Die 27 Tibetischen Mondhäuser (tib.: rgyu skar, „Sterne auf denen man geht“) ergeben sich durch die Aufteilung der Ekliptik in 27 gleich große Teile und bilden somit ein Winkelmaß der Tibetischen Astronomie, das generell zur Berechnung der Längen von Sonne und Mond, der in Tibet bekannten Planeten und des Kometen Encke benutzt wurde. Für astronomische Berechnungen werden diese Mondhäuser mit den Zahlen 0 bis 26 gezählt. Zusätzlich war in Tibet die Aufteilung der Ekliptik in 12 Tierkreiszeichen bekannt.
Diese Aufteilung der Ekliptik in Mondhäuser, die in Tibet seit dem 8. Jahrhundert bekannt war und dort für astronomische Berechnungen seit der Übersetzung des Kālacakratantra im 11. Jahrhundert Verwendung fand, wurde von den Tibetern aus Indien übernommen, wo die Mondhäuser als Nakşatra bezeichnet wurden.
Grundlage der Aufteilung in 27 Teile war die Tatsache, dass der Mond für einen siderischen Umlauf etwas über 27 natürlich Tage benötigt, sich also jeden Tag in einem anderen Mondhaus aufhält.
Die Aufteilung in Mondhäuser ist in Tibet eng verbunden mit der Vorstellung, dass den Mondhäusern bestimmte Sternbilder entsprechen, deren Struktur z. B. in dem 1685 verfassten Vaiḍūrya dkar-po des Regenten Desi Sanggye Gyatsho beschrieben worden ist.
Des Weiteren wurden die Mondhäuser in Tibet, wie übrigens auch die Planeten, mit bestimmten Göttern identifiziert.
Zusätzlich war den Tibetern die Aufteilung der Ekliptik in 28 Mondhäuser bekannt, die zwar in der rechnenden Astronomie der Tibeter keine Rolle spielte, die aber insbesondere in den Sinotibetischen Divinationskalkulationen (tib.: nag rtsis) Verwendung fand. Letztere ordneten den Mondhäusern für divinatorische Berechnungen bestimmte Elemente und Himmelsrichtungen zu, eine Verfahrensweise, die von den Tibetern aus China übernommen wurde. Als 28. Mondhaus wurde hier das auch in Indien bekannte Mondhaus byi ha zhin bzw. byi bzhin (Sanskrit: Abhijit) zwischen den Mondhäusern gro bzhin und mon gre eingefügt.
Liste der Tibetischen Mondhäuser
Zählung
Tibetische Bezeichnung
Gottheit (Alle Abbildungen nach Vaiḍūrya dkar-po)
Sternbild (Beschreibung) nach Vaiḍūrya dkar-po
Element der nag-rtsis
Himmelsrichtung der nag-rtsis
0
tha skar
Besteht aus drei Hauptsternen mit der Gestalt eines Pferdekopfes und Pferdehalses (tib.: rta mgo mgul)
Wasser
Norden
1
bra nye
Besteht aus drei Hauptsternen, die die Gestalt des Geschlechtsteils einer Frau (tib.: mo mtshan) haben.
Erde
Nord-Westen
2
smin drug
Besteht aus sechs Hauptsternen, die die Gestalt eines Rasiermessers (tib.: spu gri) haben.
Holz
Osten
3
snar ma
Besteht aus fünf Hauptsternen, die die Gestalt eines Wagens (tib.: shing rta) haben.
Holz
Osten
4
mgo
Besteht aus drei Hauptsternen, die die Gestalt des Kopfes eines Rehs (tib.: ri dvags mgo) haben.
Holz
Osten
5
lag
Besteht aus einem Hauptstern, der die Gestalt eines runden Punktes (tib.: thig le) hat.
Holz
Osten
6
nabs so
Besteht aus zwei Hauptsternen, die die Gestalt des Fußes eines Throns haben (tib.: khri rkang) haben.
Holz
Osten
7
rgyal
Besteht aus drei Hauptsternen, die die Gestalt eines Tropfens haben (tib.: ril ba) haben.
Holz
Osten
8
skag
Besteht aus sechs Hauptsternen, die die Gestalt eines aufgeblähten Schlangenhalses (tib.: gdengs ka) haben.
Erde
Südosten
9
mchu
Besteht aus sechs Hauptsternen, die die Gestalt eines Flusses (tib.: chu bo) haben.
Feuer
Süden
10
gre
Besteht aus zwei Hauptsternen, die die Gestalt eines Menschenbeines (tib.: mi rkang) haben.
Feuer
Süden
11
dbo
Besteht aus zwei Hauptsternen, die die Gestalt eines Thrones (tib.: khri) haben.
Feuer
Süden
12
me bzhi
Besteht aus fünf Hauptsternen, die die Gestalt einer Hand (tib.: lag) haben.
Feuer
Süden
13
nag
Besteht aus einem Hauptstern, der die Gestalt Lotusfrucht (tib.: pad snying) hat.
Feuer
Süden
14
sa ri
Besteht aus einem Hauptstern, der die Gestalt eines Edelsteins (tib.: nor bu) hat.
Feuer
Süden
15
sa ga
Besteht aus vier Hauptsternen, die die Gestalt eines Ziegenkopfs (tib.: ra mgo) haben.
Erde
Süd-Westen
16
lha mtshams
Besteht aus vier Hauptsternen, die die Gestalt eines Stiers (tib.: glang po) haben.
Eisen
Westen
17
snron
Besteht aus drei Hauptsternen, die die Gestalt einer Leiter (tib.: them skas) haben.
Eisen
Westen
18
snrubs
Besteht aus neun Hauptsternen, die die Gestalt eines Skorpion (tib.: sdig pa) haben.
Eisen
Westen
19
chu stod
Besteht aus vier Hauptsternen, die die Gestalt eines Stupa (tib.: mchod rten) haben.
Eisen
Westen
20
chu smad
Besteht aus vier Hauptsternen, die die Gestalt eines Bre-Messgeräts (tib.: bre) haben.
Eisen
Westen
21
gro bzhin
Besteht aus drei Hauptsternen, die die Gestalt eines Bre-Messgeräts (tib.: bre) haben.
Eisen
Westen
[21a]
byi bzhin
Besteht aus drei Hauptsternen, die die Gestalt eines Rinderkopfes (tib.: glang mgo) haben.
Erde
Nord-Westen
22
mon gre
Besteht aus vier Hauptsternen, die die Gestalt eines Vogels (tib.: bya) haben.
Wasser
Norden
23
mon gru
Besteht aus zwei Hauptsternen, die die Gestalt eines Blumenstraußes (tib.: me tog phung) haben.
Wasser
Norden
24
khrums stod
Besteht aus zwei Hauptsternen, die die Gestalt eines Wagens (tib.: shing rta) haben.
Wasser
Norden
25
khrums smad
Besteht aus zwei Hauptsternen, die die Gestalt eines Ohrs (tib.: rna ba) haben.
Wasser
Norden
26
nam gru
Besteht aus zweiunddreißig Hauptsternen, die die Gestalt eines Bootes (tib.: gru) haben.
Winfried Petri: Indo-tibetische Astronomie. Habilitationsschrift zur Erlangung der venia legendi für das Fach Geschichte der Naturwissenschaften an der Hohen Naturwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig Maximilians Universität zu München. München 1966
Dieter Schuh: Untersuchungen zur Geschichte der Tibetischen Kalenderrechnung. Wiesbaden 1973
Te-ming Tseng: Sino-Tibetische Divinationskalkulationen (Nag-rtsis) dargestellt anhand des Werkes dPag-bsam ljon-šing von Blo-bzang tshul-khrims rgya-mtsho. International Institute for Tibetan and Buddhist Studies, Halle 2005. ISBN 3-88280-070-4