Thiotrichales

Thiotrichales

Thiomargarita namibiensis (Bild: NASA)

Systematik
Domäne: Bakterien (Bacteria)
Abteilung: Proteobacteria
Klasse: Gammaproteobacteria
Ordnung: Thiotrichales
Wissenschaftlicher Name
Thiotrichales
Garrity et al. 2005

Thiotrichales sind eine Ordnung der Proteobacteria. Es handelt sich um eine in der Zellform, Ökologie und den Stoffwechsel sehr vielfältige Gruppe von gramnegativen Bakterien. Ein wichtiges Merkmal vieler Arten ist die Fähigkeit anorganische Schwefelverbindungen durch Oxidation als Energiequelle für den Stoffwechsel zu nutzen, als Kohlenstoffquelle für den Aufbau der Zellsubstanz dient ihnen Kohlendioxid. Sie werden als chemolithotroph bezeichnet und werden zu der Gruppe der Schwefelbakterien gestellt. Mit Thiomargarita namibiensis enthält diese Ordnung das größte bekannte Bakterium.

Merkmale

Es handelt sich um meist aerobe, auf Sauerstoff angewiesene Bakterien, einige tolerieren auch geringe Sauerstoffgehalte der Umgebung, sind also mikroaerob. Viele Arten bilden durch aneinander geheftete Einzelzellen Filamente mit fädenartigen Strukturen. Ein bekanntes Beispiel ist die zu den Thiotrichaceae gestellte Art Beggiatoa alba. Durch ein Verdrillen und Umwickeln der Filamente bildet das Bakterium ein Geflecht, es können Seeböden überziehende, weiße Teppiche entstehen. Andere Arten, beispielsweise von Thiotrix, bilden Rosetten. Auch kokkoide und stäbchenförmige Zellen kommen vor, z. B. bei verschiedenen Arten der Piscirickettsiaceae. Einige Arten sind durch Geißeln beweglich, andere können sich ohne Geißeln gleitend fortbewegen. Zu den extrem großen Bakterien dieser Ordnung zählen außer Thiomargarita namibiensis z. B. noch Beggiatoa und Thiothrix.

Ökologie und Stoffwechsel

Viele Vertreter der Thiotrichales gewinnen Energie durch Oxidation anorganischer Schwefelverbindungen, wie z. B. Sulfid (S2−), elementaren Schwefel und Schwefelwasserstoff. Bei der Oxidation wird dann z. B. Sulfat gebildet. Man spricht auch von den schwefeloxidierenden Bakterien oder Sulfurikanten. Sie zählen zu den so genannten farblosen Schwefelbakterien. „Farblos“ bezieht sich auf die fehlenden Photopigmente, diese Bakterien sind nicht zur Photosynthese fähig. Das unterscheidet sie von den photoautotrophen Schwefelbakterien, zu denen z. B. die Schwefelpurpurbakterien, mit Arten wie Chromatium und Thiocapsa zählen. Bei den farblosen Schwefelbakterien spricht man auch in Bezug auf die Zellmorphologie von den fädigen Schwefelbakterien, solche Zellstrukturen findet man z. B. bei Thiothrix und Beggiatoa. Da Schwefelbakterien anorganische Verbindungen, wie Sulfid im Stoffwechsel als Elektronendonatoren nutzen, zählen sie zu der Gruppe der lithotrophen oder chemolithotrophen Bakterien (altgriechisch λίθος lithos, deutsch ‚Stein‘ und τροφή trophe, deutsch ‚Ernährung‘).

Einige Arten der schwefeloxidierenden Thiotrichales sind hierbei obligat chemolithoautotroph, d. h., sie können ausschließlich anorganische Stoffe für die Energiegewinnung und Aufbau der Zellsubstanz (Kohlendioxid) nutzen, organische Verbindungen können sie nicht verwerten. Mitglieder der Gattung Thiomicrospira zählen z. B. zu den obligat chemolithotrophen Bakterien. Thiomicrospira crunogena (seit 2017 als Hydrogenovibrio crunogenus geführt) und Thiomicrospira thermophila (seit 2017 Hydrogenovibrio thermophila) wurden aus einer hydrothermalen Quelle isoliert.[1] Auch einige Stämme von Beggiatoa sind obligat chemolithoautotroph[2]. Andere Arten sind fakultativ chemolithoautotroph, sie können außer den anorganischen Stoffen (Kohlendioxid) auch organische Stoffe als Kohlenstoffquelle nutzen. Andere Stämme von Beggiatoa sind auf organische Quellen für den Kohlenstoff zwingend angewiesen, sie sind nicht in der Lage anorganische Quellen für den Kohlenstoff zu nutzen[2].

Durch Analyse des Stoffwechsels von Beggiatoa alba gelang Sergei Nikolajewitsch Winogradski der Nachweis, dass einige Bakterien in der Lage sind Schwefelwasserstoff zu Sulfat zu oxidieren. Diese Beobachtung führte zu der Entwicklung des Konzeptes der Chemolithotrophie: Bestimmte Organismen sind in der Lage ohne Photosynthese ausschließlich anorganische Stoffe zum Aufbau der Zellsubstanz und Energieentwicklung zu nutzen.

Die schwefeloxidierenden Bakterienarten der Thiotrichales spielen eine wichtige Rolle im Schwefelkreislauf der Erde. Die Mehrzahl der schwefeloxidierenden Thiotrichales ist an aquatischen Standorten mit neutralen pH-Werten gebunden. Dies unterscheidet sie von einer anderen ökologisch bedeutsamen Gruppe farbloser Schwefelbakterien, die Schwefelsäure (H2SO4) produzieren und somit an Umgebungen mit niedrigen pH-Werten angepasst sind. Zu diesen acidophilen Mikroorganismen zählen z. B. Arten von Thiobacillus und Acidithiobacillus. Auch einige Archaeen, wie Sulfolobus, sind acidophile Schwefeloxidierer. Die schwefeloxidierenden Thiotrichales besiedeln aquatische Habitate die reich an Schwefelwasserstoff oder Thiosulfat sind, wie Schlammschichten in Seen und Teichen, Abwasser, Schwefelquellen oder auch Meeresböden.

Mit Arten der Gattung Methylophaga (Familie Piscirickettsiaceae) sind auch methylotrophe Bakterien in der Ordnung Thiotrichales vertreten. Methylotrophe Bakterien nutzen so genannte C1-Verbindungen für den Energiegewinn und als Kohlenstoffquelle für die Zellsubstanz. Bei C1-Verbindungen handelt es sich um Moleküle, die keine direkte Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen enthalten, wie z. B. Methanol, Methylamin und Dimethylamin. Auch einige pathogene Arten sind in der Ordnung vorhanden. Francisella tularensis ist der Auslöser der Tularämie. Diese bei Nagetieren auftretende Erkrankung ist auch auf dem Menschen übertragbar. Piscirickettsia salmonis ist für verschiedene Fischarten, wie den Atlantischen Lachs (Salmo salar) und den Silberlachs (Oncorhynchus kisutch) pathogen.

Systematik

Die Familien und einige Gattungen[3]

Anmerkungen (Stand 5. Mai 2022):

() – die Gattung Beggiatoa wird in der LPSN und der Genome Taxonomy Database (GTDB) in eine eigene Familie Beggiatoaceae gestellt. Diese wird in der GTDB sogar in einer eigenen Gammaproteo­bakterien-Ordnung Beggiatoales verortet, sonst aber hier bei den Thiotrichales (siehe Thiotrichaceae).
(+) – die Gattungen Thiomargarita und Thioploca werden in der GTDB ebenfalls in die Familie Beggiatoaceae gestellt; nicht aber in LPSN (siehe Thiotrichaceae).

Quellen

  1. Rich Boden, Kathleen M Scott, John Williams, Sydney Russel, Kirsten Antonen, Alex W Rae, Lee P Hutt: An evaluation of Thiomicrospira, Hydrogenovibrio and Thioalkalimicrobium: reclassification of four species of Thiomicrospira to each Thiomicrorhabdus gen. nov. and Hydrogenovibrio, and reclassification of all four species of Thioalkalimicrobium to Thiomicrospira. In: International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology. Band 67, Nr. 5, 1. Mai 2017, ISSN 1466-5026, S. 1140–1151, doi:10.1099/ijsem.0.001855 (microbiologyresearch.org [abgerufen am 28. Januar 2024]).
  2. a b George M. Garrity: Bergey's manual of systematic bacteriology 2. Auflage
  3. J. P. Euzéby: List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN)Ordnung Thiotrichales (Stand 30. November 2018)
  4. Min Xiao, Nimaichand Salam, Lan Liu, Jian-Yu Jiao, Min-Ling Zheng, Juan Wang, Song Li, Cha Chen, Wen-Jun Li, Ping-Hua Qu: Fastidiosibacter lacustris gen. nov., sp. nov., isolated from a lake water sample, and proposal of Fastidiosibacteraceae fam. nov. within the order Thiotrichales. In: Int J Syst Evol Microbiol, Band 68, Nr. 1, Januar 2018, S. 347–352; doi:10.1099/ijsem.0.002510, PMID 29185937, Epub 29. November 2017.
  5. LPSN: Family Fastidiosibacteraceae Xiao et al. 2018.
  6. LPSN: Family "Caedimonadaceae" Schrallhammer et al. 2018. Abgerufen am 12. September 2024 (englisch).

Literatur

  • George M. Garrity: Bergey's manual of systematic bacteriology. 2. Auflage. Springer, New York, 2005, Volume 2: The Proteobacteria, Part B: The Gammaproteobacteria ISBN 0-387-24144-2
  • Michael T. Madigan, John M. Martinko, Jack Parker: Brock – Mikrobiologie. 11. Auflage. Pearson Studium, München 2006, ISBN 3-8274-0566-1
Commons: Thiotrichales – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien