Als Sesquilinearform (lat. sesqui = anderthalb) bezeichnet man in der linearen Algebra eine Funktion, die zwei Vektoren einen Skalarwert zuordnet, und die linear in einem, semilinear im anderen ihrer beiden Argumente ist. Ein klassisches Beispiel ist die durch
![{\displaystyle f((v_{1},\ldots ,v_{n}),(w_{1},\ldots ,w_{n}))={\overline {v}}_{1}w_{1}+\ldots +{\overline {v}}_{n}w_{n}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/97ef2a243e921a43c53ebbb6bcfd6b690c1d4ece)
definierte Abbildung
, das komplexe Standardskalarprodukt.
Hierbei bezeichnet der Querstrich die komplexe Konjugation.
Die beiden Argumente können verschiedenen Vektorräumen
entstammen, denen jedoch ein gemeinsamer Skalarkörper
zugrunde liegen muss; eine Sesquilinearform ist eine Abbildung
; sie ist eine Linearform bezüglich des einen und eine Semilinearform bezüglich des anderen Argumentes. Für die Reihenfolge von linearem und semilinearem Argument gibt es unterschiedliche Konventionen; in der Physik ist es üblich, das semilineare Argument zuerst zu nennen.
Über den reellen Zahlen stimmt das Konzept der Sesquilinearform mit dem der Bilinearform überein.
Definition
Es seien
Vektorräume über den komplexen Zahlen.
Eine Abbildung
![{\displaystyle S\colon V\times W\to \mathbb {C} ,\quad (v,w)\mapsto S(v,w)=\langle v,w\rangle }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/8f022ad237811aa78e7f277ca34451f3167b28b4)
heißt Sesquilinearform, wenn
semilinear im ersten und linear im zweiten Argument ist, das heißt
![{\displaystyle \langle v_{1}+v_{2},w\rangle =\langle v_{1},w\rangle +\langle v_{2},w\rangle }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/e090f868ce4aac65a6f652c0fcdcec5556bab1a4)
![{\displaystyle \langle \lambda v,w\rangle ={\overline {\lambda }}\;\langle v,w\rangle ;}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/aeb8a5fbc4417cee60e18a240166ace833fcef25)
und
![{\displaystyle \langle v,w_{1}+w_{2}\rangle =\langle v,w_{1}\rangle +\langle v,w_{2}\rangle }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/9f87784eb638563027777b650f187ed4b2831c49)
![{\displaystyle \langle v,\lambda w\rangle =\lambda \,\langle v,w\rangle .}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/bd09e52d4d4912c74667190e09e0e8721d8c0510)
Dabei sind
,
und
.
Manchmal wird stattdessen auch Linearität im ersten und Semilinearität im zweiten Argument gefordert; dieser Unterschied ist jedoch rein formaler Natur.
Diese Definition lässt sich auch auf Vektorräume über anderen Körpern oder Moduln über einem Ring verallgemeinern, sobald auf dem Grundkörper bzw. -ring ein ausgezeichneter Automorphismus oder zumindest Endomorphismus
![{\displaystyle \lambda \mapsto {\overline {\lambda }}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/3dd00dd3e6d09fdafc5d1246e62b8052263bbe11)
gegeben ist. Ein Kandidat für derartige Endomorphismen ist der Frobeniushomomorphismus in positiver Charakteristik.
Die konstante Nullabbildung ist eine Sesquilinearform, wir schreiben
. Punktweise Summen und skalare Vielfache von Sesquilinearformen sind wieder Sesquilinearformen. Die Menge der Sesquilinearformen bildet also einen
-Vektorraum.
Eine Sesquilinearform
heißt hermitesch, falls
![{\displaystyle S(v,w)={\overline {S(w,v)}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/e550d277fdfc824f9d15111a055f9c903aaf89eb)
gilt. Diese Definition ist analog zur Definition der symmetrischen Bilinearform. Das Adjektiv „hermitesch“ leitet sich von dem Mathematiker Charles Hermite ab.
Beispiele
Ein inneres Produkt über einem komplexen Vektorraum ist eine Sesquilinearform mit hermitescher Symmetrie, also sogar eine hermitesche Form, siehe auch Kreinraum.
Polarisierung
Aussage
Eine wichtige Rolle spielt die sogenannte Polarisierungsformel
![{\displaystyle {\begin{aligned}4\cdot S(y,x)&=\sum _{k=0}^{3}\mathrm {i} ^{k}S(x+\mathrm {i} ^{k}y,x+\mathrm {i} ^{k}y)\\&=S(x+y,x+y)+\mathrm {i} S(x+\mathrm {i} y,x+\mathrm {i} y)-S(x-y,x-y)-\mathrm {i} S(x-\mathrm {i} y,x-\mathrm {i} y),\end{aligned}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/2e15bbd5ae71becdc3ce97eec67e972df7a69306)
die zeigt, dass die Form bereits durch ihre Werte auf der Diagonalen, d. h.
auf Paaren der Form
eindeutig bestimmt ist.
Die Polarisierungsformel gilt nur für Sesquilinearformen, nicht aber für allgemeine Bilinearformen.
Spezialfall
Eine unmittelbare Konsequenz aus der Polarisierungsformel ist die Tatsache, dass
die Form
bereits dann verschwindet, wenn
für alle
.
Oder anders ausgedrückt: Falls
für alle
, dann
,
also
.
Gegenbeispiel
Für allgemeine Bilinearformen gilt diese Aussage nicht, folglich kann es auch keine Polarisierungsformel geben.
Dies erkennt man an folgendem Beispiel. Sei
und setze
.
ist offenbar bilinear und es gilt
für alle
. Andererseits ist
.
Folgerung
Sei
ein Hilbertraum und
ein beschränkter linearer Operator. Dann ist
eine beschränkte Sesquilinearform. Die Beschränktheit
bedeutet, dass
(hier
). Umgekehrt folgt aus dem
Darstellungssatz von Fréchet-Riesz, dass jede beschränkte Sesquilinearform einen beschränkten Operator
bestimmt, so dass
für alle
.
Insbesondere verschwindet
genau dann, wenn
verschwindet. Dies kann man auch wie folgt leicht
direkt sehen: falls
so folgt
für alle
, also
. Die Umkehrung folgt sofort aus der Definition von
.
Mit der Polarisierungsidentität folgt also, dass ein Operator genau dann Null ist,
wenn
für alle
.
Diese Aussage gilt jedoch nur über dem Grundkörper der komplexen Zahlen
, über den reellen Zahlen ist zusätzlich die Bedingung notwendig, dass T selbstadjungiert ist.[1]
Das Konzept der Sesquilinearform lässt sich auf beliebige Moduln verallgemeinern, wobei an die Stelle der komplexen Konjugation ein beliebiger Antiautomorphismus auf dem zugrundeliegenden nicht notwendigerweise kommutativen Ring tritt. Seien
Moduln über demselben Ring
und
ein Antiautomorphismus auf
. Eine Abbildung
heißt genau dann
-Sesquilinearform, wenn für beliebige
,
und
die folgenden Bedingungen gelten:
![{\displaystyle \langle m_{1}+m_{2},n\rangle =\langle m_{1},n\rangle +\langle m_{2},n\rangle }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/7e57afc2bf7685ce88673d52e2f0a3da91db1991)
![{\displaystyle \langle m,n_{1}+n_{2}\rangle =\langle m,n_{1}\rangle +\langle m,n_{2}\rangle }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/fa11334f52e5ed581a7c941d88f7c3bf214f4160)
![{\displaystyle \langle \lambda m,n\rangle =\lambda \langle m,n\rangle }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/5344bef0707993f9344e37a0313d65590a6da5c5)
[2]
Literatur
Einzelnachweise
- ↑ D. Werner: Funktionalanalysis 5., erweiterte Auflage. Springer, 2004, ISBN 3-540-21381-3, Korollar V.5.8, S. 236.
- ↑ Nicolas Bourbaki: Algèbre (= Éléments de mathématique). Springer, Berlin 2007, ISBN 3-540-35338-0, Kap. 9, S. 10.