung überlieferter Formvorstellungen und der Hinwendung zum Jugendstil und einem durch neuklassizistische Elemente gebändigten Abstraktionshistorismus gekennzeichnet. Insofern reiht er sich in die Reihe der gemäßigten Reformer ein. In den 1920er Jahren erarbeitete er sich einen Zugang zum Neuen Bauen, indem er avantgardistische Mitarbeiter, wie Wolfgang Bornemann (1889–1973), im Stadtbauamt förderte[2].
Jost war seit mindestens 1912 Mitglied im Deutschen Werkbund (DWB). Er starb auf dem landwirtschaftlichen Gut der Familie seiner Tochter in Lohdorf (polnisch Łojewo), Provinz Posen. Sein Grab befindet sich auf dem Gertraudenfriedhof in Halle (Saale).
Bauten
Friedberg / Bad Nauheim
1901–1902: staatliches Verwaltungsgebäude (für Hochbauamt und Oberförsterei) in Friedberg
1905–1906: Maschinenzentrale und Dampfwaschanstalt des Kurbetriebs (östlich des Bahnhofs) am Goldstein in Bad Nauheim[3]
1938–1939: Diesterwegschule II (2. Bauabschnitt), 2019/2020 Umbau zu Wohnungen, Diesterwegstraße 37
Literatur
Britta Spranger: Jugendstil in Bad Nauheim. Die neuen Bade- und Kuranlagen und ihr Architekt Wilhelm Jost. Darmstadt / Marburg 1983, ISBN 3-88443-136-6 (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, Band 48).
Hubertus Adam: Verhaltene Modernität. Wilhelm Jost als Stadtbaurat in Halle. In: Bauwelt, 1998, Heft 25, S. 1440–1443.
Hiltrud A. M. Hölzinger (Fotos), Christina Uslular-Thiele: Jugendstil in Bad Nauheim. Verlag Langewiesche, Königstein im Taunus 2005, ISBN 3-7845-7100-X.
Mathias Homagk: „Gebaut habe ich genug.“ Wilhelm Jost als Stadtbaurat in Halle (1912–1939). Hasenverlag, Halle (Saale) 2013, ISBN 978-3-939468-77-6 (= Mitteldeutsche kulturhistorische Hefte, Band 25).
Britta Spranger, Dieter Dolgner (Hrsg.): Erinnerungen aus meinem Leben. Selbstzeugnisse eines halleschen Stadtbaurats 1912–1939. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2022, ISBN 978-3-96311-631-5.
↑Mathias Homagk: „Gebaut habe ich genug.“ Wilhelm Jost als Stadtbaurat in Halle (1912–1939). Hasenverlag, Halle (Saale) 2013, ISBN 978-3-939468-77-6, S. 84.
↑Dieter Dolgner: Zum Geleit. In: Mathias Homagk 2013, S. 8/9 (vgl. Literatur)
↑Neue Ideen für die Alte Saline vorgelegt. In: FAZ, 6. Februar 2014, S. 41.