Die singuläre Kohomologie ist eine Methode aus dem mathematischen Teilgebiet der algebraischen Topologie, die einem beliebigen topologischen Raum eine Folge abelscher Gruppen zuordnet. Anschaulich gesprochen zählt sie die verschieden-dimensionalen Löcher eines Raumes.
Definiert ist die singuläre Kohomologie als Kohomologie zum singulären Kokettenkomplex. Genauso wie die singuläre Homologie ist sie eine Invariante des zugrunde gelegten topologischen Raums. Sie hat jedoch im Gegensatz zur singulären Homologie den Vorteil, dass die Folge ihrer Kohomologiegruppen zusammen mit dem Cup-Produkt einen Ring bilden.
Singulärer Kokettenkomplex
Sei
ein topologischer Raum und
eine abelsche Gruppe. Mit
wird der singuläre Kettenkomplex von
bezeichnet. Für jede natürliche Zahl
definiere
![{\displaystyle C^{p}(X;G):=\operatorname {Hom} (C_{p}(X),G)\,,}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/199f1e9e3b7f62c301aa44d3ce51ab2f160959a2)
wobei
die Gruppe der Gruppenhomomorphismen von
nach
ist. Die Elemente von
heißen singuläre Koketten mit Koeffizienten in
oder kurz
-Koketten.
Der Randoperator
des singulären Kettenkomplexes induziert einen Randoperator
,
der Korandoperator genannt wird. Er lässt sich durch
charakterisieren, woraus
folgt. Dies ergibt den Kokettenkomplex
,
der singulärer Kokettenkomplex genannt wird.[1]
Singuläre Kohomologie
Die singuläre Kohomologie ist nun die Kohomologie bezüglich des singulären Kokettenkomplexes. Eine
-Kokette
heißt Kozykel, falls
gilt, und Korand, falls ein
mit
existiert. Im Folgenden wird mit
die Gruppe der Kozykel und mit
die Gruppe der Koränder bezeichnet. Beide Gruppen sind Untergruppen von
. Die singuläre Kohomologie
mit Koeffizienten in
ist dann definiert als die Quotientengruppe[1]
.
Direkt aus den Definitionen ergibt sich die folgende Interpretation der Begriffe "Kozykel" und "Korand". Eine Kokette
ist ein Kozykel genau dann, wenn
auf Rändern verschwindet, also
für alle
gilt. Eine Kokette ist ein Korand, wenn sie auf Zykeln verschwindet, also
für alle
mit
. Insbesondere repräsentieren zwei Kozykel
genau dann dieselbe Kohomologieklasse, wenn sie auf allen Zykeln dieselben Werte annehmen, also
für alle
mit
.
Die Elemente von
werden als Kohomologieklassen (mit Koeffizienten in
) bezeichnet.
Eigenschaften
Kontravarianter Funktor
Die singuläre Kohomologie ist ein kontravarianter Funktor von der Kategorie der topologischen Räume in die Kategorie der abelschen Gruppen. Der Funktor hat also die folgenden zwei Eigenschaften.
Seien
und
zwei stetige Abbildungen zwischen topologischen Räumen. Mit
und
werden die induzierten Kohomologiehomomorphismen bezeichnet. Dann gilt
.
Außerdem ist der durch die identische Abbildung induzierte Kohomologiehomomorphismus wieder die identische Abbildung.[2]
Lange exakte Sequenz
Für einen topologischen Unterraum
ist der singuläre Komplex
ein Unterkomplex von
, und mit
erhält man eine kurze exakte Sequenz von Kettenkomplexen, die durch Anwendung von
eine kurze exakte Sequenz von Kokettenkomplexen ergibt:
.
Daraus ergibt sich mit Methoden der homologischen Algebra die lange exakte Kohomologiesequenz
.
Die Gruppen
heißen relative singuläre Kohomologiegruppen.
Topologische Invariante
Die singulären Kohomologiegruppen sind topologische Invarianten des zugrunde liegenden Raums. Seien also
und
zwei topologische Räume und
ein Homöomorphismus, dann sind für alle
und für jede abelsche Gruppe
die Kohomologiegruppen
und
isomorph.[2]
Homotopie-Invarianz
Homotope Abbildungen
induzieren dieselben Abbildungen
. Homotopieäquivalenzen
induzieren Isomorphismen
.
Mayer-Vietoris-Sequenz
Sei
eine (nicht disjunkte) Zerlegung mit
.
Dann gibt es eine exakte Sequenz
.
De-Rham-Kohomologie und Simpliziale Kohomologie
Wenn
eine differenzierbare Mannigfaltigkeit ist, dann ist
isomorph zur De-Rham-Kohomologie
. Wenn
homöomorph zur Geometrischen Realisierung
eines Simplizialkomplexes
ist, dann ist
isomorph zur simplizialen Kohomologie
.
Cup-Produkt
Im Gegensatz zur singulären Homologie ist es bei singulären Kohomologieklassen möglich, auf ihnen ein assoziatives, graduiert kommutatives und distributives Produkt zu definieren. Dieses wird Cup-Produkt genannt und induziert auf den Kohomologiegruppen eine Ringstruktur.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ a b John M. Lee: Introduction to Topological Manifolds (= Graduate Texts in Mathematics 202). Springer-Verlag, New York NY u. a. 2000, ISBN 0-387-98759-2, S. 329.
- ↑ a b John M. Lee: Introduction to Topological Manifolds (= Graduate Texts in Mathematics 202). Springer-Verlag, New York NY u. a. 2000, ISBN 0-387-98759-2, S. 330.