WiderspruchstheorieWiderspruchstheorie ist die westliche Bezeichnung für ein von Mao Zedong (1893–1976) entwickeltes Schema, welches zur Vereinfachung der materialistischen Dialektik für die politische Praxis dient. Es basiert auf Georg Hegels (1770–1831) These des Widerspruchs, welche davon ausgeht, dass zu jedem Sachverhalt auch ein Widerspruch (d. h. ein zu diesem gegensätzlicher Sachverhalt) besteht. Dadurch besteht eine Konvergenz zu dem Modell des Yin und Yang der klassischen chinesischen Philosophie, wobei gerade ebendiese Parallele für Maos Denkweise prägend war. In der Widerspruchstheorie wird der Begriff Widerspruch jedoch abweichend auch als Synonym für einen Prozess, bzw. den dialektischen Dreischritt These → Antithese → Synthese, verwendet. Dadurch ist Maos Artikel Über den Widerspruch, in welchem er die Widerspruchstheorie erstmals darlegt, ohne dieses Vorwissen kaum nachvollziehbar. EntwicklungMáo Zédōng wurde als Folge des langen Marsches zum politischen Kopf der KPCh. Die Partei konnte 1936 erfolgreich einen Stützpunkt in Yan’an errichten und die Kontrolle über den nördlichen Teil der Provinz Shaanxi übernehmen. Die Niederlagen durch das Shanghai-Massaker und im Nanchang-Aufstand gegen Chiang Kai-shek zeigten deutlich, dass es unmöglich war, die Programmatik der KPdSU gleichsam einer Schablone in China anwenden zu wollen. Dies und der Bruch zwischen den Kommunisten und der Kuomintang führten zur Reorganisierung der KPCh und zur Entwicklung einer eigenständigen, den chinesischen Verhältnissen angepassten Ideologie: dem Maoismus. Die Widerspruchstheorie nimmt dabei als Konkretisierung der materialistischen Dialektik die Stellung der philosophischen Grundlage des Maoismus ein. Obgleich die KPCh sich unter Deng Xiaoping nochmals programmatisch neu ausrichtete, behält sie Mao Zedongs Methode der Dialektik in der Funktion als Erkenntnistheorie bis heute bei. Aus diesem Grunde wird seitens der Politikwissenschaft empfohlen, sich zum Verständnis der innenpolitischen Verhältnisse der Volksrepublik China mit der Widerspruchtheorie, sowie Mao Zedongs Artikeln Über den Widerspruch und Über die Praxis zu befassen. Dialektik bei Mao
Máo betrachtet den Widerspruch gleichbedeutend mit Polarität, Relation und Eigenschaft. Zu jedem Sachverhalt besteht auch ein Widerspruch d. h. ein zu diesem gegensätzlicher Sachverhalt. Diese zwei Sachverhalte gelten als These und Antithese, welche jeweils in einem Prozess aufeinander einwirken. Wie bei Marx und Engels, ist auch bei Mao die Dialektik mit dem Materialismus verknüpft. Seine Weltanschauung ist rein atheistisch und deterministisch: In die Funktion von These und Antithese sind jeweils ausschließlich wissenschaftliche Sachverhalte zu setzen. Das Weltall ist die Summe von deterministisch ablaufenden Bewegungsprozessen der Materie, wobei jede Einmischung eines höheren Wesens ausgeschlossen wird. Er erweitert die marxistische Dialektik um die Begriffe:
阶段 / EtappeEin Prozess, das heißt der dialektische Dreischnitt These → Antithese → Synthese, verlaufen im Rahmen eines bestimmten Zeitfensters. Dieses Zeitfenster kann logischerweise eine beliebige Größe haben – zum Beispiel politische Prozesse können Jahre, Jahrzehnte oder auch nur wenige Stunden dauern. Mao teilt diese Zeitfenster auf und bezeichnet die jeweiligen Teilstücke als Etappe. Zwar können die Etappen chronologisch beliebig aufgefasst werden, jedoch ordnet er die Etappen nach dem Voranschreiten des Prozesses. Betrachtet man zum Beispiel den Entwicklungsprozess eines Samens zu einer Pflanze, so ist das Stadium als Keimling lediglich eine Etappe des gesamten Prozesses. 根本矛盾 / GrundwiderspruchAls Grundwiderspruch bezeichnet Mao die Ursache, oder den Auslöser einer Kausalkette. Daher nimmt der Grundwiderspruch eine dominante Stellung ein, wobei sich jedoch die Prozesse innerhalb der Kausalkette als auch unterschiedliche Etappen eines einzelnen Prozesses qualitativ unterscheiden. Er beschreibt dies wie folgt:
主要矛盾 / Primärer Widerspruch und 次要矛盾/ Sekundärer WiderspruchIn der Widerspruchstheorie wird der Begriff Widerspruch als Synonym für einen Prozess, bzw. den dialektischen Dreischnitt These → Antithese → Synthese, verwendet. Als primären Widerspruch versteht Máo daher einen Prozess, von dem andere Prozesse abhängen. Diese abhängigen Prozesse werden als sekundäre Widersprüche bezeichnet. Mao schildert dieses Verhältnis auch dadurch, dass er den primären Widerspruch auch als Verbindung sekundärer Widersprüche (chin. 次要矛盾方面, cìyào máodùn fāngmiàn) bezeichnet.
AnwendungFür den Maoismus ist die Verbindung der materialistischen Dialektik mit dem Pragmatismus sowie Elementen der klassischen chinesischen Philosophie kennzeichnend. Mao Zedong ist stark durch Sunzis Lehrsatz
geprägt. Die Widerspruchstheorie dient in der Anwendung zur Strukturierung von Prozessen und Ereignissen durch die Einordnung in eine Kausalkette. Mit Hilfe dieser Strukturierung soll der Anwender die Erkenntnisse über den bisherigen und den zu erwartenden weiteren Verlauf der Kausalkette nutzen können, um sachgemäße Entscheidungen zu treffen. In diesem Zusammenhang ist die Widerspruchstheorie durchaus zweckmäßig. Durch die Verwendung von Hilfsmitteln wie Metakarten und Flipcharts sowie gemeinsame Durchführung in einer Gruppe kann das Schema auch als Methode für Brainstormings genutzt werden. Da die Widerspruchstheorie unabhängig vom Marxismus angewendet werden kann, hat sie sich in der Volksrepublik China verselbstständigt und wird manchmal sogar von dem materialistischen Flügel der Neukonfuzianer verwendet. Literatur
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