Teseo ist nach Rinaldo und Il pastor fido Händels dritte Oper für London. Er begann mit der Komposition nur kurze Zeit nach der Fertigstellung von Il pastor fido, aber noch vor dessen Uraufführung. Am 19. Dezember 1712 stellte er die Partitur fertig, wie er in seinem Autograph notierte: „Fine del | Drama | G F H | à Londres | ce 19 de Decembr | 1712“. Die Uraufführung fand am 10. Januar 1713 im Queen’s Theatre statt.
Die Oper stellt die erstmalige Zusammenarbeit mit dem Musiker und Dichter Nicola Francesco Haym dar. Dieser bediente sich für das Libretto einer französischen Vorlage, die Philippe Quinault 1675 für Jean-Baptiste Lully geschrieben hatte: Thésée. Die Übernahme der Struktur dieser Tragédie lyrique brachte es mit sich, dass Teseo Händels einzige Oper mit fünf Akten ist. Da Haym in der von ihm unterzeichneten Widmungsvorrede das Textbuch dem Earl of Burlington zueignete, ist anzunehmen, dass Händel die Oper auch in Burlington House komponierte, wo er sich in den Jahren 1713 bis 1715 mehrfach aufhielt.
Während der Monate Januar und Februar 1713 bestimmte Teseo vorwiegend den Spielplan des Haymarket-Theaters, nicht zuletzt wegen der neuen Kostüme, Dekorationen und Maschinen, die eigens für diese Inszenierung angefertigt worden waren. Doch während die Oper vor ausverkauftem Haus gespielt wurde, kam es, wie die fälschlicherweise Francis Colman zugeschriebene Opernchronik am 15. Januar 1713 berichtet, hinter den Kulissen zu einer schweren Krise:
“Mr O. Swiny ye Manager of ye Theatre was now setting out a new opera, Heroick. all ye Habits new & richer than ye former with 4 New Scenes, & other Decorations & Machines. ye Tragick Opera was called Theseus, ye musick composed by Mr Hendel. Maestro di Capella di S.A.E. D’Hannover. […] ye Opera being thus prepared Mr Swiny would have got a Subscription for Six times, but could not. – he then did give out Tickets at half a Guinea each, for Two Nights ye Boxes lay’d open to ye Pit. ye House was very full these two Nights […] after these Two nights Mr Swiny Brakes & runs away & leaves ye Singers unpaid ye Scenes & Habits also unpaid for. The Singers were in Some confusion but at last concluded to go on with ye opera’s on their own accounts. & devide ye Gain amongst them.”
„Mr. O. Swiney, der Theaterdirektor, plante nun eine neue Oper, heroisch, alle Kostüme neu und prunkvoller als die vorherigen, mit 4 neuen Bühnenbildern und anderen Dekorationen und Maschinen. Der Titel dieser tragischen Oper war Theseus. Die Musik hatte Händel komponiert. Maestro di Capella di S.A.E. D’Hannover. […] Nachdem die Oper so vorbereitet war, wollte Swiney Subskriptionen für sechs Abende verkaufen, was ihm aber nicht gelang. Dann verkaufte er seine Eintrittskarten zu je einer halben Guinee, zwei Abende lang standen die Logen bis zum Parterre allen Zuschauern offen, das Haus war an diesen beiden Abenden sehr gut besucht […] Nach diesen beiden Abenden machte sich Swiney davon und ließ die Sänger zurück, ohne auch nur die Bühnenbilder und Kostüme bezahlt zu haben. Die Sänger gerieten in einige Verwirrung, beschlossen jedoch zuletzt, die Opern selbständig weiterzuführen und den Gewinn unter sich zu verteilen.“
Nach Swineys Flucht mit den Einnahmen zweier Vorstellungen nach Italien wurde Johann Jacob Heidegger kaufmännischer Direktor des Queen’s Theatre, was ihm sehr behilflich dabei war, seinen Stand als Impresario in London zu etablieren: er sollte danach dreißig Jahre lang ein führender Opernunternehmer an der Themse bleiben, zwischen 1719 und 1728 als Händels Geschäftspartner in der Funktion des Direktors der Royal Academy of Music.
Nach 13 Vorstellungen war dann die letzte Aufführung zu Händels Lebzeiten am 16. Mai 1713 eine Benefizvorstellung für den Komponisten, der sich dabei wieder als Cembalo-Solist hören ließ.
Der mythologische Inhalt der Oper folgt den Traditionen der Tragédie lyrique. Anders als in den italienischen Opern der Zeit, die heroische und historische Stoffe bevorzugten, blieben diese Sujets in der französischen Oper noch bis zur Revolution vorherrschend. Quinault entnahm die Geschichte der Biografie des Theseus aus PlutarchsBíoi parálleloi (Parallele Lebensbeschreibungen) sowie der entsprechenden Episode aus dem 7. Buch von OvidsMetamorphosen.
Plutarch selbst bezieht sich auf eine Überlieferung, nach der Theseus sich in Naxos von Ariadne trennte, weil sie zum einen Dionysos im Olymp versprochen worden war, zum anderen, weil Theseus sich in Aigle, die Tochter des Panopeus, verliebt hatte.[3]
Erster Akt
Agilea liebt Teseo und zeigt sich ihrer Vertrauten gegenüber besorgt um das Schicksal des Helden, der mit den Athenern in den Kampf gezogen ist.
Arcane liebt Clizia, die ihm verspricht, seine Liebe bald zu belohnen.
Das Kriegsglück ist auf Seiten der Athener: König Egeo, der geschworen hatte, die Zauberin Medea zu seiner Gemahlin zu machen, gibt bekannt, dass Agilea Königin werden soll. Die verzweifelte Agilea bekennt ihre Liebe zu Teseo und ihre Verpflichtung für ein königliches Los.
Zweiter Akt
Im Palast besingt Medea ihr Unglück: Der Liebesgott lässt sie keine Ruhe im Leben finden. Egeo tritt mit seinem Gefolge auf. Er eröffnet Medea, dass er nach langem Aufschub ihrer beiderseitigen Vermählung ihr seinen Sohn zum Gemahl bestimmt habe.
Arcane gibt dem König zu bedenken, dass der mit Siegesruhm bekränzt heimkehrende Teseo ihm den Thron streitig machen könnte. Der gefeierte Held Teseo schickt sich an, dem Herrscher einen Besuch abzustatten. Medea warnt ihn: Egeo verdächtigt ihn des Verrats. Nur sie könne den Zorn des Königs besänftigen. Teseo legt sein Schicksal in die Hände der Zauberin: Als diese allein ist, besingt sie ihre Eifersucht und ihren Hass.
Dritter Akt
Arcane bittet den König um die Hand der Clizia. Agileas Zofe meldet ihrer Herrin die Ankunft Teseos. Der Held erscheint und besingt das Glück, seine Geliebte wiederzusehen. Doch der vom König ausgesandte Arcane verkündigt die bevorstehende Vermählung Agileas und Egeos. Medea kommt hinzu und droht dem jungen Mädchen. Durch Zauberkünste verwandelt sie die Bühne in eine von Ungeheuern bevölkerte grauenvolle Wüste. Die Dämonen entführen Agilea.
Vierter Akt
Arcane unterrichtet den König von Medeas bösem Zauber. Egeo schwört, sich zu rächen. Medea bedrängt Agilea, sich dem Wunsch des Königs zu fügen, doch diese will lieber den Tod erleiden, als auf ihre Liebe zu verzichten. Medea lässt daraufhin den in einen tiefen Schlaf gesunkenen Teseo von Geistern herbeibringen und beschließt, dass der Held eher sterben als ihrer Rivalin gehören soll. Agilea ergibt sich: Sie will dem König ihre Hand reichen, um den Geliebten zu retten. Medea gebietet den Dämonen, sich zu entfernen, und verwandelt die Bühne in eine Zauberinsel. Sie berührt Teseo mit ihrem Zauberstab, dieser vernimmt aus Agileas Mund, dass ihre Liebe zu ihm erloschen ist, doch ihre Tränen verraten ihre wahren Gefühle. Die Zauberin erscheint wieder:
Offensichtlich gerührt durch die tiefe Neigung Teseos zu Agilea, gibt sie ihre Absicht kund, ihn, den sie liebt, glücklich zu machen, während die beiden Liebenden ihr Glück besingen.
Fünfter Akt
Von Eifersucht gequält, sinnt Medea auf Rache: Sie ist entschlossen, Teseo zu töten, und übergibt dem König einen Becher mit Gift.
Begleitet von dem Hochzeitszug, treten die beiden Verlobten auf. Der König erklärt sich bereit, allen Hader zu vergessen und auf die Versöhnung zu trinken. Bevor Teseo den Becher an den Mund hebt, schwört er bei seinem Schwerte dem König Treue und Ergebenheit. Dieser erkennt in dem Schwert die Waffe, die er einst seinem Sohn als Erkennungszeichen überreicht hatte. Er reißt Teseo den Becher aus der Hand und gesteht das Verbrechen, das er im Begriff war zu begehen. Medea flieht. Der König besiegelt den Bund der beiden Liebenden und gibt auch Clizia und Arcane seinen Segen. Auf einem mit Drachen bespannten Wagen erscheint Medea und schickt sich an, den Palast in Brand zu setzen. Doch das Eingreifen Minervas rettet die Anwesenden vor den Flammen. Der Schlusschor besingt die wiedergewonnene Eintracht.
Musik
Die Musik zu Teseo ist als Autograph nur stark fragmentarisch erhalten. Zum Glück gibt es aber in der Barrett-Lennard-Collection eine von Händel für die Aufführungen benutzte Abschrift.
“[…] in which the wild and savage fury of the enraged sorceress, Medea, and her incantations, are admirably painted by the instruments.”
„[…] in welchem die wilde, ungebändigte Wut der rasenden Zauberin, Medea, und ihre Beschwörungen durch die Instrumente erstaunlich deutlich dargestellt werden.“
– Charles Burney: A General History of Music. London 1789.[4]
In der Person der von Leidenschaft ergriffenen Zauberin Medea zeigt Händel erstmals seine Meisterschaft im Zeichnen von Charakterfiguren. Charles Burney ist über die Oper voll des Lobes, bemerkt nur, dass sie noch besser hätte werden können, wenn Händel bessere Sänger zur Verfügung gehabt hätte. Er wundert sich, dass die Oper nicht gedruckt wurde, weil sie doch so viele schöne Arien, Einfälle, gar Geniestreiche enthält.
Bernd Baselt: Thematisch-systematisches Verzeichnis. Bühnenwerke. In: Walter Eisen (Hrsg.): Händel-Handbuch. Band 1. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1978, ISBN 3-7618-0610-8 (unveränderter Nachdruck: Kassel 2008, ISBN 978-3-7618-0610-4).
Christopher Hogwood: Georg Friedrich Händel. Eine Biographie (= Insel-Taschenbuch 2655). Aus dem Englischen von Bettina Obrecht. Insel Verlag, Frankfurt am Main u. a. 2000, ISBN 3-458-34355-5.
Arnold Jacobshagen (Hrsg.), Panja Mücke: Das Händel-Handbuch in 6 Bänden. Händels Opern. Band 2. Laaber-Verlag, Laaber 2009, ISBN 3-89007-686-6.
Paul Henry Lang: Georg Friedrich Händel. Sein Leben, sein Stil und seine Stellung im englischen Geistes- und Kulturleben. Bärenreiter-Verlag, Basel 1979, ISBN 3-7618-0567-5.
Albert Scheibler: Sämtliche 53 Bühnenwerke des Georg Friedrich Händel. Opern-Führer. Edition Köln, Lohmar/Rheinland 1995, ISBN 3-928010-05-0.
↑Editionsleitung der Hallischen Händel-Ausgabe: Dokumente zu Leben und Schaffen. In: Walter Eisen (Hrsg.): Händel-Handbuch. Band 4. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1985, ISBN 978-3-7618-0717-0, S. 59.
↑Christopher Hogwood: Georg Friedrich Händel. Eine Biographie (= Insel-Taschenbuch 2655). Aus dem Englischen von Bettina Obrecht. Insel Verlag, Frankfurt am Main u. a. 2000, ISBN 3-458-34355-5, S. 98.
↑Silke Leopold: Händel. Die Opern. Bärenreiter-Verlag, Kassel 2009, ISBN 978-3-7618-1991-3, S. 296.
↑Charles Burney: A General History of Music: from the Earliest Ages to the Present Period. Vol. 4. London 1789; originalgetreuer Nachdruck: Cambridge University Press 2010, ISBN 978-1-108-01642-1, S. 242.