Vitriol (lateinisch Vitriolum) ist ein Trivialname für die kristallwasserhaltigenSulfate (Salze der Schwefelsäure) von zweiwertigen Metallen, zum Beispiel Zink- oder weißes Vitriol (Zinksulfat, ZnSO4 · 7 H2O, das Mineral Goslarit), Eisen- oder grünes Vitriol (Eisen(II)-sulfat, FeSO4 · 7 H2O, das Mineral Melanterit) und Kupfer- oder blaues Vitriol (Kupfersulfat, CuSO4 · 5 H2O, das Mineral Chalkanthit). Eine veraltete Bezeichnung ist Galitzenstein. Ein Gemisch aus Kupfervitriol und Eisenvitriol wird auch als Adlervitriol bezeichnet. Eisen- bzw. Kupfervitriol wurden früher lateinisch auch Atrament(um) und Atriment genannt.
Bis zum Anfang der Neuzeit nannte man die Vitriole, insbesondere Eisenvitriol und Kupfervitriol oder ein Gemisch der beiden, Atrament[1] oder auf Lateinisch auch Atramentum sutorium „Schusterschwärze“ auf Kupfer/Eisenvitriol-Basis[2] (laut Zekert bezogen auf das aus Grubenwässern stammende unreine Kupfervitriol[3]), weil sie hauptsächlich zur Lederschwärzung genutzt wurden, oder chalcanthum (von altgriechischχαλκόςchalkós „Kupfer“ und ἄνθοςánthos „Blume, Blüte“‚ also „Kupferblume oder Kupferblüte“)[4][5] und in deutscher Sprache auch galitzenstein.[6] Die Bezeichnung Vitriolum (von lateinischvitreolus, vitriolus „gar fein gläsern“,[7] zu vitrum „Glas“) taucht zuerst im 8. Jahrhundert in einer lateinischen Übersetzung der Compositiones ad tingenda[8] und dann wieder in dem Werk Mineralia des Albertus Magnus als atramentum viride quod a quibusdam vitreolum vocatur – „die grüne Lederschwärze, die von einigen die gläserne genannt wird“ auf.[9] Die deutschsprachige Bezeichnung Vitriol soll erst im 12. Jahrhundert entstanden sein.[10] Der Name des Vitriols erklärt sich daher, dass die Kristalle grünem Glas ähneln. Noch Georgius Agricola benutzte im Jahre 1546 in De natura fossilium die Bezeichnung atramentum mit dem Vermerk, dass sich vitriolum zu verbreiten beginne.[11] Als Atrament bezeichnete man zudem das Gemisch aus Kupfersulfat (Kupfer-II-Sulfat) und Eisensulfat bzw. deren kristallbildenden Hydraten, die in Wasser gelöst dieses dunkel färben.[12][13]
Die Bezeichnung Galitzenstein deutete Gerhard Eis als galicischer Stein – für ihn ein Hinweis darauf, dass Vitriole im Mittelalter hauptsächlich aus Spanien bezogen wurden.[14]
Von Vitriol leitet sich auch Vitriolöl als Bezeichnung für Schwefelsäure ab, die früher aus Eisenvitriol hergestellt wurde und woraus auch (insbesondere durch Valerius Cordus[15]) das bereits 1275 angeblich von Ramon Lull[16] (bzw. Pseudo-Lull) entdeckte „süße Vitriol“ (oleum vitrioli dulce), später „Schwefeläther“ oder kurz Äther genannt, gewonnen wurde.
Vorkommen, Gewinnung
Vitriole kommen als Oxidationsprodukte in sulfidischenBuntmetall-Erzlagerstätten vor. Sie werden durch Auffangen der vitriolhaltigen Sickerwässer und durch Auslaugen von verwittertem, oxidiertem Buntmetallerz gewonnen. Dieses Verfahren beschrieb zuerst Georgius Agricola in seinem 1556 erschienenen Werk De re metallica. Eisenvitriol wird auch aus der Restlösung gewonnen, die nach Abscheiden von Kupfer aus kupfersulfathaltigen Wässern durch Zementation mit metallischem Eisen anfallen.
Verwendung
Vitriole wurden und werden für verschiedene Zwecke verwendet:
Kupfervitriol zur Desinfektion, zur Holzimprägnierung, zur Konservierung von Tierhäuten als Balgen bis zur Verarbeitung zu Leder und in der Taxidermie, zur Beizung von Getreidesaat, zur Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten (Bordeauxbrühe im Weinbau), zur Unkrautbekämpfung, zur Herstellung von Mineralfarben und organischen Farbstoffen und als Brechmittel;
Vitriolum ergibt sich als Akronym aus den Anfangsbuchstaben eines Mottos der Alchemie, das erstmals in der dem Alchemisten Basilius Valentinus zugeschriebenen Schrift L’Azoth des philosophes erscheint:[18]Visita interiora terrae, rectificando invenies occultum lapidem, veram medicinam, „Betrachte, was im Inneren der Erde liegt: indem du es läuterst, wirst du einen zuvor verborgenen Stein erhalten, (das wahre Heilmittel).“ Dieser Satz spielt auf die Gewinnung des Kupfervitriols an; unter vera medicina ist der Ehrenpreis zu verstehen, und zwar als Chiffre für das Chalkanthit: einerseits, weil die Blüte des Ehrenpreises die Farbe von Kupfervitriol hat, anderseits, weil dieses Mineral ehemals auch flos cupri – ‚Kupferblüte‘ (wörtlich auch als ‚Kupferblume‘ zu übersetzen)[19] genannt wurde.[20]
↑Wilhelm Hassenstein, Hermann Virl: Das Feuerwerkbuch von 1420. 600 Jahre deutsche Pulverwaffen und Büchsenmeisterei. Neudruck des Erstdruckes aus dem Jahr 1529 mit Übertragung ins Hochdeutsche und Erläuterungen von Wilhelm Hassenstein. Verlag der Deutschen Technik, München 1941, S. 39 (Atrimentum, Atrament) und 106 (Victril, victriol, victriolium).
↑Gundolf Keil: Die „Cirurgia“ Peters von Ulm. Untersuchungen zu einem Denkmal altdeutscher Fachprosa mit kritischer Ausgabe des Textes (= Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm. Band 2). Stadtarchiv, Ulm 1961 (zugleich Philosophische Dissertation Heidelberg 1960), S. 355.
↑Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 136.
↑Vgl. auch Udo Benzenhöfer: Johannes’ de Rupescissa „Liber de consideratione quintae essentiae omnium rerum“ deutsch. Studien zur Alchemia medica des 15. bis 17. Jahrhunderts mit kritischer Edition des Textes (= Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit. Band 1). Steiner, Wiesbaden/Stuttgart 1989, ISBN 3-515-05388-3 (Zugleich Medizinische Dissertation, Universität Heidelberg, 1988), S. 186 (Kupferblume, Kupferblüte; lateinisch aes viride quod vocant flos aeris).
↑Dieter Lehmann: Zwei wundärztliche Rezeptbücher des 15. Jahrhunderts vom Oberrhein. Teil I: Text und Glossar. Horst Wellm, Pattensen/Han. 1985, jetzt bei Königshausen & Neumann, Würzburg (= Würzburger medizinhistorische Forschungen, 34), ISBN 3-921456-63-0, S. 177.
↑Georges: Lateinisch-Deutsch / Deutsch-Lateinisch, S. 60122 (vgl. Georges-LDHW Bd. 2, S. 3527).
↑J. M. Stillman: The Story of Alchemy and Early Chemistry. New York 1960, S. 185.
↑Wouter S. van den Berg (Hrsg.): Eene Middelnederlandsche vertaling van het Antidotarium Nicolaï (Ms. 15624–15641, Kon. Bibl. te Brussel) met den latijnschen tekst der eerste gedrukte uitgave van het Antidotarium Nicolaï. Hrsg. von Sophie J. van den Berg, N. V. Boekhandel en Drukkerij E. J. Brill, Leiden 1917, S. 277 (zu Vitriool und bezugnehmend auf H. Peters: Aus pharmaceutischer Vorzeit in Wort und Bild. Berlin 1889).
↑Gundolf Keil: Die „Cirurgia“ Peters von Ulm. Untersuchungen zu einem Denkmal altdeutscher Fachprosa mit kritischer Ausgabe des Textes (= Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm. 2). Stadtarchiv, Ulm 1961 (zugleich Philosophische Dissertation Heidelberg 1960), S. 355.
↑Jürgen Martin: Die ‚Ulmer Wundarznei‘. Einleitung – Text – Glossar zu einem Denkmal deutscher Fachprosa des 15. Jahrhunderts. Königshausen & Neumann, Würzburg 1991 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 52), ISBN 3-88479-801-4 (zugleich Medizinische Dissertation Würzburg 1990), S. 114.
↑H. Orth, I. Kis: Schmerzbekämpfung und Narkose. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 1–32, hier: 9.
↑H. Orth, I. Kis: Schmerzbekämpfung und Narkose. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 1–32, hier: S. 24.
↑Vgl. auch Otto Beßler: Prinzipien der Drogenkunde im Mittelalter. Aussage und Inhalt des Circa instans und Mainzer Gart. Mathematisch-naturwissenschaftliche Habilitationsschrift, Halle an der Saale 1959, S. 31 (flos plumbi „dy blume des bleyes“ und Flos eris „cuppherblume“).
↑Andreas Libavius: Res chymicae epistolica forma. Lib. II. Francofurti 1565, S. 191. (Online); (Faksimile). Die Bezeichnung kommt von der griechischen Bezeichnung oder von dem arabischen Alchemiker Geber, der das Kupfervitriol qualquant ‚Kupferblüte‘ nannte. Heute versteht man unter Kupferblüte allerdings das Chalkotrichit, eine Formvariante des Cuprits oder Kupfer(I)-oxids.